Enchelys (Ἔγχεύς), ein spukhaftes Meerwesen in Kos, das dem herdenreichen Koer Krisamis das schönste Schaf raubte. Dieser tötete die Räuberin, aber sie erschien ihm im Traum und verlangte ein Begräbnis. Als er die Bitte nicht erfüllte, ging er ,mit seinem ganzen Geschlechte‘ zu Grunde, Suid. s. Κρίσαμις Phot. p. 179, 10. Hesych. s. v. Zenob. IV 64 p. 102. Dieses αἴτιον will wohl erklären: 1. warum kein Koer sein Geschlecht auf Krisamis zurückführt; 2. warum die E. noch umgeht (weil unbestattet); 3. vielleicht auch, warum man noch später das schönste Schaf der Herde der E. freiwillig opferte. Höfer (Roschers Myth. Lex. II 1446) wirft mit Recht die Frage auf, ob dieser Krisamis nicht vielleicht der aus Hippokrates (ep. 2, Hercher Epistologr. 289) bekannte Abkömmling des Asklepios, Ahnherr des berühmten koischen Asklepiaden Hippokrates sei: das παγγενεὶ (ἀπολέσθαι) wäre dann ungenaue Übertreibung, der Mythos selbst aber hätte an Bedeutung gewonnen. Die E. gehört aber nicht in den (wohl aus Epidauros stammendem Asklepioskreis, sondern mit Chalkon, dem Ahnherrn der einen Hälfte des koischen Adels (Chalkodon, Chalkiope u. a.). nach Chalkis auf Euboia (Schol. Theokr. VII 5; vgl. o. unter Antagoras Nr. 1 und Maass Herm. XXIII 618. Toepffer Att. Geneal. 165, 2. 163. Lobeck Paralip. 467, 16. Maass Ind. Gryph. 1890, 38. Crusius in Roschers Myth. Lex. II 844, 60ff.). Dort gab es heilige ἐγχέλεις, die, mit Spangen von Gold und Silber geschmückt, sich von eigenen Priestern füttern liessen (Plut. de soll. anim. 23. Aelian. hist. an. VIII 4. Athen. VIII 332). Dieser Cult wiederholt sich, wie mancher andere, westlich des Euripos (Toepffer [2550]
a. O. 164 mit A. 3) am Kopaissee, dessen heilige ἐγχέλεις unter dem Namen Θεαί Opfercult genossen. Eubulos der Komiker spottet darüber im Ion (frg. 37) und in der Medeia (frg. 64 aus Athen. VII 300 b. c. Kock CAF II 177. 186). Diese θεά wird als παρθένος bezeichnet (im frg. 64) und gehört, wenn auch Kadmos - Hermesdienst auf gleicher Strasse von Boiotien über Chalkis nach Kos übertragen ward, doch zum Poseidondienst. Zwar wussten die Boioter selbst nicht zu sagen, warum sie gefangene Riesenaale, statt sie zu verzehren, mit οὐλαί bestreut, unter Gebeten opferten (θύειν), sondern beriefen sich im allgemeinen auf die Ehrfurcht, die man den νόμιμα προγονικά schuldig sei (Agatharchides von Knidos Εὐρωπιακὰ VI frg. 1 aus Athen. VII 297 d, FHG III 192). Aber wie Poseidon an der Spitze jener koischen Genealogie steht, als Vater des Koerkönigs Eurypylos, Grossvater der Adelsahnen Chalkon und Antagoras, so weist sein heiliger Monat in Kos, Γεράστιος auf das berühmteste der euböischen Poseidonien in Geraistos hin, vgl. Strab. IX 446 und die koischen Inschriften bei Dibbelt Quaest. Coae mythogr. 64. Und Poseidon hat gerade auch in Onchestos an der Kopais berühmten Cult. Mit diesem wird der in Thebens Weichbild genannte Ortsname Ἐγχέλεια (Ioann. Antioch. FHG IV 545, 8) im Zusammenhang stehen. Auch hinter dem Namen der boiotischen Thestiostochter ἘΛΕΥΧΕΙΑ bei Apollod. bibl. II § 164 W. wird sich eher ἘΓΧΕΛΕΙΑ bergen (C. Müller zu Skylax peripl. 25, Geogr. gr. min. 131), als Ἐλάχεια (Heyne, R. Wagner) oder Λοχεία (Hercher). Die Encheleis mit ihrem König Kadmos sind auch ursprünglich mythische Bestandteile boiotischer Sage und mit den barbarischen Sesarethiern von Buthoë und Epidamnos künstlich contaminiert (Crusius Roschers Myth. Lex. II 853, 62ff.). Die E. scheint aber nicht blos als Gegnerin der Schafherden des koischen Königs Krisamis vorzukommen, sondern auch als Gegnerin des koischen Meropers, des ‚Giganten‘ Polybotes (s. die Stellen ausgeschrieben und behandelt Rh. Mus. XLVI 538f.), d. h. als Kampfgenossin des Poseidon, der jenen mit dem Dreizack verfolgt und unter einem Inselfels im Meer begräbt. Die zwei Darstellungen dieser Scene auf den Phaleroi aus dem Demeterpriesteringrab der grösseren Blisnitza von Jekaterinoslaw (Comptes Rendus p. l’an. 1865, T. 5. Overbeck Kunstmyth. Poseidon Text nr. 28) zeigen unter dem Pferdeleib des Reiters mit dem Dreizack die mächtigen Windungen einer Wasserschlange. Der besiegte Polybotes hat Menschenfüsse und Harnisch und deckt sich mit einem Schild. Dieser riesige Meroper wird, wie der Scholiast zu Theocr. X 15 angiebt, seinen Namen als πολλοὺς βόας ἔχων haben, also ein Hirt sein, wie jener Krisamis. Ist also die Schlange hier ‚Repräsentantin der See. deren Geschöpfe sich an dem auf dem Meere
vor sich gehenden Kampfe beteiligen‘ (M. Mayer Giganten u. Tit. 389), so kann sie es nur auf Poseidons Seite sein. Das losgebrochene und zur Insel Nisyros gewordene Stück von Kos soll nach einer von M. Mayer a. O. 193, 83 übernommenen Vermutung Heynes zn Apollodors Bibliothek (I 6, 2) an der von Paus. I 2, 4 al« Schauplatz des Vorgangs genannten Χελώνη ἄκρα von Kos angesessen haben. Hatte der Mythos ursprünglich ἐν ⟨Ἐγ⟩χελώνῆ ἄκρᾶ
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gespielt (Ἐγχελώνη: Ἐγχελυώνη = Ἀλεκτρώνα: Ἐλεκτρυώνη). Sei dem, wie ihm wolle, in der Poseidonschlange beim Polyboteskampf wird man die koische ἔγχελυς vermuten dürfen, auch wenn nicht ἔγχελυς an ἔχις erinnerte und das Lukanscholion III 189 versicherte enchelys dicitur dracon. Von einer ὑπερφυὴς ἔγχελυς (Worte des Agatharchidas, s. o.) zu einem δράκων ist ein kleiner Schritt; die Rückenflossen erinnern ohnehin an die crista dracontis. Die Phalerenreliefs machen, wie Philol. N. F. IV 621ff. nachgewiesen ist, den Eindruck ungeschickter Protection eines Rundbilds. Das Original kann man vermuten in einer von Paus. a. O. beschriebenen Gruppe des Polyboteskampfs, die ebenfalls den Poseidon zu Pferd zeigte, und ebenso in der Nähe eines Demetertempels (a. a. O. Anm. 41) stand, wie jene Kertscher Reliefs im Grab einer Demeterpriesterin gefunden wurden. Und da auf Kos die Chalkoniden, die Überbringer und Träger des E.- und Poseidoncults, der Demeter den Thalysiencult weihten und Polybotes der Priester dieser Ceres heißt (Verg. Aen. VI 484), so hat Verfasser an dem koischen Schauplatz des chalkonidischen Thalysienfestes, ἐν Ἅλεντι (an Poseidon erinnernd) oder Ἄλεντι (bei Theokrit VII 3ff.) die Stelle gesucht, wo diese Gruppe ihren ursprünglichen Standort haben konnte (Philol. a. O. 632; vgl. überhaupt Art. Brasilas.