Epimerismen (Ἐπιμερισμοί). Unter μερισμός (μερίζειν) verstanden die älteren griechischen Grammatiker die Klassifikation der acht Redeteile und die Verteilung der Wörter unter die einzelnen Klassen und Unterabteilungen der Redeteile. Vgl. Schol. Dionys. Thrac. 214, 17 Hilg. und die von Lehrs Herod. scr. tria 423 angeführten Stellen aus Apollonios Dyskolos. Verschiedene Grammatiker wie der ältere Tyrannion und Apollonios Dyskolos verfaßten besondere Schriften περὶ μερισμοῦ oder περὶ μερισμοῦ τῶν τοῦ λόγου μερῶν. Mit demselben Ausdruck bezeichnete man aber auch, wie besonders die Auseinandersetzung bei Sextus Empir. adv. gramm. 161–168 zeigt, die Zerlegung eines Verses (Satzes) in seine grammatischen Bestandteile: man hatte bei dieser grammatischen Analyse anzugeben, zu welchem Redeteil und zu welcher Klasse eines Redeteils jedes Wort gehört, ob es in einem oder in zwei Worten zu schreiben ist (z. B. ὅδε oder ὁ δὲ), wie ein apostrophiertes Wort vollständig lauten muß, wie eine Synaloephe aufzulösen ist, was das Wort bedeutet, wie es abzuleiten ist, wie es nach den Regeln der Orthographie und Prosodie geschrieben und betont werden muß usw. Für μερισμός in dieser Bedeutung wurde später der Ausdruck ἐπιμερισμός allgemein üblich. Der ἐπιμερισμός war (wie in spätbyzantinischer Zeit die σχεδογραφία) ein beliebtes Unterrichtsmittel und wurde vorzugsweise auf die Homerischen Gedichte angewandt; an der Hand einer solchen grammatischen Zergliederung Homers wurde in der Schule der gesamte Stoff der Grammatik eingeübt. Aus der Schule wurde der ἐπιμερισμός alsdann in die Literatur verpflanzt. Schriften unter dem Titel Ἐπιμερισμοί (zunächst nur Ἐπιμερισμοὶ Ὁμήρου) entstanden schon frühzeitig. Die älteste dieser [180]
Art waren wohl die (verlorenen) Ἐπιμερισμοί, die unter dem Namen des berühmtesten technischen Grammatikers Herodian in Umlauf waren. Sie werden zuerst im Etymologikon des Orion zitiert, dann von Georgios Choiroboskos, weitere Bruchstücke finden sich in den andern etymologischen Wörterbüchern und in Scholiensammlungen. Daß Herodian selbst der Verfasser war, ist sehr unwahrscheinlich; schon Choiroboskos erkannte, daß wenigstens ein Teil von ihnen untergeschoben war (Etym. M. 779, 33. Schol. A zu Il. IV 68 οἱ δὲ Ἐπιμερισμοὶ οὔκ εἰσι πάντες Ἡρωδιανοῦ, ἀλλ’ εἰσὶ καὶ ψευδεπίγραφοι). Vielmehr ist mit Lehrs und Lentz anzunehmen, daß sie den Namen des Herodian deshalb trugen, weil ihr Inhalt zum größten Teil aus Schriften des Herodian geschöpft war. Die E., die auf uns gekommen sind, stammen aus späterer Zeit. In allen finden sich in erster Reihe zahlreiche Bruchstücke und Spuren Herodianischer Lehren, die zum Teil auf direkte Benutzung von Schriften Herodians zurückgehen, größtenteils aber auf indirektem Wege, wie namentlich durch Vermittlung des Goorgios Choiroboskos, des Kompilators des Herodian, in diese Literatur hineingelangten; manche Artikel sind auch aus den alten Homerscholien herübergenommen. Die älteste Form, die sich unmittelbar an die Homerischen Gedichte anlehnt und Vers für Vers und Wort für Wort der Reihe nach erklärt, zeigen noch die E. zum ersten Buch der Ilias, die von Cramer aus dem Cod. Coislinianus 387 saec. X herausgegeben sind (Cram. An. Paris. III 294–370). Nicht im Inhalt, nur in der Form verschieden sind diejenigen E., in denen die Reihenfolge der Verse der Homerischen Gedichte verlassen ist und die Lemmata in alphabetische Ordnung gebracht sind. Die bedeutendste Sammlung in dieser Lexikonform sind die von Cramer aus dem Cod. Oxoniensis Novi Collegii 298 saec. XIV herausgegebenen Ὁμήρου Ἐπιμερισμοὶ κατὰ ἀλφάβητον (Cram. An. Oxon. I; Nachträge dazu gab A. Ludwich Aristarchs Homer. Textkritik II 606ff.). Die Ordnung der Artikel ist nicht streng alphabetisch, und an vielen Stellen erkennt man deutlich, daß E., die nach der Reihenfolge der Homerverse angelegt waren, als Vorlagen gedient haben (H. Sauppe Ztschr. f. Altert. 1835, 668). Ein großer Teil der Artikel findet sich fast gleichlautend in den etymologischen Wörterbüchern (Etym. genuinum und Gudianum) wieder, ein sicherer Beweis, daß die Verfasser der Etymologika dieselben Homer-E. als Quelle benutzt haben, aus denen der Verfasser der Cramerschen Sammlung sein Lexikon zusammengestellt hat. Nicht ausschließlich Homer-E., sondern auch andere Quellen sind benutzt in den gleichfalls alphabetisch angelegten Ἐπιμερισμοὶ κατὰ στοιχεῖον γραφικά (sic), die Cramer aus dem für die Geschichte der grammatischen Studien in der byzantinischen Zeit sehr wichtigen Cod. Baroccianus 50 saec. X herausgegeben hat (Cram. An. Ox. II 331–426). – Die Form der E. wurde auch für die grammatische Erklärung biblischer Texte angewendet. Georgios Choiroboskos hielt Vorlesungen, in denen er auf diese Weise die Psalmen erläuterte. Diese Vorlesungen sind uns in der Nachschrift eines Schülers unter dem Titel Ἐπιμερισμοὶ τοῦ ψαλτηρίου ἀπὸ φωνῆς Γεωργίου τοῦ [181] ἐπίκλην Χοιροβόσκου erhalten (ed. Th. Gaisford Oxonii 1842). In Form von Frage und Antwort wird darin der biblische Text in der Reihenfolge der Psalmen und der einzelnen Verse grammatisch erklärt. Die Erläuterung des ersten und zweiten Psalms ist sehr ausführlich, die der übrigen ganz kurz. Das Werk ist uns aber wahrscheinlich unvollständig überliefert, in besserer Gestalt wurde es von dem Verfasser des Etym. Gudianum benutzt. Die Autorschaft des Choiroboskos wurde früher ohne stichhaltigen Grund bezweifelt (s. den Art. Choiroboskos). – Ganz verschieden sind die fälschlich unter dem Namen des Herodian überlieferten und aus zwei Pariser Hss. (Paris, gr. 2543 und 2570) von Boissonade herausgegebenen Ἐπιμερισμοί (Herodiani Partitiones ed. Jo. Fr. Boissonade, Londini 1819). Sie finden sich auch in andern Hss.; vgl. Egenolff Die orthograph. Stücke d. byzantin. Literatur, Progr. Heidelberg 1888, 26f. Der genauere Titel dieses Buches müßte etwa lauten Ἐπιμερισμοὶ τῶν ἀντιστοίχων. Das Buch enthält nämlich orthographische Regeln über die Schreibung derjenigen Silben griechischer Wörter, in denen die ἀντίστοιχα (ε und αι, ι, η und ει, υ und οι) vorkommen, wo also bei der byzantinischen Aussprache dieser Vokale und Diphthonge die Schreibung zweifelhaft sein konnte. Vgl. Lehrs Herodiani scripta tria 416–427. Lentz Herodiani Techn. reliqu. I p. XVIIff. CCIVff. Reitzenstein Gesch. der griech. Etymologika 195ff.