Schach (Die Gartenlaube 1860/40)
Im freundlichen Gartensalon vor Ispahan’s Thoren saß zu dämmernder Abendstunde am Schachbret ein edler Greis, Persiens großer Dichter und Schachmeister Al Suli; ihm gegenüber seine und des ganzen Landes schönste Tochter Dilaram. Wie wenig ahnten sie Beide, von des königlichen Spieles Zauber gefesselt, die drohende Gefahr eines Ueberfalles! Ismael Khan, der zurückgewiesene Freiwerber, schlich mit rohen Sclaven heran, um Vater wie Tochter in seine Gewalt zu bringen. Aber Allah wachte für sie und sandte Rettung. Nourjehan, Persiens edler Prinz, der Stolz eines siegreichen Heeres, warf, dem Todesengel Azrael gleich, sich unter die räuberische Rotte, und die sein Schwert verschonte, trieb bleicher Schrecken zur Flucht. Wohl fesselte Dankbarkeit und Wohlwollen, bald aber auch glühende Liebe zu einander wie zum königlichen Spiele den Retter und seine Schützlinge. Dilaram ward des edlen Persers bevorzugte Gattin, er selbst der gefürchtetste Gegner auch im friedlichen Kampfe auf den vierundsechzig Feldern. Da zog, von so hohem und weitem Rufe getrieben, ein Fürstensohn aus dem Süden herbei, um im Kampf mit Persiens Stolz unsterbliche Lorbeeren zu erringen. Durch einen weisen Braminen in Indien erzogen, und auch in des königlichen Spieles tiefste Geheimnisse eingeweiht, erstritt der Ankömmling Sieg auf Sieg und gewann in Ispahan reiche Beute. Schon hatte sein edler Gegner alle Schätze und Besitzungen, ja seine Familienkleinodien vergeblich auf’s Spiel gesetzt. Da ging er, von wilder Leidenschaft hingerissen, den letzten Kampf um seine geliebte Dilaram ein. Heftig entbrannte die Schlacht, lange schwankte die Entscheidung; plötzlich dreht der überlegene Schachgegner ein unabwendbar scheinendes Matt. Wilder Verzweiflung Grimm erfaßt den edlen Perser, schon will er zum Kampf auf Leben und Tod nach dem Schwerte greifen, da stürzt aus dem nahen Zimmer hinter dem lichten Vorhang die geängstete Lauscherin Dilaram hervor, und mit bebendem Aufruf: „Gib hin den Thurm und rette Dein Weib!“ bringt sie die Erlösung für sich wie für den Gatten.
Die Tradition hat die Schlußstellung der Partie unter dem Namen „Dilaram’s Matt“ aufbewahrt; es ist das älteste bekannte Schachproblem, welches nach unseren gegenwärtigen Schachregeln modificirt hier mitgetheilt wird. Das Original nebst der Sage findet sich in einem alten persischen Manuscript unter Nr. 16,856 des britischen Museum. Wir werden hierauf, sowie auf die sogenannte christliche Version des Ganzen, bei Mittheilung der Lösung zurückkommen.
Weiß zieht an und setzt in fünf Zügen Matt.