RE:Cessio in iure
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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in iure c., Rechtsübertragungsakt in Form d. Scheinprozesses | |||
Band III,2 (1899) S. 2000–2004 | |||
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Cessio in iure, oder vielmehr in iure cessio, ist ein Rechtsübertragungsact in der Form des Scheinprocesses. 1) Die i. i. c. kommt zunächst vor als Eigentumsübertragung (Gai. II 24–26. Ulp. XIX 2. 9. 10), anwendbar ohne Unterschied zwischen res mancipii und nec mancipii, freilich nur unter der Voraussetzung, dass die Sache des dominium ex iure Quiritium fähig ist, auf dessen Übertragung die i. i. c. zielt. Also ist die i. i. c. an Provincialgrundstücken ausgeschlossen (Gai. II 31). I. i. c. einer Sachgesamtheit muss ebenso wie deren ernstliche Vindication möglich gewesen sein (Gai. IV 17 [grex]). Dafür spricht auch die i. i. c. hereditatis, und zwar nicht blos, insofern sie den vollen beabsichtigten Erfolg hat, sondern auch insofern sie nur die körperlichen Erbschaftssachen überträgt (s. u. 5). Persönlich fähig sind der i. i. c. nur diejenigen, welche im Legisactionenverfahren verhandeln können, also römische Bürger (Gai. II 65; vgl. Jhering Geist des r. R. II 2 zu 691 a). Auch die Latiner, trotz ihres Commerciums, waren wahrscheinlich der legis [2001] actio nicht fähig (vgl. Wlassak Processgesetze II [1891] 138, 28. Karlowa R. R.-G. 386). Unfähig des Erwerbs durch i. i. c. sind Hauskinder, wie sie auch die Eigentumsklage nicht anstellen können (Gai. II 96); auch erwirbt nicht etwa durch sie der Hausherr (Frg. Vat. 51); der Act ist vielmehr nichtig (vgl. Karlowa 86f.). Um so mehr wird auch eine Veräusserung (mit Genehmigung des Hausvaters) vom filius familias in der Form der i. i. c. nicht ausführbar gewesen sein. Die i. i. c. erfolgt vor einem Magistrat, bei welchem legis actio in dem speciellen Sinne der Vornahme von Rechtsgeschäften in Form des Scheinprocesses möglich ist (Gai. II 24. 25; vgl. Legis actio). Derjenige, welcher das Eigentum übertragen erhalten soll, legt Hand an die Sache (rem tenens) und spricht (beispielsweise): hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio; er vindiciert also die Sache, deren Anwesenheit in iure unerlässlich ist; es ist aber wohl zweifellos, dass sie in derselben Weise wie im Ernstprocesse (Gai. IV 17) vertreten werden konnte. Das festucam imponere des Ernstprocesses (Gai. IV 16) hatte sich zur Zeit des Gaius (II 24) bei der i. i. c. allem Anschein nach verloren, die Möglichkeit, dass es früher auch ihr eigentümlich war, lässt sich aber nicht bestreiten; vgl. Puntschart Grundgesetzliches Civilrecht (1872) 241. Huschke Ztschr. f. R.-Gesch. VII 178f. Lotmar Zur leg. actio sacramento in rem (1876) 37. Brinz Zur Contravindication der leg. actio sacram. (Münch. Festgabe f. Spengel 1877) 102. Degenkolb 253. Demelius 102. Karlowa 381. Nach jenen Worten des Erwerbers fragt der Magistrat den Cedenten, ob er die Contravindication vornehmen wolle (vgl. Gai. IV 16). Der Cedent verneint oder schweigt, und hierauf spricht der Magistrat die Sache dem Erwerber zu (addicit), wie wenn seine Rechtsbehauptung richtig wäre (Gai. II 24). Der Eigentumsübergang wird also dadurch herbeigeführt, dass durch den Spruch des Magistrats das Eigentum des Erwerbers als ein schon vor dem Act vorhandenes festgestellt wird. Der Erwerber wird nur dann Eigentümer, wenn der Veräusserer es war; cediert ein Nichteigentümer, so wird durch den Scheinprocess dem wahren Eigentümer sein Recht ebensowenig genommen, wie ihn ein Ernstprocess Dritter über sein Eigentum berühren würde. Im übrigen aber ist die Wirkung der i. i. c. nicht in derselben Weise beschränkt, wie die Wirkung des Spruchs im Ernstprocesse. Der Erwerber wird unter der angegebenen Voraussetzung mit Wirkung gegen jedermann Eigentümer, wie bei der i. i. c. hereditatis Erbe (s. u. 5), und das bedeutet mehr, als dass er die Rechtskraft des praetorischen Spruchs gegen den Concedenten und seine Rechtsnachfolger geltend machen kann, wie Karlowa 385 meint. In dem bezeichneten Sinne kann man die Wirkung der i. i. c. absolut nennen (Jhering a. a. O. III 1 nach 398. Bechmann I 554). Diese Wirkung über die Parteien hinaus wird bestätigt dadurch, dass in gewissen Fällen bei der i. i. c. hereditatis die erbschaftlichen Forderungen zu Gunsten der Schuldner untergehen (s. u. 5), sowie, dass die tutela cessicia erlischt, wenn der tutor cessicius weiter cediert (s. u. 6). Ebenso hätte die Ansicht, dass durch i. i. c. des Ususfructus an einen Dritten [2002] der Ususfruct (zu Gunsten des Eigentümers) erlösche (s. u. 2), nicht aufkommen können, wenn die Wirkung der i. i. c. dem Satze res iudicata ius facit inter partes gefolgt wäre (vgl. namentlich zu diesen Fragen Demelius). Der Eigentumsübergang ist bei der i. i. c. unabhängig von dem Rechtsgrunde, aus welchem die Übertragung erfolgt; auch beim Kauf dementsprechend unabhängig von der Zahlung des Kaufpreises (Leist 37f. A. M. Bechmann 566f.). Obligatorische Nebenwirkungen wie die Mancipation hat die i. i. c. nicht.
2) Die i. i. c. ist ferner anwendbar auf den ususfructus (Gai. II 30. Ulp. XIX 11. Paul. III 6. 28. 32. Frg. Vat. 45. 48. 49. 54. 75. Inst. II 3, 4), und zwar zum Zwecke seiner Bestellung sowohl, wie zum Zwecke des Verzichts durch Rückübertragung an den Eigentümer. I. i. c. seitens des Usufructuars an einen Dritten ist dagegen nichtig (Gai. II 30. Inst. II 3, 4). Pomponius (vielleicht Q. Mucius Scaevola) war freilich der Ansicht, dass solche i. i. c. den Ususfructus zum Erlöschen bringe (Dig. XXIII 3, 66). Diese Sätze gelten auch vom usus (Gai. Dig. VII 8, 1, 1). Auch Praedialservituten an italischem Grund und Boden können durch i. i. c. bestellt (Gai. II 29. 31. Frg. Vat. 45) und durch i. i. c. an den Eigentümer des belasteten Grundstücks aufgehoben werden (Pomp. Dig. VIII 2, 21. VIII 3, 20 pr.). Eine Übertragung von Praedialservituten auf einen andern Berechtigten ist nicht möglich (sie sind untrennbar an das herrschende Grundstück gebunden). Zu beachten ist für die Aufhebung der Personal- wie Praedialservituten durch i. i. c., dass die Rechtsbehauptung des Eigentümers, welcher befreit werden soll, sowohl in der Form der Verneinung der gegnerischen Servitut vorkommt (Dig. VIII 3, 20 pr.) wie in der Form der positiven Inanspruchnahme eines der Servitut widersprechenden Rechts für den Eigentümer (Dig. VIII 2, 21. VIII 3, 20 pr.).
3) Die i. i. c. einer Sache kann mit dem Vorbehalt einer Servitut für den Veräusserer verbunden werden (deductio; frg. Vat. 47. 50). Auch fiduciae causa kann eine i. i. c. erfolgen (Gai. II 59. III 201; vgl. Fiducia).
4) Eine Übertragung von Obligationen durch i. i. c. ist nicht möglich (Gai. II 38). Dass etwas der i. i. c. Ähnliches zum Zwecke der Begründung von Verpflichtungen möglich war (Puchta und Rudorff in Puchta Institut. II 269, 2. Bethmann-Hollweg Civilpr. I 157. Jhering a. a. O. I § 11 c zu 63 c. Degenkolb 266f., dagegen Demelius 108f.), ist insofern richtig, als nichts im Wege gestanden haben kann, dass ein Beklagter wissentlich unwahr und nach Verabredung mit dem Kläger eine Obligation gegen sich als vorhanden in iure confitierte; dass dies aber eine anerkannte Vertragsform des römischen Lebens geworden wäre, ist zu bestreiten.
5) Die civilrechtliche Erbschaft (hereditas) ist der i. i. c. unter gewissen Voraussetzungen fähig (i. i. c. hereditatis; Gai. II 34–37. III 85–87. Ulp. XIX 11–15). Nämlich der civilrechtliche Intestaterbe, wenn er nicht als suus heres die Erbschaft von selbst erwirbt, kann vor dem Erbschaftsantritt einem Dritten die Erbschaft mit der Wirkung durch i. i. c. übertragen, dass der Cessionar in gleicher Weise Erbe wird, als sei er [2003] selbst als civilrechtlicher Intestaterbe berufen. Dass er erst noch antreten muss (Puchta Institut. § 313 vor m. Mühlenbruch Cession § 4 zu 57. Koeppen Lehrb. des heut. röm. Erbr. § 17, 2) ist nicht anzunehmen. Der Antretungswille kommt in der Inanspruchnahme der Erbschaft bei der i. i. c. zum Ausdruck. Der Ausspruch des Praetors ist, analog dem bei der i. i. c. einer einzelnen Sache, unzweifelhaft dahin gerichtet, dass der Erwerber Erbe sei, nicht, dass er es werden könne. Der Testamentserbe handelt, wenn er vor dem Antritt i. i. c. vornimmt, nichtig. Durch i. i. c. nach dem Erbschaftsantritt wird bei dem Testamentserben wie bei dem Intestaterben der Erfolg herbeigeführt, dass die körperlichen Erbschaftsobjecte auf den Cessionar übergehen, die erbschaftlichen Forderungen (weil der Cedent seine Erbenqualität und damit seine Gläubigerschaft selbst verneint hat, ein Erwerb von Forderungen durch i. i. c. aber nicht stattfindet! [s. o. 4]) untergehen, während die Haftung des Erben für die erbschaftlichen Schulden bestehen bleibt. Durch i. i. c. seitens des heres necessarius (der die Erbschaft von selbst erworben hat) wollten die Proculianer den gleichen Erfolg eintreten lassen, wie bei i. i. c. nach Erwerb durch Antretung; die Sabinianer dagegen erklärten die i. i. c. durch den heres necessarius für nichtig (vgl. Windscheid Pandekten III § 601, 3. Dernburg Pand. III § 167. Koeppen a. a. O. § 17 und dort Citierte.)
6) Es giebt auch eine i. i. c. tutelae. Nämlich bei der Frauentutel können tutores legitimi (Ulp. XI 6. XIX 11, genauer Gai. I 168. 172) die Tutel einem andern mit der Wirkung in iure cedieren, dass der letztere als tutor cessicius statt des Cedenten, und so lange dieser Tutor sein würde, die Stellung des Tutors inne hat. Tritt in der Person des cessicius tutor ein Endigungsgrund der Tutel ein oder versucht er sie weiter zu cedieren, so kehrt sie zu dem Cedenten zurück (Gai. I 169. 170. Ulp. XI 7; vgl. Karlowa 299f).
7) Als Bestandteil der datio in adoptionem und der emancipatio kommt ein der i. i. c. ähnlicher scheinprocessualer Act vor (Gai. I 134. 132. Gai. Wisig. I 6, 3). Ebenso ist ähnlich gestaltet die Freilassung aus der Sclaverei durch Scheinprocess (manumissio vindicta), obwohl hier eine positive, die Freierklärung des Sclaven enthaltende Rede des Freilassers wesentlich war (Fest. 5 p. 158 s. manumitti). Übrigens ist hier die scheinprocessuale Form schon im spätklassischen Recht verwischt (Hermog. Dig. XL 2, 23). Die manumissio censu ist der i. i. c. insofern ähnlich, als auch bei ihr der Rechtserfolg, der erzielt werden soll, als schon vorhanden behauptet und (durch den Censor) amtlich festgestellt wird (Ulp. I 8; vgl. Karlowa 242f. 131f. und s. Bd. I S. 399 und Emancipatio, Manumissio).
8) Die i. i. c. wie die unter 7 bezeichneten Anwendungen desselben Princips sind Erfindungen des römischen Verkehrs, natürlich unter Führung der Iurisprudenz. Die Möglichkeit, dass derartige Scheinprocesse zunächst auftraten, ohne dass die Magistrate ins Vertrauen gezogen wurden, später erst diese sich herbeiliessen, auch wissentlich zu derartigen Acten mitzuwirken (Degenkolb 243), ist nicht fernliegend, wiewohl diese Annahme auch [2004] nicht notwendig ist. Das Alter der einzelnen Anwendungsfälle dürfte kaum feststellbar sein (Vermutungen bei Karlowa 383f. Bechmann 555f. Sohm § ll, 5. Leonhard 176, 3; s. auch Demelius 109f.) Jedenfalls sind sie sämtlich bereits in republicanischer Zeit entstanden. Im nachklassischen Recht ist die i. i. c., welche schon zu Gaius Zeit ihrer Umständlichkeit wegen unbeliebt war (Gai. II 25), nebst allen ihr ähnlichen Erscheinungen verschwunden (die Eigentumsübertragung durch i. i.c. erwähnt noch Diocl. Cons. 6, 10). In den Digesten ist, soweit nicht tiefer gehende Änderungen veranlasst waren (traditio bei Eigentumsübertragung), statt in iure cedere gesetzt cedere (z. B. Dig. VIII 3, 10. 11. 14) oder auch concedere (z. B. Dig. VIII 2, 21. 3, 20 pr. 21), wobei es natürlich möglich ist, dass schon die klassischen Juristen sich manchmal in derselben Weise ausdrückten, wo der Zusammenhang das in iure zu betonen überflüssig machte. Die Formen der Eigentumsübertragung und der Servitutenbestellung und -Aufhebung haben im neuesten Recht mit der i. i. c. überhaupt keinen Zusammenhang mehr, dagegen sind die gerichtlichen Formen der Adoption (Cod. Iust. VIII 47 [48], 11) und Emancipation (Cod. Iust. VIII 48 [49], 6) als Vereinfachung der alten Scheinprocessform zu betrachten, eine Vereinfachung, wie sie sich für die Freilassung schon im spätklassischen Recht vollzogen hatte (s. o. 7). Die Übertragung der unerworbenen Erbschaft kennt das iustinianische Recht überhaupt nicht mehr (a. M. für die Intestaterbfolge Windscheid a. a. O.), ebensowenig die Frauentutel.
Litteratur: Karlowa R. Rechtsgesch. II 381–386. Baron Institut. § 71. Sohm Institut. § 11 zu 4. 5. Czyhlarz Institut. § 51. Leonhard Institut. 273. 175f. 276f. 213f. 224, 3. 266, 2. Keller Civilpr. § 24. B. W. Leist Mancipation und Eigentumstradition (1865) § 8. Bechmann Kauf (1876) I 553f. Degenkolb Einlassungszwang und Urteilsnorm (1877) 231f. Demelius Confessio (1880) § 7. Hartmann Röm. Gerichtsverfassung (1859) 61f.