Seid einig – einig!
[519] Seid einig – einig! Ein österreichischer und ein bairischer Bauernbursche geriethen einst in Streit und wurden von Minute zu Minute hitziger. Der Streit hatte mit allerlei Kleinhandel angefangen und theilte endlich Tausendpfundnoten aus, als man über das Vaterland zu streiten kam. Natürlich war der Baier sogleich ein guter Baier, der Oesterreicher ein guter Oesterreicher; der Baier sagte: „Ich bin gut königlich“ und gab dem Oesterreicher eine Ohrfeige; der Oesterreicher sagte: „Ich bin gut kaiserlich königlich“ und strich dem Baier die Hand gedoppelt um die Ohren.
Das Ding war gut; drei Ohrfeigen waren abgeliefert. Der Baier dachte: „Die zwei Brezeln nehm’ ich lächelnd heut mit heim, weil es nicht dreie sind, morgen geh’ ich in Begleitung meines Seitenmessers aus, ich will doch sehen, wie ich dem Oesterreicher seine Grobheit aus den Rippen schneide.“ Der Oesterreicher dachte: „Immerfort, basta für heute, ich habe ja noch eine unschuldige Wange, auf der ich die Nacht noch schlafen kann, findet der Baier mit zwei Pfund „Dachteln“ heim, so kann ich meine zweiunddreißig Loth jedenfalls leichter schleppen, morgen wird’s aber anders sausen.“
Gut.
Sie gingen auseinander und schwuren sich den Tod so bald als möglich. Aber ein großer Herr, der allergrößte, den wir kennen, griff aus den Wolken nieder und führte zuerst den Baier und dann auch den Oesterreicher bei den Ohren nach Frankreich und nach Afrika hinüber, das heißt, ein jeder von den Burschen hatte das Unglück, daß er wegen Wilderei aus seiner Heimath fliehen mußte und so kamen sie nach Frankreich, um sich für Afrika werben zu lassen, wo es damals noch Krieg gegen Abd-el-Kader setzte.
Beide Burschen kamen auch glücklich in Afrika an, der Baier früher, der Oesterreicher später; einer war als Reiter angeworben, der andere Musketier: beide schwitzten ihr Erkleckliches in der schrecklichen afrikanischen Zone, beide waren aber tapfer, wie es Deutschen ziemt und es dauerte nicht lange, so hatte Jeder seine vier, fünf ehrenvolle Wunden auf der Brust.
Das Soldatenleben mag recht lustig scheinen; tapfer sein, das ist recht brav: Wunden auf der Brust zu haben, das ist recht ehrenvoll: aber Eines ist recht bitter: so schrecklich weit vom Vaterlande fort zu sein, nirgends seine Muttersprache mehr zu hören, Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Landsleute und Freunde gar so fern zu wissen – über Berg und Thal und Meer! Es schien auch wie verzaubert: in Afrika wurde immer und immer nur von Frankreich und von England, vom Kaiser von Marokko und von Spanien, von Abd-el-Kader und den Arabern gesprochen – von Deutschland keine Silbe und wenn es ein Franzose schon im Vorübergehen streifte, so hieß es: l’Allemagne und nicht Deutschland.
Einst stand der Baier Wache in der stillen Wüste, über sich nur Himmel, unter sich nur Sand und vor sich Sand und Himmel.
„Dort drüben,“ dachte er, „dort muß mein Deutschland liegen – Deutschland, Deutschland, Vaterland, mein Baiern, meine Heimath; dort leben meine Brüder, dort spricht man meine Sprache – und ich stehe da – allein, so weit hinweg, in einem fremden Lande, unter fremden Menschen und will ich meine Sprache reden, so red’ ich nur zu lauter Luft und todtem Sande!“
Er stieg vom Pferd und drückte weinend sein Gesicht in dessen Mähnen.
„O hätt’ ich jetzt nur Einen deutschen Bruder da; sei’s Oesterreicher oder Schwabe, Preuße oder Sachs! Wie wollte ich meinen Oesterreicher jetzt umarmen, halsen, herzen, statt sein Leben anzufeinden: wie wollte ich ihn drücken und Herzensbruder nennen!“
Und wie er noch so spricht und kümmert, marschirt ein Trupp Musketiers vorüber und macht Halt und der Anführer spricht auf schlecht französisch: „Nun, gut Freund! Kein Araber zu sehn gewesen? Alles rund herum in Ordnung?“
Der Baier wischt sich schnell die Augen mit dem Mähnenhaar des Pferden, schaut auf und will geschwinde sagen: „Nein, es hat sich hier kein Feind gezeigt“ – aber er kann nicht reden und wird wie Kreide weiß und kann nicht reden.
Dem Führer geht’s nicht anders. Er glaubt zu träumen, schaut den Baier mit großen Augen an, die Augen werden feucht, die Waagen werden bleicher – plötzlich brechen beide los wie Rasende vor Schmerz und Freude, der Eine schreit: „Ist’s möglich, bist Du’s?. Bist Du’s wirklich, lieber Baier?“
Der Andere ruft: „So hab’ ich recht, Du bist es Bruder Oesterreicher?“
Und Beide werfen weg, was sie in Händen haben und halfen sich und küssen sich und schwören sich zu lieben ihr ganzes Leben.
„Wir sind Alle Deutsche“ ruft der Baier und nur Ein Herz soll Allen angehören, dem Oesterreicher wie dem Baier, dem Baier wie dem Sachsen, dem Schwaben wie dem Franken!…“
[520] Diese Geschichte erinnert uns wohl lebhaft genug an das Schicksal unsers deutschen Volkes, das gewöhnlich so lange untereinander als Oesterreicher und Preuße, als Sachse und Baier und Schwabe stritt, bis es durch eine fremde Macht so recht auf eine Wüste des Bürgerkriegs geführet ward; nach langem Kummer rief es dann endlich:
„Wir sind Alle Deutsche – laßt uns einig sein, dann sind wir stark und dürfen auch von einem Vaterlande reden!…“
Wieder stehen wir am Anfang einen solchen gefährlichen Zwiespalts – doch ist das deutsche Volk diesmal nicht im Zweifel, welches bessere Theil zu wählen sei; – wer wird es jetzt verantworten wollen, wenn Deutschland doch zerrissen, doch um fremder Interessen willen aufgeopfert würde?