RE:Gypsum
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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aus Kalk hergestellte Masse für Bindemittel und künstlerischen Schmuck | |||
Band VII,2 (1912) S. 2092–2100 | |||
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GND: 4132860-7 | |||
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Gypsum. Wir nennen heute Gips ebensowohl ein meist in erdiger Form, bisweilen auch als Gestein auftretendes, aus wasserstoffhaltigem schwefelsaurem Kalk bestehendes Mineral, als die daraus, nachdem es durch Glühen von seinem Wassergehalt befreit ist, bereitete Masse, die zu mannigfaltigen Zwecken benützt wird. Ebendasselbe ist der Fall mit der antiken Bezeichnung γύψος und gypsum. Zwar kommen im Griechischen zur Bezeichnung des in der Technik verwendeten Gipses noch andere Benennungen vor. So bedeutet τίτανος zwar sonst in der Regel Kalk, aber bei Ps.-Hesiod. scut. Herc. 141 ist diese Bedeutung unmöglich, indem es vom Schilde heißt: πᾶν μὲν γάρ κύκλῳ τιτάνῳ λευκῷ τ' ἐλέφαντι ἠλέκτρῳ θ' ὑπολαμπὲς ἔην, weshalb schon [2093] die Scholien annahmen, daß G. gemeint sei. Freilich hat Deiters De Hesiod. scuti descriptione (Bonn 1858) 61, indem er v. 143, wo der κύανος genannt ist, verwarf, für τιτάνῳ κυάνῳ eingesetzt (von Göttling-Flach angenommen); und Peppmüller Variat. im ps.-hesiod. Herakles-Schild 3 folgte darin insoweit, als er κυάνῳ für das ursprüngliche hielt, an dessen Stelle τιτάνῳ erst trat, nachdem v. 143 bei einer zweiten Fassung durch einen Rhapsoden eingesetzt worden war. Aber gleichviel, ob das Wort hier schon dem ursprünglichem Gedicht angehört oder nicht, auf jeden Fall konnte τίτανος schon im Altertum auch G. bedeuten; und so hat auch Hesych. s. v. es neben anderen Bedeutungen durch γύψου χρῖσμα erklärt, τιτανωμένας als γεγυψωμένας und τιτανωτὴ χρόα als γυψωτὴ ἢ λευκόχροος. Anscheinend hat man in der älteren Zeit G. und Kalk nicht unterschieden und daher τίτανος für beide Stoffe gebraucht, während später die Bedeutung Kalk überwog, vgl. Luc. hist. conscr. 62. Poll. VII 124, wo γύψος von τίτανος gesondert genannt ist. So scheint, daß auch andere gipsähnliche Minerale bisweilen die Bedeutung G. bekommen haben: so eines, das σκῖρον heißt und bei Aristoph. Vesp. 925 zwar Käserinde bedeutet, aber daneben auch eine Erdart, wie der Schol. zu v. 926 bemerkt: ὅτι λέγεται καὶ γῆ σκιρρὰς λευκή τις ὡς γύψος (die beiden letzten Worte werden freilich von Dindorf als späterer Zusatz eingeklammert); vgl. Phot. 522, 7. Schol. Hesiod. scut. 141; für die Form σκιρρός Suid. s. v., ferner Hesych. s. σκεῖρος, und σκῦρος bei Poll. IX 104, wo es eine Art Kreide zu sein scheint; daher wird σκιρρίτης bei Zonar. 1651 direkt als G.-Arbeiter, γυψεμπλάστης, erklärt. Auch λατύπη, sonst eigentlich der Abgang, Splitter und Staub beim Behauen der Steine (vgl. Blümner Technologie III 93), wird im Sinne von G. gebraucht, s. Poll. a. a. O. Schol. Aristoph. a. a. O. und zu Nub. 261. Schol. Pind. Pyth. V 124. Man nahm es aber überhaupt mit Bezeichnung verwandter Stoffe nicht so genau, und so nennt z. B. Theophr. de lap. 62 eine Erdart, die in Epeiros beim Tymphegebirge vorkam und wie die malische, kimolische u. a. von Walkern, Malern u. a. zum Weißen benützt wurde, γύψος, allerdings mit der Bemerkung (ebd. 64), daß sie speziell bei den Umwohnern des Athos und der Nachbargegenden so genannt werde. Doch sind alle diese teils mißbräuchlichen, teils mißverstandenen Bezeichnungen immer ungewöhnlich und γύψος das übliche gewesen, wie im Lateinischen gypsum, (die neutrale Form ist die stehende; gypsus ist selten, vgl. Corp. gloss. lat. III 132, 53. V 610, 5).
Der natürlichen Beschaffenheit nach unterscheiden die alten Naturforscher vornehmlich zwei Arten von G.: den durch Glühen aus Gestein gewonnenen und den in Erdform ausgegrabenen; und zwar bezog man letzteren am besten aus Kypern, wo er in großen Mengen noch unter der Erdoberfläche gegraben wurde, ferner auch aus Perrhaebien, vom Tymphegebirge u. s.; während er durch Glühen besonders in Phoinikien, Syrien und bei Thurii in Unteritalien gewonnen wurde, s. Theophr. de lap. 64, darnach Plin. XXXVI 182 (phoinikischer auch Theophr. de igne 66); daß gebrannter G. auch von Zakynthosέ [2094] bezogen wurde, bezeugt Plut. quaest nat. 10 p. 914 C. Das Verfahren bei der Herstellung aus Gestein war dies, daß man besonders harte, alabaster- oder marmorähnliche Stücke nahm und sie, um die Hitze zu erhöhen, zusammen mit Kuhmist verbrannte, worauf das Zurückbleibende zu feinem Pulver zerstoßen wurde, Theophr. de lap. 69: καίουσι δὲ καὶ ἐν Φοινίκῃ καὶ ἐν Συρίᾳ καμινεύοντες αὐτὴν [καὶ καίοντες] · καίουσι δὲ μάλιστα τοὺς μαρμάρους καὶ ἁπλουστέρους, στερεωτάτους μὲν παρατιθέντες (βόλιτον, ἕνεκα) τοῦ θᾶττον καίεσθαι καὶ μᾶλλον. δοκεῖ γὰρ θερμότατον εἶναι πυρωθὲν καὶ πλεῖστον χρόνον διαμένειν. ὀπτήσαντες δὲ κόπτουσιν αὐτὴν ὥσπερ τὴν κονίαν. Zur Ergänzung der Lücke ist benützt Plin. a. a. O.: qui coquitur lapis non dissimilis alabastritae esse debet aut marmoroso (daher wird wohl auch anstatt ἁπλουστέρους zu lesen sein ἀλαβάστρους) in Syria durissimos ad id eligunt cocuntque cum fimo bubulo, ut celerius urantur. Wenn Plinius hinzufügt: omnium autem optimum fieri conpertum est e lapide speculari squamamve talem habente (darnach Isid. or. XVI 3, 9), so ist damit das von den Alten als Ersatz für Glas benützte Marienglas, das ursprünglich G.-Kristall ist, gemeint mit den verwandten Arten vielleicht Fasergips.
Die Verwendung des G. war eine sehr mannigfaltige. Wichtig war er zunächst für die Baukunst, in der ihn die griechische Technik vielfach als Bindemittel, wie Kalk, verwendet zu haben scheint nach Theophr. a. a. O. 65 ἡ δὲ γλισχρότης καὶ θερμότης ὅταν βρεχθῇ θαυμαστή. χρῶνται γὰρ πρός τε τὰ οἰκοδομήματα τὸν λίθον περιχέοντες κἄν τὶ ἄλλο βούλωνται τοιοῦτον κολλῆσαι zu urteilen; er diente da wohl weniger zur Verbindung der Steine untereinander, als zum Verputzen der Decken und für Gesimse, und Theophrast rühmt ebd. 66 die außerordentliche Haltbarkeit des gut präparierten und so verwendeten G.: θαυμαστὴ δὲ καὶ (ἡ) ἰσχὺς · ὅτε γὰρ οἱ λίθοι ῥήγνυνται ἢ διαφέρονται ἡ γύψος οὐκ ἀνίησι, πολλάκις δὲ καὶ τὰ μὲν πέπτωκε καὶ ὑφῄρηται τὰ δ' ἄνω κρεμάμενα μένει συνεχόμενα τῇ κολλήσει. Für diese Verwendung wurde der pulverisierte G. mit Wasser angefeuchtet und der Teig mit Hölzern umgerührt, ebd. 66: κόψαντες δὲ καὶ ὕδωρ ἐπιχέοντες ταράττουσι ξύλοις. τῇ χειρὶ γὰρ οὐ δύνανται διὰ τὴν θερμότητα (doch bemerkt Lenz Mineral. d. Griech. u. Röm. 27, 111, so arg erhitze sich der G. nicht, wohl aber der Kalkstein, wenn er stark gebrannt und dann mit Wasser übergossen wird). Die hergerichtete Masse muß aber sofort benutzt werden, weil sie sehr schnell erkaltet und erstarrt, ebd.: βρέχουσι δὲ παραχρῆμα πρὸς τὴν χρείαν· ἐὰν (δὲ) μικρὸν πρότερον, ταχὺ πήγνυται καὶ οὐκ ἔστι διελεῖν. Plin. 183: gypso madido statim utendum est, quoniam celerrime coit; tamen rursus tundi se et in farinam resolvi patitur. Auch bei den Römern fand der G. beim inneren Ausputz der Häuser Anwendung für das sog. Weißwerk, opus albarium, in dem Gesimse (daher auch coronarium opus genannt), Decken, Gewölbeverzierungen ebenso in einfacher architektonischer Profilierung wie in reicherer figürlicher Ausstattung hergestellt wurden, Plin. a. a. O.: usus gypsi in albariis sigillis aedificiorum et coronis gratissimus. Isid. [2095] XVI 3, 9. XIX 10, 20 (vgl. über opus albarium Blümner Technol. II 141ff. 147ff.). In der Regel war der für diese Zwecke verwendete Stuck Gipsstuck, d. h. aus Gips, Kalk und Sand bereitet, obschon Vitruv. VII 3, 3 von der Verwendung des Gipses abrät: in hisque (sc. coronis) minime gypsum debet admisceri, sed ex creto marmore uno tenore perduci, uti ne praecipiendo non patiatur uno tenore opus inarescere. Daß solche Gipsverzierungen an Decken auch den Griechen nicht fremd waren, zeigt Paus. VIII 22, 7: πρὸς δὲ τοῦ ναοῦ (der Artemis in Stymphalos) τῶ ὀροφῷ πεποιημέναι καὶ αἱ Στυμφηλίδες εἰσὶν ὄρνιθες· σαφῶς μὲν οὖν χαλεπὸν ἤν διαγνώναι πότερον ξύλου ποίημα ἧν ἢ γύψου · τεκμαιρομένοις δὲ ἠμῖν ἐφαίνετο εἶναι ξύλου μᾶλλον ἢ γύψου. Damit meinte wohl auch Pausanias Werke aus Gipsstuck, nicht aus reinem Gips; auch die Gipsreliefs, die als Gräberfunde verschiedentlich erwähnt werden (vgl. Blümner a. a. O. 143), dürften Arbeiten aus Gipsstuck sein. Bei den römischen Stuckreliefs, von denen sehr schöne Proben sich erhalten haben, sind mir Untersuchungen ihrer Bestandteile nicht bekannt, doch dürfte auch bei ihnen neben Kalk G. zur Verwendung gekommen sein. Hergestellt wurden die Stuckreliefs teils aus freier Hand, teils in Modellformen, für die ebenfalls G. benutzt wurde; in einem Hause zu Pompeii sind eine größere Anzahl solcher Formen gefunden worden, weshalb man angenommen hat, daß dort ein Stuckarbeiter seine Werkstatt gehabt habe, s. Overbeck Pompeji4 380.
In dieser Verwendung des G. zu künstlerischem Schmuck von Bauwerken liegt schon die Bedeutung ausgesprochen, die der G. auch als Material für die bildende Kunst beanspruchen darf. Für die eigentliche große Plastik fand er freilich nur selten und mehr als Surrogat, aber doch schon frühzeitig Verwendung. Als Theokosmos von Megara beauftragt war, für den dortigen Tempel des olympischen Zeus das Götterbild aus Gold und Elfenbein herzustellen, brach der Peloponnesische Krieg aus, als erst der Kopf des Gottes in diesem Material hergestellt war; der Geldmangel nötigte den Künstler, das übrige aus Ton und Gips herzustellen, wie Paus. I 40, 4 berichtet. Höchst wahrscheinlich war dies unscheinbare Material bemalt und vergoldet; Schubart Rh. Mus. XV 88 vermutete, der Körper sei aus gebranntem Ton, Hände und Füße von G. und die ganze Statue mit Gewändern bekleidet gewesen, doch ist letzteres wenig wahrscheinlich. In Kreusis, der Hafenstadt von Thespiai, fand Pausanias nach IX 32, 1 eine Sitzstatue des Dionysos aus bemaltem G., freilich nicht in einem Tempel, sondern in einem Privathause. Auch christliche Schriftsteller erwähnen G. als Material von Götterstatuen, so Arnob. VI 14 commixtum glutinum gypso. Prudent. apoth. 458. Tert. idol. 3; vergoldete Prud. c. Symm. I 436. In der Kaiserzeit erfahren wir von Gipsbüsten von Philosophen, die als Zimmerschmuck dienten, Iuv. 2, 4f., und namentlich Ärmere, die sich Marmorbüsten nicht leisten konnten, werden zu diesem Ersatz gegriffen haben, weshalb von den mitunter ohne Angabe des Materials als Schmuck von Privatbibliotheken genannten Porträtbüsten (Plin. XXXV 5. Lucian. Nigr. 2) manche aus [2096] G. gewesen sein mögen, vgl. Friedländer Darstell. aus d. Sittengesch.6 III 192f. (doch gehört Mart. IX 47 nicht hierher, da dort gemalte Titelbilder in Büchern gemeint sind). Auch wo es sich um plastische Bildwerke für vorübergehende Dekoration handelte, nahm man G., vgl. Hist. aug. Sever. 22, 3: die circensium cum tres Victoriolae more solito essent locatae gypseae cum palmis. Erhalten hat sich von solchen Arbeiten nur äußerst wenig; aus griechischer Zeit gar nichts, aus römischer die neuerdings bekannt gewordenen (vgl. Héron de Villefosse Compte rendu de l'Acad. des Inscr. 4. Ser. XX [1892] 187ff. über vier im Louvre befindliche bemalte Gipsbüsten von El Kargeh) fein modellierten und reichbemalten Köpfe von Mumienkästen, von denen interessante Proben bei Flinders-Petrie The arts and crafts of ancient Egypt (Edinb. und London 1909) Fig. 135–138 abgebildet sind. Diese Porträtköpfe lassen uns auch einen Blick in die Technik der Künstler tun; die genaue Übereinstimmung des einen Kopfes (Fig. 138) mit dem noch erhaltenen Schädel, wobei nur die Fleischpartien durch eine bald feinere, bald stärkere Gipsschicht ergänzt sind, zeigen, daß der Ausführung jedenfalls eine Totenmaske zugrunde gelegt wurde.
Häufiger noch scheint der G. bei der Kleinplastik Anwendung gefunden zu haben. Jene kleinen Figürchen, die die Griechen κόραι nannten und die Römer sigilla und die teils Kindern als Spielzeug dienten, teils Nippfiguren, Weihgaben u. dgl. waren, wurden zwar in der Regel aus dem dauerhafteren gebrannten Ton hergestellt, doch auch aus Gips, s. Bekker Anecd. 272, 31: κόρη, καὶ τὸ μικρὸν ἀγαλμάτιον τὸ γύψινον καὶ πήλινον, ἀφ' οὗ καὶ κοροπλάθος ὁ ταῦτα ποιῶν καλεῖται. Etym. M. 530, 11. Suid. s. κοροπλάθοι. Timai. Lex. s. κοροπλάθοι. Auch von diesen Arbeiten hat sich aber bei der Vergänglichkeit des Materials nur wenig erhalten; im Compte Rendu de la Comm. archéol. de St. Pétersbourg f. 1875, Atl. Taf. I bildet Stephani kleine Gipsfigürchen aus einer Niobidendarstellung ab, die als Verzierung an einem Holzsarkophage angebracht waren, vgl. ebd. 5ff.
Wenn nun im großen und ganzen der G. in der alten Kunst als Material von Bildwerken immer eine untergeordnete Rolle spielte, so war er dafür umso wichtiger bei der Arbeit selbst, da aus ihm die Abgußformen und Modelle hergestellt wurden, wofür er sich seiner Beschaffenheit nach vorzüglich eignete, Theophr. de lap. 67 διαφέρειν δὲ δοκεῖ καὶ πρὸς ἀπομάγματα πολὺ τῶν ἄλλων, εἰς ὃ καὶ χρῶνται μᾶλλον καὶ μάλιοθ' οἱ περὶ τὴν Ἑλλάδα, γλισχρότητι καὶ λειότητι. Daß auch die alten Künstler ihre Arbeiten nicht ausführten, ohne vorher ein Modell davon gemacht zu haben, ist nicht zu bezweifeln; wenn Plinius (XXXV 153) das erst seit Lysistratos, dem Bruder Lysipps, üblich werden läßt (crevitque res in tantum, ut nulla signa statuaeve sine argilla fierent), so ist er damit (die Richtigkeit des Wortlautes vorausgesetzt, s. u.) sicherlich ebenso im Irrtum, wie wenn er es (ebd. 156) als besonderen Vorzug an Pasiteles rühmt, daß er immer nach vorher gefertigtem Modell gearbeitet habe (nihil umquam fecit antequam finxit). Die Künstler [2097] machten zunächst das Modell ihrer Figur, mochte sie für Bildhauerarbeit oder Erzguß bestimmt sein, in Ton; aber sie werden schwerlich dies Tonmodell direkt zur Arbeit benützt haben, da es dafür erst hätte gebrannt werden müssen und nicht überall die dazu erforderlichen Öfen in der oft notwendigen beträchtlichen Größe vorhanden sein mochten, auch dabei immer die Gefahr des Schwindens und der Veränderung einzelner Partien vorlag (vgl. Blümner a. a. O. 119f.). Da lag es denn nahe, daß man vom Tonmodell eine Negativform in G. herstellte und von dieser dann einen positiven Abguß, der nun dem Bildhauer als Modell diente und zu dem schon in der alten Skulptur gebräuchlichen Punktieren benützt wurde. Daß diese Erfindung in der Tat alten Datums ist, zeigen ägyptische Funde von G.-Köpfen, die allem Anscheine nach als Modelle für Künstler abgegossen waren und bis in die 18. Dynastie zurückgehen, s. Flinders-Petrie a. a. O. 144 Fig. 133f. Und auch für Griechenland werden wir weiter zurückgehen müssen, zumal die Stelle des Plinius über Lysistratos kaum so haltbar ist, wie sie überliefert ist. Sie lautet (XXXV 153): hominis autem imaginem gypso e facie ipsa primus omnium expressit ceraque in eam formam gypsi infusa emendare instituit Lysistratus Sicyonius ... hic et similitudines reddere instituit; ante eum quam pulcherrimos facere studebant. idem et de signis effigies exprimere invenit, crevitque res in tantum, ut nulla signa statuaeve sine argilla fierent. quo apparet antiquiorem hanc fuisse scientiam quam fundendi aeris. Hier ist also zuerst vom Abnehmen von Gesichtsmasken nach dem Leben die Rede. Das Nehmen von Totenmasken war eine alte Erfindung, in Ägypten schon zur Zeit Amenhoteps IV. bekannt, wie dessen noch erhaltene Totenmaske beweist (Flinders-Petrie a. a. O.); daß die mykenischen Goldmasken auch über der Leiche gemacht zu sein scheinen, mag hier nur beiläufig bemerkt werden, da es sich um ein anderes Material handelt. Daß der Brauch in Griechenland nicht unbekannt war, lehrt eine noch erhaltene, bei Hagia Triadha am Friedhof vom Dipylon gefundene gipserne Totenmaske (vgl. v. Sybel Katal. d. Skulpt. zu Athen 208 nr. 2921). Für Abgüsse nach dem Leben aber ist dies die einzige uns vorliegende Notiz; denn um diese viel schwierigere Prozedur, nicht um Abnehmen von Totenmasken, wird es sich wohl handeln, obschon Plinius es nicht ausdrücklich sagt, und so wird die Stelle auch in der Regel verstanden (vgl. Brunn Gesch. d. griech. Künstler I 402ff. Overbeck Griech. Plastik II4 166f. Springer-Michaelis Handb. d. Kunstgeschichte I8 393; abweichend Benndorf Antike Gesichtshelme und Sepulcralmasken 73, der daher auch die Notiz des Plinius, daß erst Lysistratos das Abnehmen von Totenmasken erfunden habe, verwirft). Daß Lysistratos das Abformen über den lebenden Menschen zuerst einführte, ist daher wohl möglich. Anders steht es mit der zweiten Angabe, daß er zuerst Abgüsse (und man darf in diesem Zusammenhang wohl sagen G.-Abgüsse) von Statuen genommen habe. Brunn (a. a. O. 403) fand das so unglaubhaft, daß er den ganzen Schluß des §, von idem et bis fundendi aeris, als einen Nachtrag zu § 152, [2098] wo von den Erfindungen des Butades berichtet ist, betrachtete, der später vom Rande an einer falschen Stelle in den Text gesetzt worden sei; derselben Ansicht war Furtwängler (Neue Jahrb. Suppl.-Bd. IX 59; Über Statuenkopien im Altert. [Abhandl. Akad. München, Phil. hist. Kl. 1896] 544ff.). Damit würde also die Erfindung der G.-Abgüsse dem fast sagenhaften sikyonischen Töpfer Butades zugeschrieben werden, was wenig glaublich ist; daher haben Overbeck (a. a. O. 176, 1) und Reinach (Revue archéol. N. S. XLI [1902] II 5ff.) den Passus wohl mit Recht an seiner Stelle belassen. Allerdings muß es dabei als fraglich bezeichnet werden, ob Plinius diese Erfindung mit Recht dem Lysistratos zuschrieb oder ob sie nicht schon älteren Datums war (über G.-Abgüsse im Altertum handeln Welcker Akad. Kunstmus. zu Bonn 4f., Furtwängler und Reinach a. a. O.; die Abhandlung von Perkins Du montage en plâtre chez les anciens 1869 kenne ich nur aus dem Zitat bei Collignon Hist. de la sculpt. Grecque II 728, 2). Daß sie die Alten überhaupt kannten, geht auch aus der oben angeführten Bemerkung des Theophrast über ἀπομάγματα hervor; wenn Furtwängler a. a. O. die Erfindung, G.-Modelle den Marmorstatuen zugrunde zu legen, erst dem Pasiteles zuschreiben möchte, so spricht dagegen außer Theophrast auch die Stelle bei Plut. de soll. anim. 36 p. 984 B (auf die Reinach aufmerksam gemacht hat), wonach Abgesandte des Ptolemaios Soter von zwei Statuen in Kirrha die eine mitnahmen, die andere aber, die sie zurücklassen mußten, abgießen ließen. Es gab also im Altertum ebenso G.-Werke, die den Künstlern als Modell dienten, als G.-Abgüsse von berühmten Kunstwerken; auch die oben erwähnten Porträtbüsten aus G. werden solche Abgüsse von marmornen oder bronzenen Originalköpfen gewesen sein. Und daß man nicht nur bei statuarischen Werken, sondern auch bei Herstellung von Geräten u. dgl. aus Erz nach G.-Modellen arbeitete, zeigt Plinius a. a. O. 155 idem (scil. Varro) magnificat Arcesilaum L. Luculli familiarem, cuius proplasmata (das ist der technische Ausdruck für Modell) pluris venire solita artificibus ipsis quam aliorum opera; ebd. 156 Octavio equiti Romano cratera facere volenti exemplar e gypso factum talento.
Was endlich den Schluß des besprochenen Passus bei Plinius anlangt (crevitque – aeris), so ist dieser sicher mit Recht auch von Overbeck und Reinach a. a. O. als nicht hierher gehörig bezeichnet worden. Das Arbeiten nach einem Tonmodell (argilla) hat mit der Erfindung von G.-Abgüssen fertiger Statuen nichts zu tun; und der Schluß, diese scientia sei älter als die Erfindung des Erzgusses (die die Alten doch ins 6. Jhdt. v. Chr. versetzten), zeigt, daß der Satz nichts mit Lysistratos zu tun hat. Reinach will ihn auf Butades § 152 beziehen; Urlichs in der Chrestom. Pliniana schob ihn im selben §, aber hinter plasticen ein, sodaß er sich auf die Erfindung und Ausbildung der Tonbildnerei überhaupt bezog.
Auch die alten Töpfer, soweit sie ihre Gefäße nicht aus freier Hand auf der Drehscheibe formten, bedienten sich gipserner Modellschüsseln, [2099] wie denn G.-Formen auch für Terrakottareliefs üblich waren. In der römischen Töpferei kamen solche G.-Formen vornehmlich für Lampen und Terrasigillata-Gefäße in Anwendung (Reste derart im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich). Eigene Bezeichnungen für den G.-Arbeiter sind nicht häufig. Im Griechischen findet sich erst ganz spät bei Cassiod. var. VII 55 die Bezeichnung gypsoplastes, bei Zonar. 1651 γυψεμπλάστης; häufiger ist im Lateinischen gypsarius, obschon nur auf Inschriften nachweisbar, s. CIL IX 5378.[1] XII 4479;[2] plasta gupsarius im Ed. Diocl. 7, 30.
Was sonstige Verwendung des G. anlangt, so sind deren verschiedene namhaft zu machen. Von Aithiopien berichtet Herod. III 24, daß man dort die auf ägyptische Art einbalsamierten oder sonst mumifizierten Toten mit G. überzog und bemalte. Daß in Griechenland die Maler G. gebrauchten (εἰς) ἔνια τῶν κατὰ τὴν τέχνην, bemerkt Theophr. de lap. 67; wahrscheinlich nahmen sie ihn zum Grundieren der Holztafeln, vielleicht auch bei der Bereitung der weißen Farbe. An derselben Stelle erwähnt Theophrast, daß einige G.-Sorten, wie z. B. der tymphaische, von den Walkern anstatt der sonst üblichen Walkererde benützt wurde; darnach Plin. a. a. O. 198 Graecia pro Cimolia Tymphaico utitur gypso. Um Eisen gegen Rost zu schützen, versah man es u. a. mit einem aus Bleiweiß, G. und Pech bereiteten Überzuge, Plin. XXXIV 150: a robigine vindicatur cerussa et gypso et liquida pice; vgl. Isid. XVI 21, 7. Sodann scheint es nach der Inschrift CIG 3159, wo von einer Statue σὺν βάσει ἀργυρέῃ γύψου μεστῇ die Rede ist, daß man G. zur Füllung hohler Teile von Metallarbeiten nahm.
Sehr ausgedehnt war die Verwendung des G. in der Landwirtschaft. Bei Fässern mit Konserven, besonders Trauben und Äpfeln, oder sonst luftdicht zu haltenden Dingen wurden die Deckel, die dann noch manchmal verpicht wurden, erst eingegipst, was mit γυψοῦν, gypsare, bezeichnet wird; s. Colum. II 10, 16. XII 10, 4. 16, 4. 39, 2. 44, 6. Plin. XV 62. XX 97. Geop. IV 15, 13; ebd. 17. VI 16, 1. VIII 26, 1. Auch bei Flaschen, Amphoren u. dgl. war Verschluß mit G. üblich, s. die amphorae vitreae diligenter gypsatae Petron. 34, 6. Colum. XII 12, 2. 16, 2. 41. Pallad. IV 10, 18; zerbrochene oder gesprungene Tongefäße wurden mit G. gekittet, Arist. Vesp. 926 mit Schol. und Cato r. r. 39 gibt dafür das Rezept, wobei Wachs, Harz und Schwefel mit G. zu mischen sind. Sodann werden aber auch Früchte, die man konservieren wollte, direkt in G. eingelegt, indem man sie entweder direkt in feingepulverten trockenen G. bettete, Colum. XII 44, 4: nonnulli sicco flore gypsi oblinunt uvas, quas non nimium maturas vitibus detraxerunt. Plin. XV 64: mala generosissima eadem ratione crustant gypso vel cera. Pall. III 25, 26: alii in patina nova sicco gypso obruunt separata cydonia, oder die erst getrockneten in Binsen wickelte und mit G. bedeckt in Fässern einlegte, wie es in Ligurien mit Trauben geschah nach Plin. a. a. O. 66. Daß man Weine, besonders solche, die leicht umschlugen, gipste, ist eine bekannte Tatsache, die schon Theophr. de lap. 67 erwähnt, der es allerdings nur für Italien bezeugt, doch war das [2100] Verfahren sehr verbreitet; vgl. Colum. XII 28, 3. Plin. XIV 120: Africa gypso mitigat asperitatem. Plut. quaest. nat. 10 p. 914 C. Man nahm dazu feinsten G., der wie beim Mehl flos hieß, und tat ihn zum jungen Most, Colum. XII 20, 8. 26, 2. 36. Poll. XI 14, 6. Geop. VI 18. VII 12, 5; auch bei eingekochtem Wein tat man G. hinzu, Colum. XII 21, 3. 26, 2. Daß man auch Gerste im Speicher der Konservierung halber mit G. vermischte, erwähnen die Geop. II 30, 2, die Verwendung beim Düngen Pallad. IV 10, 5. G. war auch notwendig bei der Herstellung künstlicher Graupe, Plin. XVIII 115. Geop. III 7, 1; vgl. Blümner a. a. O. I 56. Um Hühnern, die ihre Eier auffraßen, dies abzugewöhnen, füllte man ausgeblasene Eierschalen mit G. und warf diese den Hühnern hin, Geop. XIV 7, 5.
Die Verwendung des G. als Färbemittel wurde schon oben erwähnt; so benützten es auch Schauspieler, um sich weiße Hände zu machen, vgl. Cic. ad fam. VII 6, 1; ein Bestreichen mit G. zum Zwecke einer Kriegslist erwähnen Herod. VIII 27. Paus. V 1, 11. In Rom wurden Sklaven, die auf der catasta, einem Schaugerüst, zum Verkauf gestellt wurden, die Füße mit G. geweißt, Tib. II 3, 60. Ovid. am. I 8, 64; vgl. Iuv. 1, 111. Plin. XXXV 199 nennt dafür Kreide als Material.
In der Medizin fand der G. nur äußerliche Anwendung, gegen Blutungen, zu Verbänden u. dgl., Diosc. V 133. Cels. II 33 und öfters bei Galen; innerlich wandte man ihn nicht an, weil er für giftig galt (Plin. XXXVI 183). Plinius empfiehlt verschiedene Gegenmittel bei eingetretener Vergiftung XX 178. XXIII 83. XXVIII 129.
Vgl. im allgemeinen Blümner Technologie II 140ff. III 101ff. A. Jacob bei Daremberg-Saglio Dict. des antiqu. II 1714ff.