194) L. Cornelius Lentulus. Zwei Cornelier republicanischer Zeit werden auf einer rhodischen Inschrift genannt. Diese Inschrift hat seit ihrer Auffindung durch Hiller v. Gaertringen eine ganze Litteratur hervorgerufen, die sich namentlich auch mit der Feststellung der beiden Cornelier beschäftigt: Mommsen S.-Ber. Akad. Berl. 1892, 846ff. Hiller v. Gaertringen Arch. Jahrb. IX 26; IGIns. I 48. Th. Reinach Mithradates Eupator. Zusatz der deutschen Ausgabe (Leipz. 1895) 474 Anm. C. G. Brandis Gött. gelehrte Anzeigen 1895, 647f. Hiller v. Gaertringen Jahreshefte des österr. arch. Instituts, Beiblatt I 92f. Willrich Herm. XXXIII 658ff. Th. Reinach Herm. XXXIV 159f. Foucart Revue de philologie XXIII 266ff. Dittenberger Syll.² 332. Erhalten ist der untere Block einer Statuenbasis. Auf dem verlorenen oberen stand der Name des Geehrten und die Beziehung, in die er zu einer Reihe weiterhin aufgezählter Persönlichkeiten getreten war. Mitten in dieser Aufzählung beginnt die Inschrift des erhaltenen Steines, und zwar folgen hier die Namen von fünf römischen Beamten: καὶ [πο]τὶ Λεύκιον Κορνήλιον Λευκίου υἱὸ[ν ...] | στραταγὸν ἀνθύπατον Ῥωμα[ί]ων | καὶ ποτὶ Λεύκιον Κορνήλιον Λευκίου υἱὸ[ν] | Λέντελον ἀνθύπατον | καὶ ποτὶ Λεύκιον Λικίνιον Λευκίου υἱὸν Μουρήν[αν] | ἰμπεράτορα πρόξενον καὶ εὐεργέταν τοῦ δά[μου] | καὶ ποτὶ Λεύκιον Λικίνιον Λευκίου υἱὸν Λεύκο[λλον] | ἀντιταμίαν | καὶ ποτὶ Αὖλον Τερέντιον Αὔλου (υ)ἱὸν Οὐάρρων[α] | πρεσβευτὰν Ῥωμαίων | πρόξενον καὶ εὐεργέταν τοῦ δάμου. Mit Sicherheit zu bestimmen sind die beiden Licinier. Dem Murena kommt der Imperatortitel nicht vor dem J. 672 = 82 zu (vgl. Mommsen a. O.) und dem Lucullus der Titel Proquaestor nicht nach dem J. 674 = 80, weil er im folgenden curulischer Aedil war. Aus diesen beiden festen Punkten lässt sich aber das Princip der Anordnung der Namen nicht mit voller Bestimmtheit erschliessen, und doch hängt wesentlich davon
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die Richtigkeit weiterer Identificationsversuche ab. Handelt es sich – wenn der unbekannte Rhodier etwa als Gesandter zu den verschiedenen römischen Beamten gegangen ist – um eine Anzahl zeitlich getrennter Reisen, oder handelt es sich um eine einzige Reise, bei der er mit allen diesen Beamten in Berührung kam? Im ersten Falle würden die Beamten in chronologischer Folge aufgezählt sein und könnten nach einander in derselben Provinz thätig gewesen sein; im zweiten Falle würden sie alle ungefähr gleichzeitig im griechischen Osten beschäftigt gewesen sein, und könnte der Anordnung etwas anderes zu Grunde liegen, wie z. B. das Alphabet, die geographische Lage ihrer Residenzen oder, was am wahrscheinlichsten sein dürfte, ihr Rang. Mit beiden Möglichkeiten lässt sich die Anordnung der beiden Licinier vereinigen. Mommsen hat die erste angenommen und deshalb in den beiden Corneliern vorsullanische Statthalter der Provinz Asia gesehen; er wies die Vermutung, der erste L. Cornelius, dessen Cognomen auf dem Stein nicht mehr zu erkennen ist, sei L. Sulla, deshalb zurück, weil zwischen Sulla und seinem unmittelbaren Amtsnachfolger in der asiatischen Statthalterschaft Murena nicht ein anderer eingeschoben werden konnte. Zu Gunsten dieser Ansicht liesse sich geltend machen, dass vor den erhaltenen Namen römischer Beamten noch mehrere andere gestanden haben können, so dass verschiedene einander folgende Gesandtschaften verzeichnet wären; in diesem Falle liesse sich der erste L. Cornelius passend mit dem viermaligen Consul L. Cinna (Nr. 106) identificieren, denn dieser war L. f., hat kurz vor 666 = 88, dem Anfangstermin von Sullas Statthalterschaft, die Praetur bekleidet, und für seinen Beinamen reicht der leere Raum in der ersten Zeile der Inschrift ebenso aus, wie für den Sullas; mit ebensoviel Recht könnte auch an L. Scipio (Nr. 338) gedacht werden, der L. f. war und 666 = 88 Makedonien verwaltete. Die neueren Behandlungen der Inschrift setzen dagegen sämtlich bewusst oder unbewusst das voraus, was Brandis deutlich ausgesprochen hat, dass der unbekannte Rhodier auf einer einzigen Reise zu den Beamten gekommen sei. Dann muss man die eben hervorgehobene Schwierigkeit, dass auf dem verlorenen Blocke noch andere Namen standen, durch die Hypothese beseitigen, es seien keine solchen von römischen Beamten, sondern von griechischen Städten u. dgl. gewesen, weshalb auch dem ersten Beamten Ῥωμαίων hinzugesetzt werde. Brandis hat daran gedacht, dass die beiden Cornelier Statthalter von Makedonien gewesen seien, deren einen der Rhodier beim Abgang aus der Provinz begrüsst habe, den andern beim Eintritt in dieselbe. Dagegen hat Hiller v. Gaertringen (Jahresh.) jetzt wieder seine ursprüngliche Ansicht aufgenommen, der erste L. Cornelius sei Sulla, und hat Mommsens Bedenken dagegen teilweise richtig widerlegt (übereinstimmend Foucart); da die Titulatur des L. Cornelius für Sulla nur vor November 672 = 82 zutrifft, so müsste die Inschrift bezw. die Gesandtschaftsreise zu den sämtlichen Römern in dieses Jahr zwischen die Annahme des Imperatortitels durch Murena und die des Dictatortitels durch Sulla fallen, etwa während Sulla auf dem Wege nach Italien in Athen Station
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machte. Auch Th. Reinach und Willrich nehmen die Identität des L. Cornelius mit Sulla durchaus an, und die Vorstellung hat in der That manches für sich, dass Rhodos nach Beendigung des mithridatischen Krieges zum Dank für die ihm damals von Sulla gewährten Vorteile (vgl. Appian. Mithr. 61) nicht nur diesen selbst, sondern auch alle seine Unterfeldherren, die zugleich seine Parteigenossen waren, zu ihren Erfolgen durch einen besonderen Gesandten beglückwünschen liess. Was sich über den fünften Beamten, A. Terentius Varro, ermitteln lässt, namentlich bei Hinzuziehung einer neuerdings in Constantinopel gefundenen Inschrift (vgl. die gleichzeitig erschienenen Untersuchungen von Hiller v. Gaertringen Jahresh. und Willrich, sowie die noch neuere von Foucart; die Beziehung beider Inschriften auf denselben Varro auch schon erkannt Histor. Ztschr. N. F. XLV [LXXXI] 351), lässt sich damit wohl vereinen, aber auf den zweiten, L. Cornelius Lentulus, fällt noch immer kein Licht. Zuletzt haben Th. Reinach (Herm.) und Foucart die Vermutung aufgestellt, dass Lentulus bei der Abreise Sullas aus Asien ebenso als Statthalter von Kilikien zurückgelassen worden sei, wie Murena als solcher von Asien, und dass er jene Provinz von 671 = 83 bis 673 = 81 verwaltet habe. Das ist zwar möglich, aber doch nicht zu beweisen, denn die Stelle des Suidas (s. Ἀλέξανδρος ὁ Μιλήσιος I 203 a Bernh.), die Reinach heranzieht, ist verschiedener Deutung fähig und ergiebt nicht mit Sicherheit, dass Alexander Polyhistor von einem Cornelius Lentulus in Asien gefangen genommen wurde, sondern nur, dass er als Kriegsgefangener an einen Cornelius Lentulus verkauft wurde und in dessen Hause in Rom als Paedagog lebte (vgl. Susemihl Litt.-Gesch. d. Alexandrinerzeit II 357), woraus kein Schluss auf die Persönlichkeit des Lentulus oder auf einen Aufenthalt desselben in Asien möglich ist. Erwähnt sei dagegen in diesem Zusammenhang, dass im Anfang der Kaiserzeit im lydischen Thyatira ein L. Lentulus als Patron der Stadt [ἐκ προ]γόνων geehrt wird (Bull. hell. XI 457, vgl. Nr. 199) und dass sich ebendort auch eine Inschrift des L. Licinius Lucullus aus der Zeit seiner Proquaestur gefunden hat (ebd. X 399), so dass die Beziehungen der Lentuli zu Thyatira und der Provinz Asien wohl auf den L. Lentulus zurückgehen könnten, dessen Name auf der rhodischen Inschrift mit dem des Proquaestors Lucullus zusammen erscheint. Doch im allgemeinen muss man eingestehen, dass weder die Provinz, die Lentulus nach Bekleidung der Praetur mit proconsularischem Imperium verwaltet haben kann, noch der genaue Zeitpunkt der Verwaltung festzustellen sind. Wer sich gegen die Ansicht Mommsens entscheidet, für den fällt die Schwierigkeit weg, diesen Lentulus mit dem folgenden zu identificieren.