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Ruhe auf der Flucht (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Ruhe auf der Flucht
Untertitel: Von Ferdinand Bol
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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[Ξ]

The Flight into Egypt.     Die Ruhe auf der Flucht.

[305]
Ruhe auf der Flucht.
Von Ferdinand Bol.

Hat der Beschauer die italienischen Madonnen und heiligen Familien im Gedächtniß, deren Darstellung namentlich bei den Malern des achtzehnten, aber auch unsers Jahrhunderts in [306] ihrer vagen, idealisirten Stereotyp-Manier dem Kritiker und Kenner die ganze Heiligen-Malerei kleinerer Maler verleiden könnte, so wird man im ersten Augenblick sich nur schwer mit der holländischen Naturalistik bei der Darstellung aus der heiligen Geschichte befreunden können. Ein Blick auf dieses Meisterwerk von Bol, Joseph, Maria und das Jesuskind zeigend, wie sie auf ihrer Flucht nach Aegypten in einer öden Landschaft rasten, wird genauer andeuten, was wir meinen.

Hier in der Figur des heiligen Josephs, welcher das Handwerkszeug eines Zimmermanns neben sich haltend, an einem felsigen Abhang zur Hälfte sichtbar sitzt, ein Messer in der Hand noch viel weniger aber in der Gestalt der Mutter Maria, findet man nur einen Anklang an ähnliche Schilderungen durch den Pinsel. Hier ist Naturwahrheit, volle, geistreiche, aber weiter nichts – indeß ist das genug, und wir entbehren mit Vergnügen eine sentimentale Mystik, welche uns Menschen-Götter aus der Empfindung heraus zu schaffen versucht, während eben das Göttlichste im Menschen das unverfälschte Menschliche ist, über welches hinaus weder Gedanke noch Darstellung, streng genommen, reicht.

Diese heilige Familie von Bol fesselt uns, wenn wir sie länger betrachten, unendlich mehr, als hundert Bilder der Italiener, welche den gleichen Stoff behandeln. Auch Claude-Lorrain’s „Flucht nach Aegypten“ mit seiner eigenthümlichen, tiefgedachten, landschaftlichen Symbolik läßt uns kalt im Vergleich zu der Empfindung, welche die arme Jüdin Maria mit ihrem Sohne auf den Knieen in uns erregt. Eben erst hat die Verfolgung der Knechte des Kindermörders von Bethlehem aufgehört; es sind hier die ersten Augenblicke dargestellt, daß die Flüchtlinge vielleicht seit dem frühesten Morgen zum ersten Mal aufathmen können. Maria im Turban und mit orientalischer Physiognomie scheint, den Kopf in die Hand gestützt, fast ohnmächtig; eine Thräne perlt über ihre Augenlider und verdunkelt den Blick des schwarzen Auges, den sie auf ihren sanft schlummernden Sohn wirft. Joseph scheint über sein seltsames Schicksal und über die nächsten Schritte nachzudenken, um dem Feinde zu entgehen. Der abgesattelte Esel keucht noch von dem angestrengten Lauf.

Das ganze Bild ist höchst eigenthümlich, aber ebenso geistreich und wahr, als originell. In mehren Zügen finden wir auf der Stelle die gänzliche, ungenirte Willkür des alten Rembrandt in der Behandlung des Stoffes heraus, und die prachtvolle Malerei, der Zauber der Tinten und namentlich die ungemeine Lieblichkeit und Zartheit des Helldunkels läßt nicht lange darüber in Zweifel, daß wir in Bol einen Schüler, und zwar einen besonders ausgezeichneten des genialen Meisters Rembrandt vor uns sehen.

Bol, etwa im Jahre 1610 zu Dortrecht geboren und zu Amsterdam 1681 gestorben ist, seinen Lebensverhältnissen nach, vollkommen unbekannt; dagegen behaupten seine einfach und mit zartester Naturwahrheit aufgefaßten und vortrefflich ausgeführten Gemälde einen Rang unter den vorzüglichsten Erzeugnissen der holländischen Schule. An Macht der Phantasie stand er seinem Meister sehr weit nach, hat dafür aber auch nicht die Bizarrerien desselben aufzuweisen. Sein Geschmack, obgleich weit entfernt, eine ideale Höhe zu erreichen, ist indeß sehr geläutert und ein großer Vorzug – zugleich für die Ausgezeichnetheit des Seelenausdrucks seiner Figuren zeugend – ist es, daß Bol niemals überflüssige Figuren bringt, gleich Rembrandt und seinen geistvollen oder [307] geistlosen Nachahmern, sondern in wenigen großen Zügen seinen Stoff vollkommen zu erschöpfen weiß.