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Schlaf und Traum (Die Gartenlaube 1861/47)

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Textdaten
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Autor: Bock
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Titel: Schlaf und Traum
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 744–745
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Schlaf und Traum.

Diätetik des Gehirns.

Alles Arbeiten und Thätigsein der Organe unseres Körpers geht mit Verlust von Stoff und Kraft des arbeitenden Organs einher, und dieser Verlust muß, wenn das durch Abnutzung erschöpfte Organ seine gehörige Thatkraft wieder erhalten soll, durch richtige Ernährung desselben baldigst ersetzt werden. Dies geschieht aber während des Ausruhens des Organs von seiner Arbeit und mit Hülfe des durch das Organ hindurchströmenden Blutes, wobei aus diesem neues Baumaterial in Gestalt von Ernährungsflüssigkeit in das Gewebe des Organs abgesetzt und von diesem zum Neubau verwendet wird.

Auf dem richtigen Verhältniß zwischen Arbeiten und Ruhen beruht nun das Gesundbleiben und Kräftigwerden aller unserer Organe und zwar mit Hülfe der dabei regsamer vor sich gehenden Ernährung (des energischen Stoffwechsels) innerhalb der diese Organe bildenden Materien. Natürlich kann diese Ernährung nur dann zu Stande kommen, wenn ein gutes (nahrhaftes) Blut in richtiger Weise durch das Organ hindurchströmt.

Wollte man ein Organ, auf dessen Thätigkeit wir willkürlich einwirken können, ununterbrochen thätig sein lassen, so kommt endlich ein Moment, wo die Erschöpfung desselben so arg wird, daß auch beim kräftigsten Willen keine Thätigkeit in demselben mehr hervorgerufen werden kann. Diese Kraftlosigkeit ist dann die Folge der Abnutzung des Organs, d. h. des beim Arbeiten verloren gegangenen Organstoffes. War die Anstrengung nun eine sehr bedeutende, dann bedarf das erschöpfte und theilweise abgenutzte Organ auch eine längere Ruhezeit zu seiner Restauration. Bei Ueberanstrengungen (widernatürlich anstrengender Arbeit) geht aber die Erschöpfung bisweilen auch in eine dauernde, durch die Ernährung im Ruhezustände nicht wieder zu hebende Lähmung über. Wie nun Ueberanstrengung die Thatkraft eines Organs theilweise oder vollständig ruiniren kann, ebenso erzeugt aber auch längere Zeit ausdauernde Ruhe eines Organs allmählich Kraftlosigkeit und endlich bleibende Lähmung und zwar in Folge der geschwächten und falschen Ernährung.

Innerhalb unseres Körpers gehen die den Stoffwechsel (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51) oder das Leben unterhaltenden sogen. vegetativen Processe, wie es scheint, zwar ununterbrochen vor sich, allein dies ist doch nur scheinbar, denn bei allen diesen Thätigkeiten (wie beim Blutkreisläufe, Athmen und Verdauen etc.) finden doch auch Ruhezeiten, freilich von nur sehr kurzer Dauer statt, innerhalb welcher der durch die vorhergegangene auch nur kurze Arbeit erzeugte geringe Substanzverlust in den betreffenden Organen sofort wieder ausgeglichen wird.

Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Organe, welches die sogen. geistigen Thätigkeiten (das Denken, Fühlen und Wollen) vermittelt, und das ist das Gehirn. Dieses wird durch seine Zubringer geistiger Nahrungsstoffe, nämlich durch die Sinnesorgane, zumal durch die höheren Sinne, also durch Auge und Ohr, fortwährend von der Außenwelt her in Thätigkeit erhalten (s. Gartenlaube Jahrg. 1860, Nr. 51), und deshalb tritt endlich ein Moment ein, wo seine Thätigkeit immer matter und matter wird und endlich erlischt. Dieser Zustand der erschöpften Energie des Gehirns nun, der also durch die materielle Abnutzung der Hirnsubstanz in Folge des fortwährenden Thätigseins des Gehirns während des Wachens veranlaßt wird, ist der Schlaf, und während desselben geht mit Hülfe der Ernährung (des durch das Gehirn rinnenden Blutes) der Ersatz der abgenutzten Hirnmasse vor sich. Je ruhiger der Schlaf und je kräftiger der Ernährungsproceß innerhalb des Gehirns, desto vollständiger muß natürlich auch die Restauration der Hirnsubstanz und der Energie des Gehirns geschehen.

Also: nur Geschöpfe, die ein Gehirn haben, schlafen. Demnach kommt der Schlaf nicht etwa blos dem Menschen, sondern auch den meisten Thieren zu, wenn auch deren Gehirn weit kleiner und unvollkommner als das des Menschen ist (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10). Fische kann man, wenn sie schlafen, mit den Händen fangen, und daß Eidechsen und Krokodile in der Sonne schlafen, ist bekannt. – Also ferner: der Schlaf ist für das Zustandekommen der geistigen Thätigkeit (der Hirnarbeit) ganz unentbehrlich, denn ohne Schlaf würde die Abnutzung der Hirnmasse durch ihr fortwährendes Arbeitenmüssen bald einen solchen Grad erreichen, daß sie in ihrem Baue ganz unfähig zum fernern Arbeiten würde. Je mehr nun diese Hirnthätigkeit hinsichtlich ihrer Dauer oder Stärke angestrengt wird, desto bedürftiger muß natürlich das Gehirn der Ruhe, des Schlafes sein. – Also: wenn irgend ein Organ zur Erhaltung und Kräftigung feiner Kraft des gehörigen Wechsels von Ruhe und Arbeit neben richtiger Ernährung durch das Blut bedarf, so ist es vorzugsweise das Gehirn, welches ja dem geistigen Thätigsein vorsteht und wegen seines vollkommneren Baues beim Menschen (s. Gartenl. Jahrg. 1860, Nr. 10) diesen weit über das Thier erhebt. Eine große Menge jüngerer und älterer Menschen sind nur deshalb in ihrem geistigen Thätigsein schwach oder gestört und werden von Leiden des Gehirns (Kopfschmerz, Schwindel, Nervosität, Gemüthsstörungen etc.) heimgesucht, weil sie dieses Organ falsch behandeln, demselben entweder zu viel oder zu wenig Arbeit und Ruhe zumuthen und auf dasselbe theils mit geistigen und gemüthlichen, theils mit sinnlichen Ueberreizen einstürmen, kurz dasselbe entweder übermäßig oder unzweckmäßig arbeiten lasten. Bevor nicht den Erziehern die Einsicht kommt, daß das Gehirn den Menschen zum Menschen macht und daß von der Behandlung dieses Organs Gutes und Schlimmes in psychischer und physischer Beziehung abhängig ist, so lange wird aus dem Menschengeschlechte auch nicht das werden, was aus ihm werden könnte und sollte.

Es kommt in der jetzigen Arbeits- und Genußzeit recht oft vor, daß die dem Gehirn theils in zu frühem Lebensalter, theils zu oft und lange zugemutheten Anstrengungen die Substanz desselben in seiner Ernährung und Thätigkeit, trotz scheinbaren Wohlbefindens des übrigen Körpers und ohne organisches Hirnleiden, auf die Dauer so stören, daß das Gehirn bei großer Schwäche doch äußerst erregbar und dann von den gewöhnlichsten Eindrücken in einem Grade afficirt werden kann, daß dadurch die Thätigkeit desselben nach und nach immer mehr herabgesetzt und endlich gelähmt wird. Dieser Zustand, die sogenannte reizbare Schwäche des Gehirns, ist sehr oft die Ursache von Kopfschmerz und Schlaflosigkeit, von Launenhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit, von Hypochondrie und Hysterie, und artet gar nicht selten in Geisteskrankheit aus. Alle diese Leiden [745] könnten aber vermieden oder doch bald beseitigt werden, wenn man bei Zeilen eine richtige Behandlung des Gehirns einschlüge und wenn man vor allen Dingen das Arbeiten und Ruhen des Hirns gehörig regelte.

Bisweilen, besonders bei reizbarer Schwäche, arbeitet das Gehirn, und zwar durch die verschiedenartigsten Ursachen veranlaßt, auch noch im Schlafe fort, aber ohne Einfluß unseres Willens, und das Product dieses Arbeitens, welches sich auch auf die Sinnesorgane überträgt, ist der Traum. Natürlich nutzt auch diese Arbeit die Hirnmasse etwas ab, und deshalb kann ein Schlaf mit Träumen, zumal wenn diese sich längere Zeit fortspinnen und sehr erregend sind, niemals so erquickend sein und das Gehirn so restauriren, wie ein traumloser, tiefer und ruhiger Schlaf. Bei lebhaften Träumen drückt sich das Product der Hirnspinnerei, das Traumhirngespinnst, so tief in die Hirnmasse ein, daß dasselbe auch nach dem Erwachen noch in der Erinnerung haftet. Auch behalten wir einen Traum, der sich im unvollkommenen oder Halbschlafe bildete, bis zum Erwachen im Gedächtniß. Den Stoff zum Traume liefert stets das Gedächtniß, und die im Traume erzeugten Bilder kommen immer nur dadurch zu Stande, daß die durch unsere Sinneswerkzeuge früher von der Außenwelt in unser Gehirn eingeführten Eindrücke daselbst bleibende Bildchen erzeugten, deren geordnetere oder ungeordnetere Verknüpfung im Schlafe mehr oder weniger natürliche oder unnatürliche und verworrene Traumbilder erschafft. Blindgeborene werden nie vom Sehen, Taubstumme nie von Hörbarem träumen. Daß übrigens auch die Thiere, welche ein Gehirn besitzen, Träume haben müssen, und zwar nach dem verschiedenen Grade der Entwickelung ihres Gehirns den menschlichen Träumen mehr oder weniger ähnliche, versteht sich von selbst.

Das Gefühl von Schläfrigkeit geht in der Regel dem Schlafe voraus und giebt sich als Nachlassen der geistigen, Empfindungs-, Sinnes- und Muskelthätigkeit mit dem Gefühle von Abspannung und Mattigkeit, mit Gähnen und Dehnen zu erkennen. Auch zeigen sich unbestimmte Figuren, verwaschene oder leuchtende Punkte und Nebel vor dem geschlossenen Auge. Nicht alle Empfindungs- und Bewegungsthätigkeit erlischt gleichzeitig; die Geschmacks-, Geruchs- und Gesichtsnerven schlafen früher ein, als der Gehörnerv; die Muskeln des Rückens später als die der Gliedmaßen. Nach dem vollständigen Erlöschen der willkürlichen Bewegungsthätigkeit schließen sich die Augen, es sinkt der Körper zusammen, der Kopf neigt sich nach vorn, der Unterkiefer fällt herab, und neben der Unempfindlichkeit der Sinne und des Gemeingefühls hört das Bewußtsein auf. – Im Schlafe selbst gehen die dem Stoffwechsel (der Ernährung, dem Leben) dienenden, sogenannten vegetativen Processe ungestört, nur etwas langsamer und gleichmäßiger vor sich; das Herz schlägt ruhiger, die Athemzüge werden langsamer und tiefer, die Darmbewegungen und also auch die Verdauung geschehen regelmäßiger. Im Anfange pflegt der Schlaf am tiefsten und ruhigsten zu sein; je länger er währt, desto leiser wird derselbe und desto leichter geht er in ein Halbwachen über. Beim plötzlichen Erwachen dauert es einige Zeit, ehe man das völlige Bewußtsein wieder erlangt; beim allmählichen Erwachen wird zuerst das Gehör, dann das Auge und später erst die Bewegungskraft rege.

Die Kennzeichen eines gesunden Schlafes sind: daß er auf angemessene Veranlassung, auf vorangegangene, längere Zeit fortgesetzte Thätigkeit des Geistes, der Sinne und willkürlichen Bewegungsorgane eintrete; daß sich der Körper während desselben in einem Zustande vollkommener Ruhe befinde, eine ungezwungene, mit Erschlaffung der Muskeln verbundene Lage einnehme; daß dabei das Athmen ruhig und gleichmäßig, der Puls etwas langsamer, die Haut weich und mäßig feucht sei; daß er ununterbrochen fortdauere und nicht durch Träume oder lebhaftere unwillkürliche Bewegungen beunruhigt werde; daß die Sinne, namentlich das Gehör, ihre Empfänglichkeit für äußere Eindrücke möglichst vollständig verlieren, aber auch das Erwecken nicht zu schwierig sei; und endlich daß er nach entsprechender Dauer von selbst wieder mit dem Gefühl von Erquickung schwinde. – Ueber die naturgemäße Behandlung des Gehirns und das richtige Verhalten im Schlafe soll in einem spätern Aufsatze gehandelt werden.

Bock.