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RE:Einsiedlensia carmina

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Im Einsiedlensis gefundene Hirtengedichte
Band V,2 (1905) S. 21152116
Einsiedler Gedichte in der Wikipedia
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Einsiedlensia carmina, zwei von H. Hagen im Einsiedlensis 266 saec. X entdeckte und zuerst Philol. XXVIII 338ff. herausgegebene Hirtengedichte, jetzt bei Riese Anthol. nr. 725f. und sehr willkürlich behandelt bei Baehrens PLM III 60ff. Sie zeigen formell und inhaltlich große Ähnlichkeit mit den Hirtengedichten des Calpurnius (o. Bd. III S. 1401ff.). Formell: neun Elisionen auf 87 Verse, darunter acht bei kurzem ě, meist im ersten Fuß, einmal (I 45) ergo im ersten Fuß in lange Silbe elidiert; o ist im Auslaut außer bei iambischen Worten lang. Der zeitliche Ansatz würde wohl schon daraufhin mit dem für Calpurnius ungefähr zusammentreffen. Nun wird aber weiter hier wie dort Nero in den überstiegensten Wendungen verherrlicht: nur Narren (II 22) können bestreiten, daß das goldene Zeitalter da ist, und Troia kann sich über seinen Untergang freuen, da es nun von Nero, dem neuen Phoebus, besungen worden ist (I 28ff. 38ff). Es ist der Jargon, in dem sich nach Neros Thronbesteigung die Höflinge, und wer es werden wollte, allgemein ergingen; vgl. z. B. noch Seneca 1-65 in der Apocol. und de clem. II 1f. In diesen Kreisen wird man den Einsiedler Dichter gern auch deshalb schon suchen, weil ihm Seneca die Ehre antut, ihn zu zitieren (Bücheler bei Hense zu epist. 115, 4). Aber daß nun gerade C. Calpurnius Piso der Verfasser unserer Gedichte gewesen sei, wie Groag (o. Bd. III S. 1379) will, ist eine Vermutung ohne irgendwelchen ausreichenden Halt. Freilich liegt wohl bei Calpurnius IV 1 quid tacitus, Corydon? eine Beziehung auf Einsiedlensis II 1 quid tacitus, Mystes? vor, nicht umgekehrt, da der Bukoliker Calpurnius Anfänger ist, der Einsiedler Dichter in der Verherrlichung Neros nur einen neuen Stoff seiner laudata chelys sieht (I 17. Bücheler Rh. Mus. XXVI 235; anders aufgefaßt von Crusius Philol. LIV 381. Wendel Jahrb. f. Philol. Suppl. XXVI 59). Aber daraus folgt durchaus noch nicht, daß der Einsiedler Dichter gerade der uns zufällig bekannte Protektor des Bukolikers Calpurnius gewesen sein müsse. Für das Zeitliche wird durch die Nachahmung bei Calpurnius jedenfalls bewiesen, daß wir wenigstens das zweite Einsiedler Gedicht sehr nahe an Neros Regierungsantritt heranzurücken haben. Für das erste läßt sich das nicht ebenso beweisen, ja jemand, der an der Identität der Verfasser beider Gedichte zweifeln wollte, könnte man nur mit dem Verweis auf die inhaltliche Verwandtschaft und die große prosodisch-metrische Ähnlichkeit vertrösten. Aber als das a priori Wahrscheinliche sehe ich doch gleichzeitige Abfassung durch denselben an; daß Nero 64 beim Brande Roms die Τροίας ἅλωσις gesungen haben soll, ist jedenfalls kein Grund, um das erste Gedicht so weit herunterzudrücken (Gercke Jahrb. f. Philol. Suppl. XXII 257).

[2116] Lob der Sangeskunst gehört von jeher, Lob des Herrschenden und die Schilderung einer sich realisierenden goldenen Zeit mindestens seit Vergil zum Stoffkreis der bukolischen Poesie. Auch zeigt unser Verfasser in den Rahmendichtungen so wenig wie in den Liedern besondere Originalität. Der Anschluß an Vergil spricht sich am deutlichsten in der wörtlichen, freilich pointierten Entlehnung von ecl. IV 10 ( = II 38) aus (außerdem vgl. I 18 mit Verg. ecl. VI 13). Merkwürdig weichen von der Schablone nur die bukolischen Namen ab (vgl. Wendel 59). Die Ausdrucksweise ist wenigstens im ersten Gedicht manchmal recht verzwickt. Mancher Schaden ist freilich erst durch die Überlieferung hineingekommen, durch deren Schuld auch das erste Gedicht am Schlusse unvollständig zu sein scheint: wir vermissen den Schiedsspruch im Sängerwettstreit. Vielleicht darf man ähnliches auch vom zweiten Gedicht vermuten: wir erfahren wohl von den gaudia des Mystes (nämlich der goldenen Zeit Neros), aber nicht von den curae, die sie stören (V. 1). Die kritischen Beiträge und sonstige Literatur verzeichnet Schanz R. Litt.-Gesch. II² 2, 79f. (dazu noch Stowasser Ztschr. öst. Gymn. 1896, 976); das beste stammt von Bücheler a. a. O. und 491ff.