Zum Inhalt springen

RE:Rapraua

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Rapaua Ortschaft an d. gadrosischen Küste
Band I A,1 (1914) S. 234237
Bildergalerie im Original
Register I A,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|I A,1|234|237|Rapraua|[[REAutor]]|RE:Rapraua}}        

Rapraua (oder Rapaua)‚ Ortschaft an der gadrosischen Küste, Marcian. p. maris exteri I 32, in Ptolem. VI 21 verschrieben zu Ragiraua. Andere Handschriften haben Rapaua (seinerseits wiederum in Ragiana verschrieben), das vielleicht vorzuziehen ist.

Auf der Ptolemaioskarte zeigt das topographische Bild Ostgadrosiens die merkwürdigste, dem Anschein nach ganz unerklärliche Verwirrung (vgl. am besten die Kartenkonstruktion Karl Müllers im Atlas zu Geogr. Gr. min. XV). Sie gipfelt in der Ansetzung des Arabis nahe der Westgrenze Ost- oder Neugadrosiens. Dieser Fluß (s. O. Bd. II S. 364) ist mit absoluter Sicherheit der Habb. Er bildete unter den Achämeniden die Scheidelinie der Provinz Gadrosien gegen Indien. Nearchos schätzt die Küstenlänge von seiner Mündung bei Kap Monse bis zum Indusdelta auf 1000 Stadien. Sie beträgt in Wahrheit kaum die Hälfte dieser Zahl, aber die Ptolemaioskarte vergrößert sie auf 2800! Auch der Arabis selber, nach Arrian. anab. VI 21, 4 ποταμὸς στενός τε καὶ ὀλίγου ὕδατος‚ wird zu einem großen Strom gemacht, der nicht bloß Gadrosien in voller Breite durchfließt, sondern sogar einen Quellfluß vom Nordrand des ostiranischen Zentralplateaus empfängt. Drangianas Hauptstadt Prophthasia liegt wenig westlich von diesem, in dem sich also der Phrados verbirgt. Die Hamūndepression (lacus Ponticus bei der griechischen Quelle des Curtius Rufus), die den Phrados wie alle übrigen Gewässer Zentralarianas aufnimmt, ist ganz vernachlässigt oder weit ostwärts nach Arachosien verschoben, wo sie merkwürdigerweise dem Arachotos (und Etymander-Hilmend)[235] nicht als Ende, sondern als Durchgang dient.

Diese Verschiebung des Arabis ist nun nicht erst das Werk des Marinos. Wir beobachten sie bereits in der Geographie des Plinius (VI 109. 110) und denn auf den von Orosius und dem Geographus Ravennas benutzten Weltkarten und legen sie als Archetypus dem Orbis pictus der Porticus Vipsania zur Last; darüber das Nähere in den Artikeln Hydaspis, Hyktanis, Karmania, Ori. Aber die Karten des Agrippa und Ptolemaios haben doch nur im allgemeinen die Verschiebung des Arabis aus der Nachbarschaft des Indusdeltas nach Karmanien, bezw. Westgadrosien gemeinsam, in der genauen topographischen Ansetzung des Flusses weichen sie bedeutsam voneinander ab. Das muß nachdrücklich betont werden, weil es zeigt, daß Marinos nicht blindlings die römische Weltkarte kopiert, sondern versucht hat, das geographische Problem, das durch die offenkundig zutage liegende, beträchtliche Divergenz zwischen der Karte und dem Portolan Nearchs gegeben schien, selbständig zu lösen. Seine Entscheidung war freilich nur ein neuer wunderbarer Irrtum, und der Weg, auf dem er sie gefunden hat, wenn wir recht sehen, bietet ein unvergleichliches Beispiel seiner synthetischen, aber ganz unhistorischen Arbeitsweise, reich an ähnlichen Kombinationen, aus denen nicht wenige, der hier zu beobachtenden parallelen Seltsamkeiten seiner Karten erwachsen sind (vgl. den Art. Ra).

Die Analyse der gadrosischen Karte ergiebt folgende Resultate: Ptolemaios mißt vom Indusdelta bis zur Westgrenze Gadrosiens, die zugleich die Westgrenze der Parsirai (Pasireis) ist, 3200 Stadien. Nearchos (bei Arrian. Ind. 25f.) rechnet 1000 für die Arabitenküste + 1600 für die Oreiten + 600 bis Bagisara, hinter dem im Binnenland Pasira liegt, die Pasireis wohnen. Die genaue Übereinstimmung dieser Zahlen läßt keinen Zweifel, daß der Periplus des Nearchos im allgemeinen das Grundgerüst der Kartenkonstruktion des Marinos hergegeben hat. Ferner, die Parsirai haben auf der Karte eine Küstenlänge von 500 Stadien, das ist nahezu die Zahl Nearchs von Melana, der ausdrücklichen Westgrenze der Oreiten‚ bis Bagisara, dem Hafen der Pasireis. Mit dem Arabisfluß sind die Arabiten nach Westen verschoben. Ptolemaios (vgl. Marcian. I 32) setzt sie zwischen den Fluß und den ,Weiberhafen‘ (Morontobara), die Entfernung beträgt 1000 Stadien, wiederum genau die Küstenlänge der Arabiten nach Nearchos. Aber der Weiberhafen ist irrtümlich für die Ostgrenze des Volkes gehalten; Nearchos schätzte seine Entfernung von der Arabismündung auf 190 Stadien, und auch diese Zahl ist schon fast um das Doppelte zu hoch.

Nearch hatte festgestellt, daß der Arabis (Hahb) die Grenze zwischen den Arabiten und den Oreiten bildete. Auf der Ptolemaioskarte sind die Oreiten aus Ostgadrosien verschwunden und trennt der Fluß die Arabiten von den Parsirai; die Hauptstadt der letzteren, Parsis, liegt am Mittellauf weit drinnen im Binnenland, sie wird zugleich als die Metropolis ganz Gadrosiens bezeichnet, zu dem auch die Arabiten gehören. [236] In diesem Ensemble dokumentiert sich mit aller Deutlichkeit das von den Pasireis gegründete Königreich Neugadrosien (vgl. Anonym maris Erythraei 37 und den Artik. Gedrosia), das die Westhälfte der alten Landschaft nicht mehr umfaßte, dafür aber die ursprünglich außerhalb stehenden Arabiten einverleibt hatte. Aber die eigentliche Grenze zwischen diesen und dem herrschenden gadrosischen Stamm blieb noch immer der Arabis. Das bringt die Karte des Marinos klar zum Ausdruck. Aber sie vernachlässigt, was die Voraussetzung dieses neuen Zustandes war, die Wanderung und Ausbreitung der Pasireis über ganz Ostgadrosien. Sie behält im Gegenteil für dieses Volk noch immer die alten Sitze bei, die Nearchos 2600 Stadien westlich vom Delta des Indus oder 1600 Stadien von der Ostgrenze Gadrosiens aufgefunden hatte. Und um dieser Bestimmung und zugleich den neuen Nachrichten über die Nachbarschaft der Arabitai und Pasireis gerecht zu werden, rückt sie vielmehr den Arabis und die Arabiten, die hinter ihm folgen, weit nach Westen an die alte Ostgrenze der Pasireis.

So erklärt sich auf der Ptolemaioskarte die Lokalisierung des Flusses, zugleich abweichend und abhängig sowohl von der römischen Weltkarte wie von dem Portolan Nearchs, die Angaben beider vereinigend zu einem kartographischen Zerrbild‚ das für keine historische Periode richtig ist und aus jeder etwas entlehnt. Wir erkennen, es fehlte dem Geographen Marinos in der ungeheuerlichsten Weise an jedem historischen Sinn; er war völlig außer stande, in der außerordentlichen Fülle einer über sechs Jahrhunderte ausgebreiteten geographischen Literatur irgendwelche historische Sichtung und kritische Synthese vorzunehmen. So sehr die meisten seiner antiken geographischen Kollegen an demselben Mangel gelitten haben, Marinos stellt sie darin alle weit in den Schatten.

Weiter führte jene groteske Kombination - und sie wird dadurch nur in umso grelleres Licht gerückt — notwendig zu unüberwindlichen Schwierigkeiten gegenüber der großen Reihe topographischer Einzelangaben im gadrosischen Küstenperiplus Nearchs. Marinos hat sich nicht anders zu helfen gewußt, als sie in Bausch und Bogen zu verwerten oder zu vernachlässigen; außer dem Weiberhafen erscheint auf seiner Karte keine einzige der von Nearchos überlieferten Örtlichkeiten.

Vergleichen wir dazu die Ptolemäische Nomenklatur der westgadrosischen und karmanischen Küste (beide den neueren politischen Zuständen entsprechend zu dem Königreich Karmanien vereinigt), so begegnen uns mehr Namen, die auch Nearch nennt (Musarna, Kophanta, Kyiza), aber die zahlreichen übrigbleibenden weichen von den ebenfalls zahlreichen Nearchischen völlig ab. Ptolemaios bringt mit wenigen Ausnahmen andere und neue Namen. Daraus müssen wir den zwingenden Schluß ziehen, daß Marinos eine ganz neue Küstenbeschreibung des Indischen Ozeans verwertet hat. Unzweifelhafte Spuren dieses neuen Periplus finden wir nun auch auf der Karte des östlichen Teiles Gadrosiens; es sind die sonst nirgends genannten Namen [237] Rapraua, Koiamba, Rizana. Einen vierten, Oraia, hat uns der Anonymos des Erythräischen Meeres aufbewahrt. Dieser Kaufmann ist der erste, der einen neuen, allerdings ganz summarischen Küstenperiplus zwischen dem Persischen Golf und Indien bringt. Noch Plinius kennt nichts davon, sondern erklärt ausdrücklich (VI 101ff.), gegenwärtig gehe die gesamte indische Schiffahrt direkt vom Roten Meer und Südarabien über den Indischen Ozean an die Konkanküste, ohne Berührung des iranischen Gestades. Folglich stammt auch die von Marinos als topographische Hauptquelle verwertete Küstenbeschreibung erst aus dem Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Wir haben alles Recht zu vermuten, daß auf der Ptolemaioskarte nicht bloß die karmanischen und westgadrosischen Orte, sondern auch Rapraua, Koiamba, Rizana nach bestimmten Zahlenangaben jenes Periplus angesetzt sind. Die kartographische Verschiebung des Arabis hat dabei keine erkennbare Modifikation ausgeübt und kann außer Betracht bleiben, wenn wir versuchen, die drei Orte nach den Distanzen der Karte zu lokalisieren. Auf R. folgt Mosarna, das hinreichend sicher westlich der Bucht von Pasani bei den Orten Gwārāni und Kunlū festgestellt ist. Von hier bis zum Indusdelta gibt die Karte 3550 Stadien Küstenlänge, höchstens 350 mehr als die modernen Karten. Rizana ist 800 (reduziert 720) Stadien vom Indus entfernt und fällt an die Bucht von Sōnmiāni, wo Alexander der Große einen Ort Rambakia fand und eine Stadt mit seinem Namen gründen ließ. Von Rizana bis Koiamba hat die Karte 400 Stadien (reduziert 360), die in die öde Küstenregion westlich von der Purallymündung führen. Nearchos sah hier zwei Ortschaften Kabana und Kokala. Endlich R. liegt 1000 (reduziert 900) Stadien von Koiamba, 2200 vom Indusdelta, 1350 von Mosarna, also im Stammland der Parsirai und der Nachbarschaft des von Nearchos hier angelaufenen Hafens Bagisara (vgl. diesen Artikel). Bagisara hatte zwei Häfen, zu beiden Seiten des engen und flachen Isthmus, der die Felshalbinsel des Kaps Omārah dem Strand anheftet. Das Vorgebirge wird von manchen Reisenden auch Arabah genannt; Karl Müller wollte darin R. wiedererkennen und darum die Lesart ohne r bevorzugen (Geogr. gr. min. I 344.).