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Ruth

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Textdaten
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Autor: Carl Streckfuß
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Titel: Ruth
Untertitel: idyllisch-episches Gedicht in vier Gesängen.
aus: Carl Streckfuß: Neuere Dichtungen. Halle: C. A. Schwetschke und Sohn; 1834. Seite 81–128
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1805/1823
Erscheinungsdatum: 1834
Verlag: C. A. Schwetschke und Sohn
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Erscheinungsort: Halle
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons, ULB Düsseldorf
Kurzbeschreibung:
Carl Streckfuß veröffentlichte das Gedicht bereits im Jahr 1805: Carl Streckfuß: Ruth: ein Gedicht in vier Gesängen. Wien: Schaumburg, 1805. Im Inhaltsverzeichnis des vorliegenden Gedichtbandes wird jedoch die Jahreszahl 1823 aufgeführt, was auf eine mögliche Überarbeitung des Textes schließen lässt.
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[81]

Ruth,
idyllisch-episches Gedicht in vier Gesängen.
_____________
Erster Gesang.


Schwer auf Israel lag Jehova’s zürnende Rechte,
Und es verschloß die Erde den Schooß; nur dürftige Halme
Keimten vereinzelt empor, kornleer vorreifend die Aehren.
Bald auch drohet’ und schlug in Schreckensgestaltung der Hunger,

5
Der im gewohnten Geleit mitbracht’ hinwürgende Seuchen.

Und ob stöhnend das Volk aufflehte zur Veste des Himmels,
Ob die Mutter das lechzende Kind von vertrockneten Brüsten
Jammernd zum Herrn aufhob – o Herzen zerreißender Anblick! –
Nicht doch milderte sich das strafende Zürnen Jehova’s.

10
     Viele des Volkes verließen darob die Gefilde der Heimath,

So auch Eli Meléch mit seiner Gefährtin Nahemi,

[82]
Mahlon und Chilion, den Söhnen. Zum Moabitischen Lande

Zogen sie hin aus Bethlehem Juda, die Felder verlassend,
Welche, belastet mit Fluch, treu waltendem Fleiß sich verschlossen.

15
Ihnen nun wandte der Herr mitleidig den strahlenden Blick zu,

Welcher die Nacht aufklärt, und machte die Fremde zur Heimath;
Denn wo die Lieb’ erblüht, lacht vaterländischer Himmel.
Und die trefflichen Söhn’, heimführten als treffliche Hausfrau’n
Hochbeglückt, sie ein liebliches Paar Moabitischer Töchter,

20
Also glitten die Monden dahin, wie die Lüfte des Maitags,

Bis der Herrscher des Alls, der, immer und ewiglich Einer,
Durch den Wechsel erzieht die Erschaffnen zu höherem Daseyn,
Sprach: des Glückes genug! – Und er sandte den Todes-Engel,
Daß er Eli Meléch heimführ’ und die rüstigen Söhne.

25
Jammernd erstöhnte Nahemi, und jammernd erstöhnten die Töchter,

Blind unerforschlichem Schluß, der am Grabe verblichner Geliebten,
Weckt’ in der Greisin Brust die entschlummerte Liebe zur Heimath,
Daß sich die Liebe bewähr’ und die höchste Lieb’ ihr entsprieße.

[83]
      Einstens berief sie Arpa und Ruth und sprach zu den Töchtern:
30
Segn’ euch der Herr mein Gott und bescheer’ euch Tröstung und Frieden,

Denn ihr thatet Gutes an mir und meinen Geliebten,
Bis sie der Engel des Tod’s abrief. Mit kindlicher Liebe
Stützt ihr, selber gebeugt, seitem die verwaisete Mutter,
Achtet, obwohl noch jung und blühend, wie Rosen des Frühlings,

35
Nicht anlockender Freuden der Welt und weilt bei der Schwieger,

Hemmt, mich erblickend, den Laut der einsam tönenden Klage
Und den bitteren Strom hinrollender Wittwen-Zähren,
Daß nicht der Mutter Leid sich vermehr’ im Leide der Töchter;
Darum segn’ euch der Herr und bescheer’ euch Tröstung und Frieden.

40
Darum fleh’ ich zu ihm, mir, wenn im Tode mein Aug’ einst

Bricht, es von eurer Hand, ihr Geliebten, verschließen zu lassen.
Doch hier ist’s mir so öd’ und so leer, denn jegliches Plätzchen
Zeigt mir der Theuren Verlust, die vor mir hingingen zur Heimath.
Dort kniet’ Eli Meléch, aufflehend zum Himmel beim Frühroth;

45
[84]
Dort, wo das Bett’ einst stand, dort seh’ ich im Krampfe des Todes

Meinen Chilion stets, dort meinen verscheidenden Mahlon,
Und von Neuem erfaßt Sehnsucht und zerreißender Schmerz mich.
Ihr auch, denk’ ich, vermißt in verödeter Hütte die Gatten,
Wie mir der Kummer bezeugt, der bekämpfte, doch nimmer besiegte;

50
Darum wär’ es Euch gut, dies Unglücks-Land zu verlassen.

Heim nach Bethlehem zieht mich das Herz, daß da, wo den ersten
Strahl mein Aug’ einsog, es sich einst beim letzten verdunkle.
Dort auch leben mir viel treuliebende Jugendgenossen,
Welche des Lebens schönere Zeit in trauten Gesprächen,

55
Manches erblichene Bild auffrischend, mir wieder erneuern,

Und was ihr Liebes gethan an mir, euch liebend vergelten.
Möchtet ihr also mit mir hinziehn nach Bethlehem Juda?
Sagt freimüthig mir denn und wahr des Herzens Bedünken.
     Sprach’s und mit fröhlicher Eil rief Ruth: Wie das Herz dir gebietet,

60
Wandl’, ich wandle mit dir, und trennen soll uns der Tod nur! –

Und mit schweigendem Dank küßt’ auf die Stirn sie Nahemi.

[85]
      Aber Arpa begann, von ermunternder Frage gemahnt erst,

Leiseres zögerndes Lauts, erdwärts hinsenkend die Blicke:
Mir ist lieb mein heimisches Land, nicht will ich’s verbergen,

65
Aber lieber doch Sie, die meinen Geliebten geboren.

Darum wandl’ ich mit dir, und trennen soll uns der Tod nur.
Siehst du aber mein Auge bethränt beim Schmerze des Abschieds,
Zürne darob mir nicht, und liebe darob mich nicht minder.
     Schnell ist der Arme zur Reise bereit – und eilendes Fluges

70
Brachte die Zeit daher, ersehnt und gefürchtet, den Abschied;

Denn es trennet der Mensch sich schwer von vertrauter Gewohnheit
Und, zuschreitend dem Bessern, verläßt er das Schlimmre mit Wehmuth.
Doch vor Allen ergriff unsäglicher Schmerz dich, o Arpa!
Kaum dich zu trennen vermögend, verweiltest du noch in dem Zimmer,

75
Blicktest jedes Geräth noch an, und jegliches Plätzchen

Sprach so traulich dir zu und mahnte dich: Scheide von mir nicht!
Und als endlich die Mutter dich rief, zur Eile dich mahnend,
Schrittest du vor, trostlos, und zerrangst laut schluchzend die Hände,

[86]
Achtetest nicht versammelter Freund’ Abschied und Ermuntrung,
80
Wankendes Schritts fortschreitend, mit rastlos strömenden Thränen.

Zwar auch Nahemi weinet’ und Ruth, die Freunde verlassend,
Aber, Jene von Hoffnung gestärkt, und Diese von Liebe,
Schieden sie, kräftiges Sinns, von segnenden Wünschen begleitet.
     Doch oft schaut’ auf Arpa Nahemi bedenklich und düster,

85
Und als sie waren gelangt zum nahen Hügel, wo irrend

Hier sich der Blick in der Ferne verlor, von Bergen umschlossen,
Welche geheimnißvoll sich verhüllten in bläulichen Düften;
Dort noch nah erschaute den eben verlassenen Wohnsitz,
Und die Hütt’, aus grünem Gezweig vorragend, die Fenster

90
Halb vom Laube verhüllt, doch frei das Dach und den Giebel,

Siehe, da hemmte die Mutter den Schritt und sprach zu den Töchtern:
     Wohl bedenke der Mensch, was er thut. Er schreite nicht vorwärts,
Eh’ er die Pfade geprüft und die Kraft vorsorgend gemessen.
Oft wohl trübt Sehnsuch des Urtheils sichere Klarheit,

95
Oft auch leitet uns irr des Verstandes klügelndes Forschen.
[87]
Solcher nur spart sich die Reue, den, wenn vorwärts ihn das Herz zieht,

Vorwärts auch zugleich der ruhig erwägende Geist ruft.
Seht in die Ferne hinaus! Verworren und immer verworrner
Zeigen die Bilder sich dort, je weiter das Auge dahinstreift.

100
Dort im Gebüsche verbirgt sich der Pfad – durch lachende Fluren

Führt er den Wandrer vielleicht; vielleicht durch sandige Steppen,
Durch der Dornen Gewind dahin zum Rande des Abgrunds.
Aber sehet aus Grün vorragend die freundliche Hütte,
Euch von der Jugend an bekannt mit der ganzen Umgebung.

105
Aus dem Rasen, dem Bach und des oft gegangenen Pfades

Krümmung tönen vertraut euch Freundesstimmen entgegen.
Dorten kennt ihr am Menschen, so wie das Gesicht, die Gesinnung,
Und Vergangnes erhalten lebendig, die mit es erlebten.
Ach, wer die Heimath flieht und den Kreis der Freunde der Jugend,

110
Von der Erinnerung reißt er sich los, so die Gegenwart aufhellt,

Wenn sich in trübe Nacht der Freude schönes Gestirn hüllt;

[88]
Was ihm als deutliches Bild in ewig glänzenden Farben

Hier vorschwebt, es verschmilzt in der Fern’ in verworrene Schatten.
Darum begreif’ ich es wohl, daß Grauen euch faßt vor dem Fremden,

115
Und dem Bekannten euch anfesseln die Bande der Liebe;

Geht doch sträubend der Mensch aus trüb umnachtetem Leben
Hin nach Abrahams Schooß zu unvergänglichen Freuden.
Zwar ist mein Bethlehem schön; dort grünen frischer die Auen
Als ich sie je noch grünen gesehn; dort schlagen die Herzen

120
Treu den Freunden und froh, Einfalt sich bewahrend und Reinheit.

Und euch könnt’ aufblühn ein erneutes herrliches Glück dort.
Aber gedächtet ihr dann der Heimath, so würd’ euch wie Mondschein
Dünken das Glück in der Fremd’ und sehnen würde das Herz sich
Nach der wärmenden Sonn’ am vaterländischen Himmel.

125
Mir auch zernagte das Herz Vorwurf und bittere Reue.

Darum jetzt, da es Zeit noch ist, befraget euch selber.
Ruft auch mahnend das Herz mich zurücke nach Bethlehem Juda,
Dennoch wohn’ ich lieber mit euch in der Hütte des Jammers,
Als geschieden von euch, ihr Geliebten, im Hause des Glückes.

130
[89]
Sprecht, und dafern ihr es wünscht, so kehren wir wieder nach Moab.

     Sprach’s und mit fröhlicher Eil rief Ruth: Wie das Herz dir gebietet,
Wandl’, ich wandle mit dir, und trennen soll uns der Tod nur!
     Aber reichlicher floß der Zähren Strom von den Wangen,
Dir, o Arpa! – es wogte die Brust, und mächtiges Kampfes,

135
Rangen, besiegt und siegend, im Herzen dir Lieb’ und Liebe.

Hier, ehrwürdig und mild, erscheint dir der liebenden Mutter
Altergebeugte Gestalt – wie kannst du die Theure verlassen?
Dort winkt, hold anlächelnd, das heimische Land und die Hütte,
Und das vertraute Gehölz, und der Bach und der sonnige Hügel,

140
Und sie solltest du fliehn und der Jugend süße Gewohnheit?

Also stehst du und schwankst, hierhin dich wendend und dorthin,
Suchst Antwort und die Red’ ersticken dir Thränen und Zweifel.
     Wieder begann Nahemi: Vom Himmel wird uns das Gute:
Lasset uns flehen zum Herrn, der mein Gott ist und der eure,

145
[90]
Und Er wird uns Weisheit verleihn, und gnädig uns leiten.

Und sie sank auf die Knie dahin, ausstreckend die Hände
Und aufhebend den Blick zur strahlenden Veste des Himmels,
Und sie fleht’ inbrünstig empor, laut tönender Stimme:
Herr, der in Moab herrscht und in Israel, Herrscher des Alls, Gott,

150
Unerforschlicher, Gütiger, Großer, Allmächt’ger, Allweiser,

Der du zum Leben mich riefst, der du im Leiden mich prüftest,
Der du mich überall umfängst, in der Lüfte Gesäusel,
Wie wenn, den Stolz hinschmetternd, vom Himmel Donnergeroll schallt;
Der du die Herzen erkennst, und was war, und was ist, und was seyn wird,

155
Blick’ herab, huldreich, und erhöre das Flehen der Armen.

Siehe wir schwanken im Zweifel dahin und daher, wie das Rohr schwankt;
Redlich siehst du und treu die Herzen, o Herzenerforscher,
Aber der Geist, Zukünftigem blind, vorschauend in Nacht nur,
Welche die kommende Stund’ einhüllt nach dem ewigen Rathschluß,

160
Ringt ohnmächtig, den Pfad, der zum Rechten uns leite, zu kühren.

Einen Strahl nur geuß ihm herab aus unendlichem Lichtquell,

[91]
Oder erweck’ in der Brust huldreich die gebietende Stimm’ uns,

Die zu erfreulichem Ziel hinweise die wankenden Schritte.
Kindlich vertrauend auf dich, geloben wir alle zu wandeln,

165
Wie sie gebieten uns wird, nicht weiter forschend noch klügelnd;

Denn, eh den Saamen die Erde verbirgt, erkennst du die Frucht schon.
     Also rief sie, und flehte noch still, inbrünstiges Herzens,
So auch thaten die Töchter, und göttliche Flammen ergossen
Sich von oben herab, und erfüllten mit muthiger Kraft sie.

170
Alle rafften sich auf, und Arpa, festeres Trittes,

Nahte der Mutter sich nun, umschlang ihr den Nacken und drückte
Ans hochschlagende Herz sie. „So lebe wohl denn auf ewig!“
Sprach sie und wendete weg das Gesicht, denn ihr brachen die Zähren
Unaufhaltsam hervor, und Schluchzen erstickte die Worte.

175
     Ruth dann, welche genaht, muthvoll und freudig entschlossen,

Sprach, zu Nahemi gewandt: Dir folg’ ich, so will es Jehova,
Welcher auch mein Gott ist, und nicht die Götter der Heiden!

[92]
      Aber Nahemi sprach: Heimkehrt die Schwägerin, kehret

Heim zu ihrem Gott und dem Volk und den Jugendgenossen,

180
Darum, gebeut nicht ein Andres unwiderstehlich das Herz dir,

Kehre zurück auch du, und folge dem warnenden Beispiel.
     Aber in heiliger Gluth entzündet’, o Ruth, sich der Blick dir,
Gluth, wie der Zorn anfacht, erregt vom innig Geliebten,
Welcher unendlicher Lieb’, ein Ungläubiger, nimmer vertraun will;

185
Und wie das Frühroth stralt, so stralten dir purpurn die Wangen.

Rückwärts tratest du fest, ausstreckend zum Himmel die Rechte,
Einer Begeisterten gleich, sich rüstend zu heiligem Eidschwur;
Höher schien die Gestalt und völliger anzuschauen,
Und hochwogendem Busen entscholl, wohllautend und kräftig,

190
Dieses Wort in die Luft: Nicht davon sprich, daß ich solle

Weg mich wenden von Dir. Wo Du hingehst, geh’ Ich hin,
Ich auch verbleibe wo Du verbleibst. Dein Volk, es ist mein Volk,
Dein Gott ist mein Gott; auch Ich will sterben, wo Du stirbst.

[93]
Dies und das soll thun mir der Herr, so von Dir ich entweiche.
195
     Und Nahemi vernahm in den Worten die Stimme Jehova’s,

Reicht’ ihr freudig die Hand, und beide schieden von Arpa,
Die noch lang auf dem Hügel verzog, nachschauend den Beiden,
Welche sich oft umkehrten und Grüß’ ihr winkten zum Hügel,
Bis Gebüsche den Pfad einhüllt’ und die theuren Gestalten.

200
Arpa wanderte nun mit langsamen Schritten nach Moab,

Aber Jene zogen dahin nach Bethlehem Juda.
 

_____________


Zweiter Gesang.


Heimkehr, leuchtender Stern im trübumnachteten Leben,
Wie so herrlich erglänzt in des Herzens froher Erwartung
Aus der Ferne dein Licht nach langen Jahren der Trennung.

205
Herrlich zeigt’s, glanzreich, an unendlichem Reiz unerreichbar,

Gleich paradiesischen Au’n, die geliebten Gefilde der Heimath;
Zeigt huldvoll und getreu uns die fröhlichen Jugendgenossen,
Stets unerkaltetes Sinnes, in Kraft und Lieb’ unverändert!
Aber ach, wie Vielen erlosch in der Nähe dein Lichtstrahl,

210
[94]
Welche zur freundlichern Ferne des Vaterhauses Entfremdung,

Kindlicher Hoffnung und süßem Vertraun hohnsprechend, zurückstieß.
Dein auch harrt, o Nahemi, der Schmerz. O hemme die Schritte,
Die, wie beflügelt, dahin nach Bethlehem Juda dich tragen,
Daß nachkeichend nur der Greisin die blühende Schnur folgt!

215
Jetzt ist erklommen die Höh! Wie entflammt sich dein Auge, wie lächelt

Selig dein Mund, wie streckt sich dein Arm dem freundlichen Thal zu!
Dort noch, wie sonst, erhebt sich die Stadt. So ragten die Giebel
Hinter den Bäumen hervor, wenn du, als blühende Jungfrau
Mit der Heerd’ ausruhtest nach schwerem Erklimmen des Hügels

220
Unter dem Baum, der, wie einst, süßkühlende Schatten verbreitet.

Dort rinnt, sanft hinplätschernd, auf reinlichen Kieseln der Bach noch,
Welcher die Heerd’ oft tränkt’, und Gesicht und Brust dir erfrischte.
Schlängelnd windet, wie einst, durch blumige Wiesen der Pfad sich,
Den du mit Eli Meléch so oft am Abend gewandelt,

225
[95]
Von den hüpfenden Kindern umschwärmt, die jetzo das Grab birgt.

Lange verlorest du dich, stillschweigend, in Wonn’ und in Wehmuth,
Tief in Sinnen und Schaun, und zuletzt, aufseufzend, begannst du:
Sieh, Ruth, dorten das Ziel. Sprich, ist nicht herrlich der Thalgrund?
Sahst du so Liebliches je? So schön, ja schöner, als einstmals,

230
Blüht dies Land, mein väterlich Land, mein theures, geliebtes.

Diesen Gefilden glitt spurlos die enteilende Zeit hin,
Ueppig ersetzend, was sie zerstört, denn jeglicher Frühling
Schmückte mit Blüthen sie neu, und jeglicher Sommer mit Früchten.
Sie begrüßen mich jung; ich sie verblüht; kein Frühling

235
Bringt mir zurück die Blüthengestalt, und zaubert dem Leben

Wieder den Schmuck hervor, der ach! im Grabe verwelkt ist.
Als ich zum letztenmal auf diesen Hügeln emporklomm,
Treu vom Gatten gestützt, und gefolgt von rüstigen Söhnen,
Ach, wie trieb damals vorwärts mich die leuchtende Hoffnung,

240
Wie umgaukelten mich holdlächelnde Bilder der Zukunft!

Und nun kehr’ ich zurück, trostlos, und verwaiset und einsam.

[96]
      Sprach’s und schwieg, und verbarg mit der Hand das Gesicht, laut weinend,

Ruth auch schwieg, den Blick auf die jammernde Mutter geheftet,
Wissend, daß heiliger Schmerz Trostworte verschmäht, doch in Wehmuth

245
Bald sich mild auflös’t, die zurückführt ruhige Klarheit.

Aber als zu versiegen begann die Quelle der Zähren,
Nahte sie innig, des Trosts Wohllaut auf den rosigen Lippen:
Mutter, du bist nicht verwais’t. Blick’ auf zum unendlichen Himmel,
Und dann frage das Herz noch einmal: ob du verwais’t bist?

250
Leben nicht die Verblichenen dir vor der Stirn und im Herzen?

Küßt nicht geistig ihr Hauch dich in lieblicher Lüfte Gesäusel?
Ist verloren, wer schied zu fröhlicher Wiedervereinigung?
Nimmer ermangelst du auch der Lieb’ auf der Pilgerreise,
Weil mein Herz noch schlägt. Muthvoll drum blicke nach dorten,

255
Wo dich die Heimath hold hinruft zu erneuertem Daseyn.

     Sprach’s, und wie Frühlingsluft vom Himmel umnachtend Gewölk scheucht,
Scheuchte das tröstende Wort den Schmerz von der Seele Nahemi’s,
Daß glanzreich aufs Neue die Freud’ und die Hoffnung erstrahlten.

[97]
Eilig schritt sie voran, zur Eil’ oft mahnend die Tochter,
260
Selber doch öfter verweilend an dieser Stell’ und an jener,

Wo Erinnerung ihr ein Bild der Jugend zurückrief.
Jeglichen Wanderer schaute sie an, und forscht’ in den Zügen,
Ob ein Freund vielleicht ihr erschien, ob ein theurer Verwandter,
Aber jeglichen sah achtlos und fremd sie vorbeiziehn.

265
Freudig zeigte sie dann fernhin auf die Hütte, worin sie

Einst als Eli Meléchs Hausfrau vorsorgend gewaltet;
Zeigte das Feld, ihm eigen vordem, das, unfruchtbar verlassen,
Jetzo von Fremdlings-Händen bebauet, in üppigen Saaten
Hinwärts wogt’ und zurück, wie im spielenden Weste die Meerfluth;

270
Sprach Vermuthungen aus, von wem das Verlassne bestellt sey,

Nannte der horchenden Schnur die Erben dabei, und beschrieb ihr
Jegliches Alter, Gestalt und Gemüth, ausführlich und wortreich,
Israels herrschende Sitt’ ihr verkündigend, wie mit dem Erbtheil,
Wer es erwerbe, sich auch des Verstorbenen Wittwe verbinde.

275
Also schritten sie fort in manchem Gespräch, und die Sonne

Stand im Abend, da langten sie an in Bethlehem Juda.

[98]
      Viel war bethlehemitisches Volks im Thore versammelt,

Pflegend vertrautes Gespräch und am thauigen Abend sich letzend,
Als, neugierig beschaut, Nahemi des Weges daherkam,

280
Sammt der blühenden Schnur, die, vor angaffenden Blicken

Sittig die Augen gesenkt, an der Seite der Mutter daherschritt.
Aber Nahemi sucht’ umher im Kreise des Volkes,
Forschend in jedem Gesicht nach bekannten Zügen der Freunde,
Lauschend, ob nicht ein freudiger Ruf Willkommen ihr biete.

285
Männer standen umher, die sie einst als Knaben verlassen;

Die sie als Männer gekannt, sie standen, die Wangen gerunzelt,
Wankend am Stab, zahnlos, dem forschenden Blick unerkennbar;
Die sie als Greise gekannt, sie schlummerten sämmtlich im Grabe.
Also hatt’ ein Geschlecht, aufblühend, verdrängt das verblühte,

290
Und sie fand sich allein, die Fremdlingin unter den Fremden.

Zitternd erbangt’ ihr das Herz, und jegliche Hoffnung entschwand ihr.

[99]
Wehmuthsvoll hinschauend auf Ruth, die sie liebend begleitet,

Fühlte sie tief in der Brust Vorwürf’ und bittere Reue,
Daß sie die treffliche Schnur hinausgelockt in die Fremde.

295
Aber zuletzt, Muth fassend, befragte sie Einen des Volkes,

Der, theilnehmendes Blicks, die zagenden Frauen beschaute,
Nach dem Geschick der Freund’, und that ihm, wieder befragt, dann
Kund den Namen, den Tod der Geliebten, und wie nun von Moab
Sie nach Bethlehem heim Sehnsucht und Liebe geleitet,

300
Und sie zeigte dabei, herzinnig sie preisend, auf Ruth hin,

Die, holdseelig gebeugt, schaamroth zum Boden hinabsah.
     Solches hörte der Greis, dacht’ Eli Meléchs und gedacht’ auch
Noch Nahemi’s und rief herbei so manchen Bekannten;
Und aus dem, was die Zeit den Gesichtern verliehn und entnommen,

305
Traten lebendig hervor die Züge früheres Alters,

Daß sie, manchen erkennend, von Manchem wieder erkannt ward.
     Als theilnehmende Freundschaft nun und lauschende Neugier
Viele des Volks herrief, und manch Willkommen ertönte,
Sank von Nahemi’s Busen die Last schwerdrückender Sorgen.

310
Freudig zog sie dahin, von Vielen geschäftig begleitet,

Zum verlassenen Haus, und freundliche Gaben erfüllten,

[100]
Wie Mitleiden sie spendet, das schnell entflammt und verlöscht ist,

Bald den verödeten Raum, ihn neu zum Bewohnen zu rüsten.
Denn es regte die Stadt sich ob Nahemi’s Zurückkunft,

315
Und was von Ruth sie erzählt, rings flog es von Munde zu Munde.

Viele priesen die schöne Gestalt und die Sitte der Fremden,
Rühmend die fromm ausharrende Treu’ und die kindliche Liebe;
Andere sannen, mit böslichem Wort Argwohn zu verbreiten,
Dies vermuthend und jenes, was aus den Gefilden der Heimath

320
Sie in der Schwieger Geleit nach Bethlehem Juda getrieben.

Aber Alle doch zog Neugier zu dem rosigen Weib hin,
Zu vernehmen von ihr den Klang ausländischer Sprache,
Zu erforschen des Auslands Art und Weis’ und Gesittung,
Und Nahemi’s Geschick im fernen Lande zu wissen,

325
Auch was zum Vaterland heimtrieb die lange Vergessne.

Doch als, was Neugier ausforscht, nun alles enthüllt war,
Als sie des Anblicks sich des blühenden Weibes ersättigt,
Das mit sittigem Ernst lustwandelnde Blicke zurückwies,
Als sich in Altgewohntes das reizende Neue verwandelt,

330
Wich gleichgültig zurück der Angedrungenen Mehrzahl.

Andere schwanden hinweg, wie mit der Sonne der Schatten,
Als Nahemi bedrängt Beistand sich erbeten und Rathschlag,

[101]
Wie wohl Eli Meléchs Erbschaft den Händen der Fremden,

Die den verlassenen Acker indessen bebaut, zu entziehn sey.

335
Also fanden sie bald sich allein in verödeter Hütte,

Erst von Freunden gesucht, doch zuletzt vergebens sie suchend.
Bald auch näherte sich, schwer drückend und schwerer bedrohend,
Düsterer Mangel dem Haus, und fern blieb Hülf’ und Erbarmen.
Da umdunkelte sich das Herz und das Auge der Greisin;

340
Schwerer drückt’, als der Jahre Last, sie die Bürde des Kummers,

Wenn sie auf Ruth hinsah, die ewig frohes Gemüthes,
Aus der Lieb’ unerschöpflichem Quell die Freud’ und die Kraft trank,
Waltend im engen Haus, unermüdet die schaffenden Hände.
Doch in Nahemi’s Brust stritt mit dem Zweifel die Sorge,

345
Und mit der Liebe rang Vorwurf und bittere Reue,

Daß von Entschluß zu Entschluß sie fort der schwankende Streit trieb,
Und auf den Lippen das Wort, das oft hindringende, stockte.
     Einstmals war sie allein mit Ruth in der Stunde der Dämmrung,
Welche das Herz aufschließt, daß im traulichen Wechsel-Gespräche

350
Gern sich in Freundes-Brust ausschüttet verschlossener Kummer,
[102]
Und sie begann, laut weinend, und Schluchzen erstickte das Wort oft:

Ruth, unablässig lastet auf mir das Zürnen Jehova’s,
Welcher, verwirrend den Geist, Sehnsucht in entzündeter Brust weckt,
Die zum Verderblichen hin vom Guten und Rechten mich fortreißt.

355
Fluchbeladen irr’ ich einher – kraftlos und entstrickt sind

Schon von unendlichen Kummers Last der Sinn und die Glieder,
Und nah winkt mir im Grab von allen Leiden Erlösung.
Aber du, theilnehmend am Fluch, so mit mir du vereint bist,
Weit noch blickst du hinaus nach dem Ziele des irdischen Lebens;

360
Sollst noch hienieden dich freun, erfreuend auch schaffen und wirken,

Nicht harmvoll unersetzliche Zeit der Jugend vertrauern,
Denn die Blüthe, vom Jammer zernagt, sie reifet zur Frucht nicht.
Darum wende den Schritt vom Pfad, den ich Elende gehn muß,
Dir ein erfreulich Geschick, von mir geschieden, zu suchen.

365
Laß mich allein hinziehn zu dem Grab, wo in Kurzem ich ruhn soll.

     Sprach’s und schwieg, aufstöhnend in bitterem Schmerz, und unendlich
Rannen die Thränen herab an gefurchten Wangen der Greisin.

[103]
Aber Ruth, nicht begeistert wie jüngst, auf dem Hügel bei Moab,

Sondern ernst, kraftvoll, in erhabener Ruhe, begann so:

370
Hör’ einmal noch den heiligen Schwur: Ich weiche von dir nicht,

So dein Gott mir helfe, der Ewige, welcher ist mein Gott.
Trifft dich des Mächtigen Hand, wohlan, so treffe sie mich auch.
Drückt dich nieder die Last, wohlan, so drücke sie mich auch,
Aber sendet der Herr mir Glück, so send’ er es dir auch.

375
Und Er sendet es bald, dies sagt froh ahnend das Herz mir,

Welches auf Ihn vertraut, und besserer Tage gewiß ist.
Scheuch’ auch du kleinmüthige Furcht und wecke die Hoffnung.
Frei blick’ um dich in Gottes Welt. – Reif wogen die Saaten
Auf reich prangender Flur, vom Allernährer gesegnet.

380
Der aus dem Korn vorrief, unerforschlich in bildender Urkraft,

Kraut und grünende Halm’ und den Reichthum goldener Aehren;
Uns auch rief er die Blüthen zur Lust, und die Früchte zur Nahrung.
Doch dem Menschen schenkt er die Kraft und die regsamen Hände,

[104]
Daß er sich müh’ und schaff’ und das Schicksal ringend besiege,
385
Nicht träg klagend und duldend dem Drohen sich beuge des Unglücks.

Schon ergießt sich die Schaar frohsinniger Schnitter auf’s Feld hin,
Ihnen folg’ ich getrost, denn rüstiger Hände bedarf man,
Und, wo Arbeit, findet sich Lohn. Doch begehrte der Hülfe
Keiner, so sammelt, was oft leichtsinnig der Reiche vergeudet,

390
Viel mühevoll sich bückend, als Aehrenleser der Arme;

Morgen geh’ ich mit Gott und bringe von reichlicher Ernte
Einen Theil dir ins Haus, und verscheuch’ eindringenden Mangel,
Denn Beistand mir verleihn wird Er, der den Muth und die Kraft gab.
      Sprach’s, und bei dem Gespräch war schwarzumhüllend die Nacht schon

395
Still herniedergeschwebt und Alles verborgen im Dunkel.

Aber der Greisin war’s, als ob aus der Stelle, wo Ruth stand,
Dringe lieblicher Schein, gleich rosiger Morgenröthe,
Sanft umdämmernd die hohe Gestalt und die herrlichen Züge;
Dann allmählig von unten verschwind’, und weiter nach oben

400
[105]
Glänzender leucht’ und zuletzt, gleich sonnengoldenem Reife,

Rund vorstrahlend aus schwarzer Nacht, das Haupt ihr umfasse;
Und Nahemi’s Gemüth durchbebt’ ein heiliger Schauer.
 

_____________


Dritter Gesang.


Kaum drang dämmriges Licht, noch kämpfend mit Nacht, in die Hütte,
Als Ruth leis’ aufstand, sich über die schlummernde Mutter

405
Still hinbog und die Stirn mit verschwebendem Kuß ihr berührte.

Und sie ging nun hinaus auf die schweigende Flur, die von Nebeln,
Feucht und schaurig und kalt, wie von wallenden Schleiern verhüllt war,
Daß der Pfad sich kaum vor dem Fuße der Wandlerin zeigte.
Da ward bang ihr ums Herz; kein Blick zum verschleierten Himmel

410
Scheuchte die Sorge zurück; kein Ringen und Streben des Geistes

Nach erloschenem Muth und fröhlichem Gottvertrauen.
Nur fruchtlos erschien ihr die Müh’, und feindlich die Erde,
Nirgends, wie gestern, ersahn ein lohnendes Ziel sich die Blicke.

[106]
Aber höher empor stieg, reich ausgießend die Strahlen,
415
Ueber den Nebeln die Sonn’ an des Aethers ewiger Bläue,

Und allmählig zu wogen begann’s in dem weißen Gedüfte,
Und lebendiger ward und lebendiger immer die Regung.
Hier wich goldenem Glanz, der plötzlich verschwebte, der Nebel,
Dort verdichtet’ er sich zum langhinziehenden Streife,

420
Welcher sich bald auflöst’ in Tropfen erquickendes Thaues.

Frei nun stralte der Welt die erhabene Fürstin des Tages,
Glanz ausspendend und Lust, und jegliches Gräschen der Triften,
Jeglicher Halm der Flur, und jegliches Blättchen der Bäume,
Trug, vielfarbiges Lichts, ihr Bild in flüssigen Perlen,

425
Und goldglühend erschien der Wald und der Bach und der Hügel.

Lustvoll klang Wohllaut freischwebender Lerch’ aus den Lüften,
Lustvoll klang, antwortend, aus Waldes-Umnachtung der Vollchor,
Lustvoll mischten sich ihm der rüstigen Schnitter Gesänge.
Und wie die Welt ringsum sich in Glanz und Tönen belebte,

430
Wich, o Ruth, auch von dir der Sorg’ umhüllender Nebel,

Und dir erglühte das Herz im himmlischen Glanze des Morgens,
Und nachhallend erklang der Jubelgesang in der Brust dir.
Aemsig mischtest du dich in der Schnitter fröhliche Reihen,

[107]
Würdiger Demuth voll, und ernst in kindlichem Frohsinn,
435
So, daß wenn auf holdem Gesicht und schlanker Gestalt dir

Weilte der Männer Blick, Ehrfurcht Scherzworte verbannte.
      Schon lang goldnes Getreid’ auf der Flur, der Sichel gesunken,
Lang in Streifen gereiht, und bald erstanden die Garben,
Wohlgeordnet gehäuft, den fleißig schaffenden Händen.

440
Zwischen ihnen umher ging Ruth, sich ämsig und mühsam

Bückend, und viel aufsammelnd der gern verlorenen Aehren;
Denn es schauten mit Lust die Knechte sie an und die Dirnen,
Wenn sie, lange gebückt, nun tief aufathmend emporstand,
Hochroth glühend die Wang’ und im Blick frommlächelnde Milde,

445
Ließen ihr übrig auch des Getreides viel, daß der Vorrath

Schleuniger ihr sich vermehr’ und das mühsame Suchen erleichtre.
      Siehe, da schreitet mit heiterem Ernst ein stattlicher Mann her.
„Gott mit euch!“ so sagt er zum Gruß. Und die Schnitter, mit Ehrfurcht,
Traten zurücke, gebeugt und erwiedern: Es segne der Herr dich!

450
Und er geht auf dem Felde herum, betrachtend die Arbeit,
[108]
Tadel und Lob ausspendend, und dies und jenes verordnend,

Still und sicher und ernst, in heitrer ruhiger Würde.
Endlich blickt er auf Ruth, befragend den Aelt’sten der Knechte,
Welchen er vorgeordnet den übrigen: Weß ist die Dirne?

455
Und dem Fragenden drauf erwiedert der Knecht: Herr, Ruth ist’s,

Welche von Moab her mit der Schwieger Nahemi gekommen.
Aehren sammelt sie hier, da ich es gestattet, geschäftig
Seit des Morgens Beginn, und gönnt nie Ruhe den Gliedern.
      Aber der Mann beschaut’ aufmerksames Blicks die Bedrängte,

460
Welche beschämt dortstand, hochroth, und die Blicke gesunken.

Und als Jener ihr winkte, da nahte, verschränket die Arme,
Demuthsvoll sich Ruth, und beugte sich grüßend zur Erde.
Aber Jener begann mit Wohlgefallen im Blicke,
Freundlich und mild die Geberd’ und der Ton: Ich bin vom Geschlechte

465
Eli Meléchs und Boas genannt, und mein ist der Acker.

Höre denn, meine Tochter! Du sollst nicht weiter mir gehen,
Aehren auf Anderer Feld, der unfreundlichen Fremden, zu lesen.
Halte zu meinen Dirnen dich stets, und lese, wo sie gehn.

[109]
Kein Knecht soll dir Leids anthun, so will ich gebieten.
470
Geh’ auch zu dem Gefäß, so oft dich dürstet, und trinke,

Iß auch von meinem Brote zur Essenszeit mit den Schnittern.
      Also sprach er zu ihr und tief zum innersten Herzen
Drang ihr des Mannes gastliche Weis’ und freundliche Rede.
Neu ermuthigt schaute sie nun zu der hohen Gestalt auf,

475
Ihm ins edle Gesicht, das Vertrauen erweckt’, und begann so:

Herr, wie hab’ ich Gnade vor deinen Augen gefunden,
Daß du sogleich erkannt mich, die Arme, die ich doch fremd bin?
      Boas aber begann, wie väterlich segnend, die Hand ihr
Sanft auf’s Haupt gelegt: Es ist mir Alles verkündet,

480
Was du Gutes gethan an deiner Schwieger Nahemi,

Wie du für sie vertauscht um feindliche Fremde die Heimath.
Solches vergelte dir Israels Gott, auf den du vertraut hast,
Daß es dich nimmer gereue, die Wege des Guten zu wandeln.
     Sprach’s und wandte den Schnittern sich zu mit dem ernsten Gebote:

485
Lasset sie lesen und scheltet sie nicht; auch laßt von den Haufen

Aehren ihr liegen, und Keiner erkühne sich, sie zu beschämen.

[110]
      Gern vollbrachten das Wort des Gebieters die Dirnen und Knechte;

Doch, wie wer in des Traums Trugbild sich in schwerer Gefahr sah,
Dann, aufstöhnend vor Angst, kraftlos, unbeweglich, gefesselt,

490
Plötzlich, wie hergezaubert, den herrlichen Retter erblickte,

Welcher die Band’ auflöst’ und die drohenden Schrecken verscheuchte,
Und dem Erwachten noch lang vor der Stirn und dem sinnenden Geist lebt;
Wenn im Leben sodann ein nie gesehenes Antlitz
Doch als bekannt ihm erscheint, und er endlich des Traumes gedenket,

495
Und dem Staunenden nun sich das Schlummer-Gebilde verwirklicht;

Also staunete Ruth, der würdigen Züge gedenkend,
Und der edlen Gestalt des freundlich gastlichen Mannes.
War ihr’s doch, als hätte sie längst mit frohem Vertrauen
Ihn gekannt, das Gesicht gesehn und die Rede vernommen,

500
Und als sende der Herr ihr zurücke den lange Vermißten,

Um zu beenden die Noth und die fröhliche Hoffnung zu krönen.
Aber auch Ihm erschien Ruth gleich den Gebilden, die lieblich
Er als Jüngling erträumt, in der Mondnacht heiliger Stille,

[111]
Und den Entfernten umschwebte die sittige schöne Gestalt noch,
505
Wie sie gebeugt dastand, gekreuzt auf dem Busen die Arme;

Und im Ohr erklang wohllautend und süß ihm die Rede.
Also kehrt’ er zurück auf’s Feld zur Stunde des Essens,
Setzte sich hin zu ihr, und reichte mit eigenen Händen,
Voll Sorgfalt auswählend, ihr dar das Beste der Speise.

510
Sprach auch freundlich bedeutsames Wort von besserer Zukunft,

Schied dann und kam zurück, zu Geduld sie ermahnend und Frohsinn,
Weilete gern bei ihr und trennte nur zögernd von ihr sich.
      Als mit kühlendem Thau auf die Fluren der Abend herabsank,
Sprach er: Kehre nun heim, doch morgen kommst du von Neuem,

515
Aufzusammeln vom Ueberfluß, den der Herr mir verliehen.

Und sie kehrte zur Hütte zurück, mit Aehren belastet,
Und verkündete froh der Schwieger des Tages Ereigniß.
Aber Nahemi vernahm’s und blickt’ in freudigem Staunen
Auf die Freudige hin, und heiliger Schauer ergriff sie,

520
Denn als gottbeseeligtes Weib erschien ihr die Tochter,

Die, nie wankend in Lieb’ und Vertraun, weissagendes Geistes,
Ihr zukünft’ges Geschick im reinen Gemüthe gelesen,
Denn schon sah sie im Geist des kindlichen Hoffens Erfüllung.
Wichtiges schien in Nahemi’s Brust sich lebendig zu regen,

525
[112]
Frohem Geheimniß gleich, das, laut zu werden in Worten,

Oft aufstieg zu der Lippen Rand, doch von höherm Gebote,
In die Tiefen der Brust lautlos zurücke gebannt ward.
Doch Ruth kehrte zurück auf’s Feld beim Grauen des Morgens,
Sammelt’ ein wie gestern, und half abwechselnd den Schnittern,

530
Wenn es Boas gebot, der immer vertrauter, bekannter,

Immer herrlicher ihr erschien an Gemüth und Gestaltung,
Auch vertraulicher stets, und stets liebreicher sich zeigte.
Oftmals weilte sein Blick in sinniger ernster Betrachtung
Auf dem ämsigen Weib, abgleitend, wenn sie empor sah.

535
Oft Beifall auch winkt’ er ihr zu mit freundlichem Lächeln,

Oft auch trat er hinzu, wenn sie matt ausruhte, mit Fragen,
Gut und verständig gestellt, ihr Geist und Gesinnung zu prüfen.
Und sie erkannt’ in ihm den Herrn und den Herrscher, und liebt’ ihn.
      Einst am Abend – es war in sicherer Scheuer der Ernte

540
Größerer Theil verwahrt, doch auf dem Feld noch der klein’re –

Rief er gebietend zu sich die zerstreuten Dirnen und Knechte.

[113]
Liebe, sprach er, es ziehn um die Gipfel des fernen Gebirges

Grau die Wolken sich schon, andeutend nahenden Regen.
Laßt uns eilen darum, der Ernte Reste zu bergen,

545
Daß, was der Herr reich segnend geschenkt, nicht Trägheit verderbe.

Darum bleiben wir all’ in der milden Nacht auf dem Feld hier,
Um vor dem Grauen des Tags die fleißigen Hände zu regen.
      Sprach’s und die ämsigen Schnitter, so Dirnen als Knaben, bezeigten
Weisem Geheiße des Herrn allsämmtlich frohen Gehorsam.

550
Dann zu Ruth gewandt: Noth thut es fleißiger Hände,

Und du hast den Fleiß mir bewäht; drum denk’ ich, du bleibest
Auch auf dem Feld allhier und hilfst vor dem Grauen des Morgens.
Drauf antwortete Ruth; Wie du es geboten, gescheh’ es.
Doch mein harret Nahemi daheim und würde sich ängsten,

555
Wenn ich die Nacht ausblieb’. Heimkehren will ich drum eiligst,

Kund’ ihr dringend, zur Stadt, und bald dann kehr’ ich zum Felde.
      Also eilte sie fort, beflügeltes Schrittes, zur Schwieger,
Meldet’ in eiliger Red’ und fröhlichem Wort’ ihr den Antrag,

[114]
Wollt’ auch schnell, wie Liebe gehorcht, wenn Liebe geboten,
560
Wieder zurück zum Feld; da aber faßte Nahemi

Sanft der Scheidenden Arm und sprach die verständigen Worte:
Thue, wie Boas gebeut, und rege die fleißigen Hände,
Denn vor allem erfreut den Mann an dem Weibe des Fleißes
Heiterer Geist und das Walten der stillvorsorgenden Ordnung.

565
Gehe dahin mit Gott, der zum glücklichen Ziele dich leite.

      Also wandelte Ruth hinaus in das nächtliche Schweigen.
Wechselnd erhellte den Pfad Mondlich, denn es eilten die Wolken,
Nahendes Sturms Vorboten, dahin an der dunkleren Bläue,
Noch zerrissen, zerstreut, groß, klein und weißlich und schwarzgrau.

570
Oft umhüllten sie ganz den Schimmer des himmlischen Lichtes,

Schimmernd hier und dort, und den Rand vom Monde versilbert;
Oft, gleich duftigen Schleiern, umwallten sie ihn, daß er vorschien
Schwach und gedämpft, wie des Auges Glanz aus werdenden Thränen.
Oft auch drängt’ er siegend sich vor aus der dunklen Umschattung,

575
[115]
Daß glanzreicher das Licht hinzuckt’ und die Fluren erhellte,

Bis er, wieder besiegt, von ereilenden Wolken umhüllt ward.
Also wandelte Ruth nun dahin, und mit staunendem Lächeln
Blickte sie um sich herum auf die wechselnden Zaubergestalten –
Und ihr war’s, als gleite sie hin, wie die schwebenden Wolken,

580
Sanft durch’s himmlische Blau getragen von Schmeichellüften,

Und das Leben erschien wie ein holder freundlicher Traum ihr.
Aber der treffliche Mann, der ihr wie ein Engel genaht war,
Blickt’ entgegen ihr überall, wohin sie auch blickte,
Von des Himmels Gezelt, von der Flur und aus schauriger Waldnacht,

585
Ernst, huldvoll, und ewig derselb’ in den wechselnden Bildern.

     Und sie kam zum Felde zurück, da lagen die Schnitter
An den Garben umher, von erquickendem Schlafe bewältigt,
Aber der Dirnen Lagerstatt war nirgend zu finden,
Wie sie auch sucht’, auf dem Feld hierhin sich wendend und dorthin.

590
[116]
Schüchtern kehrte sie nun zurück zu dem Lager der Schnitter.

Doch des Monds Lichtglanz, der verschwebende, zeigte das Antlitz
Boas, gen Morgen gekehrt, in des Schlafes erquickender Ruhe.
Da schlug muthig das Herz der Zagenden. Sichres Vertrauen
Scheuchte die Furcht aus der Brust und der Vorsicht klügelnde Zweifel,

595
Denn gut konnt’ es ihr nur ergehen im Schutze des Guten,

Sie mißkennen konnte nicht Er, den sie sicher erkannte.
Also breitete sie zu des Schlafenden Füßen den Mantel,
Eine Garbe zum Kissen des Haupts, und legte sich leise,
Zu süß labender Ruh hingießend die rosigen Glieder;

600
Sah still lächelnd empor in des Himmels rege Bewegung,

Zu den Gestirnen, die hier hell schienen, und dort sich verbargen,
Bis die Gestirn’ und die Wolken, die Flur und die Freud’ und Sorge
Alle zusammt hinschmolzen in purpurnem Dunkel des Schlummers.
      Aber bevor Frühroth am Saume des Morgens emporstieg,

605
Raffte Boas sich auf, und schauerte plötzlich zusammen,

Als er ein schlummerndes Weib gestreckt sich zu Füßen erblickte.
Doch er näherte sich, sie laut anrufend: Wer bist du?

[117]
Und aufschreckend fuhr sie empor, trat schüchtern zurücke,

Bog demüthig das Haupt und die Knie, und entgegnete: Ruth ist’s,

610
Deine Magd, die bei dir, Herr, Schutz sich gesucht und gefunden.

Boas aber schwieg erst lange verwundert, und führte,
Ihr mit dem Winke verbietend das Wort, sie weg von den Knechten.
Aber sobald sie gelangt aus dem Angesichte der Schläfer,
Sprach er, mild anredend die Zitternde: Scheuche die Furcht jetzt;

615
Nicht mißkenn’ ich dich ja. Wohl hab’ ich mit Freuden betrachtet,

Wie du den Jünglingen nie dich genaht mit freierer Sitte,
Wie auch jeder, obwohl liebreizende Jugend ihn anlockt,
Doch vor dem Ernste des Blicks von dir ehrfürchtig zurücktritt,
Und in solchem erprobt sich des Weibes Gesinnung und Würde.

620
Aber, daß nicht Argwohn und Lästerung wecke dein Hierseyn,

Geh’ itzt weg, dorthin wo hinter Gebüschen die Dirnen
Unter den Palmen ruhn. Bald weck’ ich euch alle zur Arbeit.
      Sprach es, und hieß sie gehn, doch ergriff bei der einen der Hände
Sie, bei der anderen dann, und hielt stillschweigend noch immer

625
Lang an beiden sie fest, und betrachtete sie voll Liebe.
[118]
Endlich begann er und gab im Ton kund innre Bewegung:

Ruth, nein, scheide noch nicht. Hier unter dem Himmel Jehova’s,
In der heiligen Nacht spricht gern sich zum Herzen das Herz aus,
Und es zeigt sich das Herz den herzlichen Worten empfänglich.

630
Hör’ also, was besser vielleicht in verschwiegener Brust mir

Reifend längere Zeit noch schlummerte. Hör’ es und rede
Dann aufrichtig und wahr, wie das innerste Herz dir gebietet.
Blick’ ich auf deine Gestalt und dein fromm lächelndes Antlitz,
Dann erfreut sich mein Aug’ und erfreut sich innig die Seele;

635
Hör’ ich, mit Lust dir horchend, der Stimme liebliche Töne,

Dann durchdringt Wohllaut mir das Ohr und das tiefste Gemüthe;
Und erwäg’ ich den Sinn der bescheiden verständigen Worte,
Find’ ich im hellen Geist des eigenen Geistes Gedanken;
Denk’ ich dessen, was du gethan an der Schwieger Nahemi,

640
Und betracht’ ich den heiteren Fleiß und die Sitt’ und die Ordnung,
[119]
Schau’ ich in Allem das Maaß, und Ueppigkeit nirgend noch Mangel,

Froh dann find’ ich Alles in dir, was ein treffliches Weib ziert;
Und mir regt sich der Wunsch, dich mein zu nennen auf ewig.
Sprich denn, würdest du mir auch gern heimfolgen als Hausfrau?

645
     Sprach es und schwieg sodann, Antwort erwartend mit Sehnsucht,

Doch es bannte das Staunen der Lust in der wogenden Brust dir,
Ruth, das erfreuende Wort und Zähren entströmten den Augen.
Aber Boas begann mit inniger Rede von Neuem:
      Sprich, nicht zürn’ ich dir ja, ob auch verneinend das Wort sey.

650
Wohl gebührt dir ein Gatt’ in der Jugend lieblicher Blüthe,

Doch mir entflohen bereits die duftigen Tage des Frühlings;
Ihm nachfolgend entfloh die Schaar holdgaukelnder Scherze,
Und mir wohnet der Ernst im Gemüth und auf männlichem Antlitz.
Aber, wenn auch dein Herz zu mir nicht liebend sich hinneigt,

655
Bleib’ ich doch dein sorgender Freund mit zärtlicher Achtung.
[120]
      Siehe, da brach, hellsprudelndem Quell gleich, ihr aus dem Busen

Freudiger Rede Strom, und sie sprach mit erhobener Stimme:
Nicht mißkenne mein Herz, daß jetzt in tiefer Beschämung
Sich unwürdig fühlend des Glücks, das du herrlich mir darbeutst,

660
Statt mit der Red’, Antwort dir allein mit Thränen gegeben,

Unaufhaltsam entstürzt den wonnegeblendeten Augen.
Sah ich doch demüthig empor zu dir, der du hülfreich
Mir, ein verheißener Engel, erschienst, der Armen, Verlassnen,
Und dir weihte mein Herz mit dem Dank andächtige Liebe.

665
Schien mir’s doch das schönste Geschick, als Magd dir zu dienen.

Aber ehren willst du mich hoch, die ich arm bin und niedrig,
Mich aufhebend zu dir aus der Tiefe der Noth und des Grames.
Also verleihe der Herr zu dem eifrigen Willen die Kraft mir,
Daß mein Leben und Seyn, sich dir hingebend, dein Lohn sey.

670
      Sprach’s und auf Boas ernstem Gesicht erglänzte die Freude

Und er zog sie an sich und küßt’ inbrünstig die Stirn ihr.
Und er begann von Neuem sodann: Ich bin vom Geschlechte

[121]
Eli Meléchs und bin der Erben einer der Söhne.

Einer nur ist näher denn ich, und welcher das Erbtheil

675
Sich erworben, vermählt sich nach Israels Sitte die Wittwe.

Aber reichlich gesegnet mit weit hinreichenden Feldern
Hat mich der Herr huldreich, und mit üppig sich mehrenden Heerden.
Doch zu erwerben in dir, holdseeliges Weib, mir das höchste
Erdengut, was opfert’ ich nicht von den anderen Schätzen?

680
Also vergleich’ ich wohl mit dem Erben mich um das Erbtheil,

Daß Genüge geschehe der alt-ehrwürdigen Sitte.
Morgen harre nur mein; ich verkünde dir fröhlichen Ausgang.
      Also sandt’ er sie hin, die schlafenden Dirnen zur Arbeit
Aufzuwecken; er selbst sofort erweckte die Knechte.

685
Alle regten die Hände nun frisch, und im frohen Gewühle

Waltete Ruth mit ämsigem Fleiß und sinnigem Schweigen.
Glücklich ward mit vereinigter Kraft die Ernte geborgen,
Und heim wandelte Ruth mit den Dirnen zur Hütte Nahemi’s.

_____________

[122]
Vierter Gesang.


Hoffnung, strahlendes Licht vor dem Blick kühnstrebender Jugend,

690
Dir folgt, stark im Vertraun, aus dem sicheren Hause des Vaters

Keck in die feindliche Welt, auf das Meer, ins Gewühle der Schlachten,
Lebend im Künftigen nur, der Gefahr hohnsprechend, der Jüngling;
Dir die schüchterne Braut, die, verlassend die trauliche Heimath,
Weinend, doch froh, ihr ganzes Geschick hingiebt an den Fremden.

695
Doch wie der Frühling entflieht, so erbleicht allmählig dein Schimmer,

Und mit dem Muthe der Brust, mit der Stärke der Glieder erlischt er,
Oder erscheint dem Getäuschten nur wie ein flackerndes Irrlicht,
Bis er neu aufdämmert, und heller und rosiger immer
Strahlt, am Rande der Gruft, das Land jenseits zu erleuchten.

700
Jetzo in dir hochglühend das freudige Herz und die Wangen

Kam Ruth heim, und erzählte, was heut ihr geschehn und was Ahnung
Längst in Nahemi’s Gemüth ankündigte. Aber sie wagte
Nicht zu fassen, was nun sich deutlich gebildet ihr darbot,

[123]
Und sie hörte das Wort nur halb froh, schweigend in Zweifeln.
705
Als nun die Dämmerung schon einbrach, und Boas doch immer

Noch in der Hütt’ ausblieb, da wurde die Sorge zum Worte.
Trautes Kind, so begann sie weich, wohl schmerzt es mich innig
Dir zu stören das süße Vertraun fromm kindlicher Liebe.
Doch nicht gieb dich so völlig dahin schön strahlender Hoffnung,

710
Daß dein Auge, geblendet, nicht schmerzliche Thränen vergieße,

Wenn du, in finsterer Nacht aufschreckend, dich plötzlich allein siehst.
Ach, wer völlig das Herz anfüllt mit Einer Erwartung,
Einem Ziel nachstrebt, dem füllt sich, wenn es verschwunden,
Niemals wieder zu Frieden und Ruh die verödete Brust aus.

715
Darum denke: Veränderlich zeigt sich das Trachten der Menschen,

Und ihr Will’ ist ein Rohr, hierhin sich wendend und dorthin,
Und unermeßlicher Raum trennt öfters Wort und Erfüllung.
      Also warnte sie, leis andeutend, was sie nicht aussprach.
Doch Ruth sprach, aufschauend mit liebebeseeligten Blicken:

720
[124]
Mutter, gedenk’ ich der lieblichen Nacht, gedenk’ ich der ganzen

Zeit der Ernte, fürwahr, mir erscheint’s wie ein duftiges Traumbild,
Das mir die trunkenen Sinn’ umgaukele, mir beim Erwachen
Wieder zu schwinden in Nichts; doch bin ich seelig und hoffe.
Denn im Innern der Stirn, hier, wo die geistige Sehkraft

725
Wohnt, hier seh’ ich sie stets, die herrlichen Züge voll Wahrheit,

Und, süß träumend, erkenn’ ich, daß dieses Gebilde kein Traum sey.
Sähest du Ihn wie ich, wie er froh ist in ewiger Ruhe,
Wie er dem Eichbaum gleicht, deß Stamm den brausenden Stürmen
Stark, unbeweglich trotzt, indeß er mit grünenden Aesten

730
Weit vor der Sonne drückender Gluth die blumige Flur schützt,

Und süß kos’t im bewegten Laub mit der säuselnden Mailuft,
Wahrlich, es schwänden auch dir, wie mir, die Sorg’ und der Zweifel.
     Also redeten sie in sinnigen Wechselgesprächen,
Schwankend Nahemi, doch Ruth unverändert immer dieselbe.

735
Doch sobald nun der Abend die bethlehemitischen Männer

Alle zum Thor hinrief, ging Boas auch zur Versammlung.

[125]
Als nun der Erb’ ankam, da winkt’ ihm Boas, und jener

Setzte sich ihm zur Seite hin, und Boas berief dann
Zehn der Aeltesten noch des Volkes und sprach zu ihnen:

740
Setzet euch her! und sie setzten sich, und Boas begann nun:

Vom Moabitischen Land ist wieder gekommen Nahemi,
Welcher der Mann dortselbst mit den beiden Söhnen gestorben.
Aber verlassen haben sie hier an Aeckern ein Erbtheil,
Welches nach Israels Sitte der Erben Nächster erstehn soll.

745
Aber es ist kein Erbe näher denn du, und nach dir ich;

Wohl, so sprich vor den Bürgern hier und den Aelt’sten des Volkes,
Willst du Eli Meléchs Erbtheil von der Wittwe dir kaufen?
      Wohl beerben will ich’s! antwortete drauf der Gefragte,
Boas aber sprach: Weß Tags du den Acker gekauft hast,

750
Mußt du Ruth auch nehmen, die Moabitin, die Wittwe

Mahlons, welcher am letzten verstarb, denn so ist die Sitte,
Daß auf das Erbtheil auch ein Name dem Todten erweckt sey.
      Aber der Erbe, der nicht die rosige Fremde beachtet,
Denkend des falschen Götterdiensts im verachteten Moab,

755
Wandte nun lächelnd sich um, und sprach die scherzenden Worte:
[126]
Nein, nicht kauf’ ich’s, denn leicht mir verderben möcht’ ich mein Erbe,

Kaufe nun du’s, ich trete dir gern und vom Herzen mein Recht ab.
      Und in Israel war von Alters her die Gewohnheit,
Daß der Erb’, entsagend dem Erbtheil, dessen zum Zeichen

760
Sich den Schuh auszog und ihn darreichte dem Andern.

Also that nun der Mann und sprach: So magst du es kaufen.
Boas aber sprach zu den Aeltesten und zu dem Volke:
Seyd mir Zeugen deß, daß ich alles habe gekaufet,
Was war Eli Meléchs und alles, was Chilions und Mahlons,

765
Ruth auch nehme zum Weib, die Moabitin, damit ich

Einen Namen erwecken mög’ auf sein Erbe dem Todten,
Und sein Nam’ hinfort aus dem Thore des Orts nicht vertilgt sey,
      Sprach es, und hoch ihn verehrend, begann laut jubelnd das Volk nun:
Deß sind Zeugen wir Alle. Das Weib, das du in dein Haus führst,

770
Mache wie Rahel und Lea der Herr, die beide gebauet

Haben Israels Haus, und es wachse sehr in Ephrata
Und hoch werd’ es hinfort in Bethlehem Juda gepriesen.
      Boas aber ging froheiliges Schrittes zur Hütte,
Wo in seinem Geleit eintrat die Freud’ und der Segen.

775
Demuthsvoll schwieg Ruth und beugt’ ehrfürchtig dem Herrn sich,
[127]
Welcher sie mild aufhob und des trefflichen Weibes sich freute.

Doch mit Zähren der Lust, und nicht des Wortes ermangelnd,
Dankte Nahemi dem Herrscher des Alls und segnete Beide.
Boas führte nun heim, ernst heiter, die blühende Hausfrau,

780
Und sie bracht’ ihm ins Haus der Schätze höchsten, die Liebe,

Die nothwendig und leicht, wie der Saame die goldene Frucht treibt,
Auch die Treu’ erzeugt, die Geduld und die waltende Sorgfalt,
Heiteren Sinn, Liebreiz und was dem Manne zum Heil ist.
Froh auch vergaß Nahemi des Grams bei dem Glücke der Tochter.

785
Kaum vorüber noch floß ein Jahr, da fügt’ es Jehova,

Daß dem Gatten Ruth ein Söhnlein gebar, und Nahemi
Küßt’ inbrünstig das liebliche Kind, und mit ahnender Freude
Legte sie’s auf den Schooß, und sprach: So will ich dich pflegen,
Sorglich und treu bei Tag und Nacht, mein Süßes, mein Liebes.

790
Und dich segne der Herr, und lass’ auf Erden dir’s wohlgehn,

Segn’ auch dein zukünft’ges Geschlecht, und erheb’ es zu Ehren,
Ewiglich bleib’ und immerdar sein herrliches Erbtheil

[128]
Was die Mutter besaß, die Liebe, welche mit Freuden

Sich in Leben und Tod hingiebt, denn sie ist das Höchste.

795
      Also segnete sie das Kind, und was Sie gesprochen

Herrlicher ward es erfüllt, als je es ihr Busen geahnet,
Denn aus solchem Geschlecht entsproßte David, entsproßt’ auch
Er, der göttliche Mensch, der menschliche Gott, der herabkam
Zu erlösen die Welt, und aus Liebe dem Kreuzestode

800
Sich hingab, den erneuerten Bund der Gnade zu schließen.