Schlossers Gundchen von Oederan
[208] Diese geschichtlich wahre Begebenheit fällt kurz nach der Erbauung der Augustusburg, welche Churfürst August, Heinrichs des Frommen Sohn und Moritzens Bruder, in den Jahren 1568 bis 72 vollendete.
Von Augustusburg nach Oed’ran
fuhr durch Finsterniß und Regen
ein Gespann mit zween Fackeln
langsam in den rauhen Wegen.
und, geschmiegt an seine Seite,
seine liebe Gattin Anna,1)
nah der neunten Mutterfreude.
Anna saß so stumm und traurig,
doch sie konnt’ es nimmer tragen,
bat verschämt mit leisem Flehen:
„Laß uns, August, wenig Stunden
nur hier rasten! Ach, mich plagen
daß ich’s kann nicht länger tragen!“
„„Aber hier in Frost und Regen
können wir unmöglich rasten;
wollen uns, herzliebe Anna,
So der Churfürst, und sein Diener
muß die Rosse mächtig treiben,
daß sie bald nach Oed’ran kommen,
um da über Nacht zu bleiben.
war schon Mitternacht verflossen,
alle Fenster ringsum finster,
alle Thüren fest verschlossen.
Und die edle Fürstin möchte
und in keiner Herberg’ schlafen,
sondern nur bei Bürgersleuten.
Da, o Freude, blinkt’ ein Lichtchen
ihnen durch die Nacht entgegen,
schien sich etwas zu bewegen.
Gundchen war’s, des Schlossers2) Tochter,
die vom frohen Kindtaufschmause
mit dem alten guten Vater
Wunderlieblich war das Mädchen,
Wangen roth wie junge Rosen,
ihre Stirne weiß und sammtig
wie die Haut der Aprikosen,
schöngelockt die schwarzen Haare,
schlank ihr Wuchs wie junge Birken,
und ihr Alter zwanzig Jahre.
Aus den Locken wand sie eben
lüpfte Busen, Hals und Nacken
von dem Zwange der Gewänder.
Seitwärts in dem Sorgenstuhle
saß ihr Vater, sich entkleidend
an der Tochter Schönheit weidend.
Horch, da ruft es auf der Straße;
Gundchen schaut hinaus, und höret
staunend, wie ein Unbekannter
Furchtlos mit dem Messinglämpchen
eilet sie die Stiegenstufen
flink hinab, und schließt die Thür auf,
schelmisch fragend, wer gerufen.
tritt der Churfürst ihr entgegen:
„Liebes Mägdlein, willst du heute
deine Fürstin Anna pflegen?
Sieh, ich bin dein Churfürst August,
aber darfst kein Wörtchen schwatzen!
reichlich will ich dir’s belohnen.“
Leis vertraut er noch der Dirne,
was der kranken Fürstin fehle,
ihre Pflege auf die Seele.
Gundchen neigt sich freundlich nickend
vor dem Fürsten, und geleitet
ihn hinauf zu ihrem Vater,
Lange steht er stumm und schüchtern,
als ob er’s nicht glauben könne,
daß er den verehrten Churfürst
seinen Gast für heute nenne,
kommt er allgemach in’s Schwatzen,
und erzählt von seinem Gundchen,
von dem Pabst und Nachbars Katzen.
Gundchen auch in ihrer Kammer
hatte die ohnmächt’ge Fürstin
mit dem Balsamglas gekräftigt,
hatte sie aufs Bett gehoben,
und behutsam ausgekleidet,
und Melissenthee bereitet.
Jeden Odenzug belauschend
saß sie neben ihr am Bette
rieb sie sanft mit Oel und Kräutern,
und die Freude! Anna wachte
schon nach zween Ruhestunden
neugeboren auf vom Schlafe,
und ihr Leiden war verschwunden.
legt ihr an die Sammtgewänder,
den mit Schmelz besetzten Gürtel,
Spangen, Glöcklein, Perlen, Bänder.
Freundlich küßt die edle Fürstin
„Sag’ nun meinem Gatten, daß ich
seiner harre voll Verlangen.“
Gundchen ging; der gute Churfürst,
hochentzückt ob solcher Kunde,
Gundchens Lob von ihrem Munde,
strich ihr sanft das Kinn, und drückte
einen Beutel, schwer von Golde,
ihr gar freundlich in die Hände:
Aber Gundchen zog die Hände
rasch zurück vor solcher Gabe:
„„Das sey fern! Mir gnügt es, wenn ich
eure Huld errungen habe!““
spricht der Fürst mit sanftem Tone:
„Nun so sag’, du Herzensmägdlein,
wie ich deine Mühe lohne?“
Gundchen, die die Schürzenzäckchen
während eine dunkle Röthe
über ihre Wangen zittert,
lispelt, sich zur Fürstin wendend:
„„Ja, mein höchster Wunsch auf Erden
eure Dienerin zu werden.
O ihr solltet, hohe Fürstin,
nie saumselig mich erblicken!
Doch, die arme Schlosserstochter –
Ei ich Närrin, daß ich vor euch
solch ein hohes Glück begehret!
Haltet’s meinem Stand zu Gute,
thut, als ob ihrs nicht gehöret!““
in die Augen ihres Gatten;
dieser nickt mit mildem Lächeln,
Gundchens Wünsche zu gestatten.
„Wohl, spricht Anna drauf, so will ich
und der Schlosserstochter, hoff’ ich,
wird der Adelsbrief nicht fehlen.
Fromme Unschuld adelt höher,
als es Kaiser je vermögen!
bei mir seyn auf allen Wegen!
Sollst schon heute mich begleiten,
noch vor Tage geht es weiter,
brauchst dabei nichts mitzunehmen,
Gundchen neigt sich tief, und danket
freudig überrascht dem Paare.
Sinnend reibt der Meister Schlosser
mit dem Käppchen sich die Haare:
keines mehr von meinen Kindern?
Nun, meintwegen! geh nur, Gundchen,
will dich nicht am Glück verhindern!“
Doch als früh der Reisewagen
weint’ er heimlich, als ob Gundchen
niemals wiederkehren sollte.
Still, der Fürstin gegenüber
saß das Mädchen! Heimweh preßte
das die Wangen lieblich näßte.
Aber bald im schönen Dresden
war die Bangigkeit verschwunden;
ihre Fürstin Anna wurde
Gundchen mühte sich, durch Sorgfalt
vor den andern Zofen allen
immer mehr mit jedem Tage
ihrer Herrin zu gefallen.
Anna ihre ganze Gnade;
bei des Fürstensohnes Taufe
war die Schlosserstochter Pathe,
und zur Edeldam’ erhoben,
von Voppelius, der Freiherr,
als Verlobte zum Altare.3)
1) Anna, in der Reihe der Churfürstinnen als Mutter Anna bekannt, eine dänische Prinzessin, gebar ihrem Gemahl 9 Söhne und 6 Töchter.
2) Der Schlosser hieß Meister Mathesius, bewohnte das Haus, welches jetzt Nummer 108 ist.
3) Nachkommen des Herrn Voppelius und Kunigundens leben noch jetzt, sind aber seit Jakob von Voppelius dem Sohne Kunigundens, dessen Benehmen das strenge Kriegsrecht Gustav Adolphs im dreißigjährigen Kriege wohl zu hart bestrafte, ihres Adels verlustig geworden.