So[1] bleibt nur noch übrig, daß auch ich meine Apotheke öffne, ob sich in ihr vielleicht ein Heilmittel für das fieberkranke Deutschland findet. Aber es ist bekannt, daß Waaren, die man umsonst erhält, nicht sehr behagen, und kein Verständiger wird rathen, sich selbst unentgeltlich zum Arzt für fremde Leiden anzubieten, da ja die ärgerlichen Kranken auch bezahlten Aerzten für ihre heilsamen Verordnungen oft genug mit Scheltworten lohnen. Leicht mag auch von vielen einsichtigen Leuten der verspottet werden, der, von seiner Stellung als Privatmann aus, den Staatslenkern Vorschriften machen will, und schließlich wäre es für den, der mit den Staatsgeschäften vertraut ist, keine große Kunst, nachdem einmal die richtige Diagnose gestellt ist, nun auch die richtige Therapie zu treffen. Ich füge also hier nur Weniges hinzu, damit mein Werkchen einen passenden Abschluß erhalte.
Als den Grundsatz, von dem auszugehen ist, möchte ich nun angesehen wissen, daß Deutschlands Verfassung sich seit lange in einem abnormen Zustand befindet, so daß sie ohne gewaltige Umwälzung zu einer streng monarchischen nicht mehr umgestaltet werden kann. Da dieselbe nun aber der eines Föderativstaates jetzt am nächsten steht, so wird man am angemessensten solche Mittel anwenden, welche von der Politik für Föderativstaaten vorgeschrieben werden, die so alle naturgemäß mehr auf die Defensive, als auf die Aggressive gestellt sind.
Am wichtigsten ist es nun, die innere Eintracht herzustellen. Zu diesem Zwecke ist es das allernothwendigste, daß Jeder in seinen Rechten geschützt werde, und daß es Niemandem möglich ist, den Schwächeren zu vergewaltigen, damit so trotz der Ungleichheit der Macht die gleiche Sicherheit und Freiheit Aller hergestellt werde.
Daher müssen alte und verjährte Ansprüche ein für allemal zurückgewiesen werden, und der gegenwärtige Besitzstand ist allen Verhältnissen zu Grunde zu legen. Streitigkeiten aus jüngster Zeit sind durch den
- ↑ In der Ed. posth. lautet dieser §. 4: Es ist nun nicht schwer, die richtige Politik für Deutschland zu bestimmen, wenn man einmal die deutschen Verhältnisse richtig kennen gelernt hat. Als Grundsatz muß hingestellt werden, daß die gegenwärtige Verfassung durch Gesetz und Gewohnheit so befestigt ist, daß sie nicht ohne die größten Umwälzungen und vielleicht nicht ohne die Zertrümmerung des Reiches geändert werden kann. Daher muß der Kaiser auf jeden Versuch verzichten, Deutschland zu einer wahren Monarchie zu machen, und die Stände müssen seiner Herrschaft, wie sie jetzt besteht, sich fügen, ohne nach gänzlicher Unabhängigkeit zu streben, die sicher für viele von ihnen gänzliche Unterwerfung nach sich ziehen würde, da nach Auflösung des Reichsverbandes die schwächeren Stände theils den mächtigeren, theils auswärtigen Staaten unterliegen müßten. Darin besteht jene Harmonie zwischen Haupt und Gliedern, welche die Deutschen insgemein zu beobachten für nöthig halten. Wie ferner ein unregelmäßiger Staat, wie Deutschland, nicht an Eroberungen, sondern nur daran denken darf, seinen Besitz zu behaupten, so muß auch im inneren vor Allem die Eintracht zwischen den Ständen, die ja viel mächtiger sind, als in anderen Staaten bloße Bürger, gesichert werden. Zu diesem Zwecke u. s. w.
Samuel von Pufendorf: Ueber die Verfassung des deutschen Reiches. Berlin: L. Heimann, 1870, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:%C3%9Cber_die_Verfassung_des_deutschen_Reiches.djvu/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)