Castulo, Stadt der Oretaner in Hispania citerior. Das grosse Waldgebirge von C., der saltus Castulonensis, die Sierra de Segura, das unwirtliche Gebiet westlich von Neukarthago, bildet seit alter Zeit mehr wie der Hiberus die Grenze zwischen dem Nordosten und dem Südwesten der Halbinsel; die Stadt (urbs valida ac nobilis), von der es seinen Namen führt, ist wohl die am frühesten genannte des Binnenlandes am oberen Lauf des Baetis. Hamilkar wird sie den Karthagern gewonnen haben; der junge Hannibal soll ein Weib von dort, also sicher aus dem Königsgeschlecht, heimgeführt haben (Liv. XXIV 41, 7), das nur bei Silius Imilce heisst (III 98. 106). P. und Cn. Scipio dringen schon im J. 537 = 217 v. Chr. bis zum Wald von C. vor (Liv. XXII 20, 12); einige Jahre später (540 = 214) geht die Stadt zu den Römern über (Liv. XXIV 41, 7. Appian. Hisp. 16), fällt aber nach dem Untergang der Scipionen wieder den Karthagern zu (Liv. XXVIII 19, 1. 2). Eines der karthagischen Heere unter Mago überwinterte dort, als der junge P. Scipio nach Hispanien gekommen war (Liv. XXVI 20, 6). Scipio aber dringt bis dahin vor (Polyb. X 38, 7. Appian. Hisp. 32, der die unmöglichen Formen Κάσταξ und Καστακαῖοι gebraucht, danach Steph. Byz. s. v.), und siegt nicht weit davon bei Baecula (s. d., Polyb. XI 20, 5. Liv. XXVII 20, 3. XXVIII 13, 4). Zwist zwischen den Iberern und Puniern liefert ihm dann (548 = 206) die Stadt aus (Liv. XXVIII 20, 8–12). Seitdem ist C. eine Stadt von mässiger Bedeutung – der junge Sertorius schützt sie erfolgreich als Tribun (Plut. Sertor. 3) – bleibt aber, wohl hauptsächlich wegen seiner Bergwerke, ein Mittelpunkt des Verkehrs mit der iberischen Bevölkerung, zumal der Baetis bis dahin schiffbar war (Strab. III 142). Denn ungemein zahlreiche Kupfermünzen (As, Semis, Quadrans) mit den Typen der schreitenden Sphinx oder des Stiers und Ebers, tragen die iberische Aufschrif cšthle – die ältesten noch nach phoinikischer Weise rückläufig –, die jüngeren bilinguen daneben lateinische Magistratsnamen, die jüngsten die lateinische Aufschrift Castulo und iberische Namen in lateinischer Schrift (Mon. ling. Iber. nr. 118). Die von Polybios und Strabon (nach Poseidonios, dem auch Plutarch folgt) gebrauchten Formen Κασταλών (so auch Artemidor nach Steph. Byz. s. v.) und Καστλών kommen der einheimischen näher; Castulo (Καστουλών Strab. II 152; Καστολών Appian. Hisp. 16) ist die römische Schreibung, sie galt bei den Grammatikern als Verlängerung (Prisc. VI 14 p. 206 H.); iberisch ist auch die auf der dort gefundenen Grabschrift eines Freigelassenen aus dem scipionischen Haus P. Cornelius P. l. Diphilus gebrauchte Form castlosaic (CIL II 3291 = Mon. ling. Iber. nr. XLV). Noch eine andere altertümliche halbiberische Inschrift ist in der Nähe gefunden worden (CIL II 3302 = Mon. ling. Iber. nr. XLIV). Von den Silber- und Bleibergwerken von C. spricht Strabon (III 148 nach Polybios und wohl auch Poseidonios) es wurde dort in späterer Zeit besonders Blei gewonnen,
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dem nur so wenig Silber beigemischt war, dass es nicht lohnte es auszuscheiden; doch ist damit wohl der Geschlechtsname der Argentarii in C. zu verbinden (CIL II 3283), mit denen das Haus des Seneca in Corduba zusammenhing. Ein Silbergefäss voll Denaren stammt aus C. (Mon. ling. Iber. nr. XLI, vgl. p. 7). Bleibarren mit römischer Aufschrift sind dort ebenfalls gefunden worden (CIL II 6247, 2). Daher suchte die ältere halbmythische Überlieferung in seiner Nähe den Silberberg, aus dem der Baetis entspringen sollte (Avien. or. mar. 291. Strab. III 148); und griechische Gelehrte, wie Asklepiades von Myrlea, fabelten von der Herkunft vom kastalischen Quell (wie Sil. III 97ff. 391 ausführt). Auf der Karte des Agrippa war die Länge Baeticas von C. aus gemessen (Plin. III 17. 29. Martian. Capella VI 631. 633): damals galt es als ungefähre Grenze der Citerior (Strab. III 166. Caes. b. c. I 38 a saltu Castulonensi), während später der Ianusbogen auf der Baetisbrücke westlich davon die Grenze bildete (s. Baetis). Doch führte die Strasse von den Pyrenaeen her durch C. nach Baetica und weiter (Strab. III 160). Die Stadt wird zum Gebiet der Oretaner gerechnet (Strab. III 152. Ptolem. II 6, 58) und gehörte nach den Listen des Agrippa zu den oppida Latii veteris im Gerichtsbezirk von Carthago nova mit dem Beinamen Caesari[ni] Iuvenales (Plin. III 25); eine municipale chors Servia Iuvenalis (CIL II 3272) scheint denselben Namen zu führen. Der alte Name ist in der Kapelle S. Maria de Cazlona sowie in dem Wirtshaus und der Mühle gleiches Namens erhalten (las Ventas und el Molino de Cazlona). Eine Untersuchung über Umfang und Befestigung der alten Stadt fehlt, die Steine ihrer Bauten, Mauern, Theater, Circus, Thermen sind vielfach in der nahen Bergmannstadt Linares verwendet worden (CIL II p. 440. 949). Die Ausfuhr der Metalle erfolgte von alters her wohl hauptsächlich zu Schiff auf dem Baetis. Auch verschiedene Kunstwerke, teilweis von einheimischer Arbeit, haben sich gefunden, z. B. ein silbernes Gefäss in Form eines pileus mit iberischer Aufschrift, das jenen Schatz von 683 Silberdenaren enthielt (Mon. ling. Iber. nr. XLI). Die Inschriften, die den Namen der Stadt öfter nennen (CIL II 2641. 3270. 3272. 3278. 4209), zeigen die gewöhnliche Verfassung der municipia Latina, Duovirn, den ordo und die üblichen Priestertümer, flamines und flaminicae, die auch in Tarraco die Stadt vertraten (CIL II 4209); auch einige Statuen von Kaisern des 1. Jhdts. – unter Claudius ist ein öffentliches Bauwerk errichtet worden (CIL II 3269) – nebst solchen von kaiserlichen Finanzbeamten und Soldaten sind darunter. Die Grabschriften gehören teilweis noch dem 1. Jhdt. an; eine Anzahl von Cornelii, die darin vorkommen, gehen wahrscheinlich auf die Clientel der Scipionen zurück (CIL II Index p. 1142). Die Stadt scheint mit Corduba und anderen Städten jener Gegend in naher Verbindung gestanden zu haben, wie gemeinsam bekleidete Priestertümer andeuten (CIL II 3270. 3278). Sie lag an der grossen Strasse von den Pyrenaeen nach Gades und dem Ocean (Strab. III 160. Itin. Ant. 396, 4. 402, 5); ausserdem gab es zwei verschiedene Strassen von C. nach Corduba (Itin. Ant. 402, 6. 403, 4. Geogr.
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Rav. 315, 14) und eine nach Malaca (Itin. Ant. 404, 2); eine vierte, quae per Castulonensem saltum Sisaponem ducebat, ist nur inschriftlich erwähnt (CIL II 3270; vgl. CIL II 4932 p. 653). Christliche Altertümer sind bis jetzt aus C. nicht zum Vorschein gekommen.