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RE:Karten/IV

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IV. Kapitel
IV
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[2100] D. Karten bei den Römern.

§ 59. Für die römische Kultursphäre sind wir über das K.-Bild sehr viel dürftiger als für die griechische Sphäre und die griechische Zeit unterrichtet. Das ist umsomehr zu bedauern, als das Verständnis der römischen Kompendien und Exzerpte geographischer Natur nur an Klarheit gewinnen könnte, wenn wir jedesmal wüßten, was für ein K.-Bild der betreffende Autor vor seinen geistigen oder leiblichen Augen gehabt hat. K. müssen sehr verbreitet gewesen sein und vor allem im Schulunterricht ihre Rolle eingenommen haben. Daß, wie wir aus den Schriftstellern und vor allem aus den Dichtern ersehen, das gebildetere Publikum damals vergleichsweise doch ungefähr soviel geographisches Wissen besaß als etwa heutzutage (natürlich von der Ausdehnung des Wissens über den ganzen Erdball abgesehen), war wohl der Schule zu danken, wo indes die Geographie nur als Teil der Geometrie gelehrt worden zu sein scheint. So wenig aber der rein geometrische Unterricht ohne Hilfe der zugehörigen Figuren gelehrt und gelernt werden konnte, ebenso selbstverständlich müßte es uns doch sein, daß man Erdkunde ohne Erd-K. nicht betreiben konnte. Nur sind uns Exemplare oder Reste solcher K. bisher nicht begegnet, und vor allem hat das Fundgebiet der Papyri, das doch sonst so manche Probe von Schülerleistung und Schullehrgang uns gebracht hat, vorläufig auf diesem Gebiete vollständig versagt.

Somit bleibt uns nichts übrig, als mit den mageren Notizen über die Existenz von K. in der Öffentlichkeit, Schule und daheim uns einzurichten. Erst in zweiter Linie ist die Frage, wieweit diese K. ins Mittelalter verfolgt werden können, zu untersuchen; eine Untersuchung, die dadurch erschwert wird, daß einerseits nur Mutmaßungen über den Entwicklungsgang der römischen K. aus der griechischen (ehemals ionischen) K. angestellt werden können, und andererseits, daß wir auch von der römischen K. so gut wie nichts Sicheres wissen. Sicher oder so gut wie sicher ist nur eines, daß, mag die römische K. nur einen Typus ausgemacht oder, was doch wahrscheinlicher ist, eine Anzahl Formen umfaßt haben, sie kein Gradnetz zur Voraussetzung hat. Nur eine Viertelung des Erdrundes durch ein Stabkreuz wird in Erwägung zu ziehen sein. § 60. Einen breiten Raum in der Darstellung dieses Kapitels nimmt die Welt-K. des Agrippa (oder wie sie vor allem auf Grund der Hauptstelle bei Plin. n. h. III 17 auch genannt wird: des [2101] Augustus) ein; sie ist, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, als die Quelle des später üblichen Erdkartenbildes und insbesondere der Vorlage angesehen worden, aus der die Tab. Peut. stammt, und lange Zeit leider mehr im Vordergrund der Erörterung gestanden, als mit Rücksicht auf die Dürftigkeit der Zeugnisse rätlich sein konnte. [1]

Die zitierte Hauptstelle (Plin. n. h. III 17) knüpft an die Erörterung der Abmessungen der Provinz Hispania Baetica folgende Erwägung: Agrippam quidem in tanta viri diligentia praeterque in hoc opere cura, cum orbem terrarum Urbi (hsl. überliefert ist orbi) spectaculum propositurus esset, errasse quis credat? et cum eo divum Augustum? is namque conplexam eum (hsl. eam überliefert) porticum ex destinatione et commentariis M. Agrippae a sorore eius (Vipsania Polla, vgl. über sie die Prosop. imp. Rom. III 414 n. 464) inchoatam peregit. Man glaubt Reste dieser Porticus Vipsania, deren Namen Urlichs in der anderen Pliniusstelle, die derselben K. gedenkt, erkannt hat (überliefert uipsanda porticus), im Gebiet des campus Agrippae an der Ostseite der via Lata (des heutigen Corso), gegenüber der Marcaurel-Säule, also nächst Piazza Colonna, gefunden zu haben (auf Taf. 8 bei Jordan-Huelsen C 458f. oder bei Kiepert-Hülsen Formae urbis² Taf. 2 und 3 Fl).[2]

Plin. n. h. VI 139 spricht von Charax oppidum Persici sinus intimum (Spasinu Charax o. Bd. III S. 2122 und Alexandreia o. Bd. I 1390ff. Nr 13); die Stadt, die anfangs von der Küste 10 Stadien entfernt gegründet worden sei, werde von König Iuba 50 Meilen landeinwärts angesetzt, von arabischen Gesandten und römischen Kaufleuten, die den Platz besucht hätten, sogar 120 Meilen; Plinius kennt kein zweites Beispiel eines gleich raschen und gründlichen Anwachsens von Schwemmland an Flußmündungen; maritimum etiam Vipsan[i]a habet porticus. Also, das geht aus dieser Stelle deutlich hervor, war auch außerrömisches Gebiet auf der K. in der porticus Vipsania dargestellt; schon dadurch wird der orbis terrarum der ersteren Stelle III 17 von jeder Gefahr eines Zweifels unsererseits oder einer Einschränkung wirksam befreit.

Nicht so einfach liegt es mit den Worten ex destinatione et commentariis M. Agrippae und mit der Erwähnung des divus Augustus. Die Mehrdeutigkeit des Terminus commentarii ließ fraglich erscheinen, ob damit ein geographisches Kompendium, etwa eine Summierung [2102] aller von Agrippa bei der Ausgestaltung des römischen Straßennetzes gemachten Erfahrungen, oder testamentarische Anweisungen betreffend die Ausführung der Säulenhalle und die Unterbringung der Welt-K. in ihr gemeint seien. Gewöhnlich hat man dann sowohl die Existenz der K. als auch einer besonderen Erläuterungsschrift zu dieser K. im Nachlaß des Agrippa angenommen und mit diesen geographischen Commentarii jene verglichen, welche Agrippa über die Wasserleitungen verfaßt hat, die Rom zu versorgen hatten; dem Kaiser Augustus mutete man eine Revision und Einfluß auf die definitive Ausgestaltung beider Werke zu. Neulich hat noch Gleye Philol. N F. XXII 318 durch die Konjektur delineatione (statt destinatione) eine schärfere Beziehung auf die K.-Zeichnung des Agrippa erreicht und die commentarii damit noch stärker an die Erklärung als geographisches Resumé oder Leitfaden gebunden, also beide Ausdrücke nicht weiter den testamentarischen Bestimmungen des Agrippa zukommen lassen.

Eine Entscheidung dieser Frage ist möglich und durch Detlefsen Ursprung, Einrichtung und Bedeutung der Erd-K Agrippas (= Sieglin Quellen und Forschungen XIII) herbeigeführt worden. Zu dieser Entscheidung führt nicht die vermeintliche Erwähnung der Agrippa-K. durch Strab. II 5, 17 C 120, der, wie es scheint, zur Zeit der Vollendung dieses Werkes in Rom weilte (vgl. aber unten § 64 S. 2110), wohl aber ein Überblick aller anderen Erwähnungen Agrippas als geographischen Gewährsmanns bei Plinius.

Strabon bemerkt, daß das Meer das Erdbild in der Hauptsache ausgestalte (γεωγραφεῖ καὶ σχηματίζει); ,denn es bildet die Busen und Meerbecken und Meerengen, in gleicher Weise die Landengen, Inseln und Vorgebirge; hiebei helfen auch die Flüsse und Gebirge mit; durch solche Mittel sind die Festländer und Völker und die durch die Natur gebotenen Positionen von Stadtanlagen und auch die übrigen ποικίλματα (Vignetten), ὅσων μεστός ἐστιν ὁ χωρογραφικὸς πίναξ, zu klarer Vorstellung gebracht. Hieher rechnen wir auch die Menge von Inseln, welche in den Meeren und längs der Küsten zerstreut sind‘. Ὁ γεωγραφικὸς πίναξ ist, das ist die communis opinio, die Welt-K. des Agrippa; und auf dasselbe Werk (allein oder in Verbindung mit der Begleitschrift) bezieht man die Zitate ὁ χωρογράφος bei Strab. V 224f. VI 261. 277. 285 und ἡ χωρογραφία VI 266 (ganz abgesehen von anderen Stellen, in denen Strabon die gleiche Quelle vor Augen zu haben scheine). Dieser πίναξ oder diese Chorographie erscheint stets mit vorgesetztem bestimmtem Artikel. ,Aus dieser Bezeichnungsweise geht deutlich hervor, daß es damals nur eine Person und nur ein Werk gab, die gemeint sein konnten‘ (Detlefsen 21). ,Öhmichen (Plin. Stud. 58ff.) versteht unter dem χωρογράφος den Varro, Schweder in seinen Beiträgen Teil III den Verfasser einer anonymen Chorographia Romana‘ (Detlefsen 21, 1); Detlefsen denkt an Agrippa, was auch schon vor ihm verschiedene und insbesondere A. Riese versucht hatten. Aber ganz unverständlich bleibt dann, daß Strabon den Namen des Agrippa [2103] verschweigt[3]; schon das mahnt zur Vorsicht und zum Zweifel! Auch M. Dubois Examen de la géogr. de Strabon (1892) 330, 2 leugnet in beachtenswerter Ausführung jeden Zusammenhang mit Agrippas K. und glaubt, Strabon habe irgend einen (damals sehr verbreiteten) Reiseführer durch Italien benützt. – Hier, sei auch gleich angeführt, daß Pallu de Lessert p. 249 daran mit Recht zweifelt, daß Strabons γεωγραφία im nämlichen Sinne, also in der gleichen Beschränkung wie bei Ptolemaios zu fassen sei (dort Geogr. I 1, Gegensatz zur γεωγραφία in verschiedener Hinsicht, z. B. bilden Objekte der

γεωγραφία χωρογραφία
κόλπος λιμένες
πόλεις μεγάλαι κῶμαι
ἔθνη δῆμοι
ποταμοὶ οἱ ἀξιολογώτεροι αἱ ἀπὸ τῶν πρώοων ποταμῶν ἐκτροπαὶ
καὶ τὰ καθ’ ἕκαστον
εἶδος ἐπισημότερα
καὶ τὰ πραπλήσια)

Die zahlreichen Berufungen (30) des Plinius auf Agrippa als geographischen Gewährsmann haben Riese S. 1- 8 und Detlefsen zusammengestellt. Niemals mehr kehrt jene direkte Verbindung der K. mit Augustus wieder, die wir Plin. n. h. III 17 sehen, so daß wir dadurch vor der Annahme eines stärkeren sachlichen oder formellen Anteils der Augustischen Revision am Zustandekommen des durch das Testament Agrippas in Aussicht genommenen Werkes uns gewarnt glauben dürfen. Allerdings indirekte Anspielungen auf die generelle Fürsorge Caesars und des Augustus für die Vermessung des Römischen Reiches sind umso zahlreicher vorhanden (s. u. S 66 Ende).

§ 61. Die Berufungen auf Agrippa zerfallen in zwei Gruppen; a) Begrenzung bestimmter Landesgebiete und ihre Abmessungen von Westen nach Osten = longitudo und von Norden nach Süden = latitudo; b) Abmessungen von Meeren und c) einigen einzelnen Linien, die aber, wie es scheint, mit den Gruppen a und b eng zusammenhängen.

Die Daten der Gruppe a erscheinen in gleicher Weise in zwei kleinen Schriften, nämlich in der Divisio orbis (Riese Geogr. lat. min. p. 15ff.) und aus ihr in Dicuils liber de mensura orbis terrae im J. 825 übernommen (Ausg. von Letronne 1814 und von Parthey 1870), und in der Dimensuratio provinciarum (Riese a. O. 9ff.), z. B. (und zwar alle in gleicher Abfolge der Bestandteile innerhalb der einzelnen Lemmata)

Plin.0VI0136
Div. 23
Dim. 2
Media et Parthia et Persis
Media Parthia Persis
Media Parthia A[r]iana Carm[a]nia Persis
Plin.
Div. Dim.
ab oriente Indo ... terminatae
finiuntur ab oriente flumine Indo
Plin.
Div.
Dim.
ab occiente Tigri
ab occidente flumine Tigri
ab occidente Mesopotamia
Plin.
Div. Dim.
a septentrione Tauro Caucasio
a septentrione Monte Tauro
Plin.
Div.
Dim.
a meridie Rubro mari
a meridie mari Rubro
a meridie mari Persico
Plin.
Div.
Dim.
patent in longitudinem
longitudo m. p. (Dic. 920)
patent in longitudine m. p.
1320 m. p.
1321
1320
[4]
Plin.
Div.
Dim.
in latitudinem
latitudo
in latitudine m. p.
840
820 (Dic. 421)
840
und an derselben Stelle des Plin. n. h. VI 137 (= Div. 22 und Dim. 3) wird Mesopotamia in folgender Weise begrenzt:
Plin.
Div.
Dim.
ab oriente Tigri
ab oriente flumine Tigri
[ab oriente] flumine Tigri
Plin.
Div. Dim.
ab occasu Euphrate
ab occidente flumine Eufrate
Plin.
Div. Dim.
a septentrione Tauro
a septentrione monte Tauro
Plin.
Div. Dim.
a meridie mari Persico
a meridie mari Persico
Plin.
Div.
Dim.
longitudine
longitudo m. p.
in longitudine m. p.
800 p.
900
800
Plin.
Div.
Dim.
latitudine
latitudo
[Lücke]
360
360

Was wir von Agrippas K. wissen können, erfahren wir außer durch Plinius nur durch die Divisio und die Dimensuratio. Diese beiden Schriften bringen die Lemmata in verschiedener Anordnung: die Divisio beginnt im Nord-Westen und schreitet gleichsam meridianweise aufsammelnd gegen Osten vor, die Dimensuratio hingegen geht von Südost aus und dringt (auf etwas komplizierterem Wege) gegen Westen vor; vgl. das Schema bei Detlefsen 58. Jedenfalls wird schon durch das verschiedene Anordnungsprinzip der einzelnen Lemmata klar, daß beide Schriften unabhängig voneinander aus der Karte genommen worden sind, mit andern Worten, daß die Lemmata auf der Welt-K. des Agrippa stets noch zu den zugehörigen Landschaften gesetzt und nicht etwa in irgendeinem Winkel des K-Feldes, z. B. in einer oder zwei oder mehr Kolumnen, gesammelt waren[5].

Es ist also, um das Gesagte zusammenzufassen und abzurunden, klar, daß diese Angaben über die einzelnen Landgebiete und ihre Maße irgendwo auf der K. des Agrippa, in der gleichen Art, wie diese ungefähr wörtliche Übereinstimmung der einzelnen Abschnitte beweist, und durch keinen weiteren Zusatz beschwert, aber nicht in geschlossener Reihenfolge, sondern irgendwie zerstreut gestanden haben, und nicht in einer besonderen Geleitschrift des Agrippa. Detlefsen [2105] meint S. 8: ,Sämtliche 24 Gebiete stoßen nach irgend einer Seite, oft auch nach mehreren, an den Ozean oder an die Flächen der großen Binnenmeere. Auf dem hier sich bildenden freien Raum waren, wie ich meine, die Maßangaben, wenn auch nicht immer, so doch häufig neben den Gebieten, zu denen sie gehörten, beigeschrieben. Es sind also zum Teil reine Zweckmäßigkeitsgründe, die den Agrippa veranlaßten, z. B. die Binnenländer Raetien und Noricum mit Germanien zu einem Ganzen zu verbinden oder an der 20., 22. und 23. Stelle so ausgedehnte Gebiete zu vereinigen‘. In ähnlicher Weise haben mittelalterliche Welt-K. neben anderen belehrenden Beischriften auch solche zur Veranschaulichung von Begrenzung und Maßen bestimmter Landgebiete verwendet, so z. B die Hereford-K. (Miller Mappae mundi IV 10) für jenes Land, das in der römischen Kaiserzeit offiziell die tres Galliae genannt wurde, in vollem Umfang und mit der ausdrücklichen Berufung secundum Agrippam regem (Verwechslung mit einem Judenkönig?). Aber das Agrippazitat ist aus Plin. IV 105 herübergenommen und von Detlefsen 113–117 ist siegreich gegen K. Miller die Behauptung eines Nachlebens der Agrippa-K. im Mittelalter abgewiesen worden.

Auch Plinius muß meines Erachtens eine ähnlich abgefaßte Ausschrift aus Agrippas K. vor sich gehabt haben. Ich kann nicht einmal das glauben, daß Plinius die Mühe, die mit dem Ausschreiben der Daten für die Landgebiete aus der K. des Agrippa verbunden war, persönlich geleistet habe. [2106] Denn, wäre das der Fall gewesen, so hätte er doch auch (selbst unfreiwillig) mehr von anders gearteten Notizen aus dieser K. gezogen, als die Notiz über Spasinu Charax (s. o. § 60 Anf.).

Es wird also erlaubt sein anzunehmen, daß Kopien der in der vipsanischen Säulenhalle ausgestellten Welt-K. in kleinem Format ihren Weg ins Publikum und in die Schule gefunden haben, und die kurzen Angaben über die 24 Landgebiete mit ihren Begrenzungen und ihren Maßen, sowohl der Länge als der Breite (beide im technischen Sinne dieser geographischen Termini), weil sie nicht auf den Exemplaren der Hand- oder Volks-Ausgabe Platz hatten, als besondere Beigaben (Texte) angeschlossen wurden. Diese Beigaben konnten im Laufe der Zeit Abänderungen erfahren und als Memorierstoff auch von der K. getrennt werden, beides so wie die Ausschrift aus des Honorius Sphaera (s. Kubitschek o. Bd X S. 621. 623). Plinius hat also ein solches Exemplar als konstituierendes Element seiner geographischen Bücher fortlaufend benützt; er müßte nicht Plinius gewesen sein, wenn er dieses Material stets glatt und vollständig und mit deutlicher Bezeichnung dieser seiner Quelle verzettelt und ausgeführt hätte. Aber trotzdem lehrt eine Vergleichung der plinianischen Lemmata mit der Divisio und der Dimensuratio leicht, was Plinius in seinem Handexemplar des Agrippaschen Memorierstoffes zu lesen in der Lage war.

§ 62. Somit ergeben sich für die Welt-K. des Agrippa folgende 24 festländische Landgebiete (geordnet nach der Abfolge bei Plin. n. h. III-VI):

01 Baetica Plin. III 16. Div. 4. Dim. 24 (Hispania ulterior)
02. Hispania citerior (fehlt Plin.). Div. 6. Dim. 24
03. Narbonensis Plin. III 37. Div. 8. Dim. 21
04. Italia (Plin. III 43f.). Div. 9; Dim. 14f. gibt Italien in zwei Hälften geteilt
05. Illyricum Plin. III 150. Div. 10 (Raetia, ager Noricus, Pannonia, Illyricum, Dalmatia, Liburnia); Dim. 19 (Illyricum, Pannonia)
06. Epirus, Achaia, Attica, Thessalia Plin. IV 32 (ohne Agrippas Namen). Div. 12. Dim. 12 (Epirus, Achaia, Thessalia)
07. Macedonia, Thracia, Hellespontus Plin. IV 50 und 42 (ohne Agrippas Namen); Div 13 Mac., Thrac., Hell. et pars sinisterior Ponti; Dim. 11 Mac., Hell. pars Ponti
08. Dacia (Daci) Plin. IV 81. Div. 14. Dim. 8
09. Sarmatia, Scythia Taurica Plin. IV 91. Div. 15. Dim. 9
10. Germania, Raetia, Noricum Plin. IV 98. Div. 11 (Germania). Dim. 19 (Germ., Raet., ager Noricus)
11. Gallia Comata Plin. IV 105. Div. 7. Dim. 20
12. Lusitania, Asturia, Gallaecia Plin. IV 118. Div. 5. Dim. 23
13. utraque Mauritania Plin. V 21 (ohne Agrippas Namen). Div. 26 und Dim. 25 (Gaetulia et Mauretania)
14. Numidia et Africa Plin. V 25 (ohne Agrippas Namen). Div. 25 und Dim. 26 (Africa Carthaginensis et Numidia)
15. Cyrenaica Africa Plin. V 38 (ohne Agrippas Namen). Div. 21. Dim. 27
16. Ägypten (fehlt Plin.); Div. 20 Aegyptus inferior; Dim. 28 Aegypti pars inferior et Mareotis Libyca
17. Syria Plin. V 67 (ohne Agrippas Namen). Div. 19. Dim. 4
18. Asiae pars (citerior) Plin. V 102. Div. 16; fehlt Dim.
19. Asiae pars (superior) Plin. V 102. Div. 17; fehlt Dim.
20. Caspium mare, Armenia Plin. VI 37. Div. 18. Dim. 6
21. India Plin. VI 57; India ulterior Div. 2 und Dim. 1
22. Media, Parthia, Persis Plin. VI 137. Div. 23; Dim. 2 Media, Parthia, Ariana, Carmania, Persis
23. Mesopotamia Plin. VI 137. Div. 12. Dim. 3
24. Aethiopum terra universa cum mari Rubro und superior Aegyptus Plin. VI 196; Arabia Eudaemon flecmea und Trogodytice Arabia Aegypto proxima Div. 21; Arabia, Aethiopia et Aegyptus superior Dim. 29.

[2107] Die Divisio beschränkt sich auf die Aufzählung der Festlandsbezirke und hat sonst noch nur einen einzigen Inselbezirk, die Zykladen und Sporaden; die Dimensuratio hingegen hat einige Abschnitte mehr, in welchen ganz nach dem Schema der agrippaischen Festlandbeschreibnngen die Grenzen und die Maße von Inseln genauer angegeben werden, nämlich (gleichfalls nach der Abfolge bei Plin. n. h. III–IV geordnet) Corsica Dim. 16, Sardinia Dim. 17, Sicilia Dim. 13 (insula Sicilia et quae circa sunt), Creta (insula Creta et quae circa sunt) Dim. 10, und Britannia Dim. 30. 2u diesen Inseln werden Agrippa-Maße durch Plinius ausdrücklich nur zweimal angegeben, nämlich für Sicilien III 86 und für Britannien IV 102; Maße des χωρογράφος erscheinen bei Strabon für Corsica, Sardinien und Sicilien. Aber so klar und glatt die Übersicht der 24 Festlandgebiete zu gewinnen war und ein so gutes Mittel sie bot, um in dies Quellenmaterial des Plinius dort hineinzuleuchten, wo er in seinem (nun doch einmal und zwar ausgiebig vorhandenen) Mangel an Ordnungsinn und richtigem Fleiß uns darüber zu unterrichten unterläßt, ebenso schwierig gestaltet sich die Frage bei den Inseln. Eine Übereinstimmung der Zahlen ist nur bei Britannien zwischen Agrippa – Plinius und der Dimensuratio außer Zweifel, aber auch dort nicht ausreichend, weil Agrippa zugleich auch noch für Irland die Maße angibt, während die Dimensuratio diese Nebeninsel ganz wegläßt.

Sehr bedauerlich ist, daß die einzige Inselpartie, welche auch von der Divisio Überliefert ist, in dieser durch Ausfall einiger Zeilen direkt mit der Überschrift des vorhergehenden Lemmas Asiae pars citerior verbunden, und daß in der Dimensuratio der Text dieses Lemmas überarbeitet oder verderbt erhalten ist. Plinius nennt nicht ausdrücklich Agrippa als Autor seines Lemmas, aber dessen Autorschaft scheint auch ohne solche Bestätigung wegen der formellen Analogie genügend gesichert.

Plin.0VI071
Div. 16
Dim.07
Cyclades et Sporades
Überschrift verloren
Insula Rhodus cum Samum Chium et quae circa sunt Cyclades [6]
Plin.



Div. Dim.
ab Oriente litoribus iacariis, sicariis oder sichariis überliefert, Caricis vermutet Detlefsen, was durch den Vergleich mit den hier folgenden Daten der Div. und Dim. nicht gerade empfohlen wird
ab Oriente litoribus Asiae
Plin.
Div.
Dim.
ab occidente Myrtois Atticae
ab occidente Graecia
ab occidente mari [I]cario
; Oros. hat Icario
[2108]
Plin. Div.
Dim.
a septentrione Aegaeo mari (Div. und
Dim. m. A.)
Plin. Div.

Dim.
a meridie Cretico et Carpathio inclusae (incl. fehlt Div.)
a meridie mari Carpathio
Plin.
Div.
Dim.
per 700 in longitudinem
longitudo m. p. 700
in longitudine m. p. 500
Plin.
Div.
Dim.
per 200 in latitudinem
lalitudo 400
in latitudine mp. 200

Die Vermutungen Detlefsens S. 69f. über den Zusammenhang zwischen der zunehmenden Verschlechterung (Verwitterung) der in der Säulenhalle ausgestellten Welt-K. des Agrippa (die, wie er glaubt, auch noch von Orosius direkt eingesehen wurde, vgl. Detlefsen 18) und der Testgestaltung von Divisio und Dimensuratio sind recht unwahrscheinlich, ebenso was er S. 19 schließen ,muß‘, nämlich ,daß die Divisio schon im J. 393 und die etwas jüngere Dimensuratio zwischen diesem Jahre und 417 verfaßt ist‘. Außerdem läßt das Epigramm bei Dicuil einen Kaiser Theodosius ter quinis aperit cum fascibus annum, d. i. im 15. Consulatsjahr des zweiten Theodosius im J. 422 oder, wie Detlefsen, Dicuil folgend, es leider für möglich ansieht: im 15. Herrscherjahr des ersten Theodosius, d. i. im J. 393, mit der Herstellung einer neuen Welt-K. sich befassen; aber es nimmt auf die Divisio, die stark von Dicuil ausgenützt wird, nicht Bezug. Es erübrigen sich somit vollständig Detlefsens Erwägungen, die aus dieser theodosianischen Unternehmung (u. § 72) einen Terminus ante quem für die Divisio herauspressen wollen.

§ 63. Jeder weitere Schritt ist vorläufig nichts als Herumraterei; so wenn Detlefsen 60 es für unwahrscheinlich ansieht, daß Agrippa ,entsprechend dem Schema für die Festlandsgebiete zu den Maßen für die Inseln stets auch die die Inseln umgebenden Meere hinzufügte; das war überflüssig, wenn er auf der K. selbst, wie doch anzunehmen ist, in die einzelnen Meeresteile ihre Namen eingeschrieben hatte und das K.-Bild der Wirklichkeit einigermaßen entsprach‘. Detlefsen kommt, nebenbei bemerkt, dadurch auch in Widerspruch zu seiner eigenen Stellung zu den 24 Festlandgebieten Agrippas, da er für dieses Inselgebiet, das sich doch wunderlich genug unter den übrigen ,Festlandsgebieten‘ ausnimmt, die Grenzangaben offenbar von Agrippa herleitet; vgl. S. 69, wo er Caricis (litoribus), ,unleserlich geworden und deshalb hier (Div. Dim) ausgelassen‘ und ,dafür aber in der verballhornten Form mari Icario an die Stelle der unverstandenen Worte Myrtois Atticae eingedrungen‘ glaubt, ,wohin es durchaus nicht paßt‘.

Standen aber die Maßangaben für die einzelnen Erdstücke, σφραγίδες würde Eratosthenes gesagt haben, auf der Porticuskarte selbst, dann brauchen wir auch für die paar andern Daten, die wir aus Agrippas Kartenwerk erfahren, erst recht nicht anzunehmen, daß die commentarii M. Agrippae, von denen Plin. III 17 spricht, eine besondere Begleitschrift gewesen seien; sogar die beiden Sätze Plin. n. h. III 8 oram eam (n. Baeticae) in universum originis Poenorum [2110] existimavit M. Agrippa und VI 39 von einem Teil des Kaspischen Meeres oram omnem a Caso (n. flumine) praealtis rupibus accessu carere per 425 m. p. auctor est Agrippa können von der K. in der vipsanischen Säulenhalle abgeschrieben worden sein.

§ 64. Es bleibt fast nur noch die Frage offen: Warum hat Agrippa die Welt-K. entworfen? Oder vielmehr, da ja kein Zweifel darüber bestehen kann, daß Agrippa nicht gelehrte Am-; bitionen verfolgte, und daß ferner die Welt-K. als eines der Dekorationsstücke seiner Säulenhalle zu fungieren hatte und diesen Zweck erfüllen konnte, ohne sachlich die bisherigen Leistungen auf diesem Gebiete zu übertreffen, was hat die Mit- und Nachwelt veranlaßt, der Welt-K. Agrippas besondere Beachtung zu schenken? Offen gestanden, wir wissen es nicht, und wir entnehmen die Tatsache, daß diese K. wohl nicht bloß in formeller Ausführung, sondern auch sachlich eine bedeutende Leistung darstellte, zwar nicht einem ausdrücklichen Zeugnis, sondern dem Tone, in welchem Plinius von ihr spricht, und der Beobachtung, wie weit die Benutzung der Agrippa-K. durch das Medium der Div. und der Dim. sich fortgesetzt zu haben scheint.

Man sucht den Unterschied zwischen dieser römischen und den vorgeschritteneren griechischen Welt-K. derselben Zeit in den Mitteln und im Zweck; Agrippa habe nicht wissenschaftliche Ziele,: sondern praktische verfolgt (so z. B. Detlefsen 4. 117), und Agrippa habe das Kartenbild nicht durch astronomische Mittel, sondern aus dem römischen Straßennetz und den Periplen, also aus der Praxis des Kaufmanns und Militärs heraus zu verbessern getrachtet (so am schärfsten Partsch an der o. § 27 Ende angeführten Stelle). Das hört sich so an, wie wenn zu glauben wäre, daß eine Karte mit wissenschaftlichen Zielen nicht der Praxis dienen könne, oder wie wenn die auf wissenschaftlicher Grundlage begonnenen K. des Altertums die Hilfe der Itinerarien und Periplen hätten verschmähen können und nicht vielmehr in größtem Umfang hätten verwerten müssen; man denke doch nur an die ptolemaeische K., die mehr als fünf Menschenalter später als die Agrippas in Angriff genommen worden ist. Man redet sich grundlos in eine Geringschätzung der Leistung Agrippas hinein; man vergißt vielleicht dabei zu rasch, welche Zahl berufener Interpreten der bisherigen griechischen Leistungen auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und praktischen Geographie Männern wie Agrippa und Augustus als Berater zur Verfügung stehen mußte, und beruft sich auf das (dann allerdings gewissermaßen stumm abgegebene) Urteil Strabons, ,der selbst nicht eben tief in die astronomisch-geographische Wissenschaft eingedrungen war, aber neben Plinius der einzige selbständige Schriftsteller, der Agrippas Karte benutzt hat; er habe ,offenbar ihre Mängel eingesehen‘ (Detlefsen 105. 117); ,Agrippas Erd-K. hat die wissenschaftliche geographische Forschung nicht gefördert, sondern bei den Römern eher ins Stocken gebracht‘ (Detlefsen 117). Das und Ähnliches, was man liest, sind alles Deklamationen ohne realen Hintergrund.

Daß Agrippas K. keinen Fortschritt bezeichnete, kann nicht daraus erschlossen werden, daß [2110] kein urteilsberechtigter Vertreter der Geographie diesen Fortschritt ausdrücklich konstatiert habe (was wüßten wir z. B. von Marinos ohne Ptolemaios?), und wer behauptet, daß selbst Strabon gering von Agrippas K. denke, müßte erst erweisen, daß Strabon von Agrippas K. spreche und sie überhaupt je gesehen habe. Eine wichtige Rolle spielt bei dieser Erwägung die Vermessung Siziliens bei Strabon, der VI 2, 1 C 266 die Länge der Küsten nach den Angaben ἐν τῇ χωρογραφίᾳ in Millien detailliert verzeichnet. Seine Zahlen stimmen nicht zu den von Plin. III 86 unter Berufung auf Agrippa angegebenen Daten. Wäre Agrippas K. mit der χωρογραφία gemeint, so müßte in konsequenter Ausgestaltung dieses einen Beispiels eine Fülle von Itinerarsätzen über die Welt-K. ausgestreut gewesen sein; aber nichts weist uns sonst darauf hin; vgl. Dubois a. a. O. (o. § 60). Die Seedistanzen in Überfahrt oder Küstenfahrt, welche man mit Recht oder Unrecht auf Agrippa zurückführt, gehören, so viel mir scheint, einer Anzahl von Lemmata an, in denen die Meere genau so wie die Festlandgebiete (nur ohne Angabe der Umgrenzung) vermessen werden.

§ 65. Es ist ganz müßig, die Fragen des Materials und der Technik (Malerei, Mosaik, Eingraben in z. B. Marmor) und der Ausführlichkeit der Darstellung zu erörtern (Müllenhoff Deutsche Altertumsk. III hat an 12 000 Namen angenommen, d. i. mehr als zweimal so viel wie die Peutingersche Tafel oder das Anderthalbfache der Geographie des Ptolemaios, Schweder sogar 15 000–16 000 Namen); ebenso über die Ökonomie der Zeichnung und (Detlefsen S. 10f9.) über die Abgrenzung der Festlandsgebiete gegeneinander. Es erscheint also auch ganz überflüssig, über den Vorschlag Millers Mappae mundi VI 108 sich zu äußern, der auf der Agrippa-K. Osten oben (im Gegensatz zum wahrscheinlichen Bedürfnis der K., welche wie alle besseren anderen Welt-K. ihrer Zeit zweimal so lang als ,breit‘ = hoch gewesen sein dürfte) angenommen hat, bloß weil mittelalterliche K., die er aus der Agrippa-K. ableiten will, geostet sind, oder darüber, ,daß die Bewunderung erregende Pracht der Augustus-K. wesentlich in ihrem Bilderschmuck bestand, durch welchen die größten Merkwürdigkeiten der Welt veranschaulicht wurden‘ (Miller a. a. O. VI 147). – Über die Dauer des Bestandes der K. Agrippas Kubitschek a. O. 93.

§ 66. Literatur: A. Riese Geographi Latini minores (1878) Proleg. S. 7–17 und (die Fragmente des Agrippa) S. 1–8 und Proleg. S. 45f. K. Miller Mappae mundi VI 108ff. mit (unvollständiger) Aufzählung der Literatur und mit einem Versuch, ,die Länderverteilung nach der Dimensuratio und der Divisio‘ als kreisrundes Erdbild zur Anschauung zu bringen (S. 109 Fig. 42). Detlefsen Ursprung, Einrichtung und Bedeutung der Erdkarte Agrippas (1906, vgl. o. S. 2102). V. Gardthausen Augustus II 549f. und Literatur-Nachtrag dazu (1917) und C. Pallu de Lessert L’oeuvre géographique d’Agrippa et d’Auguste aus den Mémoires soc. antiq. de France LXVIII (1908) 215ff. Vgl. auch E. Schweder Beiträge zur Kritik der Chorographie des Augustus I–III (1876–1883); ebd. Über die [2111] Weltkarte und Chorographie des Kaisers Augustus im Philologus LIV. LVI und LXII (1895–1903). F. Philippi Zur Peutingerschen Tafel, Rhein. Mus. LXIX 40ff. Eine erneute Durchsicht und sachliche Erklärung der Agrippa-Fragmente ist auch nach (Detlefsens Buch nötig geblieben oder vielmehr durch dasselbe erst recht nötig gemacht worden, um Zweifel über die vollständige Erstreckung der Divisio und der Dimensuratio über die Oikumene als ausgeschlossen betrachten zu können; ferner die Fragen, unter welchen Voraussetzungen Agrippas Festlandgebiete gezeichnet worden sind[7], ob Agrippas K. in Übereinstimmung mit seinen Abmessungen entworfen worden ist, was z. B. Miller leugnet, oder Detlefsen 21) ,sich mit einer annähernden oberflächlichen Ähnlichkeit begnügt haben‘ soll.

Es ist vielmehr gar nicht abzusehen, warum Agrippa hinter den besten Durchschnittsleistungen seiner Zeit auf dem kartographischen Gebiete geflissentlich hätte zurückbleiben sollen, und ebensowenig, woraus wir auf solches Zurückbleiben schließen müßten. Insbesondere muß der Vorstellung, daß die Festlandkonturen der Tabula Peutingeriana uns ein getreueres oder geringeres Abbild der Welt-K. des Agrippa geben, entgegengetreten werden. Der Zeichner der Tab. Peut. – nicht das Wiener Exemplar ist damit gemeint, sondern seine älteste Vorlage – hat nämlich einem weitverbreiteten und von Ptolemaios in der Geographie 118 gerügten Mißbrauch folgend, um Schriftraum zu gewinnen, die Verteilung von Wasser und Land zu Ungunsten des ersteren so stark verschoben, daß beispielsweise das Adriatische Meer wie ein dünner Wurm oder eine schmale Wursthaut im Kartenbild liegt; etwa 1/7 oder 1/8 der ganzen Länge der Oikumene auf der K. einnehmend, ist es so wenig breit, daß für Einzeichnungen von Inseln zu wenig Platz zur Verfügung steht und Scheidung von Zugehörigkeiten zur Ost- und Westseite undurchführbar ist. Wo wäre dann Agrippa, wenn er ähnlich verfahren wäre, Platz für die ausführlichen Lemmata der Festlandsbezirke geblieben, die wir doch irgendwie und irgendwo als freier disponierte Aufschrift denken müssen? Und kann das überhaupt glaublich erscheinen, daß Männer in leitenden Stellungen wie Agrippa oder Augustus sich mit einer für damalige Verhältnisse kein hervorragendes Wagnis bedeutenden Arbeit der öffentlichen Kritik gegenüber so erbärmlich bloßgestellt haben?

[2112] Agrippas Name ist uns für die Welt-K. bloß durch Plinius bezeugt. Daß die Divisio und die Dimensuratio provinciarum seinen Namen unterdrücken, will umso weniger etwas bedeuten, als beide Texte doch wohl ursprünglich neben einer Kopie der K. (vermutlich auf kleinem Format und mit stark reduziertem Inhalt, s. o. § 61) benutzt werden sollten und erst in weiterem Verlauf von ihr ganz losgelöst worden sind. Dann wird die Reichs- oder Weltvermessung und wo andeutungsweise von einer zeichnerischen Darstellung des Erdbildes die Rede zu sein scheint, Augustus an Agrippas Stelle gesetzt; die Belegstellen bringt (Detlefsen S. 20: die Einleitung zu den Rezensionen II und III der Cosmographia des Iulius Honorius (s. Kubitschek o. Bd. X S. 615), Cassiod. var. III 52, Fulgentius Planciades (Zitat bei (Detlefsen aus Reifferscheid Anecdoton Fulgentianum im Breslauer Index scholarum 1883/4 p. 5) De aetatibus mundi et hominis c. 14 p. 176, 19 Helm (Teubner); Isid. orig. V 36, 4. Auch die Divisio c. 1 (und in wörtlicher Nachfolge) Dicuil I 2 läßt die ganze Übersicht per chorographiam durch den divus Augustus verfaßt sein.

§ 67. ,Im Gegensatz‘ zur ,Einteilung der Augustus-K.‘ denkt sich Miller M. m. VI 146 eine andere Welt-K., die ,revidierte römische Reichs-K. des 4. Jhdts.‘, der angeblich die Tab. Peut., Ammianus Marcellinus, Hieronymus, Orosius, Isidorus, der Ravennate, Iulius Honorius, Paulus Diaconus und die Beatus-K. folgen (z. T. anders a. O. 85–89). In diese K. ,war die Einteilung in Diözesen und Provinzen eingetragen‘, die Provinzgrenzen durch gerade Linien dargestellt, von jeder Provinz ,ein paar der wichtigsten Städte‘ aufgenommen. ,Diese K. kann nicht viel über Ammians Zeitalter hinaufreichen, wenigstens in ihrer endgültigen Redaktion‘. Nun ist es gewiß außer Zweifel, daß Ammianus und wer sonst (z. B. Orosius) sich mit Darstellungen der gesammten Erdkunde oder wichtiger Teile derselben befaßte, das nicht tun konnte, ohne ein Erdbild vor sich zu haben oder nach älteren Vorlagen sich ein neues zu zeichnen. Aber wir erfahren in der Regel nichts über diese und andere Hilfsmittel des Schriftstellers, wie wir ja in den seltensten Fällen den Autor bei seiner Arbeit zu verfolgen imstand sind, und müßten, wenn wir uns den wirklichen Vorgang rekonstruieren wollten, auf gut Glück jedesmal Möglichkeiten aufstellen; Bestätigungen und Beweise sind unmöglich. Man könnte also ruhig über diesen fragwürdigen Einfall Millers hinweggehen, wenn er nicht diese ,Reichskarte‘, über die wir angeblich aus Ammian uns orientieren können, offenbar als eine revidierte Auflage der sog. Augustus-K. ansähe und diese sich so in das Mittelalter retten ließe. Miller sieht daher ,als Endziel im Hintergrunde die verdichtete römische Welt-K.‘ (a. O. 4), eigentlich damit einen Gedanken Müllenhoffs wiederholend. Nach Abschluß seiner Sammlung mittelalterlicher mappae mundi ruft Miller begeistert: ,In der Tat, die verdichtete römische Welt-K. bedarf der Herstellung nicht mehr, sie schaut aus all jenen K.-Bildern heraus, und an der Hand dieses Familienbildes fällt es nicht mehr schwer, die zu den Beschreibungen der alten Kosmographen gehörenden K. herzustellen‘. Es wäre nur schade, [2113] daß Miller die Hervorhebung der Familienzüge aus den mittelalterlichen K. nicht selbst uns dargelegt hat; wir anderen sind leider noch weit davon entfernt, in den mittelalterlichen Rad-K. Familienähnlichkeit soweit zu erkennen, daß wir das, was Miller die ,verdichtete‘ römische Welt-K. nennt, aus ihnen auch nur zu erraten vermöchten.

§ 68. Itinerarkarten. ,Soll es denkbar sein, daß die im Verhältnis zur Größe des römischen Staatsbudgets sehr hohen Kosten des Straßenbaues und die rühmenswerten Anstrengungen im Kampf gegen die technischen Schwierigkeiten nicht zu einem guten Inventar der römischen Reichsstraßen geführt haben, das doch allein die volle Ausnutzung des Geschaffenen sichern konnte?‘ ,Endlich konnte auf Grund des amtlichen Materials eine Straßen-K. entworfen werden, die eine oberflächliche Übersicht auf das bequemste zu fördern geeignet war. Durch die Eintragung der Entfernungen zwischen den Stationen und durch die Wahl erklärender Beischriften oder charakteristischer Vignetten war es dann möglich, mittels des K.-Bildes alles das wiederzugeben, was man sonst in einem Buchitinerar vereinigte, und zwar anschaulicher und übersichtlicher als in diesem. Wie viele solcher Versuche mögen gemacht worden sein, wie viele Abschriften mögen verbreitet gewesen sein! Sie alle sind mit so vielen anderen schriftlichen Behelfen des öffentlichen und des privaten Lebens verschwunden.‘ Vgl. Kubitschek Eine röm. Straßenkarte, Österr. Jahresh. V 30f. und O. Bd. IX S. 2320f.

In diesem Aufsatz habe ich nach einer Analyse des Itinerarium Ant. S. 50 zusammengefaßt, daß es ,das Werk eines weder publizistisch geübten noch irgendwie mit der römischen Straßenorganisation vertrauten Mannes sei, und daß kein Gelehrter, kein Geograph, kein Militär und kein Verwaltungsbeamter ein solches Elaborat habe liefern können. Es fehlt subjektiv und objektiv jeder Anhaltspunkt für die Bezeichnung des Itin. Ant. als einer offiziellen Publikation, als eines von amtswegen veröffentlichten Reichsstraßenverzeichnisses. Alle Schwierigkeiten fallen aber weg, wenn wir den Text des Itin. Ant. als Exzerpt aus einer Land-K. und dazu als Arbeit eines Unberufenen, eines Schülers oder eines Unfertigen ansehen. Es steht fast auf einer Stufe mit der Kosmographie des ravennatischen Anonymus, der, wie er ausdrücklich erklärt [I 18 und V 34[8]], eine Straßen-K. ausgeschrieben, und zwar so unverständig und unrationell exzerpiert hat, daß wir in sehr vielen Fällen nicht erkennen können, welche Straße er in seiner Vorlage eingezeichnet gefunden habe‘, oder mit dem Textbuch, das nach Anleitung des Iulius Honorius aus einer K. exzerpiert worden war (vgl. Kubitschek o. Bd. X S. 620f.). ,Daß das Itin. Ant. aus einer K. geflossen ist, wird am schärfsten klargelegt durch die (von Kubitschek Jahresh. 31ff. erwähnten) Versehen in der Behandlung der mittelitalienischen Straßen. Die Namen dieser Straßen dürften, so wie wir es auf der Tab. Peut. sehen und wie es auf der Vorlage des Ravennas gewesen sein muß, nächst der Vignette Roms beigeschrieben gewesen [2114] sein, so daß diese Art der Bezeichnung nicht ausreichte für die Beurteilung entfernterer Straßenpartien; aus dieser K. konnte der unkundige Abschreiber es herauslesen, daß die Via Latina in die Via Labicana einmünde; deshalb konnte er die Via Clodia mit der Via Cassia verwechseln, den Lauf der Via Appia und den der Via Flaminia falsch umgrenzen‘ (a. O. 51f.).

Ebenso ist klar, daß im Itinerarium maritimum, das den Schluß des Itin. Ant. bildet, eine K. ausgeschrieben wird. ,Gesichert wird diese Vermutung durch die Erwähnung dreier Orkaden und durch die irrtümliche Einbeziehung von Positionen des Festlands unter die Inseln. Die Alten zählten 30, 31, 34 oder 40 Orkaden. Schreibt der Verfasser von drei Orkaden, so tut er das nicht auf Grund einer besonderen Information oder eigenen Urteils, sondern weil er auf seiner K. eben nur drei Inseln eingezeichnet vorfand. Aus einer K., auf der aus Platzmangel einige Namen in die Meeresfarbe eingetragen worden waren, hat er das boeotische Aulis, die ionischen Städte Erythrai und Phokaia, Sigeion, Balesos auf Chios, die Halbinsel Pallene, das Parnassgebirge und vielleicht noch andere Binnenorte zu Inseln gemacht‘ usw. (a. a. O. 58).

Das Prinzip der K., aus der das Itin. Ant. geflossen ist, mag das gleiche gewesen sein (a. O. 59), ,wie es die Tab. Peut. befolgt, natürlich von der Kontur der einzelnen Landschaften abgesehen. Das gilt für die einzelnen Stadtvignetten oder für die Haken wenigstens; es traten wohl ebenso zu den Verbindungslinien zwischen den einzelnen Vignetten die Angaben der Millien. Das Meer mag blau oder grün gemalt, und in diesen Farbstreifen hinein mögen wie auf der Tab. Peut. die Namen der Häfen und der Inseln geschrieben gewesen sein. Zwischen die Noten für die Häfen denke ich mir nun – ob mit oder ohne Streckenstrich ist gleichgültig – die Zahl der Stadien gesetzt, ganz wie die Tab. Peut. zu der Südostspitze des Peloponneses die Worte traiectus stadiorum CC geschrieben zeigt. Bei einigen Punkten, so bei der Ostspitze Siziliens, mögen auch Distanzangaben als zusammenhängende Sätze gestanden haben. Endlich kann bei einzelnen Inseln eine antiquarische oder mythologische Notiz beigeschrieben gewesen sein‘.

Es versteht sich, daß auch mit der Möglichkeit der Aufnahme einzelner Itinerarblätter in das Itin. Ant. gerechnet werden muß, daß also das Itin. Ant. nicht seiner Gänze nach aus einer und derselben Straßen-K. abgeleitet werden muß. Als solche Einlagen habe ich beispielsweise Itin. Ant. p. 95, 3ff. (die Küstenstraße von Agrigentum bis Syrakus) und p. 497ff. (Küstenfahrt von Rom bis Arles) angesehen. Wichtig ist Elters später geglückte Beobachtung, Itinerarstudien (1908), vgl. Kubitschek o. Bd. IX S. 2334, daß Itin. Ant. p. 98ff. und 124ff.: Reise von Rom über Mailand nach Konstantinopel und Ägypten samt der Rückkehr über die Via Egnatia und Rom, die auch durch das Itin. Hierosolymitanum vertreten wird, eine Einheit bildet; nur gebe ich nicht zu, daß die Anerkennung dieses einheitlich konzipierten Blattes als eine Instanz gegen die von mir aufgestellte Ansicht gewertet werde, das Itin. Ant sei aus einer Straßen-K. abgeleitet, [2115] sondern verlange, daß a) die Ableitung aus einer Straßen-K. und b) Einlagen fertig übernommener Itinerarstücke[9] nebeneinander in Erwägung gezogen werden; die Annahmen a) und b) schließen ja einander in keiner Weise aus.

§ 69. Besonderes Gewicht habe ich (a. O. 59ff.) auf den Nachweis gelegt, daß die um 700 entstandene ravennatische Kosmographie (vgl. über sie Funaioli Bd. I A S. 305ff.) aus einer anderen Kopie einer ausführlichen K. geflossen sei, deren Abschrift uns in der Tab. Peut. erhalten ist, und daß der merkwürdige Einfall des Ravennaten, die an der Küste des Mittelländischen Meeres auf seiner K.-Vorlage eingezeichneten Orte reiterantes totas circa litora maris magni positas im fünften Buch nochmals zu verzeichnen, und zwar an den Faden des Küstenverlaufs gereiht (tantummodo unam alteri connexam V 1), für unsere Quellenforschung als besonderer Glücksfall einzuschätzen ist, zumal da der Ravennas sich nicht an seine ersten Exzerpte gehalten hat, sondern für diese neue Ausschrift noch einmal auf das Original zurückgegangen ist. Es sollte uns nicht wundernehmen, daß dieser Weg ihm auch leichter und bequemer erschienen ist als das Ausschreiben seiner eigenen (in der Hauptsache für die Bücher II–IV berechneten) damals fertig vorliegenden Notizen; er hat dann wohl etwas später bemerkt, daß die Namen nicht an beiden Stellen in gleichem Wortlaute mitgeteilt worden seien [10], und hilft [2116] sich mit der naiven Ausflucht dialektischer oder anderssprachlicher Verschiedenheit, also mit einer Ausflucht, für die guter Glaube dem Ravennas wohl kaum zugebilligt werden kann (V 1 ne mireris, o lector, si nomina civitatum superius a nobis descriptarum aliquantulum discrepent ab iis quas inferius nominabimus, quia unum et idem significant, quamvis diversis nominibus nuncupentur, quod ideo a nobis factum est, quia homines diversis vocabulis abutuntur, sicuti mos illorum est et linguarum diversitas; aber V 2 hält er nicht mehr an dieser Erklärung aus Sprachverschiedenheiten fest, sondern begnügt sich damit, solche Varianten als unbedeutend zu bezeichnen, verbis paene eisdem descriptas atque enarratas).

§ 70. ,Wie eng die Vorlage des Ravennaten und die Tab. Peut. in einer ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht gar fern abliegenden Zeichnung zusammenhängen, wird durch die Beobachtung illustriert, daß gewisse Fehler des Ravennaten nur aus der verzerrten Gestalt der Tab. Peut. erklärt werden können. So haben beide, Ravennas und Tab. Peut, die zwei wichtigsten oder wenigstens bekanntesten kretischen Städte, Gortyn und Cnossus, nebeneinander an die Nordküste gelegt, obwohl Gortyn nicht fern von der Südküste durch das Bergland zwischen Dikte und Ida von Cnossus getrennt lag, und beide haben andere Binnenstädte neben sie an die Nordküste gedrängt‘ (Kubitschek 70); vgl. die zwei nebenstehenden Kartenskizzen von Kreta (a. O. 70 Fig. 14, hier mit Genehmigung des Hölderschen Verlags wiederholt), deren eine die Reihenfolge der vom Geogr. Rav. V 21 genannten Ortsnamen einpunktiert zeigt;
wie es gekommen ist, daß Cortina von der Südküste der Insel an die Nordküste neben Cnosos geraten ist, darüber gibt die unter ihr befindliche Skizze nach der Tab. Peut. Auskunft.
Andere Beispiele habe ich S. 70f. zusammengestellt.

,Daß der Ravennate und die Tab. Peut. einander gegenüber oft genug bald größere bald kleinere Überschüsse an Namen haben, ist nicht schwer zu begreifen, wenn man die Flüchtigkeit und Willkür beider Teile ins Auge faßt. Man sollte daher niemals einen von beiden allein über den Text jener antiken K. befragen, die in diesen letzten Ausläufern so ärmlich gestrandet ist, daß keiner von beiden auf die Entwicklung der geographischen Studien des späteren Mittelalters irgend einen sichtbaren Einfluß nehmen konnte' (ebd. 71ff.).

[2117] § 71. Auf die nämliche K., aus der die Tabula Peutingeriana und der Geographus Ravennas geflossen sind, habe ich aber auch das Itinerarium Antonini zurückgeführt (a. O. 73ff. Entscheidend für diese Zurückführung war, daß im Itin. Ant., beim Geogr. Rav. und auf der Tab. Peut. Angaben der Rechtsqualität einzelner Kommunen des afrikanischen Festlandes als ein stehen gebliebener Rest eines allgemein durchgeführten oder – was hier das gleiche wäre – allgemein geplanten Verfahrens anzusehen sind; es ist aber möglich (Kubitschek 78), daß noch mehr Spuren dieser Art von Bezeichnung aus dem übrigen Westen, Spanien und England klarer uns vor Augen treten würden, wenn das erste Blatt der Tab. Peut. erhalten wäre. Als ich jene Abhandlung schrieb, hatte Elter seine Würdigung der Straße Mailand-Konstantinopel-Ägypten-Via Egnatia-Rom-Mailand im Itin. Ant. p. 98ff. und 224ff. (vgl. o. Bd. IX S. 2334 und hier o. § 60 Ende) noch nicht veröffentlicht; auch in dieser Einlage ist noch vielfach ein Appellativum neben dem Stationsnamen erhalten, z. B. Foro Flamini vicus, Helvillo vicus usw.; aber die Reihe der Appellativa in dieser Einlage (civitas, castra, villa, mansio, vicus) ist verschiedenartig von der für Afrika verwendeten (colonia, municipium, vicus, castra usw.). Ich habe mich durch die Qualitätsbezeichnung der italischen und pannonischen vici jener Einlage des Itin. Ant., der im Geogr. Rav. und auf Tab. Peut. nichts Ähnliches zur Seite zu stellen war, glücklicherweise nicht beirren lassen und sie ausdrücklich (a. O. 75) aus diesem Gedankengang als unverwendbar ausgeschlossen; jetzt wäre, dank Elters Beobachtung, der Schutt leichter abzuräumen und die Auswertung der im Itin. Ant., im Geogr. Rav. und auf Tab. Peut. verbliebenen Reste von Qualitätsbezeichnungen in meinen Sinn noch viel sicherer und klarer durchzuführen. Soweit wir diese Reste, die sich in irgend einem Mittelglied unserer Überlieferung durch nicht konsequent durchgeführte Ausschaltung der (in diesem späteren Datum bereits antiquierten) Rechtsbezeichnungen erhalten haben, mit den heute verfügbaren Mitteln zu würdigen vermögen, scheint keine spätere Epoche [2118] in der Entwicklung der qualifizierten Städte vorzuliegen, als die Zeit des Kaisers Caracalla. Die Gründe genügen mir, sagte ich S. 81, um zu behaupten, daß das Itin. Ant. aus der gleichen (Karte) wie der Ravennas und die Tab. Peut. abgeleitet sei; etwa so:

Erdkarte a
: Erdkarte b
Erdkarte c

Itin. ant.
:
Ravennas
     :
     Tab. Peut.

Ich habe dann versucht eine ungefähre Vorstellung vom Reichtum und von der Ausführung der Erd-K. a zu gewinnen, und habe außerdem wenigstens noch eine Serie namhaft machen können, von der außer im Itin. Ant auch beim Geogr. Rav. (hier offenbar wider den Willen eines späteren Redaktors oder Kopisten) sich Reste erhalten haben (a. O. 83ff.), nämlich von den römischen Legionslagern. Auch ,Spuren der auf der K.-Vorlage des Itin. Ant. (ohne Zusammenhang mit den Itinerarien) genannten und also wohl mit auffälligen, größeren oder andersfarbigen Buchstaben geschriebenen Völkerschaften, welche dadurch gewissermaßen indiziert erscheinen, daß sie das Itin. Ant. verschweigt. Stand z. B. in der Karte Batavi (die Tab. Peut. hat Patavia), so genügte in ihr die Bezeichnung von Leyden als Lugdunum. Der Verfasser des Itin. Ant. aber hätte, um Verwirrung hintanzuhalten, Lugdunum Batavorum schreiben müssen,‘ (a. O. 86).

Erd-K. c, aus der das Itin. Ant. abgeleitet ist, kann später gezeichnet worden sein als Erd-K. b; denn im Itin. Ant steht die Legio XIII gem. schon südlich der Donau in Ratiaria, also wird die Räumung Daciens vorausgesetzt, während die Vorlage des Geogr. Rav. die leg. V Macedonica wie es scheint noch auf dakischem Boden erhalten hat[11].

[2119] Daß die Erd-K. c, bevor der Redaktor des Itin. Ant. an sie herangetreten ist, inzwischen bereits gelitten und an Lesbarkeit eingebüßt hatte, wird wohl aus der Verwendung der Wendung in medio anstelle des Stationsnamens oder anstatt der Meilendistanz zu schließen sein (Kubitschek a. O. 87f.).

,Das Itin. prov. Ant. wird in der Überschrift von der Wiener Hs. {die des Escorial und die Pariser versagen hier) als itinerarium provinciarum Antonini Augusti, das der Seestationen von der spanischen Hs. (die anderen Hss. haben vom Titel bloß itinerarium maritimum) als imperatoris Antonini Augusti itinerarium maritimum bezeichnet. Dieser Antoninus Augustus kann entweder Kaiser Pius oder Marcus oder Caracalla oder Elagabal sein.‘ Da Gründe gegen eine Datierung ins 2. Jhdt. vorliegen und eine Wahl zwischen den beiden spätesten Vertretern dieses Kaisernamens ohne dringende Nötigung Caracalla nicht überspringen wird, sei noch zu dessen Gunsten angeführt, ,daß unter seines Vaters und seiner Regierung der sog. kapitolinische Stadtplan ausgeführt worden ist. So wie kein antikes literarisches Zeugnis für diesen Stadtplan vorliegt, so ist auch eine Itinerar-K., die über Befehl Caracallas gezeichnet und öffentlich ausgestellt wurde, nicht sonst bezeugt; aber es wäre verkehrt, sich an diesem Mangel zu stoßen, falls nur sonst gute Gründe für die angedeutete Vermutung in die Wagschale gelegt werden können‘. ,Die Versuchung, anzunehmen, die Welt-K. sei etwa als Pendant zum kapitolinischen Stadtplan aufzufassen, der in severianischer Zeit entstanden ist, liegt so nahe, daß ich nicht weiß, wie man ihr Widerstand entgegensetzen könnte. Einen positiven Beweis wüßte ich allerdings nicht anzutreten‘ (Kubitschek a. O. 90f.). Dann wäre also diese als Vorlage sowohl des Itinerarium Antonini als der Ravennatischen Kosmographie und der Tab. Peut. erschlossene K., der Hauptsache nach eine Straßen-K., mit Rücksicht auf den kaiserlichen Auftraggeber als K. Antonini Augusti bezeichnet worden.

§ 72. Anhangsweise sei noch eine K. angeführt, die über kaiserlichen Auftrag irgendwo – am ehesten in Konstantinopel – ausgeführt worden ist. Von ihr erhalten wir Kunde durch Dicuils im J. 825 abgefaßten Liber de mensura orbis terrae, dessen erstes Viertel in der Hauptsache aus der (aus Agrippas K. erwachsenen) Divisio gebildet worden ist (vgl. o. § 61) und durch die Versicherung eingeleitet wird, der Verfasser wolle seinen Stoff darstellen außer (p. 3) nach Plinius (iuxta Plinii Secundi praeclaram auctoritatem) vor allem (p. 3) secundum illorum auctoritatem, quos sanctus Theodosius imperator ad provintias praedictas (= orbis terrae) mensurandas [2120] miserat (vgl. p. 5 in quinto decimo anno regni imperatoris Theodosii praecepit ille suis missis provintias orbis terrae in longitudinem et latitudinem mensurari). Er läßt aber diese missi keine anderen Vermessungen bieten als jene, welche in der Divisio schon ohnehin steckten. Am Schluß der Wiederholung der Divisio bei Dicuil stehen die Worte: mensuratio orbis terrae finit (p. 19). Darauf folgen duodecim versus praedictorum missorum de imperante Theodosio hoc opus fieri incipiunt (aus Dicuils Buch dann wiederholt z. B. Riese Anthol. nr. 724 oder Geogr. Lat. min. p. 19f. und Baehrens PLM V 84): hoc opus egregium, quo mundi summa tenetur, aequora quo montes fluvii portus freta et urbes signantur, cunctis ut sit cognoscere promptum quidquid ubique latet, also ganz im Ton der Bauinschriften dieser Zeit, bezieht sich auf eine Welt-K., welche dem Publikum zugänglich sein soll, es wird nicht gesagt, ob als Buchillustration oder als Wand- oder Tafelgemälde (ein Fußboden ist diesmal ausgeschlossen) in einem Bauwerk ausgeführt. Der Auftraggeber, Theodosius princeps, hat zu Anfang des Jahres 435, seines 15. Konsulatsjahres, ter quinis (es wird wohl, denke ich, quintis zu lesen sein) aperit cum fascibus annum, persönlich (v. 6) und aus seiner Weisheit heraus (v. 12) die Ausführung dieser Arbeit angeordnet (iussit confici); die hyperbolischen Metaphern, in denen vom Kaiser gesprochen wird, entsprechen im Stil völlig dieser selben Zeit, eine spätere Abfassung dieser Verse ist nicht denkbar.

Bevor Schweder Beiträge I (1876) 6ff. aus einer Pariser Hs. zum erstenmal den Text der Divisio edierte, war die Annahme immerhin möglich, daß Kaiser Theodosius II. irgend einen sachlichen Auftrag seinen missi gestellt habe, wenn auch die Ungunst der Zeiten und der Niedergang der römischen Machtstellung an ähnliches zu denken verbieten, wie ehemals an die vier sapientissimi et elceti viri; diese hatten, wie die Einleitung zu den späteren Redaktionen der Cosmographia des Iulius Honorius behauptet (vgl. dazu Kubitschek o. Bd. X S. 625ff.), im Auftrag des Diktators Caesar den ,ganzen Erdkreis‘ ,durchwandert‘ und ,vermessen‘. Jetzt sehen wir, daß die Tätigkeit der von Theodosius Beauftragten sich in der Wiederholung einer K. erschöpfte, zu der der Text der Divisio geschrieben werden durfte; also ist eine Wiederholung der K. Agrippas denkbar; aber selbst eine Ausbesserung des Originals (oder mit Rücksicht auf den Standort dieser K.: einer Kopie jenes Originals) erscheint nicht geradezu ausgeschlossen durch die folgenden Zeilen der duodecim versus: supplices hoc famuli, dum scribit pingit et alter, mensibus exiguis, veterum monimenta secuti, in melius reparamus (übl. reparemus) opus culpamque priorem tollimus (übl. tullimus) ac totum breviter comprendimus orbem.

Dicuil, der den Sinn der Verse nicht richtig erfaßte und sowohl die Jahrbezeichnung als auch den Auftrag der vermeintlichen missi mißverstand, hat weder das Original dieser in der Hauptsache als kalligraphische Leistung zu wertenden Arbeit noch wahrscheinlich auch nur eine kartographische [2121] Nachbildung gesehen, sondern lediglich eine Hs. benützt, in der der Text der Divisio und die duodecim versus, die in der Pariser Hs. nicht enthalten sind, standen.

Aus den duodecim versus hat Dicuil ein sehr günstiges Vorurteil über die Arbeit der ,missi‘ gewonnen und daher dort, wo ihre Maßzahlen mit denen des Plinius nicht übereinstimmten, sich für die missi entschieden. Freilich war die Hs. nicht gut erhalten oder fehlerhaft ausgeführt (Dicuil p. 4: sermones praedictorum missorum, quia nimis vitiose scripti sunt, quantum potero corrigere studebo); auch lückenhaft erschien sie ihm (vgl. die Bemerkung Dicuils p. 16 zur Tripolitana provincia).

Literatur: Schweder Beiträge zur Kritik der Chorographie des Augustus, I. Teil (1876). Riese Geogr. lat. min. 15ff. und in seinen Prol. 17ff. Kubitschek Straßenkarte 94f. Detlefsen Ursprung der Erdkarte Agrippas 18ff. – Scheyb hat auf die duodecim versus das zweite Kapitel seiner Ausgabe der Tabula Peutingeriana gestützt: ,tabulam Peutingerianam Theodosii Magni cura et mandato a. C. 393 adnotatam depictamque esse statuitur‘; so lautet seine Überschrift.

§ 73. Überhaupt muß in der römischen Kaiserzeit eine große Zahl von Welt-K. im Besitz von Privaten und Schulen (und wohl auch, obwohl bisher kein evidenter Beleg [12] dafür bekannt: geworden ist, der Kommunen) sich befunden haben. Bei Properz V 3 hat das Mädchen, das die Nacht schlaflos in Sehnsucht nach dem an einer Kriegsfront stehenden Geliebten verbringt, die Möglichkeit, die K. nachzusehen, et disco, qua parte fluat vincendus Araxes, quot sine aqua Parthus milia currat equus (soll auch das auf der K. stehen und nicht vielmehr von dem Mädchen nachdenklich hineingelesen sein?), cogor et e tabula pictos ediscere mundos usf.; aber der Dichter trägt stark auf, und von dieser Art von K. kann man keine deutliche Vorstellung gewinnen, wohl eben deshalb, weil der Dichter sie sich selbst nicht klar gemacht hat [13]. – Daß Properz IV 21, 29 mit tabulae pictae auf Landkarten anspiele, kann Friedrich Materialien (Prog. Leipzig kgl. Gymn. 1887) S. 7 nicht beweisen; ich kann darin nur Gemälde erkennen, ohne die geringste Beziehung zur Erdkunde.

Vitruv VIII 2, 6 spricht von den Quellen fluminum, quae (in) orbe terrarum chorographiis picta, itemque scripta. Hoffen wir aber, daß das, was Vitruv aus seinen K. herausschreibt, so dort nicht gestanden hat, und nehmen wir lieber an, daß auch ein so tüchtiger Architekt [2122] unter Umständen nichts von Geographie zu verstehen brauchte [14].

Daß der Privatbesitz von Welt-K. mit einen Grund zur Bezichtigung des Hochverrats bilden konnte, erfahren wir aus dem Untergang des Mettius Pompusianus (Pros. Rom. III 82 nr. 586): quod depictum orbem terrae in membrana contionesque regum ac ducum ex Tito Livio circumferret, Suet. Domit. 10 = ἐγκληθέντα ἄλλα τε καὶ ὅτι τὴν οἰκουμένην ἐν τοῖς τοῦ κοιτῶνος τοίχοις εἶχεν ἐγγεγραμμένην αὶ τὰς δημηγορίας τὰς τῶν βασιλέων τῶν τε ἄλλων ἀνδρῶν τῶν πρώτωον, τὰς παρὰ τῷ Λιουίῳ γεγραμμένας ἐξειλόχει τε καὶ ἀνεγίνωσκε, Dio LXVII 12, 5 (zum J. 91), wobei den Unterschied der Erzählung vom Handexemplar in membrana und von der im Cubiculum an die Wand gezeichneten K. richtig einzuschätzen (ist nämlich nur eine Variante richtig oder waren beide wahr?) uns nicht gut möglich ist. Gegen die ganz verkehrte Folgerung aus diesem Prozeß, der Privatbesitz von K. hätte einen argen Verdachtsgrund geschaffen oder sei überhaupt nicht gestattet gewesen, habe ich Röm. Straßenkarte S. 93f. geltend gemacht, daß doch auch in modernen Kapitalprozessen, z. B. gegen Anarchisten, der Besitz eines Lehrbuchs der Chemie als wichtiges Illustrationsfaktum verwendet worden sei. Pompusianus ist nicht wegen des Besitzes einer (oder zweier?) K., sondern wegen seiner versteckten (?) Opposition gegen den Monarchen und wegen des Verdachtes, er strebe nach der Herrschaft und erforsche deshalb die Zukunft aus den Sternen, dem Tod verfallen; die Anklage ist auch nicht erst gegen Ende der Regierung Domitians erhoben worden, sondern schon unter Vespasian, der aber den unbequemen Sonderling lieber durch ein humanes Mittel unschädlich machen wollte, indem er ihn an der schwachen Seite seines Ehrgeizes packte und ihn zum Consul (Jahr unbekannt) designierte, vgl Suet. Vesp. 14 und Victor epit. 9, 14; CIL VI 1495 praef(ectus) aer(ari) Sat(urni) in den J. 76–80; dieses Amt ist nebenbei bemerkt an den praetorischen Rang geknüpft.

§ 74. Die Verwertung von K. im Schulunterricht bezeugt vor allem der Fall von Augustodunum (heute Autun). Daß die Werbung des Patriotismus und loyaler Begeisterung für die Herrscher als eines seiner Ziele und zwar nicht als sein letztes bezeichnet wird, hat diese Art des geographischen Unterrichts in der gallischen Landstadt mit manchem modernen gemeinsam. Eumenius hat nämlich an den Statthalter der Lugdunensis prima in einem im J. 297 abgefaßten (o. Bd. VI S. 1106 Nr. 4) Vortrag pro restaurandis scholis das Ansuchen gestellt, bei der kaiserlichen Regierung die Bitte um Überlassung bestimmter Maeniana in der Stadt als Lokal für den Schulunterricht zu befürworten, c. 20 videat praeterea [2123] in illis porticibus iuventus et cotidie spectet omnes terras et cuncta maria et quicquid invictissimi principes urbium gentium nationum aut pietate restituunt aut virtute devincunt aut terrore devinciunt (dargestellt ist also ebensowohl römisches Staatsgebiet als auch außerrömischer Boden, und wie aus den folgenden Worten und insbesondere aus orbem hervorgehen mag, die gesamte Oikumene). si quidem illic, ut ipse vidisti credo, instruendae pueritiae causa, quo manifestius oculis disceretur quae difficilius percipiuntur auditu, omnium cum nominibus suis locorum situs spatia intervalla descripta sunt, quicquid ubique fluminum oritur et conditur, quacumque se litorum sinus flectunt, qua vel ambitu cingit orbem vel impetu irrumpit oceanus; und c. 21 die Nachrichten von den kaiserlichen Siegen würden sofort mit diesem Instrument verfolgt werden können; nunc demum iuvat orbem spectare depictum, cum in illo nihil videmus alienum. Man sollte es nicht für nötig erachten, davor erst noch zu warnen, daß aus dem Terminus orbis nicht sofort auf runde und speziell kreisrunde Gestaltung dieser Welt-K. geschlossen werden dürfe. (Auch Friedrich Materialien S. 9 tritt dafür ein, daß das Wort orbis jedwedes begrenztes, abgeschlossenes Ganzes‘ bezeichnen könne, also auch z. B. ein Quadrat.)

Daran will ich sofort das Gleichnis anknüpfen, mit welchem Ausonius in seiner Gratiarum actio c. 2, 9 den Versuch einer geschichtlichen Würdigung des Kaisers Gratian mit der Tätigkeit jener vergleicht, qui terrarum orbem unius tabulae ambitu circumscribunt, aliquanto detrimento magnitudinis, nullo dispendio veritatis. Zugleich mögen Urteile wie das des Eumenius und des Ausonius uns beweisen, wie jene Zeit sich in ihren Welt-K. wohl fühlte. Eumenius hat jedenfalls, nur darauf soll noch aufmerksam gemacht werden, eine sehr gute Meinung von der Zuverlässigkeit der Landumrisse dieser K., sowie von der Reichhaltigkeit ihrer Innenzeichnung und von der Vollzähligkeit der Ortsnamen (also muß damals beim Entwerfen von K. für Ortsnamen irgend etwas als Einheit gefaßt worden sein, vielleicht innerhalb der römisch organisierten Landschaften die Kolonien und Munizipien und innerhalb der tres Galliae – denn um diese muß es sich hier in erster Linie handeln – die 60 oder 64 civitates, oder wenn die K. auch als Beispiel einer Straßen-K. anzusehen sein sollte, außerdem noch wenigstens die mansiones) und die Vollzähligkeit der Flüsse (merkwürdig, wie wir mit diesem Lob wieder an den Anfang der ganzen Entwicklung zurückgeleitet werden, vgl. bei Herodot dasselbe Lob im Munde derer, die in Sparta die Welt-K. des Aristagoras aus Milet zu sehen Gelegenheit hatten, o. §§ 21. 50), sowie daß, wenn das nicht bloße Redensarten von der Spatiierung der loci im Munde des Redners sein sollen, auch die Straßenzüge und ihre Längen angegeben waren; dabei ist nicht einmal nötig, die nämliche Ausführlichkeit, wie sie auf der Tab. Peut. geboten wird, vorauszusetzen, es genügte die Angabe der Kopfstationen und formell zwar dann nicht die in der Tab. Peut. gewöhnliche Einrichtung: zwischen zwei Stationen [2124] die Ziffer der Millienangabe, sondern die in der Tab. Peut. nur ganz seltene (doch wohl aus einer älteren, s. u. S. 2138, vielleicht auch reicheren Ausstattung herübergenommene) Art, zum Straßenstrich die beiden Kopfstationen mit m. p. und der Millienzahl zu setzen.

§ 75. Cassiodor hat den Mönchen seines Klosters (s. o. Bd. X S. 617) u. a. auch Hilfsmittel für das Studium der Geographie geschenkt, unter diesen libellum Iulii oratoris (d. i. die Cosmographie des Iulius Honorius), augenscheinlich ohne die zugehörige K.; deinde, fährt er fort (c. 25 seiner institutio div. scripturae), penacem Dionysii discite breviter comprehensum, ut quod auribus in supradicto libro (nämlich des Iulius Honorius) percipitur, paene oculis intuentibus videre possitis. Dieser Pinax zu dem im Altertum überaus beliebten und verbreiteten kleinen Buch des Dionysios (vgl. Crusius o. Bd. V S. 916ff.) aus hadrianischer Zeit wird bloß durch die angeführte Cassiodorstelle bezeugt, kann uns aber nicht weiter überraschen, wenn wir uns durch den Mangel der Illustrationen zu Fachschriften, die zwar nach Illustrierung unbedingt verlangen, aber uns ohne die Illustrationen überliefert worden sind, nicht zu dem Glauben verleiten lassen, daß das Altertum so spärlich die Buchillustration gepflegt hat (eine gute allgemeine Übersicht über die Buchillustration gibt die Hab.-Schrift von G. Thiele De antiquorum libris pictis, Marburg 1897, S. 34f.); ein deutlicher Hinweis auf die K. fehlt jedesfalls im Text der Periegesis des Dionysios. Uns ist auch dieser Pinax verloren gegangen, der von Cassiodor den Mönchen so warm empfohlen worden war. Rekonstruktionen sind mehrfach versucht worden; Miller gibt in seinen Mappae mundi VI 96 Fig. 38 die des P. Bertius vom J. 1628 und Fig. 37 die des Hellwag vom J. 1797, sowie Taf. 6 eine eigene, die aber nicht, wie die einleitenden Worte der Periegese es verlangen, die Form einer σφενδόνη zeigt. Im übrigen vgl. Miller 95ff. und dazu Kubitschek o. S. 623f.

§ 76. Die sphaera, welche Iulius Honorius seinen Schülern erklärt, wird uns veranschaulicht durch die excerpta (oder excepta) eius sphaerae, welche der Lehrer, magister peritus atque sine aliqua dubitatione doctissimus, seinen Schülern nach Kategorien der Legenden geordnet diktiert, angeblich um zu verhüten, daß die gelegentlichen anfractus akrostich geschriebener Namen ihr Verständnis verhindern. Honorius hat ausdrücklich verlangt, hic liber exceptorum ab sphaera ne separetur. Aber bereits Cassiodor konnte den Mönchen des von ihm gegründeten illo nolente ac subterfugiente, zur Kenntnis der Öffentlichkeit gebracht worden war, nicht aber (o. § 75) die K. zuweisen, und so fehlt sie auch uns. Im übrigen vgl. zu dieser K. Miller Mappae mundi VI 69–82 mit dem Rekonstruktionsversuch Taf. 4 und Kubitschek Die Erdtafel des Iulius Honorius, Wien. Stud. VII 1–24. 278–310 mit einer Tafel und ebd. o. S. 622–625. Zur Vierteilung der Sphaera des Honorius vgl. auch o. § 35.

§ 77. Der Zeitstellung nach sehr viel später, aber immer noch vollkommen im Wissen und [2125] Denken der römischen Welt-K. ist die pavimenti structura ausgeführt, die Baudri, damals Abt von Bourgeuil (1079–1107, später Bischof von Dol 1107–1130) im Schlafsaal der comitissa Adela, Tochter Wilhelms des Eroberers, betrachtet (herausgeg. von Delisle in den Mémoires de la société des antiquaires de Normandie XXVLIII 1870, daraus Bruchstücke von J. v. Schlosser in Ilg, Quellenschriften für Kunstgeschichte N. F. VII 1896 S. 226ff. mitgeteilt v. 719ff.: quippe pavimentum mundi fuit altera mappa. Diese pictura ist, um vor Staub und vor dem Betreten geschützt zu werden, auf ein niederes Marmorpodium aufgelegt und mit einer glasähnlichen Masse bedeckt. Das Erdbild ist eirund gestaltet und von tiefblauem Meer rings umgeben. Asien nimmt die Hälfte ein, in die andere Hälfte teilen sich Europa und Libia: also offenbar der Typus der sog. T-K. Die K. enthielt reiche Innenzeichnung; der Dichter hält sich insbesondere bei den (vermutlich besonders auffallenden) Flußzeichnungen auf, aber er bemerkt auch die Berge und Städte, nec non genus omne ferarum | monstrorumque genus et species hominum v. 753 f. Nach v. 723 res designabant super addita nomina rebus. Erwähnt sei noch v. 783: limitibus certis distinxit climata mundi. – Eine vorläufige Notiz über diese K., die an einer leichter zugänglichen Stelle unter Anschluß des nötigen Kommentars ausführlicher besprochen werden sollte, habe ich in den Öst. Jahresheften V (1902) 95f. gegeben.

Nichts Näheres wissen wir von der Welt-K., welche Papst Zacharias im triclinium Lateranense im J. 741 herstellen hat lassen, lib. pontif. 93, 18 (Duchesne p. 432 = Migne Lat. Patrol. CXXIV 1055) orbis terrarum descriptionem depinxit atque diversis versiculis exornavit.

Endlich sei noch der im Besitz des Kaisers Karl d. Gr. gewesenen Pläne der Städte Rom und Constantinopel gedacht. Einhard Vita (gegen Schluß) hebt aus dem Nachlaß des Kaisers tres mensas argenteas et auream unam praecipuae magnitudinis et ponderis hervor. Einer der ,silbernen Tische‘ forma quadrangula descriptionem urbis Constantinopolitanae continet und wird der basilica beati Petri apostoli in Rom legiert; altera, quae forma rotunda Romanae urbis effigie figurata est, wird der Bischofskirche von Ravenna vermacht. Der dritte, quae ceteris et operis pulchritudine et ponderis gravitate multum excellit, quae ex tribus orbibus conexa totius mundi descriptionem subtili ac minuta figuratione conplectitur, und der ,goldene‘, über dessen Ausstattung Einhard nichts weiter bemerkt, werden seinen Erben und zur Almosenausteilung überwiesen; daß Lothar den an dritter Stelle angeführten silbernen Tisch zerschlug, erfahren wir aus den Annales Bertiniani zum J. 842 [15]. Stünde der ,Tisch‘ mit Romanae urbis [1026] effigies bei Einhard nicht zwischen dem Plan von Constantinopel und der Welt-K., so läge der Gedanke an eine Medaillondarstellung, wie sie die Tabula Peutingeriana an der Stelle der Stadtvignette für Rom zeigt, noch wesentlich näher, als durch die Rundform ohnehin wahrscheinlich gemacht wird.

Nur anhangsweise sei noch bemerkt, daß die Darstellung der drei Erdteile Europa, Africa und Asia auf einer angeblichen Münze des Cocceius Nerva, der Münzmeister im J. 22/21 oder 20/19 v. Chr. gewesen sei, uns nichts angeht, weil diese Münze ein neuzeitliches Erzeugnis, etwa des 16. Jhdts., ist. Jede dieser drei Aufschriften ist von einem Kreise eingeschlossen, der Kreis mit Asi(a) liegt über denen von (links) Eur(opa) und (rechts) Afr(ica); ausführlich hat H. Wutke in seinem sonst sehr anregenden Aufsatze Über Erdkunde und K. des Mittelalters (1853) 33ff. gehandelt und K. Miller Mappae mundi III (1895) 131 (abgebildet 130 Fig. 66) diese Darstellung für ,hochinteressant‘ erklärt, ,weil sie die alte Dreiteilung der Erde, den orbem triquetrum, uns in glaubwürdigster Form vor Augen führt; wir haben also auf dieser Goldmedaille die älteste Welt-K. im Original‘.


  1. Vgl. meine römische Straßen-K. S. 92: ,Es macht mir wirklich kein Vergnügen, das Gespenst der Welt-K. des Agrippa aus der Porticus Vipsania zu zitieren, das in alle kartographischen Versuche auf römischem Gebiet hineinblickt. Aber man muß eben mit der Möglichkeit oder vielmehr hohen Wahrscheinlichkeit rechnen, daß wie ja jeder neue K.- Versuch auf die vorausgehende Entwicklung sich stützt, ein so hervorragendes Werk wie die K. Agrippas die Erd-K. der nächstfolgenden Zeit direkt, die späteren wenigstens indirekt mit beeinflußt hat‘.
  2. Vgl. zur Geschichte des Bauwerkes Lanciani Bull. com. di Roma 1892, 276ff.
  3. C. Pallu de Lessert p. 251 findet darin (ganz unwahrscheinlicherweise) eine indirekte Schmeichelei gegen den überlebenden Kaiser.
  4. VerderbtXI et CCCXX.
  5. Über die Zeitindizien und Besonderheiten der Divisio und der Dimensuratio habe ich hier nicht zu sprechen, vgl. übrigens darüber Detlefsen 10ff., insbesondere S. 18, s. auch unten § 62 und 64.
  6. Also wohl, weil die Überschrift verloren gegangen war (Div. und Dim. haben wie gesagt merkwürdigerweise bei der Westhälfte Kleinasiens oder vielmehr dem südwestlichen Kleinasien – Asiae pars citerior - dieselbe Lücke, vgl. Detlefsen S. 16f. 50), für die Dim. neu (nach dem K.-Bild) verfaßter Einschub. Wieder anders geformt bei Oros. I 2, 51 (Detlefsen 18. 68), der für die Inseln sich an die Dim. anschließt.
  7. (Detlefsen 105 will den Gedanken nahelegen, ,daß einige derselben abgeschlossene Kriegstheater bildeten, und daß die Maßangaben über sie eben deshalb jedesmal aus einer gemeinsamen Quelle stammten. [Ich verstehe diese letzte Bemerkung nicht. Soll Agrippa seine Maße, also den von der communis opinio für den wichtigsten und eigentlich als seine hauptsächliche Leistung angesehenen Teil seiner Arbeit anderwärtsher entlehnt haben?] Derartige Einheiten bilden Illyricum und Pannonien (Abschn. V), Macedonien, Thracien und der Hellespont (VII), Sarmatien und das taurische Scythien (IX), Germanien, Baetien und Noricum (X), Lusitanien, Asturien und Gallaecien (XII)‘.
  8. Beide Stellen behandelt und ausgeschrieben ebd. 60, 36.
  9. Ein derartiges Einzelblatt, das eine Reise von Gades nach Konstantinopel umfaßt und dem Ausgang des Altertums anzugehören scheint, habe ich in meinen Itinerarstudien (= Sitzungsberichte Wien 1917) S. 1ff. erörtert. – Ein Σταδιοδρομικὸν ἀπὸ τῆς θεοφυλάκτου πόλεως (d. i. Konstantinopel) bis Kreta wird dem Befehlshaber der Expedition gegen die Sarazenen im J. 949 eingehändigt, Constantin. Porph. De caerim. II 45 (Abdruck auch bei Migne Patrol. Gr. CXII p. 1252, eine Erörterung dieses Itinerars bei Tafel Const. Porph. de provinc., lib. secund., Tübingen 1846 p. 17f.). – Zu vergleichen ist ferner die Anweisung, die der im J. 1108 an der albanesischen Küste operierende byzantinische General erhält: für die Küste und die Häfen τῆς Λογγοβαρδίας καὶ τοῦ Ἰλλυρικοῦ ὅπη δεῖ προσορμίσαι τὰς ναῦς καὶ ὅθεν οὐρίου τύχοι τοῦ πρνύματος κατὰ τῶν διαπρῳ<ομένων κελτῶν ἐξορμῶν, aus der Alexias der Anna Komnena XIII 7 (Reifferscheid II p. 197, 31), eine Stelle, welche auch dadurch lehrreich ist, daß (wenigstens damals) Feldzüge auch ohne solche Vorbereitungen begonnen worden sind; denn der Behelf wird dem Isaakios Kontostephanos aus Konstantinopel erst dann zugesandt, als das Mißlingen der ersten Operationen seine Ausfertigung dringlich nötig gemacht hatte.
  10. ,Ich denke: dies ist die einfachste und wahrscheinlichste Lösung, daß der Ravennas seine Vorlage nicht sicher zu lesen verstand, zu verschiedenen Malen dasselbe Wort etwas verändert las, z. B. ein fromif seiner Vorlage einmal als scomis (so im Periplus V 13), ein andermal als stomis (so in den allgemeinen Indices V 22), und daß er sich bei der Küstenbeschreibung nicht [2116] mehr die Mühe gab, seine früheren Lesungen zu prüfen‘ oder nötigenfalls zu verbessern. Der Ravennas ,war oft auch gar nicht imstande, zwischen zwei Lesungsversuchen, wie bei den oben angeführten stomis und scomis, zu dirimieren‘ (Kubitschek a. O. 69f). Daß ein gut Teil von Gleichgültigkeit mitgewirkt haben kann, macht das Verhalten der Tab. Peut. begreiflich, die denselben Ortsnamen bei Wiederholungen (und wie selten hat ihr Zeichner Gelegenheit, denselben Namen zu wiederholen!) verschieden schreibt, z. B. Abamea und Apamea (Apameia Kibotos), Tigubis und a Tiggubi, noch dazu unmittelbar nebeneinander.
  11. Geogr. Rav. p. 188 lesen wir heute Lagiana Optatiana Macedonica Napoca Patabissa, was ich a. O. 85, 57 aus folgender Zeichnung der Straße

    Patavissa XXIIII [leg. V Macedonica] Napoca XVI Optatiana XV [Lagiana

    die ich der Tab. Peut. entnehme, schließen darf, nur daß die auf dieser fehlenden Worte leg. V Macedonica von mir eingesetzt sind. Beim Absammeln der Ortsnamen hat Geogr. Rav. die [2119] Worte leg. V wie nach seiner sonstigen Gepflogenheit billig anzunehmen ist, weggelassen, den Beinamen Macedonica aber irrtümlich als Ortsnamen mit aufgenommen. Eine Schwierigkeit verbleibt freilich; die leg V Mac. kommt nämlich auch einmal im Itin. Ant. vor, und zwar (p. 220, 5) als Besatzung von Oescus, also nachdem die römische Front an das rechte (südliche) Donauufer zurückgenommen worden war.

  12. Etwa Augustodunum (vgl. § 74)?
  13. Sogut wie ein Scherz wirkt die Erklärung der Inschrift CIL XII 5732 (aus Antipolis, heute Antibes) = CEL 122:

    viator audi, si libet, intus veni,
    tabula est aena, quae te cuncta perdocet,

    auf einen gewaltigen Block (3·1 m lang, 0·58 hoch, 0·58 breit) geschrieben , die nach Bazin Rev. Arch. 1887, II 325ff., allerdings mit Reserve vorgetragen, zur Besichtigung eines K.- oder vielleicht eines Itinerarwerks im Innern des Baues einladen sollte.

  14. So kann man sich auch darüber hinwegsetzen, daß Vitruv dort der Donau nicht gedenkt, besonders wenn er nicht ganz moderne K. benützt hat; lag die Donau doch eigentlich so gut wie außerhalb des Gedanken- und Interessenkreises der republikanischen Römer, wie man denn auch z. B. selbst bei Cicero vergeblich die Namen Danubius oder Hister suchen würde.
  15. Der Übersichtlichkeit wegen möge diese Stelle hier gleich zum Vergleich angefügt werden: sublatisque cunctis . . . thesauris, disco etiam mirae magnitudinis ac pulchritudinis argenteo, in quo et orbis totius discriptio et astrorum consideratio et varius planetarum discursus, divisis ab invicem spatiis, signis eminentioribus sculpta [2026] radiabant usw.; vgl. auch Theganius Vita Hludowici imp. c. 8 bei Pertz Scriptores II 592 nihil sibi reservans praeter mensam unam argenteam, quae triformis est, in modum quasi tres clippei in unum coniuncti.