Avircius. Der Name ist bisher nur in sechs Inschriften nachgewiesen. Auf drei römischen (CIL VI 12923–25) wird er geschrieben Avircius, auf einer südgallischen (CIL XII 1052) Avercius, auf zwei phrygischen (aus Prymnessos s. J. B. Lightfoot Ignatius I² p. 501. 726) Ἀβίρκιος. Euseb. (hist. eccl. V 16, 3) nennt einen Ἀουίρκιος Μάρκελλος – ihm ist eine anonyme antimontanistische Streitschrift von etwa 192 gewidmet –, wahrscheinlich ist er ein angesehener Christ in Phrygien gewesen. Der Bischof von Hierapolis um 451, Beisitzer des Concils zu Chalkedon, hat seinen Namen Abercius gewiss in Erinnerung an seinen vermeintlichen Vorgänger aus dem 2. Jhdt., den Kirchenheiligen des 22. October, erhalten, für beide ist in den Hss. die Schreibung Ἀβέρκιος weitaus am besten bezeugt. Über den Namen, der vielleicht keltischen Ursprungs ist, vgl. Th. Zahn Forschungen zur Gesch. d. neutestamentl. Kanons V 1893, 94–99.
Von den Trägern des Namens erregt einiges Interesse nur der letzterwähnte, dessen Biographie in dem Sammelwerk des Symeon Metaphrastes (saec. X) erhalten ist. Ihre Urform mag im 4. Jhdt. entstanden sein; der stark überarbeitete Text des Metaphrasten liegt in zwei Recensionen vor, einer kürzeren (Boissonade Anecd. graeca V 1833, 462ff.) und einer längeren (Migne Patrol. gr. CXV 1211ff. und in den bollandistischen Acta SS. zum 22. Oct.). Der Stoff dieser Vita ist, soweit es sich nicht um die üblichen Legenden handelt, offenbar herausgesponnen aus einer Grabinschrift, die der Verfasser c. 41 wörtlich mitteilt, [2394] soweit er sie noch hat entziffern können, und die aus einem Distichon und 20 hexametrischen Zeilen besteht. Die Echtheit der Inschrift, in der ein Abercius aus Hierapolis von seinen Reisen nach Rom und durch Syrien bis nach Nisibis hin erzählt und mitteilt, im Alter von 72 Jahren habe er diese Worte einmeisseln lassen, ist mehrfach bestritten worden, steht doch nicht weit davon ein sicher fingierter Brief des Marc Aurel an Euxeinianos Pollion, und die mysteriösen Wendungen, in denen Abercius über seine religiöse Stellung spricht, schienen im 2. Jhdt. unbegreiflich. Da fand 1881 Ramsay auf einer Reise durch Phrygien den Grabstein eines Alexander aus dem J. 216 n. Chr., dessen Inschrift zweifellos eine Nachahmung der Aberciusinschrift ist, und 1883 entdeckte er dann auch ein Stück von dieser letzteren, mit dessen Hülfe die Reconstruction des Urtextes bis auf wenige Silben erfolgreich unternommen werden konnte (vgl. de Rossi Inscript. christ. urb. Romae II 1, 1888 p. XIIff. und Ramsay The church in the Roman empire before 170, 1893² p. 439f.). Leider sind die Zeilen 17. 19, in denen der Name des Abercius vorkommt, gerade nicht erhalten. Aber ein Irrtum der Früheren ist definitiv beseitigt; die Vaterstadt des Abercius ist nicht Hierapolis im Lykosthal, sondern das nordwestlich davon, nahe bei Synnada im Thale des Glaukos gelegene Hieropolis. Dass er ein Bischof war, deutet Abercius nirgends an, für den Legendenschreiber verstand sich dies von selbst. Mit dem Avircius Marcellus könnte er gleichwohl identificiert werden, wie Th. Zahn a. a. O. 57–99 in seinem gelehrten Commentar zu der Inschrift es thut. Allein G. Ficker behauptet (S.-Ber. Akad. Berl. 1894, 87ff.), dass die Aberciusinschrift heidnischen Charakter trage, Abercius sei ein Cybelepriester vielleicht schon des 1. Jhdts. gewesen, der ‚keusche Hirte‘, dessen ‚Jünger‘ er sich nenne, sei Attis, und nur aus den Cybelemysterien erklärten sich die bildlichen Ausdrücke Z. 3–16. Der wortreiche Widerspruch, den V. Schultze im Theol. Litteraturblatt 1894, 209ff. 217ff. gegen Fickers Hypothese erhoben hat, wird sie noch nicht aus der Welt schaffen; allerdings unterliegt sie starken Bedenken. Vgl. A. Harnack Zur Aberciusinschrift in Texte und Untersuchungen z. altchr. Littgesch. XII 4, 1895, 3–28, auch Robert Hermes XXIX 1894, 421ff. und Maass Orpheus 1895, 183. Für die Religionsgeschichte des 2. Jhdts. ist die Aberciusinschrift in jedem Fall von hervorragender Bedeutung. Ein leicht zugänglicher Abdruck auch bei Preuschen Analecta 1893, 25f.