Zum Inhalt springen

Schloss Theben in Ungarn

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCXI. Marokko Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCCXII. Schloss Theben in Ungarn
CCXIII. Constantine
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

RUINE von SCHLOSS-THEBEN
in Ungarn

[61]
CCXII. Schloss Theben in Ungarn.




„Nach Ungarn!“ antwortete Freund K. auf mein „Wohin?“ das ich ihm zurief, als ich ihn vor dem Posthause in Wien den Eilwagen besteigen sah. „Wollen Sie mit? Nur auf zwei Tage!“ setzte er einladend hinzu, und wies auf den wolkenleeren, azurblauen Himmel und auf das in der Morgensonne strahlende kupferne Dach St. Stephans. Ich hatte nichts zu versäumen. Rasch bezahlte ich mein Passagiergeld nach Presburg und fünf Minuten später rollte der Wagen durch die St. Markser Linie. Schaaren marktender Landleute zogen zu beiden Seiten des prächtigen Heerwegs uns entgegen, und ihre malerischen Gruppen bereicherten den Stoff unserer Unterhaltung. Ehe wir es uns versahen, durchfuhren wir Simmering, einen stattlichen Flecken von 2500 Einwohnern. Er liegt auf einer unfruchtbaren Ebene, wo die Artillerie der Wiener Garnison ihre Schießübungen, und die Pferdeliebhaber der Hauptstadt zuweilen Wettrennen halten. Eine Viertelstunde später kamen wir an einem mit Ringmauern und Thürmen umgebenen, citadellenähnlichen Gebäude vorüber, das Wachtposten umstellten. Es war das kaiserliche Pulvermagazin. Zur Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken, hatte der gefürchtete Soliman II. hier sein Hauptquartier. Am schönen Kaiser-Ebersdorf vorbei, gelangten wir nach Schwächat, der ersten Poststation. Eine nahe bei dem Flecken aufsteigende Pyramide ist auf der Stelle errichtet, wo Kaiser Leopold, nach der Befreiung Wiens von den belagernden Türken mit dem Helden Sobiesky zusammentraf, um ihm und seinen Polen für die Rettung seiner Hauptstadt und seines Reichs zu danken. Polen und – dieß Denkmal! – Die Dissonanz ist groß; aber im Charivari der Zeit macht sie sich nicht übel. – Bei Fischament, zwei Posten von Wien, wird die Gegend fruchtbar und reich; hinter diesem Marktflecken reihen sich die Dörfer Elend, Haslau, Riegelsbrunn und Petronell dicht an einander. Noch vor dem letzteren Ort, eine Viertelstunde südlich, sahen wir die Reste des Triumphbogens, den August dem Tiberius nach Pannoniens Eroberung setzen ließ. Wir befanden uns nahe an der Pforte Ungarns. Das alte Charnuntum, Hauptwaffenplatz der Römer und ihre Grenzfestung zum Schutz der deutschen Provinzen, nahm mehr als den ganzen Raum der heutigen Gemarkung von Petronell ein, und die Spuren von antikem Mauerwerk und römischen Verschanzungen gehen bis an den Neusiedler See herab. Petronell ist überdieß merkwürdig wegen seiner alten Kirche, die Karl der Große erbaute. Deutsch Altenburg, nahe der Scheidung Deutschlands und Ungarns romantisch gelegen, hat ein seit undenklichen Zeiten bekanntes Schwefelbad, das schon bei den Römern in Ruf war. [62] Außerhalb des Orts, auf einem Hügel, liegt die Johanneskirche, und in der Nähe derselben ein räthselhaftes rundes Gebäude; beides Denkmäler der deutschen urältesten Baukunst. Hainburg, ein an der Donau gelegenes blühendes Städtchen von 4000 Einwohnern, ist der letzte deutsche Ort. Auch er war ein Vorwerk, eine Citadelle des alten Charnunts, wie die hier aufgefundenen Inschriften, die Ruinen eines Tempels und andere Denkmäler außer Zweifel stellen. Bei Hainburg mündet sich die March, die Grenze bezeichnend, in die Donau, über welche man eine entzückende Aussicht nach den grotesken, einer Insel gleich im Strome fußenden Felsenmassen, prangend mit den Ruinen Rotenstein und Theben, und nach dem fernen Presburger Schlosse genießt. Angezogen von dem frappanten Anblick jener prachtvollen Trümmer, verließen wir in Hainburg den Eilwagen, mietheten ein Bot und fuhren hinüber. Mühsam war das Ersteigen des steilen, das Plateau des Vorgebirgs senkrecht überragenden Felsens, auf dessem Scheitel die Thebener Ruine steht, von deren Zinnen eine herrliche, eine fast unbeschränkte Aussicht auf die deutsche Gebirgswelt und die ungarischen Ebenen und Hügel lohnt. Dicht zu unsern Füßen lag Presburg mit seinen vielen Thürmen und dem hohen, leider! nach dem letzten Brande noch großentheils in Ruinen liegenden Schlosse. Bald war die Fahrt dahin, zwischen anmuthigen Ufern und ohne einen Ort weiter zu berühren, vollendet, und wir befanden uns in der uralten, ungarischen Krönungsstadt.

Du weißt, daß es überall der Mensch ist, der mich am meisten interessirt, und wenn ich früher nicht gesehene Länder bereise, immer zuerst das Volk den Kreis meiner Beobachtungen ausfüllt. So war es auch hier. Ich war zum erstenmale in Ungarn; der Ungar war folglich das erste Ziel meines Forschens. – Der ächte Ungar geht in seinem Nationalkostüm; ist er von Adel, (Nemesch-Ember), dann nie ohne Sporen, und sollten’s auch nur zwei eiserne Zacken, oder Nägel, seyn. Oft sieht man Hirten, Ackerbauer und Tagelöhner mit diesen Abzeichen ritterlicher Abkunft; und wehe Dem, der an einen solchen die Hand zu einer thätlichen Züchtigung legte; denn von solcher ist der Edelmann gesetzlich befreit. – „Magyar ember vagoyk“ – ich bin ein Ungar!, im Tone stolzer Selbstgenügsamkeit gesprochen, hört der Fremde wohl zwanzigmal des Tages. Niemals nennt der Ungar seinen Herrscher Kaiser. Das Wort ist ihm ein Gräuel; er erkennt nur einen Magyar-Kiroly: König der Ungarn, an. Der Deutsche ist ihm verhaßt, besonders der Oesterreicher. Alle Westeuropäer nennt der gemeine Ungar Schwaben: der Franzose heißt Franken-Schwab, den Spanier Spaniol-Schwab u. s. w. Verächtlich sagt er von den Deutschen im Allgemeinen: „sie tragen Kamaschli.“ Er würde lieber sterben, als seine elenden, leinenen Unterhosen mit anständigen und warmen deutschen Beinkleidern vertauschen.

So einfach das Nationalkostüm (der Schaafpelz, leinene Hosen und Stiefel) am Bauer mit langen Haaren und den wilden Zügen sich ausnimmt, so prächtig erscheint’s, wenn es Rang und Reichthum adeln. Die Prachtsucht der ungarischen Großen in der Kleidung ist sprüchwörtlich und verräth die morgenländische Abkunft.

[63] Ich sah den Fürsten Esterhazy als Generalkapitain der ungarischen Leibgarde: sein Anzug kostete eine Million. Auf dem Kolpak prangte ein Reiherbusch von Diamanten, die Tiegerhaut ward durch eine brillantne Agraffe gehalten, die Juwelenverzierung der Beinkleider kostete 30,000 Gulden, der Perlenbesatz an jedem Stiefel hatte den Werth einer Grafschaft. Die Einkünfte des Fürsten übersteigen die vieler Könige; dennoch sitzt er in Schulden bis über die Ohren, und die meisten seiner Güter werden unter Controle der Gläubiger verwaltet. Seine Residenz ist Eisenstadt, wo er zwei Kompagnien Leibgrenadiere in Sold hat. Verschwendungslust ist übrigens dem ganzen hohen Adel Ungarns gemein, und wenige Familien entgehen ihren Folgen.

Der Palatinus, oder Vizekönig, steht an der Spitze des Reichs; aber Aemter, Würden, Belohnungen und Kapitalstrafen ertheilt der Kaiser durch die ungarische Hofkanzlei in Wien. Der hohe Adel verzehrt seine ungeheuern Einkünfte meist in Wien und kommt nur selten auf seine Güter. Die Entfernung und das Hofleben schwächen nothwendig dessen Theilnahme an den vaterländischen Interessen, und die österreichische Regierung hat vielleicht Gründe, es nicht anders zu wünschen. Aehnliche Motive zerstreuen die ungarischen Offiziere durch die ganze Arme. Die einheimischen Truppen, die besten und schönsten der Welt, werden von Offizieren aus allen Völkern kommandirt, und es ist nichts Seltenes, in der nämlichen Kompagnie einen Niederländer als Hauptmann, einen Italiener als Oberlieutenant, einen Irländer als Lieutenant, einen Wiener als Fähndrich zu erblicken. Beim Volk ist der Soldat, er sey Ungar oder Ausländer, verhaßt. Der Bauer fühlt sich bei seinem Anblick in seinen Freiheitsbegriffen gekränkt. Er reicht ihm daher im Quartiere nie mehr, als er muß, und Schlägereien und Raufereien mit dem Militär sind etwas ganz Gewöhnliches.

Auch die Tracht des Bürgers ist noch, in den Landstädten wenigstens, die ungarische Kleidung. Sein Pelz reicht bis an die Kniee, ist mit Borden und silbernen Knöpfen besetzt, und in der Rechten führt er ein stattlich Rohr mit silbernem Knopf. Er trägt einen gewaltigen Schnurrbart, spricht gewöhnlich nur ungarisch, kann sich jedoch auch in Latein verständlich machen. Er ist Ungar durch und durch. Hingegen in großen Städten: Ofen, Pesth, Presburg, ist der Bürgerstand, seit Jahrhunderten mit der deutschen Beamtenkaste verschmolzen, meistens verdeutscht.

Für die Geistesbildung des Volks ist noch viel zu thun übrig. Für Schulen ist zwar von der Regierung väterlich gesorgt, doch die Lehrer in den Dörfern sind meistens sehr unwissend, und ein großer Theil der Bauernkinder wächst auf, ohne Unterricht genossen zu haben. Die höhern Stände aber erfreuen sich einer Bildung, die ausgezeichnet, und mannichfaltiger und universeller ist, als in den meisten europäischen Ländern. Die Fähigkeit, sich im Lateinischen, Deutschen, Französischen, Englischen und Italienischen mit Eleganz auszudrücken, ist sehr gewöhnlich, und eine umfassende Kenntniß der Literatur dieser Sprachen nichts Seltenes. Die einheimische Literatur blüht seit einigen Jahrzehnten sehr auf, besonders im Zweige der Poesie.

[64] Die Ungarn sind große Schauspielfreunde. Jede der größeren Städte hat ein Theater. Doch nur Pesth und Ofen besitzen stehende Truppen; die übrigen sind von wandernden besucht. Vaterländische Sujets erregen grenzenlosen Enthusiasmus, und es ist schon oft geschehen, daß bei solchem Anlasse der Autor von dem begeisterten Auditorium auf den Schultern umhergetragen worden.

Das Wort Polizei ist dem Patrioten verhaßt. Entschlüpft einem Fremden das Wort, so wird er schnell belehrt, daß es in Ungarn keine Polizei gebe, da es ein freies Land sey. Dieß legt denn auch der öffentlichen Ordnung manches Hinderniß in den Weg; das Vagabundenwesen ist arg und Räuberbanden sind eben nichts seltnes. Die Freiheit des Bettelns gehört so zu sagen zu den öffentlichen Freiheiten. „Wer nicht will geben, kann lassen bleiben,“ sagte ein Ungar, als man ihm das Widrige dieses öffentlichen Uebelstandes vorstellte. „Ungarland, setzte er hinzu, „ist freies Land; wer nicht thut Schelmenstreich und respektirt Constitutio, kann machen, was er will.“

Die Polizeidirektoren in den Städten heißen Stadthauptleute. Ihr Wirkungskreis ist sehr beschränkt, ihre Verfügungen gelten nur für die untern Stände; dem Adel zu befehlen, wagen sie nicht. Die Stadtsoldaten hüten sich wohl, mit der privilegirten Kaste sich in Conflikt zu setzen. – Daß das Tabaksrauchen zu den ungarischen Nationalgenüssen gehört, und die Meerschaumpfeife sehr in Ehren gehalten wird, hatte ich von Andern gehört; aber ich hatte mir nicht vorgestellt, daß man ihr eine so abgöttische Verehrung zollen könne. Der ächte Ungar wagt nie, seine Lieblingspfeife mit unbekleideter Hand zu berühren; außer dem Gebrauch ruht sie, in weiche Seide gehüllt, auf einem Kissen voll des zartesten Pflaums.

Der Ungar ist gastfrei, treu, edelmüthig, tapfer im höchsten Grade; aber Leidenschaftlichkeit und Zanksucht, die sich in oft blutigen Schlägereien äußert, sind unter den niedern Ständen allgemein.

Außer den Magyaren, oder eigentlichen Ungarn, sind sehr viele Juden, Griechen, Deutsche, Slawacken, Wallachen und Zigeuner zu Tausenden im Lande. Die ersten treiben, wie überall, Handel und Schacher, und wohin der christliche Handelsmann erst gehen will, da sind sie schon längst gewesen. Reiche und Elegants findet man unter ihnen Viele. Das Volk, das sie aussaugen, haßt und verachtet die Hebräer; sie sind eine Landplage, wie überall; aber es kann nicht von ihnen loskommen. Nach seinen Begriffen gibt es keinen ärgern Schimpf für sein Vaterland, als wenn es der Fremde „Judenland“ heißt.

Unser Heeren nennt die Ungarn „ein edles Volk, ein Volk voller Zukunft.“ Gewiß mit Recht. Möge nur die Sonne der Bildung, die bis jetzt ausschließlich den bevorrechteten Ständen geschienen, erst die Masse durchwärmen, dann wird auch die jetzt noch blinde Vorliebe für das Bestehende kein Hinderniß mehr für nothwendige Reformen seyn.