184) C. Iunius Tiberianus, Consul der J. 281 und 291 n. Chr. (das Praenomen Inscr. chr. u. Romae I n. 32: Gaio I[unio Tiberiano]). Ein Denkmal aus seiner Jugendzeit war vielleicht die (nicht mehr vorhandene) Votivara aus dem Lager von Vindobona (Wien), die Fortunae conse[rvatrici] genioqu(e) huius loci in honor(em) … Iun(i) Tiberiani, c(larissimi) i(uvenis) – so und nicht (wie im CIL) Tiberianici wird zu lesen sein –, tr(ibuni) mil(itum) leg(ionis) X G(eminae) p(iae) [f(idelis) D]ec(ianae) am 28. Mai des J. 249 n. Chr. von dem cornicularius und den beneficiarii des Tribunen geweiht wurde (CIL III 4558. p. 232840; vgl. Kubitschek Xenia Austr. 32. v. Domaszewski Rhein. Jahrb. CXVII 206; die Abschriften bieten vor Iuni die wohl schlecht gelesenen Buchstaben Tei.i oder Atei; möglicherweise führte I. zwei Gentilnamen). Ist dieser Militärtribun unter Kaiser Decius tatsächlich kein anderer als unser Iunius Tiberianus, dann wäre dieser erst 31 Jahre später zum Consulat gelangt; für undenkbar wird man dies nicht erklären dürfen, da gerade in dieser Zeit der schnelle Wechsel der Regierungen die Laufbahn so mancher Senatoren gestört oder verlangsamt haben wird. Unter Probus stand I. jedenfalls in kaiserlicher Gunst. Denn im J. 281 bekleidete er den eponymen Consulat zusammen mit dem Kaiser selbst, der damals zum viertenmal Consul war (vgl. Mommsen Chron. min. III p. 515. Vaglieri Diz. epigr. II p. 1065. Liebenam F. cos. z. J.). Auch der für das römische Reich so bedeutungsvolle Regierungsantritt Diocletians brachte für I. keine Minderung seines Ansehens; im Gegenteil stieg er gerade jetzt zu den höchsten Ehren empor. Im J. 291 war er zum zweitenmal Consul ordinarius, zusammen mit Cassius Dio (de Rossi Inscr. chr. u. Rom. I n. 17. 18. 32; die Iterationsziffer findet sich außer in der Grabschrift de Rossi I 17 noch im Präfektenverzeichnis des Chronographen, Mommsen Chron. min. I p. 66, und
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in den Fasti Heracl., vgl. Mommsen Chron. min. III p. 516. Vaglieri a. a. O. p. 1032. Liebenam z. J.). In demselben Jahre trat er am 18. Februar das Amt des Stadtpräfekten von Rom an, das er bis zum 3. August des folgenden Jahres behielt (Chronogr. a. 354. Mommsen Chron. min. I p. 66) und vom 12. September 303 bis zum 4. Januar 304 abermals verwaltete (Chronogr. a. a. O.; nach Mommsen währte seine zweite Stadtpräfektur bis zum 4. Juni 304, vgl. u.; ob I. der Praefect war, der das diocletianische Edikt über die Christenverfolgung in Rom mit großer Härte durchführte [Vigneaux Essai sur Praef. urbis 1896, 255, 2], muß dahingestellt bleiben; in der Passio S. Sabini wird als Stadtpraefect am 17. April Hermogenianus genannt, vgl. Vigneaux 256. Linsenmayer Bekämpf. d. Christ. durch d. röm. Staat 1905, 196; wenn die Angabe überhaupt einen Wert besitzt, liegt vielleicht eine Verwechslung mit dem Praefecten des J. 309, Aurelius Hermogenes, vor). Falls I. von dem Militärtribunen des Wiener Steines nicht verschieden ist, muß er zur Zeit der zweiten Präfektur bereits in hohem Alter gestanden haben.
Eine große Marmortafel, die bei der Basilika S. Croce in Gerusalemme in Rom zum Vorschein kam (Vaglieri Not. d. scavi 1906, 430 = CIL VI 37 118, vgl. Gatti Bull. com. XXXV 1907, 115ff. Stein Jahresber. CXLIV 1909, 188), enthält das Bruchstück einer Subskriptionsliste, bei welcher jeder Teilnehmer mit dem Beitrag von 400 000 Sesterzen beteiligt war. Die 14 angeführten Personen gehören ihren Namen nach den höchsten senatorischen Kreisen an; das erhaltene Fragment nennt wohl ausschließlich Consulare (vgl. Gatti a. a. O.), doch entspricht die Anordnung nicht der Rangfolge. Denn unserem I. Tiberianus gehen die Consuln des Jahres 295, Annius Anullinus und Nummius Tuscus, sowie sein eigener Kollege im zweiten Consulat, Cassius Dio, voran. Die Nennung des [V]irius Nepotianus, Consuls 301, lehrt, daß die Kollekte nach diesem Jahr veranstaltet wurde; was ihre Bestimmung anlangt, so wird am ehesten an ein kaiserliches Bauwerk größten Stils zu denken sein (wie auch Vaglieri und Gatti annehmen). Die Herausgeber des Inschriftfragmentes setzen die Errichtung dieses Monumentalgebäudes unter Diocletian und Maximian (Gatti vermutet, daß die in der Nähe des Fundortes gelegenen Thermen, die von der Kaiserin Helena wiederhergestellt wurden, von dem Gelde der Senatoren erbaut worden seien); dagegen spricht jedoch die Rücksicht, die Diocletian und seine Mitregenten wenigstens äußerlich dem Senatsadel erwiesen. Die Gesamtsumme der von den Senatoren freiwillig beigesteuerten Beträge wird nach Gattis Berechnung) nicht geringer gewesen sein als 12 Millionen Sesterzen – dies bedeutet doch, daß den Mitgliedern des hohen Hauses geradezu eine schwere Vermögensabgabe auferlegt wurde. Eher als Diocletian könnte man ein solches Vorgehen dem Maxentius zutrauen, von dem Aur. Victor ausdrücklich sagt: huius nece incredibile quantum laetitia gaudioque senatus ac plebes exsultaverint, quos in tantum afflictaverat, uti … primus …. instituto pessimo munerum specie patres … pecuniam conferre prodigenti sibi
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cogeret (Caes. 40, 24; vgl. noch Eus. h. eccl. VIII 14, 4. v. Const. I 35. Eumen. Paneg. IX 3. Nazar. Paneg. X 8. 33. Zon. XII 33. Seeck Unterg. d. ant. Welt I 95). Es wurde dann begreiflich, woher dieser Herrscher die Mittel nahm, um in den wenigen Jahren seiner Regierung so gewaltige Bauwerke in Rom zu errichten, und weiter, warum Maxentius in den senatorischen Kreisen, die doch gewiß keinen Anlaß hatten, mit der Politik seines Überwinders zufrieden zu sein, ein so ungünstiges Andenken hinterlassen hat (wenn Vaglieri und Gatti betonen, daß keiner von den 14 Consularen unter Maxentius eine führende Rolle spielte und daß einer von ihnen, Annius Anullinus, sofort nach dem Sturze des ,Tyrannen‘ die Stadtpräfektur übernahm, so spricht dies eher für als gegen unsere Ansetzung). Als Stadtpraefect soll Tiberianus das Gespräch mit Flavius Vopiscus, den die Überlieferung als Verfasser der Vita Aureliani nennt, geführt haben, über das dieser in der Einleitung der Vita berichtet (Hist. Aug. Aur. 1, 2). Der praef. urbis, vir inlustris ac praefata reverentia nominandus, Iunius Tiberianus nahm den Schriftsteller am Fest der Hilarien in seinen Staatswagen und suchte Erholung von den Amtsgeschäften in einer langen Unterhaltung, die hauptsächlich das Leben der Imperatoren und dessen historische Behandlung zum Gegenstand hatte; der vir sanctus erwies sich in diesem Gespräch als gebildeten und leutseligen Mann von sicherem Urteil. Beim Soltempel kam die Rede auf Aurelian und da soll I., der mit diesem Kaiser angeblich verwandt war (quod ipse nonnihilum ex eius origine sanguinem duceret 1,3), dem Literaten die Anregung zur Biographie Aurelians gegeben und seine Unterstützung bei der Beschaffung des Materials in Aussicht gestellt haben.
Wiederholt ist auf die chronologischen Schwierigkeiten hingewiesen worden, die dieser Bericht bietet (vgl. namentlich Dessau Herm. XXIV 1889, 344ff. XXVII 1892, 563ff. Seeck Jahrb. f. Philol. CXLI 1890, 615ff. Mommsen Ges. Schriften VII 329. Peter Die Scr. hist. Aug. 1892, 38ff. Diehl o. Bd. VIII S. 2060f. Hohl Jahresb. CLXXI 1915, 111f.). Um die erste Stadtpräfektur des Tiberianus kann es sich nicht handeln, da im J. 292 die Kaiserbiographien des Trebellius Pollio, die Tiberianus bereits als abgeschlossenes Werk kennt (und verurteilt), noch nicht erschienen waren. Die zweite Stadtpräfektur scheint wieder darum ausgeschlossen, weil die Hilarien, deren Festtag der 25. März war, nicht in die Amtszeit des Tiberianus fielen. Der Ausweg, daß an ein anderes, gleichfalls Hilarien genanntes Fest der Isis (am 3. November), das jedoch nur von geringer Bedeutung war, zu denken sei, erscheint nach der Ausdrucksweise des Autors wenig wahrscheinlich. Mommsen will den Anachronismus dadurch beseitigen, daß er im Text des Chronographen statt prid. non. Ian. vielmehr prid. non. Iun. zu lesen vorschlägt. Da sich jedoch in den Biographien des Vopiscus auch sonst noch schwere chronologische Anstöße finden (vgl. Dessau und Seeck a. a. O.), da ferner Tiberianus dem ,Geschichtsschreiber‘ die Benützung der Libri lintei in der Bibliotheca Ulpia in Aussicht gestellt haben
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soll, die nie existiert haben und gleich darauf (8, 1) für eine alberne Fälschung angeführt werden, da endlich die Einleitung der Vita inhaltlich und stilistisch hoch über dem übrigen, in jeder Hinsicht minderwertigen Machwerk steht, wird am ehesten anzunehmen sein, daß das Gespräch mit dem Stadtpraefecten von dem Kompilator der Historia Augusta einer älteren Schrift entnommen und durch Zusätze, Änderungen und Auslassungen seinem besonderen Zweck angepaßt wurde.
Tiberianus, vir disertus, der im J. 335 Praefectus praetorio von Gallien wurde (vgl. Schanz G. d. r. L. IV 1,² 45f.), war vielleicht ein Sohn unseres I. (Peter a. a. O. 39, 1; doch identifiziert ihn Pallu de Lessert Fast. Afr. II 181 mit Annius Tiberianus comes per Africam 325–327).