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Reiseskizzen aus Central-Asien

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Titel: Reiseskizzen aus Central-Asien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 526-529
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[526]
Reiseskizzen aus Central-Asien.
Yar Mohamed, Beherrscher von Herat. – Wissenschaft und Kultur in Herat. – Afghanische Heilkunde und Alchemie. – Die Hasarah-Tartaren. – Eine tartarische Republik. – Fabelhafte Erlebnisse und Abenteuer. – Die Beludschen. – Khan Ali’s Versuch, einen ermordeten Europäer in Gold zu verwandeln. – Wildheit und Kraft, Raubgier und Aberglauben der Beludschen.

Wir haben Bücher und deshalb auch zugängliche Kenntnisse von allen möglichen Ländern und Völkern auf der Erde. Ueberall ist neuerdings irgend Jemand gewesen und hat ein Buch darüber geschrieben. Aber wenn man die überaus reiche Reiseliteratur bei Lichte besieht, finden sich doch noch Lücken, durch welche schwarze Unkenntniß von Vulkanen und Ländern hindurchblickt. Wer weiß z. B. etwas Neues, Authentisches von den ungeheuern Strecken, die sich zwischen Rußland und Indien dehnen? Bis Persien reicht unsere neue Reiseliteratur, und auch von der andern Seite Asiens her, China und sogar Tibet, hat ein französischer Missionär, le Huc, uns aus eigner Anschauung Kunde gebracht. Aber jenseits Persiens? Welche Wüsten und Wiesen, welche Berge und Thäler, welche Schrecken und Despotien dunkeln da vor uns, ehe wir Indien erreichen! Afghanistan, Beludschistan, Kabulistan, Turkestan – wer kennt diese geheimnißvollen Länder und Völker, welche den Zusammenstoß Rußlands und Englands in Asien auseinander halten, aus eigener, neuer Anschauung? Bis jetzt ist nicht einmal Ida Pfeiffer da gewesen. Aber endlich hat sich ein Franzose gefunden, der recht aus vieljährigen Erlebnissen und abenteuerlichsten Reisen unter jenen Völkern zwischen Rußland und Indien ein Buch zusammenzog, das wegen seines Thema’s und seiner Fülle von fabelhaften Strapatzen und Abenteuern seines Gleichen in der Reiseliteratur suchen wird.

Ferrier heißt der Verfasser, ehemals viele Jahre einer der Organisateurs der persischen Armee, die größtentheils von Franzosen auf europäische Manier disciplinirt wurde. Er brachte es bis zum Generaladjutanten der persischen Armee, fiel aber in Ungnade und wurde ausgewiesen. Frankreich sollte ihm Recht verschaffen, that es aber nicht, so daß er sich entschloß, nach Indien zu wandern und dem Potentaten von Lahore, Runschiid Sing, seine Dienste anzubieten. So reiste er durch Persien zunächst nach Afghanistan und zwar über Herat, die Stadt und den Staat, eine eigene kleine orientalische Despotie, die sich bis vor kurzer Zeit zwischen der afghanischen und persischen Despotie selbstständig hielt. Ferrier ward von dem Beherrscher Herats, Yar Mohamed, gastfreundlich aufgenommen. Er galt für einen guten Landesvater, obgleich er durch Erwürgung der vor ihm regierenden Majestät zum Throne und durch Verkauf vieler Hunderte seiner Unterthanen zu Gelde gekommen war. Yar Mohamed hatte schon vorher von dem ihm zugedachten Besuche des berühmten Franzosen gehört und in dem Glauben, daß dieser mit einer geheimen diplomatischen Mission komme, ihm eine feierliche Einholung zugedacht. Ferrier wußte dieser Huldigung, von der er auch vorher gehört, dadurch zu entgehen, daß er, auf der einen Seite seines Kameels hängend und sein Diener auf der andern in afghanischer Verkleidung plötzlich durch das Stadtthor von Herat einritt. Der Thorwächter erfuhr jetzt zugleich, welch’ erhabene Person vor ihm reite und brach in jämmerliches Geheul aus: „Bei Allah, ich bin ein todter Mann! Unser allerhöchster Monarch wird mir den Kopf abhauen. Seine Befehle waren, dem erlauchten Franzosen zwei Stunden weit einen Beamten entgegenzuschicken und ihn bitten zu lassen, seinen Einzug bis zu einer glücklichen Constellation am Himmel zu verschieben, um dann seinen Einzug durch Abfeuerung einer Kanone der Stadt zu verkünden. Ich habe wegen dieser unvermutheten Ankunft des großen Europäers weder das Eine, noch das Andere thun können. Ich bin ein todter Mann!“

Wir erfahren nicht, ob dem Thorwächter der Kopf, den er schon verloren hatte, später von seiner landesväterlichen Majestät abgehauen wurde. Mr. Ferrier wurde mit den ausgesuchtesten Ehren behandelt, da man ihm nicht glaubte, daß er einfach nach Indien gehen wolle, sondern gerade darin eine diplomatische Finte erkannte, seine wahre, hohe, geheime politische Mission zu verbergen. Besonders setzten ihm die Hakim-Baschi d. h. die Doktoren und Aerzte, die in Herat einen hohen Rang einnehmen, mit Gelehrsamkeit und Neugier zu. Sie halten jeden Europäer für einen Doktor und hörten nicht auf, mich über die edle Heilkunst in Europa auszufragen und mit ihren medicinischen Kenntnissen zu prahlen. Sie zeigten ihm mehrere Kräuter aus dem englischen Indien, die viel Apothekerkräfte besaßen, sie wußten nur nicht, welche? Um zu erfahren, wofür sie eigentlich gut seien, hatten sie ihren Kranken davon in steigenden Dosen gegeben, bis sich entschiedene Wirkungen zeigten. (Beinahe so wissenschaftlich, wie unsere alten Erfahrungsärzte!) Wie viel Leute diese Herren Doktoren zu Tode kurirt haben mögen, wurde ihm schrecklich deutlich, als einer derselben, Mirza Asker, eine große Flasche Merkur-Cyanit – ein ganz anständiges Gift – aus der Tasche zog und fragte:

„Wozu ist dies eigentlich gut? Der Dämon der Finsterniß mag es wissen, ich habe es noch nie herausgekriegt. Denn von wenigstens hundert Kranken, denen ich es eingab, wurde blos ein Einziger gesund; und dieser hatte die Medicin ausgebrochen.“

Nach der edeln Heilkunst kam die Alchemie an die Reihe, die Hauptpassion aller Gelehrten von Herat, die Leben und Vermögen opfern, um endlich den „Stein der Weisen“ zu finden. Alle sind überzeugt, daß die Engländer diesen Stein haben und schreiben diesem Steine allein den Reichthum in England zu. Nach ihnen sind alle europäischen Goldmünzen von Eisen, welche mit „Etwas“ bestrichen, dann in „Teufelswasser“ getaucht und so in Gold verwandelt worden. Die Herren Doktoren quälten und baten Ferrier fußfällig, ihnen dieses Geheimniß mitzutheilen oder zu verkaufen. Obgleich er ihnen mit allem Scharfsinne zu beweisen suchte, daß der Reichthum in Europa aus wirthschaftlichen Tugenden, Fleiß, Kenntniß, Handel, Humanität, Civilisation, Recht und Gesetz, und nicht aus Teufelswasser stamme, glaubten sie doch nur erst recht an ihren Aberglauben und bewunderten sein ungeheueres diplomatisches Talent, womit er ihren Bitten und Anerbietungen auszuweichen wisse. – Denn das ist’s [527] gerade, warum, wie Schiller sagt, selbst Götter vergebens mit der Dummheit kämpfen, weil letztere sich durch Belehrung in ihrem Dünkel und Dunkel bestärkt. Wer recht dumm und eingebildet ist, (Beides ist stets beisammen) denkt, wenn er Jemanden gescheidt sprechen hört und ihn belehren will: „Bei mir kommt der schön an! Ich bin nicht der Mann, sich etwas weiß machen zu lassen.“ Und so geht er viel stärker und steifer in seiner Dummheit von dem Gescheidten und schimpft ihn wohl noch gar aus, daß so ein Mensch klüger sein wolle.

So ist’s in Herat. Und ganz aus demselben Grunde kämpfen auch in Europa Götter und Doktoren vergebens gegen die echte, ein- und ausgebildete Dummheit. Wer etwas lernt, weiß immer schon viel, beinahe so viel, wie Sokrates, der auf der höchsten Spitze seiner Weisheit nichts so sicher wußte, als daß er nichts wisse, oder wie Faust, der, nachdem er alle Wissenschaften mit heißem Bemühen durchstudirt hatte, ausrief:

„Und sehe nur ein, daß wir nichts wissen können.“
Nicht wissen ist Wissenschaft, sondern lernen, lernen bis
in alle Ewigkeit.

Ferrier wurde bei aller Auszeichnung in Herat als geheimer Diplomat und Besitzer des Steines der Weisen, des Teufelswassers u. s. w. auch sehr gequält und stets ohne Ausnahme scharf bewacht. Yar Mohamed nannte ihn endlich, nachdem er vergebens alle List und Ränke angewandt, ihm die Geheimnisse und den Stein der Weisen zu entlocken, „Busior puukhti“ („gut gekocht“) einen „mit allen Hunden gehetzten Diplomaten.“ Sertip Lal Mohamed, ein hoher Beamter, in dessen Hause er wohnte und bewacht ward, suchte ihm die Gefangenschaft so angenehm als möglich zu machen und ließ Abends Wein und Bajaderen zu Tanz und andern Belustigungen holen. Wein und Weiber sollten ihm die vermeintlichen Geheimnisse und den Stein der Weisen entlocken, aber der Franzose blieb standhaft und enthaltsam, während die hohen muhamedanischen Herrschaften den koranverbotenen Wein bis zur Besinnungslosigkeit genossen.

Die Schilderung dieser Einzelnheiten und seiner Audienz bei Yar Mohamed sind zu lang und umständlich für Mittheilung in einem übersichtlichen Artikel. Kurz er bekam endlich nach vieler Mühe Erlaubniß, seine Reise nach Lahore fortzusetzen – über Berge, Thäler, Wiesen und Weiden, an Zeltenstädten und Nomadenlagern vorbei, durch Wüsten und Einöden – aber voller Abenteuer für ihn. Endlich kam er nach Balkh, der alten Hauptstadt des einst glorreichen Persiens, glorreich und blühend, als Alexander der Große vor mehr als zwei Jahrtausenden triumphirend einzog, später aber von den mongolischen Verwüstern und Eroberern Dschingis Khan und Timur zerstört, aber immer noch „die Mutter der Städte“ genannt. Obgleich sie jetzt nicht florirt, blühen doch die Gärten und Wiesen um sie her desto üppiger. Aus seinem Zuge über das Paropamisus-Gebirge durch die nomadisirenden Hasarah-Tartaren hindurch bis in die Nähe von Kabul können wir ihm nicht folgen, da der Weg zu lang und für uns mit zuviel kleinen Einzelnheiten bedeckt ist, die wir nur auf vielen kostbaren Spalten wiedergeben könnten.

Wir erwähnen nur, daß die Hasarah-Tartaren in Ferrier den ersten Europäer sahen, daß dieser unweit Kabul unter Stämme kam, die mit einander Krieg führten und ihn nöthigten, umzukehren oder auf einem Umwege (über Kandahar) vorwärts zu kommen. Auf diesem Umwege gerieth er unter die Seherais, einen heidnischen Tartarenstamm von patriarchalischer Einfachheit, Republikaner mit Haut und Haar und von undenklichen Zeiten her. Diese kleine Heidenrepublik mitten unter den grausamsten Despotien ist merkwürdig genug, so daß wir Ferrier darüber sprechen lassen.

„Die Seherais sind der Bedeutung ihres Namens nach „Bewohner der Ebene“ und bilden eine Republik, die nach ihrer eigenen Tradition folgenden Ursprung hat. Sie wurden von dem großen Eroberer Dschingis Khan hier übrig gelassen und haben seitdem die Unterjochungsversuche jedes Feindes tapfer zurückgeschlagen. Dies erschien mir sofort sehr glaubwürdig, da ihre fruchtbare Ebene, durch Berge und Wüsten geschützt, sehr schwer zugänglich ist und ihnen der Boden Alles liefert, was sie in ihrer patriarchalischen Einfachheit und Härte brauchen. Sie haben etwas von dem Islam gehört und schwören zuweilen bei Ali und dem Propheten Mohamed, verehren aber, wie die alten Perser, einen Gott des Guten und des Lichts, Khoda (Gott) und einen Beherrscher des Bösen und der Finsterniß, Shaitan (Satan). Sie beten niemals, halten kein Thier für unrein und essen Alles. Fern von Civilisation und Städten leben sie natürlich, hart und wild, was uns Civilisirten zuerst widerlich erscheint, aber bald angenehm wird, wenn man sieht, wie gesund, kräftig, anspruchslos, zufrieden und glücklich sie in ihrer König-, Kultur- und Steuerlosigkeit sind.“

Ferrier ward von dem Präsidenten dieser Republik, Timur Beg, rauh, aber herzlich empfangen. Ein Dreißiger, beinahe bartlos, kurz, aber in jeder Muskel ein Herkules. Er ließ ein Mahl bereiten, das trefflich mundete, eben so der Apfelwein, in welchem sich der Herr Präsident so gütlich that, daß er bald zusammenfiel und fürchterlich schnarchte. Jetzt zog sich Ferrier mit seinen Begleitern zurück, begleitet von den Damen, die bei Tische aufgewartet hatten. „Die Aufmerksamkeit dieser Damen ging weiter,“ schreibt Ferrier, „als ich irgendwo erlebt hatte. Erst wuschen sie uns die Füße und dann nöthigten sie uns zu einer Generalwäsche. Kurz sie wuschen und badeten und bürsteten uns auf das Sorgfältigste vom Kopfe bis zum Fuße, und zwar auf die ungenirteste Weise mit der größten Unbefangenheit. Die mir zur Aufwartung gegebene Dame ließ mir keine Ruhe vor lauter Aufmerksamkeit und obgleich ich stets allen Sitten und Gebräuchen, unter welche ich kam, Genüge leistete, bat ich sie doch am folgenden Morgen, ihren neuen Versuch, mich zu scheuern und zu bürsten, gefälligst aufzugeben und mich lieber noch ein Bischen schlafen zu lassen. So kam ich diesmal davon. Ich glaubte, mir sei diese Ehre allein zu Theil geworden. Aber hernach klagte mir mein Diener, daß ihn die Damen ebenfalls tüchtig gescheuert und selbst des Präsidenten Tochter geholfen habe. Diese Sitte erstreckt sich in Div pissar (dem Hauptorte der. Republik) auf alle gastfreundlich aufgenommenen Freunde als Pflicht aller Damen.“

Später wurde ihm freilich der Kopf ganz anders gewaschen. Bald nach seinem ersten Versuche, wieder vorwärts zu kommen, ward er arretirt und nach Herat zurücktransportirt, dann auf einem andern Wege wieder aufgehalten, von Ort zu Ort escortirt, in Gefängnisse geworfen und mißhandelt, von einem andern Stamme wieder einmal wie ein Gott angebetet u. s. w., so daß er eine Menge der seltsamsten Dinge, Menschen und Zustände, von denen wir bisher nichts wußten, genau kennen lernte und uns damit bekannt macht. So lesen wir merkwürdigere Geschichten in seinem Buche, als je in einem Romane vorkommen, von Turcomanen, Usbeken und Beludschen, ihren Bazars, Kaffeehäusern, Lagern, Reisekaravanen, Festungen, Palästen, Gefängnissen, Hirten und Schäferinnen, Soldaten, Zigeunern, Gaunern und Räuberbanden und allen möglichen seltsamen Lebensverhältnissen der Völker, die sich vom arabischen Meere und persischen Meerbusen bis zu den chinesischen Gebirgen ausdehnen. Mehrere dieser Völker und Stämme wurden bisher noch von keinem Europäer besucht und beschrieben, so daß das Buch außer seinen sonstigen Verdiensten auch in geographischer und ethnographischer Beziehung einen großen Werth hat. Manche Erlebnisse unter diesen Völkern klingen so fabelhaft, daß wir Bedenken tragen würden, daran zu glauben, wenn sie nicht von einer so guten Autorität kämen. Hören wir von den Beludschen:

„Die Bewohner von Beludschistan haben wegen der Nähe des Meeres Manches von Europäern gehört, aber so mit Aberglauben und Barbarei gemischt, daß nichts von unserer Civilisation daran wieder zu erkennen ist. Im Wunder über unsere Macht, Intelligenz und Reichthümer glauben sie nicht nur steif und fest, daß wir Gold machen könnten, sondern auch unsere Körper, Kleider, Meubels und Häuser dieses kostbare Metall enthalten. Ein englischer Arzt, Forbes, wagte sich vor einigen Jahren allein unter die Beludschen und bis in die Residenz des Khans Ali, Namens Nassuur. Der Khan ermordete ihn im Schlafe und hing dessen Körper vor seinem Zelte auf, wo er ihn unaufhörlich waschen und abspülen ließ.

„Ihr werdet sehen,“ sagte er zu seinem Volke, „daß dieser Hund von einem Ungläubigen sich bald in lauter Gold verwandeln wird.“

„Nachdem er den todten Körper 14 Tage lang gewässert und gewaschen hatte, ohne zu seinem Erstaunen Gold daraus werden zu sehen, ließ er das Wasser, womit der Gemordete gewaschen worden war, kochen, um das Gold durch Hitze auszutreiben. Als [528] dies auch ohne Wirkung blieb, kam der Khan auf den pfiffigen Gedanken, daß der Doktor aus Bosheit das Gold seines Körpers vorher in seine Kleider habe ausschwitzen lassen. Er ließ also nun diese in kleine Stückchen zerschneiden (eben so die im Koffer aufgefundenen Bücher) und in den Mörtel mischen, von welchem er sich ein Haus bauen ließ. Als er uns diese Geschichte erzählte (denn Ferrier besuchte ihn auch, freilich nur unter dem Schutze eines mächtigen Empfehlungsschreibens), versicherte er, daß er mit Bestimmtheit hoffe, sein Haus werde sich mit der Zeit mit einer Schicht von Gold überziehen. Mit großer Freimüthigkeit fügte er hinzu, daß er glücklich sein würde, wenn er mit mir einen zweiten Versuch der Art machen könne.“

Unser Gast fühlte sich bei dieser Versicherung nicht sehr wohl und machte, daß er fortkam. Er reiste um den See Seistan herum und hatte dabei Gelegenheit, die Beludschen näher kennen zu lernen.

„Diese Nomaden führen ein Leben, wie die wilden Thiere und streifen eben so grausam durch die Wüsten ihres Landes. Gesetze, Arbeit, Handel, Unterordnung u. s. w. sind ihnen ganz unmöglich. Sie sind frei, wie das Vieh und stolzer auf ihre Verbrechen, wie wir auf Tugenden. Nur ein Gesetz kennen und halten sie eisern streng, das der Rache. Die Blutrache erbt sich, wenn nicht gestillt, durch ganze Geschlechter fort und bricht am Ende aus, wenn auch vorher scheinbar lange gesühnt durch einen Piir (Priester) oder gar durch Heirath. Nach Menschenaltern noch lauert einmal ein Erbe der Rache in einem Verstecke und schneidet dem Nachkommen eines alten Feindes lautlos und lächelnd den Hals durch, nachdem er vielleicht Jahrzehende lang vergebens, aber mit der größten Ausdauer gelauert hatte. Zwei Beludschen verschiedenen Stammes oder durch ein Blutrachegesetz „verbunden,“ haben bei der ersten Begegnung, wenn sie sich auch nie vorher sahen, einen merkwürdigen Instinkt, dies zu wittern. Sie sprechen nicht, verrathen keine Leidenschaft, sondern betrachten sich eine Zeit lang schweigend. Dann fallen sie plötzlich über einander her und beißen, zerreißen sich gegenseitig mit den Zähnen oder ersticken sich durch ruhiges, lautloses Eindrücken und Festhalten der Kehle. Einer bleibt allemal todt, sehr oft zerreißen sich Beide. Dabei hört man keinen einzigen Laut.“

„Die Beludschen nennen sich Muhamedaner, bekümmern sich aber nicht um den Koran, sondern haben ein eigenes, sinnloses, barbarisches Gemisch von Islam, Christenthum und Heidenthum als eigene Religion. Sie halten Mohamed für einen großen Propheten, aber über ihm steht Piir Kisri, der gleich nach dem höchsten Gott kommt. Sie schwören nur bei Piir Kisri, wenn sie ehrlich sprechen. Die Beludschen sind Tiger unter Menschen, feurig, leidenschaftlich, ungeheuer stark und von feiner, schöner Körperform, scharf und grausam in ihren Physiognomien, ohne Gefühl für Entbehrungen und deshalb von einer Ausdauer auf Märschen, die rein an’s Wunderbare grenzt. Wie das Kameel, laufen sie vierundzwanzig Stunden hinter einander unter ihrer brennenden Sonne, ohne einen Schluck Wasser oder irgend etwas Nahrung zu genießen. Für Wasser unter dem Boden haben sie dabei die feinste Witterung, und graben selten tiefer als drei Fuß, wenn sie es brauchen. Sie laufen in der Regel mit dem besten Pferde um die Wette, wenn’s darauf ankommt, halten’s aber länger aus, so daß schon oft ein Beludsche zwei bis drei Pferde hintereinander überdauerte. Aber diese unbändige Kraft bricht vor dem Geschrei eines Vogels, dem Anblick einer Schlange auf dem Wege oder einer Heerde Affen in zwei Abtheilungen. Bietet sich ihnen ein solcher Anblick, bringt sie, diese sinnlosen Sklaven des Aberglaubens, keine Macht der Erde mehr vorwärts. Sie bleiben liegen, bis die Sonne unter- und wieder aufgegangen ist, „um dem Schicksale Zeit zu lassen, seinen feindlichen Entschluß zu ändern.“ Ihre Hauptbeschäftigung ist Stehlen, doch rauben und plündern sie auch mit der wunderbarsten List und Kaltblütigkeit, so daß sie ihr Leben um der größten Kleinigkeit willen auf’s Spiel setzen. Auf ihren Dromedaren zu Zweien, Rücken gegen Rücken sitzend, um die Gegend stets nach beiden Seiten zu durchspähen, [529] durchstreifen sie die Grenzen von Afghanistan, und unternehmen Streifzüge bis in’s Innere von Persien. Sie unternehmen Exkursionen, um ein Taschentuch, eine Lumpe, irgend eine werthlose Kleinigkeit zu erwischen.“

Weil Jeder geschäftsmäßig stiehlt, brauchen selbst die besten Freunde auf der Reise, Brüder, selbst Vater und Sohn, die größten Vorsichtsmaßregeln gegen einander. Sie schwören Beide bei Piir Kisri, daß sie hundert Ellen von einander schlafen und sich nicht vor aufgehender Sonne erheben wollen. So schlafen Vater und Sohn auf der Reise in ehrerbietiger Entfernung. Aber mit scharfem Ohr hören sie mitten im Schlafe das leiseste Geräusch und sehen, ob Vater und Sohn gegenseitig den Schwur bei Piir Kisri doch brechen wollen. Auch machen sich die Beludschen in Konsequenz des Stehlens und der Habsucht gegenseitig gern todt. Einmal erschlug Einer den Andern wegen eines Kleides, das nicht mehr werth war, als etwa einen Thaler. Stehlen, Rauben, Morden, Verbrechen aller Art, um sich dadurch etwas anzueignen, ist ihre Religion. Ihr Dogma lautet: „Vor einigen tausend Jahren vertheilte Gott die Güter der Erde unter die Menschen, und ließ sich von bösen Geistern bereden, den Beludschen nichts zu geben, als einen trocknen, heißen, unfruchtbaren Boden. Wir müssen nun Gottes üble Vertheilung ausgleichen und selbst nehmen, was wir kriegen können.“ Wilde Nomaden können dies als ihre Naturreligion betrachten. Offenbart und Besseres mitgetheilt ward ihnen bis jetzt nicht. Dies fiele vielleicht auf einen guten Boden, denn sie sind nicht ohne gute Eigenschaften und Talente. Namentlich ist ihre Gastfreundschaft gegen Fremde etwas werth, obgleich man ihnen nicht so trauen kann, wie andern nomadischen Stämmen. Die Europäer sind nach ihrer Mythologie Abkömmlinge böser Geister und des Teufels, mit dessen Hülfe sie Gold machen, Schätze graben und das „böse Auge“ auf Andere werfen können.

Wir müßten das ganze Buch Ferrier’s übersetzen, wenn wir alles Interessante, Neue und Abenteuerliche daraus mittheilen wollten. Hier genüge, was wir gegeben, zur Bildung einer Vorstellung von jenen fernen, unbekannten Gegenden und Menschen, die ausgeschlossen von dem Blutumlauf der modernen Kultur, in bloßen Naturzuständen und Wildheit, in Aberglauben und muhamedanischem Despotismus verwahrlost sind und der Zeit warten, wenn Rußland und das indische England über sie hin zusammengestoßen sein und diese Völker und Staaten unter sich getheilt haben werden.