Zum Inhalt springen

Rennes, den 20. Dezbr. 1853

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Rennes, den 20. Dezbr. 1853
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 58
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Von einem Mordprozess in Rennes
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[58] Rennes, den 20. Dezbr. 1853. Ich gebe Ihnen nachfolgenden Bericht über eine Sitzung der hiesigen Assisen, welche am 14. d. Mts. stattfand, und in welcher die Details eines schrecklichen Dramas, wie es Gott sei Dank – selten vorkommt, vor mir entrollt wurden.

Auf der Anklagebank erschien Jules François Verger[WS 1], ein Mann in der Blüthe der Jahre, dessen schöne, männlich edle Züge den Ausdruck des tiefsten Schmerzes trugen. Vor seiner Verhaftung hatte er zu Nantes, rue de Gorges[WS 2] Nr. 5 gewohnt. Am 9. September d. J. befanden sich mehrere Bewohner dieses Hauses auf dem daran stoßenden Hofe, als aus der dritten Etage des Hauses die entseelten Körper zweier kleiner Kinder herabgeflogen kamen, welche durch den Sturz auf das Pflaster die entsetzlichste Verstümmelung erlitten. Es waren die beiden Kinder Berger’s. Ihr eigener Vater hatte sie erst erdrosselt, dann mit eigener Hand aus dem Fenster des dritten Stockes in den Hof hinabgeworfen. Die Justiz begab sich alsbald an Ort und Stelle, um den Mörder zu verhaften. Man fand ihn ganz mit Blut bedeckt und er zeigte eine breite klaffende Wunde an der Gurgel, welche er sich selbst beigebracht hatte. In einer Art von Raserei rief er den Beamten sogleich entgegen: „Ja, ich selbst habe meine Kinder getödtet und sie dann zum Fenster hinaus geworfen; ich werde mit ihnen wieder vereinigt werden; ich fürchte das Schaffot nicht!“ Als man ihn nach dem Gefängniß führte, schrie er zu wiederholten Malen laut auf: „ich bin gerächt, ich habe mich gerächt!“

Berger war seit ungefähr vier Jahren mit Jeanne Rivet verheirathet. Die Frucht dieser Ehe waren drei Kinder, von denen das älteste, Jeanne, drei Jahre alt, und das jüngste, Alexander, zehn Monate alt, von ihrem Vater ermordet waren.

Die Familie Rivet befand sich in großem Wohlstande, während Berger im Gegentheile nichts als Schulden hatte. Das gute Einvernehmen zwischen ihm und den Rivet’s bestand nicht lange nach der Hochzeit. Berger überhäufte seine Frau und seine Schwiegermutter täglich mit Beleidigungen, er ging sogar soweit, sie zu schlagen und wurde deshalb schon im Frühjahr d. J. vom Corrections-Tribunal zu 14 Tagen Gefängniß verurtheilt. Seit dieser Zeit drohte er den beiden Frauen öfters, daß sie von seiner Hand sterben müßten und daß er sich jedenfalls rächen werde. Er schien indessen seine Kinder und namentlich das älteste Mädchen sehr zu lieben, das ihn fast beständig auf seinen Spaziergängen begleiten mußte. Er war stolz auf seine Kinder, wie er sich selbst nicht selten ausdrückte.

Nichtsdestoweniger hatte die verbrecherische Idee, sich an der Mutter in der Person dieser Kinder zu rächen, sich seines Geistes bemächtigt. Er scheute sich mitunter gar nicht, diesen gräßlichen Gedanken sogar Worte zu geben. „Meine Kinder werden vor mir oder mit mir in’s Grab stürzen,“ sagte er. „Ihr werdet weinen, aber es wird zu spät sein; Ihr wißt nicht, was es heißt, einen Menschen zur Verzweiflung bringen.“

Am Tage der That war Berger um 6 Uhr früh ausgegangen, um in mehreren Häusern zu arbeiten. Um 10 Uhr zurückgekehrt, war er ruhig und man merkte nicht, daß er vielleicht getrunken gehabt hätte. Nachdem er seine Frau umarmt und über häusliche Angelegenheiten mit ihr gesprochen hatte, wünschte er zu frühstücken. Die Speisen, die ihm vorgesetzt wurden, gefielen ihm nicht; mit einer Geberde des Zorns warf er Brot und Messer von sich, stand auf, steckte Geld ein und erklärte, daß er bei einem Restaurateur sein Dejeuner einnehmen wolle. Seine Frau widersetzte sich seinem Fortgehen, hielt ihn an der Blouse zurück, schloß die Thür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Als Berger dies bemerkte, malte sich Zornesröthe in seinem Gesicht; er ergriff seine Frau am Arme, zog sie in die anstoßende Küche und schlug sie mit einem irdenen Topfe, den er dort fand, dergestalt auf den Kopf, daß der Topf in Stücke brach; dann ergriff er ferner eine Glasflasche, mit welcher er unbarmherzig auf das Gesicht seiner Frau losschlug. Letztere, halb betäubt von den empfangenen Schlägen, lief zur Küchenthür hinaus, welche offen geblieben war, und rief den Bewohnern der unteren Etagen zu: „ich bin eine verlorene Frau! Retten Sie meine Kinder!“

Das Dienstmädchen Jeanne Biron war Zeugin dieser Scene gewesen. Sie sah, wie Berger, nachdem er seine Frau verfolgt, mit Zornesröthe im Gesicht in die Küche zurückkehrte und hörte ihm sagen: „die Rache kann nicht verschoben werden.“ Dann ergriff er ein Messer, begab sich in’s Zimmer zurück, wo sein jüngstes Kind und das kleine Mädchen sich befanden. Letzteres ergriff er am Halse und das Dienstmädchen floh erschreckt mit dem dritten Kinde, das sie auf dem Arme trug.

Berger blieb jetzt mit seinen Kindern allein im Zimmer und stieß einige Personen zurück, welche einzudringen versuchten und schloß hinter ihnen die Thür, indem er den innern Riegel ebenfalls vorschob. Dann ergriff er sein kleines Mädchen aufs Neue und stieß ihr ohne ein Moment den Verzuges das Messer in die Kehle, dann schlug er seinen kleinen Jungen, der spielend in der Mitte des Zimmers saß und stieß auch diesem dan Messer in die Kehle, welches noch von dem Blute seines andern gemordeten Kindes rauchte. Hierauf ergriff er die beiden unglücklichen Kinder, in denen das Leben noch nicht entflohen war, und stürzte sie aus dem Küchenfenster in den Hof hinab. Man sah ihn von unten, wie er sich über das Fensterkreuz hinauslehnte, die Kinder erst eine Zeit lang hin- und herschwenkte, dabei seine Frau rief und endlich mit den Worten: „Du wolltest Deine Kinder, hier hast Du sie!“ fallen ließ.

In der Voruntersuchung hat Berger sich darauf beschränkt, zu behaupten, daß ihm von Allem, was vorgefallen, so gut als gar nichts erinnerlich sei. Er wisse nur, daß er von seiner Frau in’s Gesicht geschlagen worden wäre, in Folge davon er geblutet habe, und daß er durch den Schmerz und den Anblick des Blutes seiner Vernunft völlig beraubt worden sei. Er hat das größte Bedauern über den Tod seiner Kinder geäußert und sich energisch dagegen verwahrt, jemals die Absicht eines Attentats auf ihr Leben gehegt zu haben.

Die Wunde, welche Berger sich selbst am Halse beigebracht, hat keine nachtheiligen Folgen von Bedeutung für ihn gebabt. Auch in der Audienz machte er keine weiteren Ausflüchte, als daß er im Momente der That sich nicht im zurechnungsfähigen Zustande befunden habe.

Das Resultat der Beweisaufnahme war jedoch nicht geeignet, den Geschwornen die Ueberzeugung von der Richtigkeit dieses Einwandes zu gewähren. Sie erklärten Berger schuldig, ohne ihm mildernde Umstände zuzugestehen. Der Gericht-Hof verhängte den Verdikte gemäß die Todesstrafe über ihn.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Berger
  2. Vorlage: rue de Georges