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Rettungsstationen an deutschen Küsten

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Titel: Rettungsstationen an deutschen Küsten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 811–814
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aufruf zur Spende und Beschreibung der Vorgehensweise eines Rettungseinsatzes
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[811]
Rettungsstationen an deutschen Küsten.
Eine Mahnung an die deutsche Nation.

Es ist bereits im November 1860 öffentlich von dem bremischen Hafenstädtchen Vegesack aus der Plan in Anregung gebracht worden, „im Wege des Aufrufs an die gesammte deutsche Nation deren Wohlthätigkeitssinn für Errichtung von Rettungsstationen an den deutschen Nordseeküsten zu erwecken.“

Nur der traurigen Zersplitterung unseres Vaterlandes ist es zuzurechnen, daß auch nach der angegebenen Richtung hin für Deutschlands Küsten noch nichts geschehen ist.[1] Die Nordsee, soweit sie nicht deutsch ist, bietet dem mit der Wuth der Elemente ringenden Seemanne überall die Möglichkeit einer Rettung. Selbst Dänemark zeichnet sich wenigstens in dieser Hinsicht vor den Deutschen aus. Und wenn der englische Seemann sich den Küsten seines Vaterlandes nähert, so weiß er, daß auch in furchtbarer Wetternacht offene Augen für ihn wachen; kehrt der deutsche Seemann oder Reisende heim, so muß er befürchten, selbst angesichts der Küsten seines eigenen Vaterlandes noch elendiglich umzukommen, weil die unselige innere Zersplitterung und der Particularismus desselben es unfähig macht, von Staatswegen auch nur die allernothwendigsten Vorkehrungen zu seiner Rettung zu treffen.

Wenn es nun auch natürlich ist, daß die ersten Schritte zu einem Unternehmen, welches hier Abhülfe bringen soll, von den Bewohnern der deutschen Uferstaaten ausgehe, so ist die Sache selbst doch ihrer Natur nach eine nationaldeutsche, wie irgend welche andere. Denn ist es nicht die Pflicht Aller, zur Rettung derjenigen nach Kräften beizutragen, welche unter unablässiger Mühe und stetem Wagniß ihres eigenen Lebens die Vermittler sind der Segnungen, welche durch die Seefahrt sich auch über ganz Deutschland verbreiten? Befindet sich nicht unablässig eine bedeutende Zahl auch von Binnenländern als Passagiere oder Auswanderer auf der See? Und ist es für ein deutsches Herz gleichgültig, wenn es nach einem Blick über die civilisirten Nationen Europa’s wahrnimmt, daß gerade Deutschland wiederum dieser großen Pflicht der Humanität einzig nicht genügt, während der Engländer, der Franzose, der Holländer, ja selbst der Däne, seine Küsten mit Rettungswerken überall versehen hat?

Die unaufhörlichen Hülferufe, welche unsere Zeitungen bringen, wenn Feuersbrünste oder Ueberschwemmungen irgendwo im deutschen Vaterlande oder auch auswärts stattgehabt, bezeugen dagegen durch ihren Erfolg noch stets in erhebender Weise den Wohlthätigkeitssinn unserer Nation. Und dennoch ist die Wohlthätigkeit, wenigstens soweit das Element des Feuers die Zerstörung schuf, vielleicht nicht einmal am rechten Platze. Die gemeinnützigen Unternehmungen aller Art, welche heutzutage so recht zum Wohle der Menschheit geschaffen sind, Versicherungsanstalten oben an, machen den zu einem Fahrlässigen, welcher versäumt, gegen eine geringe Leistung seinem Besitzthume denjenigen Schutz angedeihen zu lassen, [812] ohne welchen er dasselbe einem gänzlichen Ruine ausgesetzt weiß. Bei den Anstalten zur Rettung aus Seegefahr dagegen wird der edle Zweck durch keinen, wenn auch noch so geringen, Nachtheil des Mittels beeinträchtigt, und auch darum hoffen wir, daß sich mit der Zeit der Wohlthätigkeitssinn aller Deutschen bei diesem Unternehmen mit allem Nachdruck bethätigen werde.

In dem von Vegesack aus erlassenen Aufruf an die gesammte deutsche Nation ist angedeutet worden, daß man s. Z. detaillirten Bericht und Vorschläge über diesen Gegenstand mittheilen würde. Während der Aufruf da, wo das Bedürfniß von Rettungsstationen am lebhaftesten gefühlt wurde, das erfreulichste Resultat gefunden, in Ostfriesland mit der Bildung eines allgemeinen Rettungsvereins für die dortigen Küsten zu Emden, auch zu Hamburg und an einigen anderen Plätzen mit der Bildung von Comité’s wenigstens ein Anfang in der Sache gemacht ist: scheint man

Rettung durch den Raketenapparat. Verbindung mit dem Schiff mittels der Raketleine.

in Bremen mit der Inangriffnahme der Sache zu zögern, weil man sich durch das Gutachten eines einzelnen Seemannes, „die Sandbänke und Riffe der Nordsee, auf denen die Strandungen meistens vorkämen, seien von der Küste zu weit entfernt, als daß Rettung dahin gebracht werden könne, auch beim Vorhandensein geeigneter Rettungsboote sei die seekundige Bevölkerung der Inseln so schwach, daß es an Mannschaft zur Bedienung mangeln würde,“ wie es scheint, gänzlich hat zurückschrecken lassen. Es stehen diesem Gutachten aber Erklärungen anderer tüchtiger, der Nordseeküsten kundiger Seeleute direct entgegen, und es versteht sich von selbst, daß bei einem Unternehmen, welches auf die Rettung von Menschenleben abzweckt, große, ja die größten Hindernisse und Schwierigkeiten überwunden werden müssen! Daß die Schwierigkeiten an den englischen Küsten nicht geringer gewesen sind, als an den deutschen, ist wohl überflüssig zu erwähnen. Wären sie aber auch tausendfach schwieriger gewesen, der Engländer würde sich niemals durch bloße Muthmaßungen von der Ausführung haben zurückschrecken lassen.

Bei der gemeinnützigen Natur der Sache selbst und ihrer nationalen Bedeutung, namentlich aber um die Anregung zur Ausführung derselben möglichst allgemein zu machen, folgen hier nunmehr diejenigen Andeutungen und Vorschläge, welche auf Grund des vorhandenen Materials überhaupt gegeben werden können. Es muß demzufolge dem Urtheile Sachverständiger und der Kritik im Allgemeinen vorbehalten bleiben, etwaige Irrthümer aufzudecken, etwaige Mängel auszufüllen. Natürlich wird jeder Wink darüber und jede Besprechung, auf welchem Wege sie auch geschehen mag, mit Dank entgegengenommen werden.

Das einzige ausreichende und brauchbare statistische Material über die Unglücksfälle zur See, sowohl in Bezug auf die Fahrzeuge als in Rücksicht auf den Verlust oder die Rettung von Menschenleben, bieten die Erfahrungen der Royal national life boat institution in England. Selbstredend geben diese nur Kunde von den Ereignissen an den Küsten Großbritanniens. Nach Ausweis derselben war das Jahr 1859 (über das verflossene Jahr liegen die officiellen Berichte hierorts noch nicht vor, doch übersteigt dasselbe das vorhergehende in seinen Schrecknissen sicherlich) bis dahin das schiffbruchreichste in der englischen Geschichte. Es hat 1645 Menschenleben und Eigenthum für nahe an zwei Millionen Pfd. St. verschlungen. Bei dieser Entsetzen erregenden Zahl ist freilich zu erwägen, daß England der Mittelpunkt des Welthandels ist, daß es als solcher die größte Zahl Kauffahrer beschäftigt und von allen Theilen der Erde wie ein Magnet an sich zieht; daß im Jahre 1859 allein 300,580 Fahrzeuge von 31,712,500 Tonnen Gehalt in britischen Häfen ein- und aus denselben wieder ausliefen, daß sich über eine Million Menschen auf diesen Schiffen in die See hinauswagte, und daß die Küsten Englands zu den gefährlichsten Europa’s gehören. Dazu kommen noch besondere Unglücksmomente: die heftigen Stürme im Herbste 1859, die allein den Tod von 798 Menschen veranlaßten; sowie der Untergang des „Royal Charter“ mit 446, der „Pomona“ mit 424 und des „Blenvic Castle“ mit 56 Personen.

So fürchterlich nun jene Jahre auch den Schiffen gewesen sind, so ist es doch ein Trost, aus den officiellen Nachrichten zu erfahren, daß namenloses Unglück durch den Verein für Rettungsboote und andere zur rechten Zeit angewandte Rettungsmittel verhütet worden ist. Allein im Jahre 1859 wurden 2233 Personen dem sicheren Tode durch Rettungsboote, Raketenapparate und dergleichen entrissen; im Ganzen sind seit 36 Jahren nicht weniger als 11,401 Menschenleben gerettet worden!

Anders ist’s in Deutschland. – In Deutschland existirt leider eine Statistik über diese Ereignisse gar nicht, und wer und wie viel Mitmenschen an den deutschen Küsten umgekommen sind, darüber breitet sich, wie über so manche andere deutsche Angelegenheit, [813] ein schwer zu lüftender Schleier. Es muß hier zunächst die durch einzelne notorische Fälle gerechtfertigte Muthmaßung genügen, daß auch schon Tausende angesichts der deutschen Küsten einem Tode erlegen sind, der heutzutage in jedem einzelnen Falle gewiß nicht zur Ehre Deutschlands gereichen kann, nachdem andere Nationen seit 37 Jahren leuchtende Beispiele gegeben haben, wie dem tödtenden Elemente wenigstens der herbste Stachel zu brechen sei.

Wir geben den Lesern zunächst eine Anschauung der Art solcher Rettungen, die wir durch zwei Illustrationen erleichtern. Die eine zeigt, wie mittelst des Raketenschusses eine Verbindung durch eine Leine mit dem bedrohten Schiff hergestellt wird, und die andere stellt die Beförderung der Personen an das Land dar, und zwar mittels der „Schlinge“ oder „Länge“ (s. unten 4).

Den Raketenapparat zu beschreiben, ist unnöthig; wir gehen gleich zum Boote über. Ein gewöhnliches Rettungsboot, wie sie am

Beförderung an das Land mittels der „Schlinge“.

häufigsten und namentlich an Ufern, welche denen unserer Nordsee ihrer natürlichen Beschaffenheit nach am nächsten kommen, gebraucht werden, ist 26 Fuß lang, 61/2 Fuß breit, 21/2 Fuß tief, aus tadellosem Holzmaterial und durchweg solide gebaut. Inwendig befinden sich sowohl am Boden, wie unter den Sitzbänken Reihen luftdicht verschlossener, kupferner Kasten. Dabei hat das Boot einen flachen eisernen Kiel von solcher Schwere, daß dasselbe, falls es umschlägt, sich von selbst wieder emporrichtet, vermittelst der luftdichten Kasten sich hebt und aus einem am Boden angebrachten Auslauferohre (Ventil) das ausgeschöpfte Wasser in sehr kurzer Frist wieder abgiebt. Unter Wasser ist der Bau schärfer als vorn, denn dies fördert die Leichtigkeit des Ganges. Das Gewicht des Bootes beträgt ungefähr 2000 Zollpfund, der Tiefgang 81/2 Zoll.

Die Bemannung eines englischen Rettungsbootes besteht aus einem Bootsmann, dessen Stellvertreter, einem Bugmanne und so viel Ruderern, als das Boot Riemen führt. Die Bemannung bilden Matrosen und Fischer, die in der Regel am Strande sind. Die Boote dienen nur zur Rettung von Menschenleben; Güter dürfen darin nicht geborgen werden. – Für gewöhnlich steht das Boot völlig ausgerüstet in seinem Schuppen auf einem mit mechanischem Apparate versehenen Fuhrwerke. Ereignet sich ein Schiffbruch in einiger Entfernung von der Station, so wird das Boot mit der Mannschaft auf dem Fuhrwerk durch Pferde längs der Küste so weit nöthig und möglich transportirt. Durch Herausziehen eines eisernen Bolzens klappt der obere Theil des Wagens nach der See zu nieder, und das Boot mit der Mannschaft rutscht von selbst in’s Wasser. In jedem Bootshause befinden sich Instructionen über die Behandlung anscheinend Ertrunkener, nebst allen erforderlichen Medicamenten und Apparaten. – Der Bootsmann auf jeder Station führt ein Journal über alle Dienste des Boots, über die Namen der Schiffe und der geretteten Personen und muß nach jedem Vorfall sofort an das Centralgouvernement in London Bericht abstatten.

Wir müssen die specielle Aufzählung der vielen Bestandtheile und Bedürfnisse eines solchen Rettungsbootes hier unterlassen. Außer dem Rettungsboote und dem Raketenapparate oder Mörser ist (nach Giersberg’s Instruction) zur Lebensrettung bei einem Schiffbruch an Werkzeugen Folgendes unentbehrlich: 1) Eine dünne Leine (Wurfleine, Raketleine), die an einem Ende an ein Kabeltau befestigt und von der Rakete (oder dem Mörser) geschleudert wird. 2) Ein Tau (Kabeltau) von 3 bis 31/2 Zoll Stärke und 40 bis 120 Faden Länge, je nach der Steilheit oder Flachheit des Ufers. 3) Eine dünne Leine von Manilahanf, ungefähr 11/2 Zoll dick, durch einen einzigen Schwanzblock gezogen und wenigstens zweimal so lang, als die Entfernung vom Ufer zum Wrack beträgt: sie wird durch Aneinandersplitzen ihrer Enden in ein endloses Tau verwandelt. 4) Eine Schlinge („Länge“), Floß, Korb oder sonst ein Gefäß zur Aufnahme der zu rettenden Personen. 5) Ein sogenannter „Reisender“ („Kinnbackblock“), der, an der Schlinge befestigt, auf dem Spanntaue hin und her läuft. 6) Ein Doppelblock, um das Tau straff zu spannen. 7) Ein Anker mit einem Spaten, um ihn in die Erde oder den Sand senken zu können und das Spanntau mittels des Doppelblocks an denselben zu befestigen. Ist das Ufer nicht für den Anker geeignet, so nimmt man als Ersatz desselben eine 5 bis 6 Fuß lange Planke, welche man 4–5 Fuß tief eingräbt und an die man das Tau in ähnlicher Weise mittels des Doppelblocks befestigt. 8) Eine rothe Flagge für den Tag, eine farbige Laterne für die Nacht, als Signale. 9) Einige Spaten, eine Handkarre, eine Rettungsboye, einige Extrastücke Tauwerk für Nothfälle, einige Räder oder Sparren, letztere, um an flachen Ufern als Triangel benutzt zu werden, damit das Tau darüber höher läuft und dadurch über der Wasserfläche erhalten werden kann.

[814] Sobald ein Schiff in erreichbarer Nähe von der Küste in Gefahr erscheint, kommt der Raketenapparat zur Anwendung. Gelingt es nicht beim ersten Wurf, die Leine nach dem Schiff zu führen, so wird sie sofort wieder eingeholt, zugleich auf die Erde in oblongen Buchten gelegt, so daß diese in derselben Richtung liegen, wie geworfen wird. Man nimmt an, daß ein solcher Raketenapparat in der Regel auf eine Entfernung von 400 Ellen ausreicht. Ist es gelungen, die Leine nach dem gestrandeten Schiff zu werfen, und ist sie von der Mannschaft ergriffen worden, so wird (nach Giersberg’s Darstellung der englischen Rettungsweise, die uns hier vor der Hand noch maßgebend ist) irgend ein bestimmtes Signal gegeben. In England tritt ein Mann der Bedienung seitwärts und schwenkt, also getrennt von den Anderen, seinen Hut, oder die Hand, oder eine Flagge. Bei Nacht wird eine Rakete von blauem Lichte oder ein Kanonenschuß abgefeuert oder ein Licht nach dem Deck des Wracks gezeigt und nach kurzer Zeit wieder verdeckt (Blickfeuer). Sobald dieses Signal am Ufer gegeben ist, wird das dem Lande zustehende Ende der Wurfleine an die oben unter 3) genannte Leine von 11/2 Zoll Stärke (das endlose Tau) befestigt, indem man sie etwa 2 Faden von dem durchscharten Block umschlingt. Hierauf giebt abermals einer der Leute am Ufer, getrennt von den Anderen, ein bestimmtes Signal. In England schwingt er bei Tage eine kleine rothe Flagge oder zeigt Nachts ein rothes Licht, welches er nach ungefähr einer Minute wieder bedeckt. Bei Anblick dieses Signals wird die Mannschaft eines Wracks, welche nicht ohne alle Kenntniß der Instructionen solcher Rettungsapparate herumfährt, die Wurf- oder Raketenleine anholen, bis sie das Tau ohne Ende und den daran befestigten geschwänzten Block erreicht hat; dann befestigt sie den Schwanz des Blocks an einen sicheren Theil des Schiffs, wirft die Wurfleine ab und giebt wo möglich ein ähnliches Signal für die Leute am Lande, die nun das Tau ohne Ende bemannen, das Verbindungstau etwa 3–4 Faden von seinem Ende um jenes schlingen und es durch das Tau ohne Ende an Bord befördern. Sobald die Mannschaft des Wracks dieses Tau ergriffen hat, befestigt sie es an dem Wrack ungefähr 18 Zoll über der Stelle, wo der Schwanz des Blocks sich befindet, und trennt hierauf das Verbindungstau von dem Tau ohne Ende. Nun giebt man abermals das obige Signal, worauf der sogenannte „Reisende“ (vergl. oben Nr. 5.) mittels des Taus ohne Ende an Bord gebracht wird. Ist dieser „Reisende“, eine gegen Abgleiten vom Seil geschützte Rolle, mit einer Vorrichtung verbunden, an der die „Schlinge“ (oben Nr. 4) befestigt wird, an Bord angekommen, so sind alle Vorbereitungen zur Rettung der Menschenleben vollendet. Man befestigt eine Person (stets wird mit den Frauen und Kindern der Anfang gemacht) in die Schlinge (auf unserm Bilde ein Korb) und giebt das Signal, die Leute am Ufer handhaben das Tau ohne Ende und holen so den ersten Geretteten an das Land. Sobald die Schlinge wieder frei ist, wird sie durch das Tau ohne Ende wieder an Bord gezogen, und so wiederholt sich die Manipulation, bis alle Mannschaft des Wracks am Lande ist. Das ist die Operation, wenn das Wrack an einer Stelle des Strandes liegt, wo das Boot wegen Untiefen oder zu starker Brandung nicht in Anwendung kommen kann. Wo dies nicht der Fall ist, tritt das Rettungsboot in seine rascher fördernde Wirksamkeit, für das Ankerleine und Kabelleine eine Sicherheitsthätigkeit entfalten, deren nähere Beschreibung uns hier zu weit führen würde.

Es ist natürlich, daß schon Tages- und Jahreszeit bedeutende Unterschiede in die Weise der Rettung bringen und daß das Maß der Mühen und Gefahren für die Rettungsmannschaft selbst hiernach ein sein verschiedenes ist. Trotz alledem leben an den deutschen Küsten allenthalben Männer, die der Gefahr so trotzig entgegentreten, wie die Leute auf Albions Kreidefelsen; man gebe ihnen nur erst die Mittel, um diesen edelsten Trotz zu bewähren.

Sollte dies dem großen Deutschland zu viel zugemuthet sein? Man prüfe!

Das ganze Unternehmen solcher Rettungsstationen theilt sich in zwei verschiedene Theile. Als erster wird die Herbeischaffung des Capitals, als zweiter die technische Ausführung und die Organisation der Verwaltung anzusehen sein.

Wir wenden uns zunächst dem Kostenanschlage und den Vorschlägen zu, welche wir auf Grund des englischen Materials zu machen haben.

Zur Herstellung eines Rettungsbootes von 26 Fuß Länge mit 30 Rudern, nach dem anerkannt besten Principe, nach welchem jetzt die meisten englischen Boote erbaut sind, sowie mit vollständigem Inventar, würde in England ein Kostenaufwand von 234 Pfd. Sterl. = 1404 Ld’or-Thlr. erforderlich sein.

Die Haltbarkeit, resp. Diensttüchtigkeit eines solchen Bootes wird durchschnittlich auf 30–40 Jahre berechnet. Da es nun rathsam erscheint, zunächst mit fünf Stationen den Anfang zu machen, nämlich am Weserleuchtthurm, auf Wangerooge, Norderney, Borkum, Helgoland, je 1 Boot, so würde zur Erbauung dieser fünf Boote die Summe von 7020 Ld’d’or-Thlr. erforderlich sein.

Zur Aufbewahrung der Boote kommt für jede Station ein Bergeschuppen etc. à. 500 Ld’or-Thlr. = 2500 Ld’or-Thlr., ein Wagen mit mechanischer Vorrichtung für den Transport der Boote, à. 300 Ld’or-Thlr. = 1500 Ld’or-Thlr.; also ist zur Errichtung der Boote an fünf Stationen ein Capital von 11,020 Ld’or-Thlr. zu beschaffen.

Die jährlichen Betriebs- und Verwaltungskosten würden sich ferner belaufen auf 1) für Unterhaltung und Reparatur der Boote, je 1 Boot 120 Ld’or-Thlr. = 600 Ld’or-Thlr. 2) für Verwaltungskosten, Gehalte à. 250 Ld’or-Thlr. = 1250 Ld’or-Thlr. 3) für Besoldung der Mannschaften à. 150 Ld’or-Thlr. = 750 Ld’or-Thlr. Summa 2600 Ld’or-Thlr., welche jährlich herbeizuschaffen wären und, zu 5%, capitalisirt, ein Vermögen von 52,000 Ld’or-Thlr. repräsentiren werden. Dazu die Anlagekosten, Raketenapparat etc. 13,000 Ld’or-Thlr., in Summa 65,000 Ld’or-Thlr.

Dies ist die Capitalsumme, welche nach Analogie des englischen Materials der anfänglichen Ausführung des Unternehmens zugewandt werden müßte. Es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß, wenn zuvörderst nur ein Exemplar der in England patentirten Boote, sowie der übrigen Rettungsapparate nach Deutschland gebracht würde, die übrigen nach dem Muster um ein Bedeutendes wohlfeiler angefertigt werden könnten. Diese englischen Rettungsboote sind aus einem sehr zähen amerikanischen Holze gezimmert, was allerdings bei Weitem kostspieliger ist, als unser Eichen- oder Eschenholz, doch würde sich letzteres auch hinreichend als Baumaterial qualificiren. Nach genau eingezogenen Erkundigungen würde man hierorts für etwa die Hälfte des englischen Preises ein solches Boot vollständig herstellen könnten. (Auch würde es ganz in der Ordnung sein, eine Probe mit dem vielbesprochenen ganz neuen Rettungsboote unsers „deutschen Erfinders“, Wilhelm Bauers, für diese Nordsee-Stationen zu veranstalten.)

Wenn auch ein Maßstab der in England zur Unterhaltung und Erweiterung des Institutes stattfindenden Betheiligung in einmaligen und jahrlich wiederkehrenden Spenden sich nicht unmittelbar auf Deutschland anwenden läßt, so darf doch nicht übersehen werden, daß in Deutschland, bei gleicher Nothwendigkeit der Einführung von Rettungsstationen, der Ausdehnung nach nur ein Verhältniß von etwa 100 zu 10 stattfindet. Es würden also von der gesammten deutschen Nation verhältnißmäßig weit geringere Opfer erheischt werden, als es bei der englischen erforderlich ist; hinwiederum, was dem ganzen Volke ein Leichtes sein wird, würde für einzelne Staaten eine drückende Last werden. Wenn aber die Nation die Sache in die Hand nimmt, so wird und muß sie nicht nur als eine deutsch-nationale angefaßt, sondern auch durchgeführt werden, um gleich vom Anfang wie aus einem Gusse in Einrichtung und Verwaltung als ein einheitliches Werk des deutschen Volkes zu erstehen.

So würde denn zunächst in einer der größeren Seestädte ein Hauptcomité sich bilden müssen, welches für die Errichtung von Comités in den übrigen Städten Deutschlands in der Weise Sorge trüge, daß an die Spitze derselben womöglich öffentiche Personen träten. Dadurch würde dem Publicum am besten Die Garantie der bezweckten Verwendung der Gelder geboten sein.

Wird auf diese Weise der Wohlthätigkeitssinn aller Deutschen herangezogen, so dürfte auch eine Betheiligung der Deutschen in England, Amerika und anderwärts jenseits der Meere bei einem Unternehmen nicht ausbleiben, welches längst eine Pflicht der deutschen Humanität gewesen wäre.

Möchten tiese Worte dazu beitragen, die Sympathie aller Deutschen einer solchen Anstalt zuzuwenden, und möchte die Sache überall diejenige Würdigung finden, welche sie als deutsche zu finden verdient!



  1. An der Ostsee hat Preußen von Derfer-Ort im Reg.-Bez. Stralsund bis zur russischen Grenze 19 Rettungsstationen errichtet; es erschienen darüber zwei Schriftchen, das eine vom Major Trost, „Ueber den Gebrauch des an der preußischen Küste üblichen Rettungsapparates“, das andere vom Hauptmann Giersberg, „Instruction für den Gebrauch des an der preußischen Küste üblichen Rettungsapparates etc.“; welche Erfolge bis jetzt dort erzielt worden sind, ist uns nicht bekannt.
    A. d. Red.