17) Der athenische Musiker, wird unter den Schülern des Sophisten Prodikos genannt (Plat. Laches 197 d) und war selbst ein hochachtbarer Gelehrter. Diogenes Laertius berichtet II 19 mit Berufung auf Alexandros ἐν διαδοχαῖς, I). sei Lehrer des Sokrates gewesen (wogegen Zeller sich zweifelnd äussert Gesch. d. Phil. II 1, 48 A.); sicherlich galt sein Urteil sehr viel bei Sokrates sowohl wie bei Platon (Alcib. I 118 c; Laches 180 d). Dem Perikles soll er unter dem Schein von Musikstunden Anweisungen darüber erteilt haben, wie der Staat zu lenken sei; zum Lohn dafür sei er verbannt worden (Plut. Per. 4. Isocr. XV 236, s. unter Damonides. In der Musik gilt D. als Schüler des Agathokles (s. d. Nr. 22) und des Lamprokles sowie als Lehrer des Drakon (Schol. Plat. Alcib. I 118 c; vgl. über diese athenische Schule Westphal Musik des gr. Altertums [1883] 168. 175). Da es zu den Eigentümlichkeiten D.s gehörte, die Bewegungen des Rhythmus und der Melodie in Zusammenhang zu bringen mit entsprechenden Regungen in der Seele des Hörers (Athen. XIV 628 c), gehen wir gewiss nicht fehl, wenn wir ausser dem, was Platon in der Republik III cap. 11 über den Eindruck verschiedener Rhythmen mit ausdrücklicher Berufung auf D. sagt, auch das meiste und beste von dem, was wir im vorhergehenden Capitel über die Eigenschaften der verschiedenen Tonarten lesen, auf Anschauungen D.s zurückführen. Auch Aristides Quintilianus, der als Platoniker oft auf die ethische Wirkung der Musik zu sprechen kommt und in seinem zweiten Buch den Wert dieser Kunst als Erziehungsmittel behandelt, wird von dieser Weisheit ungleich mehr als dem oft citierten Platon unserem D. verdanken, den er freilich nur einmal mit Namen nennt. In II 14 nämlich heisst es: ,Die Tonarten (ἁρμονίαι) sind verwandt mit den Intervallen, welche darin vorherrschen, oder den Tönen, welche die letzteren umschliessen: diese aber sind wiederum den Bewegungen und Regungen der Seele verwandt. Denn die Töne einer zusammenhängenden Melodie formen infolge der Gleichartigkeit ein Ethos in Knaben und Erwachsenen,
[2073]
wo solches noch nicht vorhanden, und lassen es hervortreten, wo es bisher im Innern verborgen war, wie das die Schüler D.s deutlich machen. In dem, was diese selbst über die Stimmungsarten der verschiebbaren Töne gesagt, kann man wenigstens sehen, wie hier die weiblichen, dort die männlichen Töne entweder häufig auftreten oder gar nicht verwendet werden, offenbar weil die Harmonie (Tonart?) sich dieser Mittel je nach dem seelischen Ethos bedient.‘ Hiezu sei sogleich bemerkt, dass auch in der bekannten Erzählung von trunkenen Jünglingen, die durch den Klang des dorischen Spendeliedes beruhigt und zur Vernunft gebracht werden, Martian. Cap. IX 926, unsern D. als denjenigen nennt, welcher diese Weise anzustimmen geboten habe. Bei Aristides aber müssen wir zunächst die Unterscheidung der Töne mit männlichem oder weiblichem Charakter II 12 auf D. zurückführen. Auch bei der Definition, welche I 4 die Musik für eine τέχνη πρεπόντων erklärt, werden wir gern an ihn denken. Ihm wird ferner die Stelle ihren Ursprung verdanken, welche die menschliche Natur in λογικόν und ἄλογον scheidet, zwischen hinein aber das θυμικόν setzt (II 2). Alles dieses ist schon von H. Deiters De Aristidis Quint. fontibus (Programm Düren 1870) 6. 13ff. vortrefflich entwickelt. Derselbe Gelehrte erinnert S. 16, dass die Stellen, an denen Aristides das vollkommene System auf den Raum einer einzigen Octave beschränkt (z. B. in I 6), jedenfalls auf eine sehr alte Quelle zurückgehen, und ist S. 3 geneigt, das meiste von dem, was Aristides über die παλαιοί berichtet, auf D. zu beziehen (vgl. den Schluss der Harmonik I 82). Sicher weist auf D. der II 14 gebrauchte, von uns auch oben Bd. II S. 894 erwähnte Ausdruck φθόγγοι φερόμενοι. Besonders merkwürdig klingt, was Ps.-Plutarch de musica 16 erzählt: καὶ τὴν ἐπανειμένην λυδιστί ἥπερ ἐναντία τῇ μιξολυδιστί. παραπλησίαν οὖσαν τῇ ἰάδι ὑπὸ Δάμωνος εὑρῆσθαί φασι τοῦ Ἀθηναίου. Die meisten Ausleger haben den Ausdruck ἐπανειμένη λυδιστί auf die hypolydische Octave bezogen, welche den einfachen Tönen von f–f ohne chromatische Verschiebung gleichzusetzen wäre. Aber sollen wir D. wirklich für einen praktischen Tonkünstler halten der auf neuen, ungeahnten Bahnen wandelt und eine Octavgattung entdeckt, an die vorher niemand gedacht hatte? Wer D. für einen Philosophen und Theoretiker hält, den möchte ich vielmehr an die Erklärung erinnern, die ich Jahrb. f. Philol. XCV 1867, 815 von den einschlägigen Stellen Platons und Plutarchs gegeben habe. Das griechische Nationalinstrument umfasste die einfachen Töne von e–e’. Andere Harmonien liessen sich durch Hinaufschrauben einzelner Saiten erreichen, die aeolische Octave verlangte fis, die phrygische cis u. s. w. Kam die Reihe der Erhöhungen an die e-Saite, so erreichte man die weinerlich hohe mixolydische Octave, welche, wie ihr Name schon andeutet, die Brücke schlägt zum hohen (syntonolydischen) in f. Auch e–e mit vier Erhöhungen stellte bereits eine lydische Octave dar. An das Herunterschrauben der Saiten gingen die Kitharisten nicht gerne. Der Theoretiker D. zeigte ihnen aber, sie könnten eine tadellose lydische Octave auch durch Herabstimmen der e-, a- und
[2074]
h-Saite erreichen mit es, as, b. Das war eine Stimmung, welche den Namen ἐπανειμένη) (Plut), χαλαρά (Aristot.) oder χαλαρά (Platon) in vollem Masse verdiente; sie war als tiefe der mit eis gestimmten mixolydischen Tonart gerade entgegengesetzt. Spielte man aber von nun an auch die römischen Trinklieder lieber mit herabgelassenen (3) in es als mit hochgespannten (4) Saiten in e, dann war die von D. gefundene Stimmungsart auch παραπλησία τῇ ἰάδι, beide Tonarten waren χαλαραί. Zwei Extreme und eine Mitte, das ist bei den Harmoniai wie bei den Tönen, den Bewegungen der Seele u. s. w. die trichotomische Teilung D.s. Er mag als einer der ersten und originellsten Musiktheoretiker Griechenlands die Stellung wohl verdient haben, welche ihm Cicero de oratore III 132 noch vor Aristoxenos anweist.