Robert Hamerling †
[531] Robert Hamerling †. Mit tiefer Trauer wird man in ganz Deutschland die Kunde von dem Tode des hervorragenden österreichischen Dichters aufnehmen, der in Graz nach langem Leiden am 13. Juli in seinem sechzigsten Lebensjahre dahingeschieden ist.
Wie groß ist die Todtenliste der deutschen Dichter des österreichischen Kaiserreichs! Fast droht der Parnaß desselben zu veröden. Die großen und besten Namen gehören nicht mehr den Lebenden an.
Da sind von den dramatischen Dichtern der hochgefeierte Altmeister Grillparzer, der einst die Bühnen beherrschende Friedrich Halm geschieden, und ihre Jünger Mosenthal und Joseph von Weilen sind ihnen, der letztere erst vor wenig Wochen, nachgefolgt. Moritz Hartmann, Alfred Meißner, Karl Beck sind längst gestorben. Und nun auch Robert Hamerling!
Wir haben ein Bild und eine Charakteristik Robert Hamerlings bereits früher gebracht (Jahrgang 1885, Nr. 9), zugleich mit einer Darstellung seines im ganzen wenig ereignißreichen Lebens, das er kurz vor seinem Tode noch selbst in der Schrift „Stationen meiner Lebenspilgerschaft“ skizzirt hat. Auf der Hochwarte der Dichtung, wo die Opferfeuer echter Begeisterung lodern, hat er dauernd seinen Platz behauptet, unbeirrt durch eine Zeitrichtung, welche dem Schwung und den höheren Formen der Poesie sich allmählich immer mehr entfremdet hat; ja es gehört zu seinen Hauptverdiensten, trotzdem die allgemeine Theilnahme für sein Schaffen wachgerufen und festgehalten zu haben und damit auch den Sinn für die weihevollen Schöpfungen der ernsten Muse. Schon seine ersten Dichtungen, „Venus im Exil“ mit ihrer schönheitstrunkenen Begeisterung, „Ein Schwanenlied der Romantik“ und „Ein Germanenzug“, waren voll dahinfluthende Symphonien eines jungen Dichters, der formgewaltig und geistesmächtig über die Grenzen hinausgriff, welche der Dämmerungsflug der österreichische Lyrik gestreift hatte.
Auch die einzelnen Gedichte in „Sinnen und Minnen“ haben diesen höheren Flug zugleich mit kühnen Gedankenverbindungen, Weichheit und Ueppigkeit der Farbengebung.
Den Höhepunkt seines dichterischen Schaffens bezeichnen indeß die Epen „Ahasver in Rom“ und „Der König von Sion“. Hier herrscht Makartsche Farbenpracht und Farbengluth, neben der glühenden Schilderung hinreißender Schwung des Gedankens. Das Rom der Kaiserzeit ist selten mit einer so ausnehmend reichen und glänzenden Phantasie geschildert worden; der Gegensatz zwischen der Todessehnsucht und dem wildesten Lebensgenuß bildet den bedeutsamen geistigen Angelpunkt des Ganzen. Ebenso spricht sich der Reformdrang der deutschen Reformationszeit mit allen wüsten Ausschreitungen im „König von Sion“ heißblütig aus und die Schauspielerei des Kaisers Nero findet in derjenigen des Schneiders Johann Bockold, des Theaterkönigs im „neuen Sion“, ihr Gegenbild.
Was die Kritik auch an der Form dieser beiden Dichtungen aussetzen mag, sie sind reich an genialen Zügen, an Gedanken von großer Tragweite, und durch sie hat sich Hamerling in unserer Litteratur einen dauernden Platz gesichert. Die Revolutionstragödie „Danton und Robespierre“, der griechische Roman „Aspasia“, das aristophanische Lustspiel „Teut“ zeugen für die Vielseitigteit seines Talentes, das nirgends ins Oede und Seelenlose verfiel; seine „Aspasia“ hat sogar zahlreiche Nachahmer gefunden. Seine „Sieben Todsünden“, sein „Amor und Psyche“ sind reich an Schönheiten, die über das Alltägliche durch ihren geistigen Adel hinausreichen; „Homunculus“ mit seinen heinisirenden Anklängen hat bei allem Seltsamen auch viel Tiefes, aber seinen Nachruhm sichern ihm vorzugsweise jene beiden großen Dichtungen.
Mit schmerzlichem Antheil hörte das deutsche Publikum oft genug von Erkrankungen des Dichters; jetzt ist er dahingeschieden und unser Volk klagt am Grabe eines echt deutschen Poeten, der, am Fuß der steiermärkischen Alpen lebend, uns stets die Bruderhand reichte, wie immer die Würfel der hohen Politik rollen mochten. †