Reise-Erinnerungen aus Spanien
[547] Reise-Erinnerungen aus Spanien von E. A. Roßmäßler. Eine Schrift muß von dem Standpunkt aus betrachtet werden, den der Verfasser dafür angegeben hat, wenn man billig und gerecht darüber urtheilen will. Unser Reisender sagt in dem Vorwort zu seinem Buche: „Wer darin Beschreibungen von Kathedralen und Schlössern, von Bibliotheken und Gemäldegalerien, von Heeresmacht und Handelsstatistik, von alter und neuer Geschichte sucht – der lege es weg, denn er findet von alledem darin nichts. Wer aber davon etwas wissen möchte, wie es auf einem spanischen Wochenmarkte, in einer schmutzigen Venta, mit einem Worte im spanischen Alltagsleben aussieht; wer die staunenswerthen Kontraste zwischen den spanischen Steppen und Vegas kennen lernen will; wer sich überhaupt gern und lebhaft an die Stelle eines schlichten, mit offenem Auge und Herzen beobachtenden Reisenden versetzt sehen möchte – der wird meine zwei Bändchen nicht ohne einige Unterhaltung lesen.“
Zu der letzteren Art von Lesern bekennt sich der Schreiber dieser Zeilen und ihm hat die Lektüre des Buchs großes Vergnügen gewährt. Der Verfasser versteht die Kunst, uns zum Mitreisenden zu machen. Er beschreibt alles so lebendig, daß man mit ihm friert und schwitzt, fürchtet und hofft, hungrig und müde, satt und gestärkt wird und so anschaulich, als wenn die Gegenden, Straßen, Häuser und Menschen in einem Panoramencyklus vorüberzögen. Dazu sind öfters sehr interessante Betrachtungen eingestreut. So wird nicht blos die Einbildungskraft durch mannigfaltige Bilder belebt, sondern auch der denkende Geist beschäftigt und angeregt. Denn das ist die Wirkung eines geistreichen Buches, daß es den Leser nicht blos zum passiven Genießer, sondern zugleich zum mitschaffenden Denker macht. Obgleich der Verfasser in diesem Werkchen die Resultate seiner Forschungen (nach den Mollusken Spaniens) nicht mittheilt, die er in einem besonderen Buche für die Fachgenossen darlegen wird, so bricht doch die Neigung des Naturforschers oft genug durch, und es werden uns im Vorübergehen artige Kenntnisse aus allen Reichen der Natur gleichsam spielend zugeworfen.
Das Charakteristische eines Landes und seiner Bewohner liegt jetzt weniger in den großen Städten und höheren Gesellschaftskreisen, die sich in Europa wenigstens immer ähnlicher werden, als vielmehr in den kleineren Städten, den Dörfern und den mittlern und niederen Ständen, die von der Kultur nicht so schnell zu erreichen und umzuwandeln sind. Diesen Dingen hat unser Reisender seine Aufmerksamkeit vorzugsweise zugewendet und wir stimmen ihm bei, wenn er anführt, daß der Naturforscher dazu am Besten geeignet und ausgerüstet sei. Auf das Große richten wir unsere Blicke überall, wo es sich zeigt. Das Kleinste würde oft eben so mächtig, ja zuweilen noch mächtiger auf uns wirken, wenn wir es treulich beobachten wollten, und seine versteckten Wunder erfassen könnten. Das Mikroskop hat den Sinn des Naturforschers auf das Kleine gerichtet und sein Auge für die Beobachtung des Verstecktesten geschärft. Für ihn giebt es weder in der Natur noch im Volksleben etwas Unbedeutendes. Daher die Menge von eigenthümlichen Zügen, die Professor Roßmäßler noch in einem Lande entdeckte und zur Kenntniß bringt, das so oft schon beschrieben worden ist. Die schlimmen Eigenschaften, welche der heutige Spanier zeigt, z. B. Trägheit, vor Allem eine übermäßige Goldgier, die alle Gebirge durchwühlt, sind wohl eine Folge der schmähligen Regierung, die dieses Land so lange Zeit heimgesucht hat. Aber es steckt ein tüchtiger Kern in diesem Volke, der ihm nach des Verfassers Beobachtungen eine bessere Zukunft in Aussicht stellt. Zu dieser Hoffnung berechtigt vorzüglich das Gefühl der Menschenwürde, das auch in dem niedrigsten Spanier lebt und von dem Höchsten nicht angetastet werden darf. Der erbärmliche Kastengeist, der sich in unserem philosophischen Deutschland in so schroffen Gegensätzen zeigt, hat in Spanien nie einen fruchtbaren Boden gefunden. Dies beweist die Mischung aller Stände an öffentlichen Orten und die allgemeine Höflichkeit Aller gegen Alle.
Unser Reisender hat eine große Verehrung für die Mauren mit aus Spanien zurückgebracht und in der That, wenn man liest, was jene weisen Chalifen alles für die Kultur den Landes und Volkes gethan, so kann man sich nicht sehr darüber freuen, daß Se. allerhöchste katholische Majestät Ferdinand von Aragonien und Ihre allerchristlichste katholische Majestät, die Königin Isabella von Castilien (welches königliche Ehepaar beiläufig weder Gott noch Menschen Treue und Glauben hielt) die Mauren überwunden und aus Spanien hinausgejagt haben. Wo die christliche Fahne aufgepflanzt wurde, flammten auch die Scheiterhaufen der Inquisition auf.
Das Buch hat außer seinem bleibenden Werthe jetzt noch ein besonders Interesse durch die neuesten politischen Vorgänge in Spanien erhalten. Man gewinnt daraus die Ueberzeugung, daß es auf der Karte Europa’s wieder ein Land mehr giebt, in welchem die Sache der Willkühr für immer verloren ist, welche Anstrengungen sie auch machen mag, sich wieder darin festzusetzen.