Sebnitz (Störzner)
Zu den schönstgelegenen Städten unseres Vaterlandes gehört die gegen 8000 Einwohner zählende Stadt Sebnitz. Sie bildet einen Teil des sogenannten „Meißner Hochlandes.“ Umrahmt wird sie von Bergen und schlangenförmig durchflossen von dem Sebnitzbach, der wiederholt dem trauten Städtchen verhängnisvoll wurde, wie z. B. am 22. Juni 1714 und im Jahre 1804, als furchtbare Wasserfluten Sebnitz heimsuchten. Die Lage von Sebnitz ist unbeschreiblich schön, malerisch ist der Anblick vom Bahnhofe aus, ebenso von der oberhalb desselben gelegenen Finkenbaude oder auch droben von der Grenadierburg aus. Friedlich reihen sich die Häuser um den geräumigen Marktplatz und ziehen sich hier und da an den Abhängen der Berge hinan. Einzelne wagen sich sogar auf den Rücken der Berge. – Zu erreichen ist Sebnitz bequem und schnell mit der Bahn von Schandau aus oder auch von Neustadt her. In kurzer Zeit wird die Bahnstrecke Nixdorf–Sebnitz fertiggestellt werden, sodaß man auch von Zittau her über Rumburg und Schluckenau Sebnitz künftig bequemer und schneller erreichen kann. – Vor 50 Jahren hatte Sebnitz noch nicht das freundliche Ansehen wie heute. Die Gassen waren nicht so breit, und der Marktplatz war nicht so geräumig. Am 15. September 1854 wurde ein großer Teil der Stadt ein Raub der Flammen. Die vielfach noch mit Schindeln bedeckten Häuser gaben dem Feuer Nahrung; damals gingen das Rathaus, die Schule, die den Marktplatz einrahmenden Gebäude und die anstoßenden Gassen in den Flammen auf. Nicht weniger als 150 Häuser wurden in einen Asche- und Trümmerhaufen verwandelt. Auf den Trümmern wurde die Stadt von neuem wieder aufgebaut und erhielt jenes anmutige Gewand, dessen Anblick uns so fesselt. – Die Stadt Sebnitz hat ein hohes Alter. Ihre Gründung fällt in eine sehr frühe Zeit, mindestens um das Jahr 1000 n. Chr. Geburt. Die Schreibweise des Namens Sebnitz ist eine schwankende gewesen. Da findet man das Städtchen Sebenitza, Sabenize, Sebenitzs, Sebenitz, Sebeniz und auch Zäbnicz geschrieben. Der Name der Stadt ist wendischen Ursprungs und liegt ihm nach den neueren Forschungen das altwendische Wort zeba zu Grunde, welches „Fink“ bedeutet. Den Namen Sebnitz deutet man neuerdings als „Finkenwaldbach.“ Wenden sind also die ersten Bewohner des Talkessels gewesen, in dem sich heute die Stadt Sebnitz so friedlich ausbreitet. 200 Jahre später siedelten hier nach der Sage sich noch 24 deutsche Bauern an, die aus der Bamberger Gegend kamen. Ueber den Ursprung und über die Gründung der heutigen Stadt Sebnitz besteht noch folgende allgemeine Ueberlieferung: In uralten Zeiten stand da, wo jetzt die Stadt Sebnitz liegt, ein berühmtes Forsthaus. In seiner Nähe siedelten sich nach und nach noch andere Leute an, und so entstand mit der Zeit eine Stadt. An jenes Forsthaus erinnern noch heute das Sebnitzer Stadtwappen, ein schreitender Hirsch im blauen Felde. – Nach einer uralten Sage sollen da, wo Sebnitz heute steht, einst die Böhmen oder Tschechen ihre Volksversammlungen abgehalten haben. Im nahen Dorfe Lichtenhain, bekannt durch den Lichtenhainer Wasserfall, habe sich ein heiliger Hain befunden, wo die Böhmen den alten Göttern opferten. An die altheidnische Zeit, die Zeit der Gründung der Stadt, erinnern heute noch in Sebnitz mancherlei Gebräuche. Am Abend vor dem Feste Johannis des Täufers werden auf den ringsumliegenden Bergen große Feuer angezündet. Dann werden diese mit angezündeten, brennenden Besen im Kreise noch hier und da umzogen und wohl auch noch umtanzt. An jene Zeit erinnerte [446] wahrscheinlich auch das Burkhardsfest, das alljährlich am 11. Oktober mit „Essen, Trinken und Vergnügen“ in Sebnitz gefeiert wurde. – Im 18. Jahrhundert war in Sebnitz und in der Umgegend noch folgender Gebrauch üblich: Am Sonntage Lätare zogen die Kinder in Sebnitz mit einem Strohmanne, der den Tod darstellen sollte, unter einem besonderen Gesange durch die Stadt bis an die böhmische Grenze. Daselbst warfen sie den Strohmann in den Bach und kehrten dann unter fröhlichen Gesängen wieder heim. – In Urkunden kommt der Name Sebnitz im Jahre 1228 zum ersten Male vor und zwar in der Grenzbezeichnung des Königreichs Böhmen und des Stiftes Meißen. Ob nun die Stadt auch dem Flusse oder der Fluß Sebnitz der Stadt den Namen gegeben hat, das ist schwerlich zu entscheiden. – Sebnitz gehörte einst zum Besitze des böhmischen Freiherrn von der Duba, seit 1410 zum Erbteil der Wildensteiner Linie dieses Geschlechts, deren Schloß hoch über dem Kuhstalltore in der Sächsischen Schweiz thronte. Am 6. April 1451 ging Sebnitz durch einen Kauf- und Tauschvertrag aus dem Besitz des Albrecht Birken von der Duba an den Kurfürsten Friedrich den Sanftmütigen und dessen Bruder Wilhelm den Tapferen über. Der Ort erlangte bald darauf Stadtgerechtigkeit. – Jahrhunderte hindurch bewahrte Sebnitz den Charakter eines Ackerbaustädtchens. Neben Getreidebau trieben die Bewohner einst auch Weinbau, und an den Abhängen der umliegenden Berge kletterte der Weinstock empor. An jene Zeiten erinnert noch der Name „die Weinleite.“ – Bedeutend war einst in der Sebnitzer Gegend der Flachsbau, und bis vor einem Menschenalter war Sebnitz weithin berühmt und bekannt als Weberstadt. Hier entwickelte sich ein lebhafter Handel mit Leinwandwaren. Schon im 15. Jahrhundert hatte Sebnitz in der Verarbeitung der Garne einen großen Ruf. Damals unterhielt es Handelsverbindungen mit England und den Städten Leipzig und Nürnberg. Die Leute aller umliegenden Dörfer und Städte erhielten durch die Sebnitzer Meister, deren damals 51 in der Stadt vorhanden waren, lohnende Arbeit. Im Jahre 1750 fing man in Sebnitz auch an, in die leinenen Waren Seide zu schießen. Nach und nach fertigte man auch Tücher aus reiner Seide, die unter dem Namen: „Dresdner Tücher“ weithin berühmt waren. So hob sich die Sebnitzer Leinwandindustrie immer mehr und mehr, sodaß Ende des 18. Jahrhunderts daselbst nicht weniger als 300 Meister, 120 Gesellen, 30 Lehrlinge und 1000 Stühle beschäftigt wurden. Vater und Sohn, Mutter und Tochter arbeiteten hinter den Stühlen, und die kleineren Kinder saßen am Spuhlrade oder hinter der Seidenwinde. Das war so bis zu jenem furchtbaren Brande am 15. September 1854. In den Flammen gingen viele Webstühle verloren. Die Bewohnerschaft wandte sich nun mehr und mehr der im Nachbarlande Böhmen blühenden Fabrikation künstlicher Blumen zu. Der wirtschaftliche Aufschwung nach den Kriegsjahren 1870/71 verhalf der Blumenindustrie in Sebnitz zu großer Blüte, und so ist Sebnitz heute eine „Blumenstadt“ geworden und als solche im In- und Auslande rühmlichst bekannt. Sie zeigt durchaus das Gepräge eines lebhaften modernen Industrieortes und weist einen so lebhaften kommerziellen Verkehr auf, daß z. B. der Postpaketverkehr im Jahre 1898 als zweiter im Dresdner Handelskammerbezirk, d. h. unmittelbar nach dem der Residenz Dresden „rangierte.“ Sebnitz besitzt ein großes und schönes Krankenhaus, Gasbeleuchtung, seit 1900 eine schöne Wasserleitung. Im Jahre 1903 wurde auf dem Marktplatze ein stattliches Bismarckdenkmal errichtet. – Die Bewohner sind gastfreundschaftlich, und der Fremde fühlt sich unter ihnen wohl. Wer nur einmal hier war, der lenkt gern seine Schritte wieder nach [449] Sebnitz. – Reizend ist die Umgebung der Stadt, und zahlreiche Ausflüge lassen sich von hier aus unternehmen. Gern besucht wird das benachbarte Grenzdorf Einsiedel in Böhmen, das vom Marktplatze aus in einer Viertelstunde zu erreichen ist. Viel besucht werden die Grenadierburg und die Finkenbaude, die so freundlich herab in die Stadt grüßen. Von ersterer aus erreicht man nach kurzer Wanderung den Thomaswald mit dem Tanzplan, von dessen Aussichtsturm aus das Auge weit in die romantische Umgegend schweifen kann. Von hier erreicht man nach einstündiger Wanderung durch den herrlichen Wald den Wachberg bei Saupsdorf und von hier aus nach 1½ Stunde Hinterhermsdorf und die Schleusen. Empfehlenswert sind auch die Wanderungen über Einsiedel, Wölmsdorf nach Hainspach, Nixdorf oder nach Lobendau. Eine herrliche Wanderung ist auch die auf der Landstraße entlang nach Rugiswalde und auf den turmgekrönten Unger bei Neustadt. Auf dieser Wanderung durch den herrlichsten Hochwald hat man nach links wiederholt entzückende Ausblicke hinüber in das zerklüftete Felsgebiet der Sächsischen Schweiz.