Schilderung der Beerdigung Ferdinand Lassalles
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Der Schriftsteller Hugo Friedländer schildert die Beerdigung wie folgt: „Es sind fast 50 Jahre verflossen – ich war ein blutjunger Gymnasiast – da wohnte ich auf dem israelitischen Friedhofe in Breslau einem seltenen Leichenbegängnis bei.... Die Leiche wurde in dem Erbbegräbnis der Familie Lassal beigesetzt. Etwa 20 Arbeiter hatten sich zur Beerdigung eingefunden. Ich möchte bezweifeln, daß diese Arbeiter Sozialdemokraten waren, denn erst viel später machten sich in Breslau, durch Begründung eines »Breslauer Arbeitervereins«, die ersten Anfänge einer politischen Arbeiterbewegung geltend. Und erst im Oktober 1867 wurde der Breslauer Arbeiterverein in eine Mitgliedschaft des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins umgewandelt. Aber der Beerdigung wohnte der schlesische Dichter Karl von Holtei, der damalige Chefredakteur der »Breslauer Zeitung«, Dr. Julius Stein, der damalige Chefredakteur der »Breslauer Morgenzeitung«, Dr. Moritz Elsner, zwei achtundvierziger Demokraten und ehemals Abgeordnete der Nationalversammlung, die Freundin Lassalles, Gräfin Sophie von Hatzfeldt, der Freund Johann Jacobys, Kaufmann Louis Cohn, genannt der »Wühler-Cohn«, und der Freund Lassalles, der 1875 verstorbene Freiheitsdichter Georg Herwegh, bei. Von Herwegh stammt die Inschrift auf dem Leichenstein Lassalles: »Hier ruht, was sterblich war von Ferdinand Lassalle, dem Denker und Kämpfer.«“ Hierbei scheint sich Genosse Friedländer zu irren, denn nach anderen Überlieferungen stammt die Inschrift von dem Altertumsforscher und Philologen August Böckh.
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Kaum hatten in Breslau die Anhänger der Lassalleschen Ideen sich zur Organisation zusammengefunden, so begannen in Preußen die Verfolgungen gegen den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, und so trafen sie auch bald dessen Breslauer Mitglieder.
Am 30. Mai 1868 sollte in der „Goldenen Sonne“ eine Versammlung der Mitglieder des Vereins stattfinden. Sofort nach Eröffnung der Sitzung aber erhob sich der anwesende Polizeikommissar und teilte mit, daß der Verein auf Grund von § 8 der Vereins- und Versammlungsordnung gemäß polizeilicher Anordnung vorläufig geschlossen werde, da er mit anderen politischen Vereinen, nämlich den anderen Filialen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Leipzig, in Verbindung stehe. Dem Beamten wurde auf Verlangen bescheinigt, daß er den Versammelten die Verfügung ordnungsgemäß mitgeteilt habe, und darauf wurde das Lokal ohne jeden Zwischenfall geräumt. Die Folge dieses Verbotes war – die gerichtliche Verfolgung der Angelegenheit nahm inzwischen ihren Lauf –, daß der Tischlermeister Ahr für den 6. Juni zu einer allgemeinen Arbeiterversammlung in die „Sonne“ einlud. Es erschienen 40 Personen. Zunächst referierte Ahr über die sozialdemokratischen Bestrebungen, die ein dreifaches Ziel hätten: 1. die Naturrechte des einzelnen hervorzuheben, 2. zu zeigen, daß diese der großen Masse durch einzelne verkümmert werden und 3. die Mittel anzugeben, durch welche die Rechte und Pflichten zu völligem Einklang gebracht werden können. An der Diskussion beteiligten sich Scheil, Bräuer und Ahr im Sinne Lassalles, während Louis Cohn, Schubert, Siegusch und der Optiker Heidrich die Schulze-Delitzschsche Selbsthilfe vertraten.
Doch der Gedanke, daß die Macht der Bewegung nur in der straffen Organisation begründet ist, hatte auch unter den Breslauer Pionieren der Sozialdemokratie schon zu festen Fuß gefaßt, als daß nicht alsbald wieder das Streben nach einer solchen Organisation aufgetreten wäre. Am 11. Juli fand abermals in der „Sonne“ eine von Ahr, Bräuer und Scheil einberufene Arbeiterversammlung statt, an der diesmal fast nur Mitglieder des aufgelösten Allgemeinen Arbeitervereins teilnahmen. Zunächst wurden die Ergebnisse der verflossenen Tagung des Norddeutschen Reichstages besprochen, und an ihnen wies Scheil eindringlich nach, wie nötig es für die Arbeiter sei, zusammen zu halten. Das gab Bräuer Veranlassung, auf die Notwendigkeit einer streng geschlossenen Arbeiterpartei hinzuweisen. Er befürwortete einen Antrag auf Gründung eines Breslauer demokratischen Arbeiter-Wahlvereins. Auch Ahr, der an der Schließung des Allgemeinen Arbeitervereins scharfe Kritik übte und die Gründe des Kammergerichts nicht verstehen konnte, trat für eine solche Gründung ein, die aber Kräcker als verfrüht bekämpfte; man dürfe die Büchse nicht vorzeitig ins Korn werfen; denn trotz der Entscheidung des Kammergerichts sei die Lassallesche Organisation noch nicht aufgehoben; auch seien die Geldverhältnisse der Breslauer Arbeiter zu berücksichtigen. Krause erklärte sich ebenfalls gegen den Bräuerschen Antrag. Er, der als einer der ersten Verfechter der Liebknechtschen Richtung in Breslau zu gelten hat, befürwortete vielmehr die Schaffung eines sozialdemokratischen Arbeitervereins. Indessen wurde schließlich doch der Bräuersche Antrag angenommen. Zur Ausarbeitung einer Satzung wurde darauf eine Kommission eingesetzt; in diese berief man Scheil, Ahr, Bräuer, Michler, Hugo Friedländer[1], Zapke und Siegusch.
Indessen kam dieses Komitee damals zu keiner praktischen Betätigung, vielmehr schlug es einer am 1. August tagenden Versammlung vor, weitere Schritte zur Bildung eines besonderen Arbeiter-Wahlvereins so lange zu vertagen, bis der Urteilsspruch des Breslauer Stadtgerichts wegen der Schließung der hiesigen Filiale des Allgemeinen Arbeitervereins ergangen sei. Wenn auch dem Vorschlage zugestimmt wurde, so trug doch gerade diese Versammlung schon die ersten deutlichen Vorzeichen kommender innerer Auseinandersetzungen der Breslauer Sozialdemokratie in sich. Es handelte sich um eine Aussprache über das Programm Johann Jacobys. Zunächst erläuterte Ahr dieses Programm dahin, daß Jacoby die Lösung der sozialen Frage in der gerechten Verteilung des Arbeitsertrages zwischen Kapital und Arbeit suche. Wenn Jacoby für diese Verteilung die Staatshilfe in Anspruch nehmen wolle, so müsse dieser Satz im engsten Zusammenhange mit seinem Programm aufgefaßt werden, d. h. im Hinblick auf den rein demokratischen Staat, wie ihn eben Jacoby erstrebe. Die Worte „Selbsthilfe“ und „Staatshilfe“ haben insofern große Verwirrung angerichtet, als viele Arbeiter bei Staatshilfe an den Gegenwartsstaat und nicht an die Selbstverwaltung denken. Ahr glaubt, der Anschluß an die demokratische Volkspartei, wie Jacoby ihn plane, sei für den politisch reifen Arbeiter unbedenklich, aber noch nicht alle Arbeiter seien politisch hinreichend gebildet, und für diese sei es notwendig, daß sie erst durch die Agitation für die ihnen näherliegenden sozialen Bestrebungen zum Bewußtsein ihrer Klasse gebracht werden. Auch Scheil ist der Meinung, daß zwar Jacoby ein wahrer Demokrat sei; die Arbeiter hätten aber zunächst alle ihre Kraft auf die soziale Frage zu konzentrieren, zwar hätten sie nicht nur eine Teilung des Produktionsertrages unter die Unternehmer und die Arbeiter zu erstreben, sondern ihnen gebühre der volle Arbeitsertrag. Der Steindrucker Krause glaubt nicht, daß Jacoby mit der Teilung des Produktionsertrages dasselbe wolle wie Lassalle; ihm erscheint die Volkspartei Jacobys als eine Bourgeoispartei, mit der man nur in politischen Fragen zusammengehen kann. Ähnlich erklärten sich Siegusch und Bräuer, während der Handlungsgehilfe Hugo Friedländer für Jacoby eintrat und sogar den Antrag stellte, die Versammlung möge dem Programme Jacobys ihre Zustimmung geben.
Dieser Antrag wurde abgelehnt und für Breslau war damit die Jacobysche Richtung endgültig erledigt. Dafür setzten bald die großen Gärungsprozesse, denen um diese Zeit die ganze deutsche Arbeiterbewegung unterworfen war, auch hier in Breslau ein, wenn sie auch nicht so offen zutage traten wie vor allem in Sachsen.
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So ging das Jahr 1869 zu Ende, das den Breslauer Sozialdemokraten auch die erste Verurteilung eines der Ihren wegen „Aufreizung zum Ungehorsam und Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen“ gebracht hatte. Das Opfer war der junge Handlungsgehilfe Hugo Friedländer. In einer Versammlung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins hatte er als Leiter derselben einen Artikel aus dem „Sozialdemokrat“ über die Arbeiterunruhen in Essen und die von der Polizei getroffenen Maßnahmen sowie eine im Abgeordnetenhause zu dieser Sache abgegebene Erklärung des Ministers zur Vorlesung gebracht. Nach der Anzeige des überwachenden und die Versammlung auflösenden Beamten soll er dazu geäußert haben: „Hiernach scheint es, als ob die Regierung die Revolution provozieren will.“ Obgleich die Entlastungszeugen erklärten, die Äußerung habe gelautet: „Wenn hiernach die Regierung die Revolution zu provozieren scheint ....“ und obgleich Friedländer versicherte, nur durch die vorzeitige Auflösung verhindert worden zu sein, den seinen Worten jeden kriminellen Sinn nehmenden Nachsatz auszusprechen, wurde er doch für schuldig befunden, „die Anordnungen der Obrigkeit öffentlich dem Hasse und der Verachtung ausgesetzt“ zu haben und zu 15 Taler Strafe verurteilt. Die „Breslauer Morgenzeitung“ ließ es sich nicht nehmen, ihren Bericht über den Prozeß mit hämischen, ja scharfmacherischen und denunziatorischen Glossen zu versehen.
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- ↑ Genosse Hugo Friedländer lebt in Berlin als Journalist.