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RE:Eurystheus

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Enkel des Perseus, König von Mykene, gibt Herakles zwölf Aufgaben
Band VI,1 (1907) S. 13541356
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Eurystheus. a. Der Name Εὐρυσθεὺς Σθενέλοιο πάϊς Περσηϊάδαο (Il. XIX 123) ist eine Kurzform zu Eὐρυσθένης, wie Μενεσθεύς zu Mενεσθένης, die deshalb vor dem Vollnamen bevorzugt ist, weil dessen Nominativ nicht in den Hexameter paßte. Aus demselben Grund hat sich im 1. Jhdt. v. Chr. ein Mann aus Paros, der sonst Sosthenes hieß, im Distichon Sostheus genannt, vgl. S.-Ber. Akad. Berl. 1904, 1241. Vater und Sohn hatten also ein gleiches und ein entsprechendes Namenselement, die beide den mächtigen Herrscher bezeichnen. Der Vollname Eurysthenes kommt auch sonst in der Sage vor, s. d. Vgl. Bechtel-Fick Personennamen 409.

b. Schon die Ilias kennt, wenn auch nicht in ihren allerältesten Teilen (vgl. C. Robert Studien zur Ilias 443), die Geburtsgeschichte des E. und die Dienstbarkeit des Herakles. In der μήνιδος ἀπόρρησις (XIX 76ff.) vergleicht Agamemnon seine Ate mit der des Zeus, welcher an dem Tage, als Alkmene in Theben den Herakles gebären sollte, in der Götterversammlung eine prahlerische Rede hielt: ,Heute wird Eileithyia einen Mann zur Welt bringen von meinem Blute, der über alle Umwohner herrschen wird‘. Hera läßt sich das beschwören und geht nach dem achaeischen Argos, wo die Gattin des Sthenelos erst im siebten Monat schwanger war. Und während sie die Geburt bei Alkmene hemmte, beschleunigte sie die andre. Nun konnte sie dem Zeus verkünden, daß E. geboren sei, Enkel des Zeussohnes Perseus, der über die Argeier herrschen würde – worauf dem Zeus nichts weiter zu tun übrig bleibt, als die Ate zu bestrafen. E. ist der Herrscher, ein ἠλιτόμηνος, vom ἀλειτ- ἀλοιτ- ἀλιτ mit falschem Ionismus für α) gebildet, dem die richtige Zahl der Schwangerschaftsmonate fehlt (vgl. W. Schulze Quaest. ep. 149; anders bei Rzach zu Hesiod. Scut. Herc. 91, wo ein ganz verschiedenes Wort ἀλιτήμενος gebraucht wird, das nur äußerlich anklingt).

c. In Il. XV 638, kurz bevor die Troer den Schiffen nahe kommen, wird des Kopreus gedacht, der vom E. zu Herakles ging, um ihm die ἆθλοι aufzutragen. Seinen Sohn, den Mykenaeer Periphetes, der viel besser an Verstand und kriegerischer Tüchtigkeit war als der Vater, tötet Hektor. Damit sind die wesentlichen Bestandteile der Sage schon gegeben, auch schon nach der burlesken Seite, welche den schwächlichen Herrscher und seinen minderwertigen Herold in starken Gegensatz zu dem gewaltigen Diener setzen. Von den Agonen des Herakles bringt dies besonders die Einholung des erymanthischen Ebers zum Ausdruck; schon sf. Vasen der zweiten Hälfte des 6. Jhdts. zeigen E. in einen Pithos geflüchtet, der in die Erde eingegraben ist; entsetzt streckt der Herrscher Kopf und Arme heraus, da Herakles mit dem Eber naht und Miene macht, das wilde Tier in dasselbe Gefäß abzuladen. Furtwängler Berliner Vasenkatalog nr. 1841ff. und Myth. Lex. II 2199. Solche Züge weisen uns die späteren Schriftsteller: nach Apollod. bibl. II 76 befiehlt E. dem Herakles schon aus Furcht vor dem toten nemeischen Löwen, außerhalb der Tore zu bleiben und sich dort Über die ἆθλοί auszuweisen; [1355] er richtet sich den ehernen Pithos als Zufluchtsort her und schickt seine Befehle durch Kopreus, den Sohn des Pelops, den er vom Morde entsühnt und aufgenommen hatte. Solche Züge machten auch den E. zum Helden eines Satyrdramas geeignet, wie es Euripides gedichtet hat, ohne daß sich freilich über den Inhalt viel sagen ließe (Fragment bei Nauck FTG1 376ff.). Eine raffinierte Auflassung hat es fertig gebracht, in E. den ἐρώμενος des Herakles zu sehen; Theophr. περὶ ἔρωτος, vgl. v. Wilamowitz Hermes XI. 1905, 152. Daß E. zwei der zwölf Agone nicht als voll rechnete, die Hydra und den Augeasstall (Apollod. bibl. II 80. 91), ist ein Kniff harmonistischer Kritik, welche aus den zwölf Agonen der alten Sage zehn machen wollte; andres ist noch nebensächlicher, so daß er die Rinder des Geryoneus der Hera opferte (II 112), oder daß er die Hesperidenäpfel dem Herakles zurückgab, der sie dann durch Athena den Hesperiden wieder zustellte (II 113).

d. Mit der Erfüllung der Dienstbarkeit des Herakles hat er seine Hauptrolle ausgespielt; er wütet dann noch gegen die Herakliden, um dabei zu Grunde zu gehen. Immerhin läßt sich auch dieser Mythos, dank den Untersuchungen von v. Wilamowitz-Moellendorff De Euripidis Heraclidis, Ind. Gryphisw. 1882, bis ins 6. Jhdt. hinauf erfolgen. Daß die Herakliden nach dem Tode ihres Vaters zu Keyx nach Trachis flohen, von dem E. ihre Auslieferung verlangte, erzählt schon Hekataios von Milet frg. 353 (Ps.-Longin π. ὕψ. 27) und nach ihm Apollod. bibl. II 167. Keyx konnte sie nicht schützen; so wanderten sie nach Boiotien. Theben rühmte sich zu Pindars Zeit (Pyth. IX 79. v. Wilamowitz a. a. O. XI) die Schutzflehenden verteidigt zu haben; Iolaos wußte den καιρός wahrzunehmen: er hieb mit des Schwertes Schneide das Haupt des E. ab und starb darauf, gerade so wie in Euripides Herakliden; vermutlich hatte er auch hier einen Tag erneuter Jugendkraft mit dem Tode erkauft. Das Grab des E. lag auf der Geraneia in Megaris, nahe der korinthischen Grenze, über den Skironischen Felsen (Paus. I 44, 10), d. h. wenn man die Megaris für die ältere Zeit Boiotien zurechnet, an der Grenze von Boiotien und der Pelopsinsel. An Iolaos Stelle setzte eine Überlieferung (jetzt nur bei Apollod. bibl. II 168) den Hyllos, den Sohn des Herakles, der nachher bei seinem Versuch, den Peloponnes zu erobern, durch den Arkader Echemos fiel.

Im 5. Jhdt. hat natürlich Attika, wie fast alle, so auch diesen Mythos annektiert und zu seinem eigenen Ruhme gewandt, in Anlehnung an den Herakleskultus, der namentlich in der attischen Tetrapolis blühte. So schon Herodot IX 27 in einer ganz rhetorischen Aufzählung attischer Großtaten, und vor allen Euripides in den Herakliden (427 v. Chr.), von dem das Gemälde des Apollodor (in der Poikile? vgl. oben Bd. I S. 2897) und die Schar der späteren Redner, Isokrates IV 54ff. und die Verfasser der Epitaphien abhängig sind. Wie v. Wilamowitz annimmt, ist ihnen allen Aischylos vorausgegangen. Die Herakliden fliehen, von allen preisgegeben, nach der attischen Tetrapolis. E. zieht gegen sie, nachdem sein Herold Kopreus vergeblich die Auslieferung [1356] verlangt hat (daß Kopreus von den Athenern gegen das Völkerrecht erschlagen worden sei, erzählt aus Anlaß eines bis zur Zeit des Herodes Attikos bei den Epheben herrschenden Brauchs, in der eleusinischen Pompe schwarze Kleider zu tragen. Philostrat. vit. soph. II 5, vgl. IG III 1132, 6. v. Wilamowitz a. a. O. XIV). Aber die attische Sage kann ihre Unselbständigkeit nicht verleugnen; der Boioter Iolaos ist auch bei Euripides der Held, und er erschlägt den E. an dem überlieferten Orte, bei den Skironischen Felsen. Daneben verschlägt es wenig, wenn Euripides, um Attikas Anteil zu steigern, den Opfertod der Makaria frei erfindet, den Spätere weiter ausgestaltet haben, wenn derselbe Euripides das Grab des E. zum Heiligtum der Athena Pallenis verlegt (Heracl. 1031ff.) und wenn die Atthidographen, sowie ihnen folgend (denn so wird der Sachverhalt sein) Apollodor bei Strabon IX 377 erzählen, daß Iolaos dem E. das Haupt an der Quelle Makaria abschlug, unweit Marathon, worauf der Kopf daselbst in Trikorythos bestattet wurde (der Ort behielt den Namen Εὐρυσθέως κεφαλαί), der Leib in Gargettos. Nach Schol. Pind. Pyth. IX 145 lag das Grab in der Fahrstraße, damit man es mit Füßen treten sollte. Daß ein solches Grab in Wahrheit keines ist, liegt auf der Hand.

e. Dank dem Heraklesmythos ist E. eine von Rednern und Dichtern viel behandelte, von aller Welt bis auf den heutigen Tag gekannte Persönlichkeit. Virgil redet von Land und Wäldern und Flüssen, da alles andere, was den unbeschäftigten Geist hätte fesseln können, schon trivial geworden sei: quis aut Eurysthea durum aut inlaudati nescit Busiridis aras? (Georg. III 4). Aber man fragt, ob E. eine Existenz außer dem Heraklesmythos hatte, ob er der alten vordorischen Landessage angehörte und dort auch schon der mächtige Herrscher war, noch ohne den stärkeren Dienstmann. Die Besitzverhältnisse der Argolis in homerischer Zeit haben den Exegeten viel Mühe gemacht und sie zu allerlei Kunststücken getrieben, wie dem Tausch der Reiche zwischen Perseus und dem Proitiden Megapenthes, durch den Perseus statt Argos Tiryns erhielt, wozu er dann Mykene gründet, Paus. II 16. vgl. Apollod. bibl. II 48. Nach Mykenai den Enkel des Perseus E. zu setzen rät Ilias XV 638ff.; der bekannte Wohnsitz des Herakles ist Tiryns. Da Mykenai aber die Pelopidenburg war, mußte dieses Geschlecht eine Zeit lang flüchtig werden. Thukydides erklärt das in seinem Pragmatismus so, daß E. dem Atreus Mykenai und sein Reich als Verweser übergab, während er selbst nach Attika zog; als E. dort fiel, nahmen die Mykenaier den Atreus als Herrscher an, aus Furcht vor den Herakliden, unter dem Eindrucke seiner Tüchtigkeit und seiner geschickten Demagogie. So dachte der Athener des 5. Jhdts. Aber nirgends ist ein Ort, wo E. festwurzelt. Er ist von Haus aus weder ein Gott noch ein Heros noch eine geschichtliche Person gewesen. Als Gegenbild zu Herakles ist er geschaffen, und nur als solches kann er verstanden werden. Daher sind hier nur die charakteristischsten Züge kurz behandelt, für alles weitere ist auf Herakles zu verweisen.