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Saphir in „Krähwinkel“

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Saphir in „Krähwinkel“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 703–704
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bäuerle’s Posse „Die falsche Primadonna in Krähwinkel“ und Moritz Gottlieb Saphir
Blätter und Blüthen
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[703] Saphir in „Krähwinkel“. In jener Gott und dem Clerus gefälligen Zeit, wo es noch keine Preßfreiheit gab, aber auch noch keinen Staatsanwalt, wo die Welt noch in holder süßer Dummheit lebte, schwang der bekannte Humorist M. G. Saphir seine kritische Geißel in Pest. Er wußte aber so eigentlich noch nicht, was er kritisiren sollte, denn alle Diener des Staates und der Kirche, der Cabinets und Bureaus waren gefeit gegen jeden Angriff, weil sie unfehlbar waren.

Wie Zeus dem Dichter, rief daher der Censor dem Kritiker zu:

„Ich habe nichts mehr, es Dir preis zu geben,
Bis auf die kleine Bühnenwelt allein,
Doch hast Du einen Zahn auf’s Künstlerleben,
So beiß’ in’s Teufelsnamen Dich hinein!“

Die Flachköpfe im Staats- und socialen Leben waren also unantastbar, nur die Flachköpfe der Bühne waren vogelfrei erklärt und dem kritischen Wurfgeschoß überliefert. Saphir schoß scharf darauf los. In die große Welt durfte er seine satirischen Pfeile nicht versenden, er schleuderte sie daher auf die Bretter, die die Welt bedeuten, und was ein Hofrath des Cabinets verschuldet, mußte ein Hofrath der Bühne entgelten. Wenn es auch jenen noch so juckte, gekratzt wurde dieser allein. Aber auch damals hatten die Helden der Bühne eine gar feine und empfindliche Haut. Sie brüteten also Rache.

Allerdings waren die Künstler damals noch nicht so gebildet und ehrenhaft, sich für eine kritische Zurechtweisung mit dem Faustrecht des Wegelagerers zu rächen, allein sie rächten sich mit der Waffe des Hohns, der den armen Saphir, wie Scipio, aus einem undankbaren Vaterlande trieb. Er trug, nebenbei gesagt, schon damals seine blonde Titusperücke und goldene Brille, erschien gewöhnlich in hellblauem Frack oder drapfarbenem Oberrock und war in allen Kreisen der Gesellschaft eine bekannte Persönlichkeit. So besuchte er in seinem hellblauen Frack eines Abends das Theater und nahm im Parterre auf dem ihm für alle Vorstellungen reservirten Ecksitz Platz. Man gab Bäuerle’s Posse „Die falsche Primadonna in Krähwinkel“ und das Haus war in allen Räumen überfüllt. Der Vorhang rollte in die Höhe und die ersten Scenen spielten sich ganz ruhig ab, bis der Schauspieler Melchior als Zeitungsschreiber Pfiffspitz erschien. Da aber war es, als ob das ganze Publicum plötzlich von Taranteln gestochen oder vom Lachkrampf überfallen würde, denn mit einem allgemeinen Gejohle wurde der Darsteller der genannten Rolle empfangen. Rufe, wie „Saphir! Bravo Saphir! Bravo! Bravo!“ durchdonnerten das ganze Haus. In der That, der Zeitungsschreiber Pfiffspitz in Krähwinkel war Saphir – vom Scheitel bis zur Sohle. Der blonde Tituskopf – die goldene Brille – der hellblaue Frack – die lichten Beinkleider – das ganze Faungesicht mit dem Stumpfnäschen – nichts war vergessen. Nicht einmal das Spazierstöckchen [704] fehlte, mit welchem das Original dieser gelungenen Copie so zierlich zu fuchteln pflegte.

Höchst entrüstet verließ Saphir seinen Sitz, stürzte zum inspicirenden Polizeicommissär, protestirte energisch gegen diesen provocirten öffentlichen Scandal und stürmte über Hals und Kopf nach Hause.

In Folge der Aufforderung des Commissars wechselte Melchior die Kleidung und legte statt des hellblauen Frackes – seinen drapfarbenen Oberrock an.

Aber auch Saphir war nur nach Hause geeilt, um die Kleidung zu wechseln und der hämische boshafte Zufall wollte, daß in demselben Augenblick, als er in seinem drapfarbenen Oberrock wieder auf seinem Ecksitz erschien, auch Pfiffspitz in seinem drapfarbenen Oberrock wieder die Bühne betrat. Früher hatte das Publicum nur gejohlt, jetzt fing es an zu brüllen und brüllte fort, bis der Vorhang fiel und Saphir wie der rasende Roland durch alle Straßen stürmte.

Für den nächsten Abend war die Wiederholung der Vorstellung angekündigt. Vergebens waren alle Schritte Saphir’s, sie zu vereiteln; es schien, als ob die Behörde Gefallen fände an dem Spaße. Endlich erbat und erwirkte sich der unglückliche Kritiker beim Erzherzog Palatin eine Audienz. In einer wohlgesetzten Rede bewies er, wie seine Person profanirt und dem Hohne des Publicums preisgegeben worden sei und er sich an keinem öffentlichen Ort mehr zeigen könne, wenn ihn ein allerhöchstes Machtwort nicht gegen solchen Unfug schütze.

„Es ist mit sehr leid,“ sagte der Erzherzog, der ruhig und ohne eine Miene zu verziehen die lange Rede angehört hatte, „aufrichtig, es ist mir sehr leid.“

„O, diese Gnade!“ rief Saphir mit freudestrahlendem Blicke.

„Wie gesagt, es ist mir sehr leid, daß ich gestern nicht mit im Theater gewesen bin.“

„Wie?“

„Ich hätte mich gewiß sehr gut unterhalten, denn der Pfiffspitz muß sehr spaßig gewesen sein.“

„Spaßig?“

„Heut’ bin ich leider auch verhindert –“

„Aber die Vorstellung, kaiserliche Hoheit – die Vorstellung –“

„Nun?“

„Ich habe mir geschmeichelt, daß sie auf allerhöchsten Befehl verboten wird –“

„Wie kann ich denn das Stück verbieten, wenn ich es mir morgen selber anschauen will? Ich muß mich ja überzeugen, ob der Melchior wirklich so famos den Saphir spielt.“

„Kaiserliche Hoheit sprechen mein Todesurtheil.“

„Ach, gehen’s!“ erwiderte der Erzherzog gutmüthig lächelnd. „Sie sind so ein witziger Kopf, der sich über alle Welt lustig macht, was ist’s denn weiter, wenn man sich einmal auch über Sie ein Bißchen lustig macht? Lassen Sie doch den armen Schauspielern auch ein unschuldiges Vergnügen.“

Verzweiflungsvoll verließ Saphir den Audienzsaal. Abends fand die Vorstellung bei noch gesteigertem Zudrange statt, und am nächsten Tage wurde sie auf allerhöchstes Verlangen angekündigt. Es ist buchstäblich wahr, Saphir war damals so schwach, sich Abends auf der Schlagbrücke vor die Pferde der Hofequipage zu werfen und den Palatin nochmals zu beschwören, der Vorstellung nicht beizuwohnen und sie zu verbieten, aber auch dieser Coup de hazard mißlang und er mußte sich in sein Schicksal fügen. Gleich darauf erschien sein satirischer „Argonautenzug“, eine Flugschrift, in welcher er Alles geißelte, was des Schriftstellers kurze Arme damals erfassen konnten, und einige Tage später hatte er sein Vaterland verlassen. Erst nach zehn Jahren erschien er wieder in Pest, aber noch immer als grollender Jupiter, denn als ich ihn fragte, ob er auf der Pester Bühne keine Vorlesung zu halten gedenke, antwortete er ziemlich frostig: „So undankbar werde ich gegen die Pester Bühne und ihr Publicum nie werden.“