RE:Aristokrates 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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König des arkadischen Orchomenos | |||
Band II,1 (1895) S. 938–939 | |||
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Aristokrates (Ἀριστοκράτης). 1) König des arkadischen Orchomenos, ohne Zweifel eine geschichtliche Persönlichkeit. Es scheint, dass schon Tyrtaios Argiver, Pisaten und Arkader, die letzteren unter A., König von Orchomenos, als Gegner Spartas im zweiten messenischen Kriege anführt (Tyrt. frg. 8 bei Strab. VIII 362 wohl durch Vermittlung des Ephoros. K. O. Müller Dorier² I 149, 3. Busolt Gr. Gesch. I¹ 165, 1). Die nächste Analogie zu seiner Stellung bieten die Könige von einzelnen thessalischen Städten, von denen im Kriegsfall bisweilen einem einzigen die Führung übertragen wurde, und das Heerkönigtum des Agamemnon im Epos. Dass A. die verbündeten Messenier in der Schlacht am Grossen Graben verriet und nachher dafür von den Arkadern die gerechte Strafe erhielt, ist zuerst aus Kallisthenes bezeugt (bei Polyb. IV 33; vgl. Plut. ser. num. vind. 2). Das als Beleg dafür citierte Epigramm auf der Stele im Heiligtum des Zeus Lykaios setzt Namen und Geschichte des Verräters als bekannt voraus; die Stele kann allerdings kaum vor Erbauung von Messene und Megalopolis aufgerichtet sein, als sich Arkader und Messenier sehr annäherten (Polyb. a. a. O.), da vorher die Spartaner eine solche selbständige Kundgebung Messeniens in ihrer Nähe nicht geduldet hätten. Nach Heracl. Pont. περὶ ἀρχῆς bei Diog. Laert. I 94 freite Periandros von Korinth, der um 625 zur Herrschaft gelangte, die Tochter des A. und Schwester des Aristodemos, οἳ σχεδὸν πάσης Ἀρκαδίας ἐπῆρξαν, natürlich vor dem Sturze des A. (Zweifel bei Niese Herm. XXVI 30). Die feste Königsburg des A. beschreibt Curtius Peloponnesos I 220.
Diesem allen gegenüber nimmt die Überlieferung, welche bei Pausanias in der arkadischen Königsliste und der Geschichte des zweiten messenischen Krieges vorliegt, eine Sonderstellung ein. A., der die Messenier verrät und dafür gesteinigt wird, ist der letzte in einer langen Reihe von arkadischen Gesamtherrschern, und sein Sitz, wie der seiner Vorgänger seit dem troischen Kriege, ist die kleine, bald nach 371 zerstörte arkadische Stadt Trapezus, Paus. VIII 5, 13. IV 17, 2ff. 22. Dieser A. ist aber Sohn des Hiketas und Enkel [939] eines anderen A., dessen Grab nach Paus. VIII 13, 5 noch im Süden von Orchomenos gezeigt wurde (nachgewiesen von Curtius Peloponnesos I 224); auch dieser soll von den Arkadern gesteinigt worden sein, weil er die Priesterin der Artemis Ὑμνία geschändet hatte (VIII 13, 5 u. 5, 11f.; daher wird der Kultgebrauch abgeleitet, dass die Priesterin nicht eine Jungfrau, sondern eine alte Frau sein muss, die des Umgangs mit Männern bereits überdrüssig ist). Hier liegt eine arkadische Überlieferung von der Abschaffung des Königtums in Orchomenos zu Grunde, die natürlich wie die meisten anderen der Art (z. B. von Tarquinius Superbus) den Frevel des letzten Königs zur Rechtfertigung der Revolution anführt; nicht streng historisch, aber doch volkstümlich; der Frevel gegen die Landesgöttin ging dem Arkader mehr zu Herzen, als der Verrat an einem anderen Stamme. Die Redaction der Königsliste hat sich damit durch eine Differenzierung der beiden A. abgefunden; der ältere wird zum Sohn eines Aichmis, beide residieren in Trapezus. Nur ein litterarisches Curiosum ist die Fälschung des Ps.-Plutarch Parall. min. 32, wo von orchomenischen Königen zur Zeit des peloponnesischen Krieges die Rede ist, die dann von A. abgeleitet werden (vgl. Hiller v. Gaertringen Zur arkadischen Königsliste des Pausanias, Festschr. des Gymn. zu Jauer 1890, 53ff., namentlich 64ff.).
Hier wie bei allen Fragen der älteren Geschichte, besonders von Arkadien und Messenien, ist zunächst viel späte Sage und was viel schlimmer, bewusste Fälschung hinwegzuräumen; es bleibt jedoch bei A. eine wirkliche Persönlichkeit, ein König von Orchomenos, der im Bunde mit anderen peloponnesischen Staaten in der zweiten Hälfte des 7. Jhdts. die allen feindlichen spartanischen Eroberer bekämpfte, vielleicht dabei wirklich Verrat übte, und mit dessen Fall das Königtum in seiner Stadt aufhört.