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Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Wegefarth

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Wegefarth
Untertitel:
aus: Erzgebirgischer Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 4, Seite 141–142
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1856]
Verlag: Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Wegefarth


liegt 1½ Stunde westlich von Freiberg, an der Strasse nach Hainichen, seinem westlichen Ende nach am rechten Ufer der Striegiss. Es erstreckt sich ⅜ Stunde lang in ostsüdöstlicher Richtung, meist an einem von Kleinschirma kommenden Bächlein hinauf, bis an ein Nadelholz, welches von Kleinschirma es trennt; die Meereshöhe beträgt von 1160 bis 1250 Pariser Fuss; der Thalgrund ist grösstentheils nicht eben flach, aber doch sehr offen – die Gegend nur unterwärts angenehm, und das nahe Striegissthal zum Theil wirklich reizend, wozu freilich die graue Farbe des Wassers nichts beiträgt.

Nur wenige Häuser stehen an dem der Striegiss zufliessenden Kleinschirmer Bache, in welchen oberhalb der Friedrich-Auguststollen ausmündet.

Das zum Orte gehörige tiefer liegende Gehöfte ist eine Mühle mit zwei Gängen.

Weiter aufwärts stösst an die von Freiberg nach Hainichen führende, fast durchaus chaussirte Strasse, das mit Gastgerechtigkeit verbundene Erbgericht. Von da gegen 500 Schritte entfernt, ist der Wirthschaftshof des Rittergutes, sowie das herrliche Schloss, welches auf der Abbildung grossartig hervortritt. Dazu gehört eine schöne Schäferei, und starke Brennerei.

Im Schlosse befindet sich schon seit mehreren Jahren eine Wollspinnerei, der zu Oederan blühenden Fiedler’schen Tuchfabrik.

Das Gebäude ist 3 Etagen hoch und imponirt in Folge seiner Lage ungemein.

[142] Auf der Südostseite des oberen Dorfendes ragen am Thalberge einige Klippen hervor. Weiter im Süden, dem Dorfe Oberschöna nahe, liegen die Halden des Johannes und des hohen Neujahrs. Nächst der Landwirthschaft, treibt ein Theil der Ortsbewohner Woll- und Leinspinnerei. Auch giebt es hier einige Bergleute, die auf der ¾ Stunde nordwestlichen Hoffnung Gottes und auf Zechen bei Braunsdorf Arbeit finden.

In den frühesten Zeiten zinste der Ort an das Magdalenenkloster zu Freiberg 10½ Scheffel Korn und 40 Scheffel Hafer, hat aber demselben nicht mit Gerichten gehört. Die erste uns bekannt gewordene Familie als Besitzerin dieses Gutes ist die Familie von Hartitzsch. Von Melchior Caspar von Hartitzsch kam die Besitzung an die von Berbisdorf auf Forchheim. Durch Verheirathung eines Fräulein auf Berbisdorf mit einem Herrn von Schönberg kam dann Wegefarth im 17. Jahrhundert an das Geschlecht derer von Schönberg und seit dem 18. Jahrhundert an die von Schönberg von der Wingendorf’schen Linie. Bis 1820 besass das Gut der Johannitterritter und Major Maximilian von Schönberg auf Börnichen, Wingendorf mit Hainichen und Wegefarth. Im Jahre 1830 kaufte Wegefarth ein gewisser Herr Mühle, der jetzige Besitzer ist aber Herr Fr. Müller.

Die nahe liegende Kirche des Dorfes Wegefarth ist Filia der zu Oberschöna und hat eine Silbermann’sche Orgel. Unter den Geistlichen von Oberschöna mit Wegefarth ist vorzüglich das Schicksal des M. Johann Pezold bemerkenswerth.

An einem Sonntage des Jahres 1632 nach dem Frühgottesdienst in Oberschöna verbreitete sich auf einmal der Schreckensruf: „Kroaten kommen“. Die Gemeinde floh hastig nach Hause und von da wieder fort gegen Freiberg. Auch dem Pastor blieb nichts übrig, als unverzügliche Flucht, die er zu Fuss nach Freiberg hin versuchte, wo seine Gattin und Kinder bereits in Sicherheit sich befanden. Aber schon in einem dem Dorfe noch nahen Birkengebüsche, erreichten ihn die nachsetzenden Croaten, und ein junger, roher Barbar drückte nach einigem Wortwechsel, auf den Unbewehrten ein Pistol ab, dessen Kugel, die Kinnlade des Getroffenen zerschmetterte und im Halse stecken blieb.

Menschlichen Gefühles säbelte ein alter Schnurrbart den Mörder sogleich nieder und ermunterte zu weiterer Flucht den Prediger der mit schwer verwundetem Blutgesicht, in der Hand die Zähne tragend, bis nach Freiberg wankte, wo er, nach dreissigwöchentlicher schmerzvoller Kur, in der Domkirche eine Dankpredigt hielt.

Der so schwer Geprüfte lebte nachmals noch 32 Jahre und hatte nie auf der Kanzel einen Stuhl oder eine Brille nöthig. Am Pfingstfeste 1665 nahm er in der Kirche zu Oberschöna, wie in deren Filia zu Wegefahrt, von seinen Gemeinden unter Segnungen öffentlichen Abschied, reisste Donnerstags darauf zu seinem Sohne, dem Pastor in Galenz, wo er in Gesellschaft mehrerer Prediger Todesbetrachtungen anstellte.

Er starb im 77. Jahre seines Alters, nach 48jähriger Amtsführung.

Wegefahrt, Börnichen, Wingendorf mit Hainichen, als 3 besondere Rittergutsbezirke, stossen so zusammen, dass sie vereint eine Herrschaft darstellen können und begreifen, ohne das abgelegene Hainichen, an 3000 Bewohner.

Im Südosten von Oberschöna erreicht das Gebirge, welches von Kleinschirma, also aus Norden hierher sanft ansteigt, seine grössste Höhe und fällt dann steil gegen den Michelzer Grund ab. Hier zeichnet sich besonders der Spitzberg durch einige Felsen des reinsten, weissen Quarzes aus, welche an seiner Kuppe zu Tage ausgehen und gewiss ebenso gut, als die ihnen ganz ähnlichen Quarzfelsen auf dem weissen Flinz (am schlesischen Riesengebirge) auf Glas zu benutzen sein würden.

Auf früheren Karten ist Oberschöna zu lang und nicht mit Wegefahrt zusammenstossend gezeichnet.

M. G.