154) Δ. ὁ Ἀρεοπαγείτης, D. der Areopagite, Act. Apost. 17, 34 als einer der durch die Predigt des Paulus in Athen für das Christentum Gewonnenen genannt. Schon D. von Korinth (Euseb. hist. eccl. III 4, 10. IV 23, 3) will wissen, er sei der erste Bischof von Athen gewesen. Seit dem Beginn des kirchlichen Mittelalters, im Orient schon vorher, gilt dieser Areopagite als einer der grössten christlichen Schriftsteller; die ihm zugeschriebenen Werke werden nicht blos wie eine Autorität fast gleichen Ranges mit der Bibel citiert, sie haben factisch auf das Denken der damaligen Theologen einen weit grösseren Einfluss geübt als diese; noch ein so unabhängiger Geist wie Johannes Scotus Erigena um 860 blickt mit Stolz auf die dürftige Übersetzung, durch die er die eigentlich nicht übersetzbaren Schriften des göttlichen Philosophen den Lateinern zugänglich gemacht habe, und mit Glossen, Commentaren, Paraphrasen hat man den D. ebenso reich ausgestattet, wie etwa die Briefe des Paulus. Die in Rede stehenden Bücher tragen die Titel περὶ τῆς οὐρανίας ἱεραρχίας, περὶ τῆς ἐκκλησιαστικῆς ἱεραρχίας, περὶ θείων ὀνομάτων (die umfänglichste), περὶ μυστικῆς θεολογίας (die kürzeste) und wollen alle einem Mitpresbyter Timotheos gewidmet sein; dazu kommen zehn Briefe an sieben verschiedene Adressaten, mit Ausnahme von 8 und 9 ganz kurz. Ein elfter Brief an den Philosophen Apollophanes, auch nur lateinisch erhalten, rührt bestimmt von einem anderen Verfasser als jene 14 Stücke her; das Gleiche gilt von einer unter seinem Namen gedruckten Liturgie. Den Text mit den wichtigeren Commentaren und Abhandlungen über den Autor giebt Migne Patrolog. gr. III und IV. Die vier Hauptwerke sind zweifellos in der oben angegebenen Reihenfolge verfasst worden und stellen die erste und in gewissem Sinne einzige Dogmatik, die die griechische Kirche hervorgebracht hat, dar; die Briefe liefern Nachträge. Was der Orient an Dogmen bis zum Chalcedonense 451 produciert hat, wird hier kühn in die neuplatonische Weltanschauung hineingearbeitet und dem Leser, der vor der neuen Sprache – die mit α privativum und ὑπέρ gebildeten Composita sind unzählbar und die Nebel der absoluten Abstractheit lasten auch auf den Ausdrucksformen – nicht zurückschreckt, wird eine ,Cultusmystik‘ geboten, in der die religiösen Bedürfnisse gerade der späteren griechischen Kirche ihre tiefste Befriedigung fanden. Vgl. Ed. Steitz Die Mystagogen der griech. Kirche vom 5.–8. Jhdt., Jahrb. f. Deutsche Theol. 1866, 193–229. Dass diese Schriften nicht aus dem Jahrhundert der Apostel, dass sie überhaupt nicht aus vornicaenischer Zeit stammen können, obwohl dem Alexandriner D. († 265) eine Bezeugung dieses Areopagiten untergeschoben worden ist, kann heute als zweifellos gelten. Aber über die [997] Zeit und den Ort der Abfassung sind die Forscher noch ebenso uneinig, wie über Absichten und Persönlichkeit des Verfassers. Ein im Frühjahr 536 in Constantinopel verstorbener Arzt Sergios hat bereits eine Übersetzung ins Syrische angefertigt, s. Zacharias Rhetor Kirchengesch. deutsch von K. Ahrens und G. Krüger, 1899 p. 208 (IX 19). Die erste völlig sichere Spur des Unbekannten bringt das Religionsgespräch zu Constantinopel im J. 533 (oder 531?), wo freilich die Wortführer der Orthodoxie die Echtheit der von den Severianern citierten Dionysiaca bestreiten. Dieser Widerspruch ist früh fallen gelassen worden; bald feiern Monophysiten und Chalcedonenser um die Wette den grossen Athener, und erst am Ende des Mittelalters – zuerst bei L. Valla – ist die Kritik bei Katholiken und Protestanten zu den Zweifeln von 533 mit reicherer Begründung zurückgekehrt. Jetzt handelt es sich vor allem darum, ob der Verfasser der merkwürdigen Sammlung irrtümlich für den Areopagiten gehalten worden ist, vielleicht durch Zufall, weil er auch D. hiess, oder ob er unter der Maske des apostolischen Mannes geschrieben hat, demnächst darum, ob seine Zeit um 500 oder schon 100 Jahre früher anzusetzen ist. Schon 1740 hatte Phil. Baraterius den Verfasser zwar nicht für den aus Act. 17 bekannten Areopagiten, aber ebensowenig für einen Fälscher halten wollen; Fr. Hipler D. der Areopagite, Regensbg. 1861 (Nachträge in den Programmen des Lyceum Hosianum zu Braunsberg 1871, 1874. 1878. 1885), vertrat diesen Standpunkt mit sehr bemerkenswerten Gründen; Böhmer (1864) und Nolte(1868) verbesserten das bisherige Dionysius aliquis in das bestimmte Dionysius von Rhinocolura. Es ist das ein bei Sozom. hist. eccl. VI 31 erwähnter Mönch um 370; Nolte erklärt den Beinamen Areopagita als Angabe der Heimat dieses Mannes, vielleicht sei es corrumpiert aus Ἀρε(ι)οπολίτης – Areopolis in Ägypten –; es könne in derselben Gegend aber auch einen Ort Ἀρειοπάγος gegeben haben. Am eifrigsten hat sich dieser Gleichsetzung J. Dräseke angenommen (Gesamm. patrist. Untersuchungen 1889, 25–77). Er will schon im 5. Jhdt. Spuren der Schriften des D. Areopagita sehen (vgl. dazu auch J. Kunze Marcus Eremita 1895, 203) und findet, dass der Autor sich ganz offen als einen Theologen des 4. Jhdts. gebe, der Beziehungen zu anderen Gelehrten hat, wie zu Petros von Alexandrien und seinem Bruder und Nachfolger Timotheos, und mit ihnen correspondiert. Aber dass Hieronymus und Gennadius den vir illustrissimus nicht kennen, ist jener Annahme wenig günstig; dass die von D. genannten Personen entweder ganz unbekannt sind oder im Neuen Testament vorkommen, ist mindestens verdächtig; noch mehr das sonst äusserst seltene Fehlen aller Berufung auf ältere Väter; endlich lässt der von H. Gelzer (Jahrb. f. protest. Theol. 1892, 457; Wochenschr. f. klass. Phil. 1892, 98ff. 124ff.) festgestellte Text von ep. 7, 2 und περὶ θείων ὀνομ. 3, 2 nur die Deutung zu, dass der Verfasser als Zeitgenosse der Apostel erscheinen will, dass er nicht wider seinen Willen bald allgemein als solcher verehrt worden ist. Für eine frühere Abfassungszeit als um 500 ist noch keine ausreichende Begründung gefunden. Der Dionysios [998] Scholastikos aus Gaza, in dem G. Krüger (Byzantin. Ztschr. VIII 302ff.) den Ps.-Dionys entdeckt haben will, gehört dem Anfang des 6. Jhdts. an. Vgl. noch immer Engelhardt Die angebl. Schriften des Areopagiten D., Salzb. 1823, 2 Bde.