Cercina (in griechischen Hss. zuweilen Κέρκιννα, in der unten angeführten Inschrift von Lyon Circina, im Itin. Ant. p. 518 Cercenna), Insel oder vielmehr Doppelinsel (s. Cercinitis) im Meerbusen von Gabès, der kleinen Syrte, heutzutage Kerkenah, 40 km. von Sfax, dem alten Taparura, entfernt (im Stadiasmus maris magni 112 = Geogr. Gr. min. I 468, wird die Entfernung vom Festland auf 120 Stadien, die Entfernung von der südlich gelegenen Insel Meninx von Agathemerus 22 = Geogr. gr. min. II 483 etwas reichlich auf 600 Stadien, im Stadiasmus mar. magn. a. a. O. auf 750 Stadien, von Plin. n. h. V 41 gar auf 100 Millien angegeben), mit ausgezeichneten Häfen, Diod. V 12, und gleichnamiger Stadt, Diod. a. a. O. Strab. XVII 834. Plin. n. h. V 41 (urbs libera nach Plinius). Vielleicht schon von Herodot IV 195 als Κύραυνις erwähnt. Nach C. wurde im J. 357 v. Chr. Dion, ehe es ihm gelang in Sicilien zu landen, verschlagen, Plut. Dio 25. Im J. 217 erhob der römische Consul Cn. Servilius von den Bewohnern eine Contribution, Liv. XXII 31. Polyb. III 96, 12. Hier landete Hannibal zuerst, als er Africa heimlich verliess, Liv. XXXIII 48; hierher begaben sich Marius, Vater und Sohn, als sie aus Africa vertrieben wurden, Plut. Mar. 40. Im J. 46 besetzte Sallust in Caesars Auftrag die Insel, Caes. b. Afr. 34. Unter Augustus wurde hierher einer der Buhlen der Iulia, Sempronius Gracchus, verbannt, Tac. ann. I 53. IV 13. Als Heimat eines römischen Officiers von Ritterrang wird C. in einer Lyoner Inschrift anscheinend aus der Zeit des Severus genannt (Boissieu Inscr. de Lyon p. 269 = Dessau Inscr. sel. 1390). Ein Bischof der Inselbewohner wird in der Vandalenzeit unter den Bischöfen der Provincia Byzacena genannt (Not. episc. Byz. 47 Circinitanus, in Halms Victor Vitensis p. 67). Erwähnt wird die Insel auch von Mela II 105. Ptol. IV 3, 35. Itin. Ant. p. 518. Unbedeutende römische Reste auf der Insel beschreibt Guérin Voyage dans la régence de Tunis I 171f. Vgl. auch Tissot Géographie comparée de l’Afrique I 184.
Diese Insel wurde in sehr früher Zeit, sogar kurz nach dem troianischen Kriege, von Lokrern besiedelt, wie Servius zu Verg. Aen. XI 265 berichtet. Daß Lokrer irgend eine Kolonie zu Libya schickten, scheint auch Vergil (Lybicone habitantes litore Locros a. a. O.) zu glauben, sowie Tacitus (bei Serv. Aen. III 399), der sie sogar mit den Nasamonen gleichstellt. Was alles dahinter stecken mag, ist noch nicht aufgeklärt.
Die Sage, wonach C. von Lokrern besiedelt wurde (Serv. Aen. XI 265), verdient erwähnt zu werden, da eine lokrische Kolonisation oder Kolonisationsversuch an der libyschen Küste in der Gegend der Nasamonen gut bezeugt ist, d. h. von Vergil Aen. XI 265 und Tacitus hist. frg. 8 Halm (Serv. Aen. III 399). Für eine Besprechung der Ansichten von Rochette Hist. des Etabl. des Col. gr. II 317 und Bachofen Das Mutterrecht 311. 323 s. Art. Lokris, Kolonien.