Richters Kaffehaus in Leipzig (1791)
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Großer Sänger vom Olympus,
Prinz Apoll, sey mal so gut
Leih mir Deine goldne Leyer,
Und beseel mit Deinem Feuer
Meiner Dichterader Blut!
Einen Gegenstand zu singen,
Den, so lang er existirt,
Nie ein Dichter noch besungen
Fühl ich mächtig mich gedrungen,
Von den Musen inspirirt!
Denn vor allen andern zeichnet
Dieser Gegenstand sich aus,
Und verdient ein Lied – drum klinge
Hoch, mein Saitenspiel! – ich singe
Richters großes Kaffehaus.
Als der Tempel des Vergnügens
Das an keinen Zwang sich kehrt,
Wird diß Freyheitshaus von allen
Punsch- und Wein- und Biervasallen
Tief und drey mal tief verehrt.
Wer diß Haus besucht, (besonders
In der Meßzeit) weiß, daß man
Recht nach Herzenslust, mit wenig
Kosten, wie ein kleiner König
Sich darinn vergnügen kann.
Steifheit, Zwang und Komplimente
Sind darinnen Kontreband;
Da giebts keinen Freiheitswürger:
Edler, Künstler, Kaufmann, Bürger,
Machen sämmtlich einen Stand.
Wer gesittet ist, und reinlich
Angezogen kömmt, der wird
Gut empfangen – sey er Stutzer,
Vornehm oder Lampenputzer,
Seelen- oder Gänsehirt.
Auch der Schönen, welche gerne
Sich in Ehren lustig macht,
Gönnet dieses Haus ein Plätzchen,
Und man zecht mit seinem Schätzchen
Ungenirt, und scherzt und lacht.
Alles, was nur zum Vergnügen
Der Gesellschaft beiträgt, ist
Hier zu finden; – kurz zu sagen:
Niemand darf darüber klagen,
Daß er irgend was vermißt.
Selbst der finstre Freudenhasser
Wird hier munter, scherzt und dahlt; –
Hier muß Gram und Schwermuth schweigen;
Denn der Himmel hängt voll Geigen,
Wären sie auch nur gemahlt![1]
Aber desto lauter jubelt
Ein gewähltes großes Chor
Kunstgeübter Musikanten
In unnennbar’n, unbekannten
Tönen, hohe Lust ins Ohr.
Ha! bey solchen Zaubertönen
Leert man fleißig den Pokal,
Den kein Mismuth hier verbittert;
Denn ein freudig Beben zittert
Simpathetisch durch den Saal.
Für den Menschenforscher öfnet
Sich auch hier ein weites Feld.
Viele Menschen aus sehr fernen
Ländern kann er kennen lernen
Ohne einen Dreyer Geld.
Christen, Juden, Türken, Heiden
Leben froh, wie Brüder hier. –
Dieser raucht ein Pfeifchen Knaster;
Der verzehrt ein Magenpflaster;
Jener trinkt ein Fläschgen Bier.
Noch ein andrer trinkt sich selig
Durch ein Dutzend Gläser Punsch;
Und aus vollen Rheinweinflaschen
Seine Kehle sich zu waschen,
Stillt ein fünfter seinen Wunsch.
Dort bläht sich ein Polyhistor,
Rings mit Zeitungen verschanzt. –
Um die Billiardtafeln werden
Von geschäft’gen Spielerheerden
Alle Touren durchgetanzt.
Und die vielerley Gesichter
Durch einander – hager, fett,
Platt, und rund, und bald ovaler –
O! diß wär für einen Mahler
Ein erwünschtes Quodlibet!
Und die Krone alles dieses
Ist die Ordnung, Reinlichkeit,
Und die Promtheit im Bedienen,
Höflichkeit in Wort und Mienen,
Und im Zahlen Billigkeit.
Kurz! diß Kaffehaus ist einzig;
Einzig ganz in seiner Art,
Weil in dessen heil’ger Mitte
Freiheit sich und gute Sitte
Unter Richters Aufsicht paart!
Nun diß Kaffehaus sey Leipzigs
Zierde viele Jahre noch! –
Lange seh sein Hausherr Richter
Tausend fröhliche Gesichter
Aus- und eingehn! Vivat! hoch!!!
- ↑ An der Decke des Saals.