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Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Nickern

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Textdaten
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Autor: Otto Moser
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Titel: Nickern
Untertitel:
aus: Meissner Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 2, Seite 25–27
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Expedition des Albums Sächsischer Rittergüter und Schlösser
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons = SLUB Dresden
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Nickern.


Am Fusse der reizenden Golberoder Höhe, in einem der vielen lieblichen Gründe, welche unterhalb Dresdens die Ufer der Elbe durchziehen, liegt an einem kleinen Bache das Rittergut Nickern, sammt dem Dorfe gleichen Namens. In einem Diplom vom Jahre 1288, worin der Custos des Bisthums Meissen, Conrad von Boruz, die Umgegend Dresdens mit ihren Ortschaften beschreibt, wird auch nebst sechsundzwanzig andern Dörfern „Nicur“ genannt; im siebzehnten Jahrhundert hiess es Nicorn. Der Ort hat in dreiundsechszig Feuerstätten etwa dreihundertzwanzig Einwohner, welche unter gewissen Beschränkungen das Recht haben, freien Mehl- und Brodhandel nach dem eine und eine halbe Stunde entfernten Dresden zu treiben, und sich hauptsächlich von Feldbau, Handwerk, Strohflechten, Strohnähen und Handel mit diesen Fabrikaten nähren. Den freien Verkauf von Mehl und Brod erlangten die Bewohner Nickerns und des nahen Dorfes Lockwitz dadurch, dass sie im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts, wo die Hauptstadt Dresden von einer furchtbaren Pest heimgesucht und von allem äusseren Verkehr abgesperrt war, den unglücklichen Bürgern Brod und Mehl über die Stadtmauer reichten, und durch diese Leben und Gesundheit gefährdende Aufopferung einer Hungersnoth in der verpesteten Stadt vorbeugten. Georg der Bärtige damaliger Landesherr, schenkte und bestätigte ihnen in den Jahren 1522 und 1527 das Recht des freien Brod und Mehlhandels nach Dresden. Im dreissigjährigen Kriege begleiteten Weiber aus Lockwitz und Nickern, die Schürzen mit Steinen gefüllt, die Mehl- und Brodwagen, welche nach Dresden fuhren, und sobald Streifpatrouillen herankamen, um die Wagen anzuhalten, flüchteten sich die Weiber auf und hinter diese, und begrüssten die Soldaten so lange mit einem heftigen Steinregen, bis Bauern oder befreundete Truppen herbeieilten und die Plünderer vertrieben.

Als im Jahre 1680 Dresden abermals von einer Seuche heimgesucht wurde, verbot zwar der Rittergutsbesitzer auf Lockwitz und Nickern den Freihandel nach Dresden zu betreiben, das dortige Gouvernement aber verlangte ihn, und weil es mit Entziehung des Privilegiums drohte, musste man sich fügen und die Brodlieferungen fortsetzen. Da nun aber die Vortheile, welche dieser Handel brachte, die Zahl der Theilnehmer unaufhörlich vermehrte und die dadurch sehr beeinträchtigten Innungen der Dresdner Müller und Bäcker beim Churfürsten mit einer Beschwerde einkamen, so wurde am 15. October 1682 verordnet, dass Lockwitz und Nickern gemeinschaftlich dreissig Freizeichen, und zwar ersteres sechsundzwanzig, letzteres vier, haben sollten. Wird durch Todesfall ein solches Freizeichen vakant, oder auch nur verloren, so muss bei der Herrschaft ein neues gelöst werden. Es besteht in einem kleinen, mit dem Königlichen Wappen und dem Namen des Inhabers gestempelten Bleche. In der Regel überlässt die Herrschaft ein vakantes Zeichen dem Meistbietenden, und der Preis steigt oft bis zu achtzig Thalern, auch ist an die Herrschaft ein Speciesthaler Handelszins abzugeben.

Nickern und das bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts damit vereinigte Lockwitz hatten in dem dreissigjährigen Kriege ungemein zu leiden, und wurden bald von Sächsischen bald von Kaiserlichen Truppen heimgesucht und geängstigt. Der damalige Rittergutsbesitzer, Amtshauptmann von Osterhausen, traf alle nur möglichen Anstalten, die Dörfer vor Raub und Plünderung zu schützen. Er liess eine grosse Schanze aufwerfen, umgab dieselbe mit einem Graben, über welche Zugbrücken führten, verpallisadirte die Eingänge zum Dorfe, liess in die Mauern der Gärten und Häuser Schiessscharten einschneiden und selbige mit Musketen und Doppelhaken besetzen. Die Einwohnerschaft übte der Amtshauptmann selbst in den Waffen, wobei ihm der Rittmeister von Neitschütz auf Röhrsdorf behülflich war, und so gelang es auch wirklich einige Male, streifende Partheien, die einen Anfall wagten, abzutreiben. Endlich mussten jedoch die Bewohner der befestigten Dörfer wegen zu starken feindlichen Andrangs über die Elbe flüchten, so dass nur drei Personen in Lockwitz zurückblieben. Als Pirna von den Schweden eingenommen worden war, kamen die Kriegsvölker in dichten Massen angezogen, so dass der Amtshauptmann sich zu eiliger Flucht veranlasst sah, und nur mit einem Stiefel an den Füssen das Schloss verlassen musste. Während der Schlossherr das Weite suchte, fand ein Reitergefecht zwischen Schwedischen und Oesterreichischen Dragonern, nahe bei dem Lockwitzer Weinberge und der Krähenhütte, [26] statt. Die noch vorhandenen Rechnungen besagen, dass die Soldaten Kirche, Pfarre, Schule und Wohnhäuser gräulich zurichteten, und 1639 wird berichtet, dass vom Sonntage in der Fasten bis auf Pfingsten wegen Kriegsunruhen nichts eingekommen sei, weil das Volk sich verlaufen habe und zerstreuet worden. In derselben Jahresrechnung wird auch der „verfluchten Trautzischen Räuber“ gedacht, die alle Kirchenschlösser zersprengten, (so dass dieselben von dem Schlosser zu Dohna wieder hergestellt werden mussten) und den Gotteskasten ausräumten. So erwähnt auch die Ortschronik einiger Hinrichtungen, die auf dem nahen Galgenberge vollzogen wurden. Im Jahre 1668 starb Anna Maria Müller, die Tochter des Schenkwirths aus Leuben, die ihr uneheliges Kind ermordet hatte, den Tod durch das Schwert, und 1687 erlitt ein gleiches Schicksal eine Müllerin, die ihren Mann mit einem Brodmesser erstochen. 1765 wurde Heinrich Schuster, der Mörder eines Sattlers aus Lockwitz, auf dem Galgenberge gerädert, und 1809 der Brandstifter Richter auf derselben Stelle enthauptet.

Bemerkenswerth ist, dass 1739 zu Nickern der berühmte Instrumentmacher Gottfried Joseph Horn geboren wurde, ein gelernter Müller, dessen Klaviere und Fortepianos häufig nach Russland, Liefland und Amerika, ja selbst nach Afrika gingen. Sein mechanisches Talent entwickelte sich durch Erwerbung der Werkzeuge, Risse und Mensuren des Dresdner Instrumentmachers Schwarze, welche Horn in einer Auction erstand. So baute er im Jahre 1772, ohne die geringste Anleitung, sein erstes Klavier, und während seines Lebens hat er deren fünfhundert hergestellt, die zum Theil noch vorhanden und sehr geschätzt sind. Er starb zu Nickern, wo er stets gewohnt hatte, am 25. December 1797. – – Nickern und Lockwitz gehörten im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert den Herren von Ziegler, welche in Dresdens Umgegend bedeutende Besitzungen hatten. Paul von Ziegler wird im Jahre 1411 genannt, und von seinem Enkel kamen die Güter an die Alnpecke, eine Ungarische Familie, welche sich um das Jahr 1450 wegen des Bergbaues nach Sachsen gewendet hatte. Stephan Alnpeck, 1458 Rathsherr und von 1473 bis 1488 Bürgermeister zu Freiberg, stiftete in der dasigen Domkirche nebst etlichen geistlichen Lehen die Alnpeckische Capelle, in der er auch Freitag nach Kunigunden 1489 zur Ruhe gebracht wurde. Georg Alnpeck auf Lockwitz und Nickern war ebenfalls Bürgermeister zu Freiberg, Fürstlicher Rath, Münzmeister und Zehndner. Im Jahre 1520 gab er sein Bürgerrecht auf, zog auf sein Freihaus und starb 1523. Er liegt in der Alnpeckschen Capelle zu Freiberg begraben. Seine Muhme, Ottilie Alnpeck, Tochter des Freibergischen Amtmanns Stephan Alnpeck, wurde von dem Junker Martin von Minkwitz während der Predigt entführt und auf das Schloss Brix gebracht, wo er sich unverzüglich mit ihr vermählen liess, und dadurch die erbitterte Familie der Braut zur Versöhnung zwang.

Wenzel Alnpeck war 1536 Fürstlicher Zehndner und führte die Rechnungen bis 1542, wo Hans Röling an seine Stelle kam. Nach ihm wird Andreas Alnpeck genannt, der das Amt eines Münzmeisters bis 1556 versah, (in welchem Jahre die Münze nach Dresden kam) und auch das Bürgermeisteramt verwaltete. Bei einem Aufruhr in Freiberg war er in grosser Gefahr sammt einigen anderen beim Volke nicht beliebten Rathsherren aus dem Fenster des Rathhauses herabgestürzt zu werden. Peter Alnpeck starb 1563, und wurde ebenfalls in der Erbgruft seiner Familie begraben. Valentin Alnpeck war Vorsteher des Almosenkastens und Schulinspector zu Freiberg und ging 1599 im siebenundsiebenzigsten Jahre seines Lebens mit Tode ab. Der letzte Besitzer von Lockwitz und Nickern aus dem Geschlecht der Alnpecke, war Ernst Albrecht Alnpeck, von dem die Güter 1620 an Johann Georg von Osterhausen auf Reinhardsgrimma, Churfürstlich Sächsischen Hofmarschall, Oberkammer- und Bergrath, gelangten. Dieser Herr hat sich um Nickern und Lockwitz viele Verdienste erworben und ist Erbauer der Ortskirche, welche er zugleich aus eigenen Mitteln anständig dotirte und mit allen Nothwendigkeiten versah. Er starb am 1. November 1627, und fand seine Ruhestätte in der Sophienkirche zu Dresden. Von den beiden Söhnen Johann Georgs von Osterhausen bekam Oberlockwitz der Kammerherr und Amtshauptmann der Aemter Dippoldiswalde, Tharand und Altenberg, Johann Georg von Osterhausen, ein Mann, der durch Reisen und Studien seinen Geist vielfach gebildet und den Churfürsten Johann Georg I. häufig auf Feldzügen begleitet hatte. Von ihm rühren einige Stiftungen her und sein Tod erfolgte am 12. Juni 1670; Niederlockwitz und Nickern erbte sein Bruder Hans von Osterhausen, Churfürstlich Sächsischer Kammerherr, der 1683 durch Kauf in den Besitz von Oberlockwitz kam, nachdem er Niederlockwitz 1680 und Nickern 1682 verkauft hatte. Er starb am 14. September 1686.

Nickern war durch Kauf an den Dr. Gottfried Wiessner, Churfürstlich Sächsischen Rath und Leibmedicus zu Dresden gelangt, der hier ein sogenanntes Gesundheitsbier braute, das weithin verfahren wurde und in der Gegend sehr beliebt war. Wiessner starb im rüstigsten Mannesalter, sechsundvierzig Jahre alt, am 2. November 1686, und liegt in der Nickernschen Erbgruft in der Kirche zu Lockwitz begraben. Nach ihm besass Nickern, Carl Rudolph von Karlowitz, Kaiserlicher Majestät, wohlbestallter Hauptmann und Churfürstlich Sächsischer Kriegscommissarius, der indessen das Gut nicht lange behielt, indem er es bereits 1691 an den Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Geheimen Staatsrath Christoph Dietrich von Bose auf Mölbitz und Frankenleben verkaufte, welcher nach einer vierundfunfzigjährigen Dienstzeit 1708 im achzigsten Lebensjahre verschied. Nickern kam jetzt an des verewigten Staatsraths ältesten Sohn, den Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Oberhofmeister und Domprobst zu Meissen, Hans Balthasar von Bose, der jedoch schon 1712 seinem Vater in das Grab folgte, und Nickern seinem Bruder dem Königlich Polnischen und Churfürstlich Sächsischen Obristlieutnant, Gottlob Sigismund von Bose hinterliess, welcher im fünfundvierzigsten Jahre seines Alters 1723 an einem Schlagfluss starb. So erhielt Nickern der dritte Bruder, Wolf Dietrich von Bose, Königlich Polnischer und Churfürstlich Sächsischer Appellationsrath und Assessor des Oberhofgerichts in Leipzig, wie auch Fürstlich Sachsen-Merseburgischer Geheimerath, welcher um das Jahr 1740 mit Tode abging. Fast ein Jahrhundert noch blieb Nickern im Besitz der Boseschen Familie, und gehörte sogar bis in die neueste Zeit zu den Majoratsgütern derselben; jetzt aber ist Eigenthümer von Nickern, Herr Georg Ernst Wilhelm Rühle.

Bis zum Anfange des siebzehnten Jahrhunderts waren Nickern und Lockwitz in das eine Stunde entfernte Leubnitz eingepfarrt. Bis zur Reformation stand zwar in Lockwitz, nahe am Schlosse eine mit zwei Altären versehene [27] uralte Capelle, in welcher der Pleban der Leubnitzer Kirche bisweilen Meses zu lesen verpflichtet war; dieselbe lag aber vom Jahre 1538 an wüst, bis 1623 der Hofmarschall von Osterhausen sie zu renoviren beschloss. Er suchte daher beim Oberconsistorium um Auspfarrung der Gemeinde aus Leubnitz nach, und als er dieselbe erhalten hatte, wurde ein Recess aufgerichtet. Die Capelle erhielt neuen Kirchenschmuck, und der Hofmarschall legirte zur Unterhaltung des Pfarrers und Schullehrers ein Kapital von dreitausend Gülden. Am 1. October 1623 wurde das erneute Gotteshaus eingerichtet, wobei der Superintendent zu Dresden, Dr. Aegidius Strauch, in Gegenwart einer grossen Anzahl von Geistlichen und Adelspersonen die Festrede hielt, und der Gemeinde ihren neuen Pfarrer M. Gabriel Ursinus vorstellte, einen Geistlichen der wegen religiöser Verfolgung aus Böhmen nach Sachsen geflohen war.

Obgleich nun damals die neue Kirche hinreichenden Raum bot, so veranlasste doch die anwachsende Bevölkerung einen Anbau, welcher 1667 nach dem Schlossgarten hin vorgenommen wurde. Aber auch diese, freilich unbedeutende Vergrösserung der Kirche reichte nicht aus, deshalb entschloss man sich zu einem gründlichen Neubau. Man begann mit Abtragung des alten steinernen viereckigen Thurmes, welcher hinter der Kirche stand, und erbaute einen neuen auf dem hartanstossenden Herrenhause. Im Jahre 1703 war das neue Gotteshaus vollendet. Bei dem Bau machten sich der Geheimerath von Schönberg, welcher sich seit dem Jahre 1692 im Besitze von Ober- und Niederlockwitz befand, sowie dessen Gemahlin, Sabine Elisabeth geborne von Maxen, durch vielfache Unterstützungen und Spenden an die Arbeitsleute sehr verdient, und gestatteten zugleich, dass bis zur Vollendung der Kirche der Gottesdienst in einem grossen Zimmer des Schlosses abgehalten werden durfte. Von einem Legate, welches die Geheimräthin von Schönberg damals stiftete, beziehen die Zinsen der Pfarrer und Schulmeister zur einen und die Kirche zur anderen Hälfte.

Die Furie des siebenjährigen Krieges schwang ihre Jammer und Elend verbreitende Geissel auch über die hiesige Gegend. Durch den Uebermuth Preussischer Soldaten gingen nebst einigen Bauerngütern 1756 Pfarre und Schule, und mit ersterer alle kirchlichen Nachrichten in Flammen auf. Die Pfarrwohnung war ursprünglich ein Bauerngut, welches bei Gründung der Kirche von dem Hofmarschall von Osterhausen angekauft, baulich verändert und dem Pastor überlassen wurde.

Die Kirche zu Lockwitz ist ein schönes Gebäude, das mit dem Schlosse zusammenhängt, und eine von dem berühmten Silbermann erbaute Orgel besitzt. In derselben hängt das Bildniss des am 1. November 1627 verstorbenen Hofmarschalls, wie er auf dem Paradebette liegt. Neben den Bilde ist eine Tafel angebracht, welche Nachrichten über die Erbauung der Kirche enthält. – Der Gottesacker befindet sich hinter der Kirche und zeichnet sich durch treffliche Denkmäler aus: 1673 wurde er durch Ankauf eines Stücks Feld vergrössert. – Der Collator der Kirche und Schule ist der jedesmalige Rittergutsbesitzer auf Lockwitz. Unter den Legaten befindet sich eines vom Jahre 1703, nach dem die Zinsen eines von Martin Heger in Nickern geschenkten Capitals von hundertfunfzig Gülden an die Ortsarmen ausgetheilt werden.

Otto Moser, Redact.