RE:Castigatio
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Strafe, Zurechtweisung, Züchtigung | |||
Band III,2 (1899) S. 1760–1761 | |||
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Castigatio (castigare = castum agere, castus = καθαρός) ist wahrscheinlich in Zusammenhang zu bringen mit den Vorstellungen, die die älteste Zeit von Verbrechen und Strafe hat und bedeutet so: Reinigung durch Vollziehung der Strafe; ,indem die Gemeinde den Verbrecher, der sich durch seine That verunreinigt hat, straft, reinigt sie ihn und sich selber‘, Ihering Geist des röm. Rechts I⁵ 277; vgl. Rein Criminalrecht der Römer 29. 285; nach Voigt (XII Tafeln I 479, 32) wäre sie von Anfang an lediglich ,das Mittel zur Erzielung der castitas, der Reinheit der Sitten‘. Sicher ist, dass in späterer Zeit C. jede Zurechtweisung, Züchtigung ist, die zunächst zu Besserungszwecken erfolgt; sie soll — wie die νουθεσία der Griechen (Gell. VII 14, 2) — emendare, corrigere, Ulp. Dig. I 12, 1, 10 und I 16, 9, 3. Claud. Saturn. Dig. XLVIII 19, 16, 2. Gell. VII 14, 2. Senec. de ir. I 6, 1; man kann sie daher mit Voigt a. a. O. eine paedagogische Strafe nennen. Sie wird von den Juristen in der Reihe der poenae aufgeführt (Mod. Dig. XLIX 16, 3, 1. Callistr. Dig. XLVIII 19, 7), anderwärts aber auch — wenigstens das castigare verbis — der poena gegenübergestellt (Cic. de off. I 88: punire aut verbis castigare; vgl. Ulp. Dig. I 12, 1, 10).
Als Mittel der C. erscheinen Worte (Verweis) und körperliche Züchtigung, Cic. Tusc. III 64. Senec. ep. V 6, 19. In der Kaiserzeit wird der Ausdruck castigatio meist für das letztere vorbehalten, während für das erstere andere Ausdrücke, wie admonitio, severa interlocutio u. a. zur Verwendung gelangen, Vell. II 114. Senec. de ir. III 32, 2. Paul. Dig. I 15, 3, 1. Ulp. Dig. I 12, 1, 10. XXXVII 14, 1. Die körperliche Züchtigung ist bei freien Personen regelmässig fustigatio, für Sclaven flagellatio, Macer Dig. XLVIII 19, 10 pr. Näheres über die körperliche Züchtigung s. u. Verberatio. Mit der C. kann die Androhung [1761] schwererer Strafen für den Wiederholungsfall (comminatio severitatis non defuturae) verbunden werden, Ulp. Dig. XXXVII 14, 1; vgl. Callistr. Dig. XLVIII 19, 28, 3.
Der ursprüngliche Charakter und Zweck der C. (Besserung) kommt am deutlichsten zum Ausdruck, wo sie als häusliches Zuchtmittel in Anwendung einer dem Privaten zugestandenen Erziehungsgewalt erscheint (castigatio parentum et magistrorum bei Senec. de ir. II 27, 3); so übt sie der Hausvater gegenüber den Kindern, s. z. B. Plin. ep. IX 12. Claud. Saturn. Dig. XLVIII 19, 16, 2; der Herr gegenüber dem Sclaven, Senec. de ir. III 32, 2. Paul. V 23, 6, vgl. Ulp. Dig. VII 1, 23, 1; der Lehrmeister gegenüber dem Lehrjungen, Ulp. Dig. IX 2, 5, 3. XIX 2, 13, 4. Claud. Saturn. Dig. XLVIII 19, 16, 2.
Daneben kommt die C. als öffentliche, vom Strafrichter verhängte Strafe (castigatio iudicum bei Senec. de ir. II 27, 3) vor; die Fälle sind sehr verschiedenartig; der ursprüngliche Charakter und Zweck zeigt sich in der Anwendung der C.
- a) gegenüber dem libertus inofficiosus, auf Antrag des — ursprünglich die Strafe selbst verhängenden — patronus, Ulp. Dig. I 12, 1, 10. I 16, 9, 3. XXXVII 14, 1. Mod. Dig. II 4, 25;
- b) gegenüber dem impubes und überhaupt gegenüber jugendlichen Delinquenten, s. Voigt XII Tafeln I 480. A. Pernice Labeo¹ I 216. Isid. orig. V 27, 16. Mod. Dig. XLVIII 19, 28, 3. Valent. Val. und Grat. Cod. Theod. XIV 9, 1 und — besonders bezeichnend — die Worte der Tochter Seians bei Tac. ann. V 9 neque facturam ultra et posse se puerili verbere moneri;
- c) in Fällen blosser neglegentia oder desidia und des sog. fortuito delinquere, Paul. Dig. I 15, 3, 1. Ulp. Dig. I 15, 4. Gai. Dig. XLVII 19, 9. Callistr. Dig. XLVII 21, 2 i. f. Gell. VII 14, 2: castigandi gratia, ut is qui fortuito deliquit, attentior fiat correctiorque;
- d) als besondere Disciplinarstrafe im Militärstrafrecht, Mod. Dig. XLIX 16, 3, 1 und XLVIII 3, 14, 2; vgl. Paul. Dig. XLIX 16, 14.
Daneben aber kommt castigare und castigare fustibus vor, wo der Besserungszweck nicht in Frage steht oder doch ganz zurücktritt (in solchen Fällen ist C. schlechthin = körperliche Züchtigung); so etwa wo die C. an Stelle der uneintreibbaren Geldleistung tritt (Gai. Dig. XLVII 19, 9) oder als Zusatz zu schwereren Strafen erscheint (Paul. Dig. XLVII 18, 2. Callistr. Dig. XLVII 21, 2. Macer Dig. XLVIII 19, 10 pr.) oder schlechthin als eine für die Ahndung leichter Vergehen geeignete Strafe angewendet wird (Ulp. Dig. XLVIII 2, 6. Paul. Dig. XLVII 9, 4, 1. Ulp. Dig. XII 2, 13, 6).