9) Erzbischof von Caesarea in Kappadokien, hat erst in allerjüngster Zeit die ihm seitens der Kirchenhistoriker und Philologen gebührende Beachtung gefunden. Die älteren Arbeiten über ihn, auch Rettigs Aufsatz, Stud. u. Krit. 1831, sind antiquiert, die beliebte Unterscheidung mehrerer Bischöfe dieses Namens ist völlig unbegründet. Aus den auf uns gekommenen Resten der Bibliothek des A. – von hohem Interesse für die Palaeographie wegen der genauen Angaben über die Schreiber, den Preis der Schreiberarbeit und des Pergaments, sowie über das Datum der Anfertigung – können wir schon ziemlich seinen Lebensgang reconstruieren. Er dürfte um 865 geboren sein, denn eine im September 888 geschriebene Handschrift des Euclides (Dorvillianus, jetzt in Oxford) hat er erworben, noch ohne kirchliches Amt; blos Ἀρέθας Πατρεύς nennt er sich, letzteres wohl wegen seiner Herkunft aus Patrae. Die berühmte Platohandschrift aus Patmos (cod. Clarkianus) hat er November 895 schon als Diacon (in Constantinopel oder in Patrae?) anfertigen lassen; der cod. Paris. 451, die griechischen Apologeten enthaltend, von 913/4 zeigt ihn als Erzbischof von Caesarea. Dass er noch 933 diese Würde bekleidete, beweist ein für ihn geschriebener Moskauer Codex mit dogmatischen Abhandlungen, wahrscheinlich ist er erst nach 939 gestorben. Aus der zeitgenössischen Litteratur erfahren wir über seine Anteilnahme an den kirchenpolitischen Händeln des 9. und 10. Jhdts. Genaueres nur in der Vita Euthymii eines Unbekannten, die C. de Boor 1888 ediert und commentiert hat (s. d. cap. 12. 15f. 18–20). Hiernach ist er schon 907 Bischof von Caesarea, somit πρωτόθρονος im neurömischen Patriarchat gewesen, gilt als hervorragender Redner, und wird als Lehrer des Philosophen Nicetas Paphlago uns vorgestellt. Seine Werke sind bisher recht unzulänglich bekannt. Ein inhaltreicher Commentar zur Apokalypse Johannis, nach der Überschrift nur eine σύνοψις σχολική aus den Arbeiten des Andreas von Caesarea (s. d. Nr. 8), ist von Cramer Catenae graec. Patr. in Nov. Test. VIII 1840, 176–496 in wesentlich verbesserter Gestalt, aber keineswegs völlig befriedigend herausgegeben worden; ausserdem sind durch Migne Patrol. graec. CVI 789ff. Lobreden von A. auf den oben erwähnten [676] Patriarchen Euthymius und auf drei edessenische Märtyrer (nach älteren Drucken) allgemeiner zugänglich gemacht worden; drei Epigramme des A. in der Anthol. Pal. XV 32–34 sind vor E. Maass Observationes palaeographicae (de Arethae subscriptionibus, de A. adnotationibus, de A. bibliotheca, de A. cod. Lucianeo, de A. uncialibus) in den Mélanges Graux 1884, 749–766 kaum bemerkt worden, ein Epigramm desselben auf Euclides wird hier S. 754 zuerst publiciert; ausserdem kennen wir eine Reihe Scholien, die A. auf den Rand seiner Bücher geschrieben hat: durch R. Klotz (und W. Dindorf) die in dem Cod. Paris 451 zu den Clemensschriften hinzugefügten (Clementis Alex. Op. IV 1834, 91–136), durch O. v. Gebhardt (der Arethascodex Paris. gr. 451, in Texte u. Untersuch. I 3, 1883, 154–196) die zu Athenagoras de resurrectione, und durch Ed. Schwartz (ebd. IV 1, 1888, 44–47) die zu Tatian. Nicht alle in jenem Codex angebrachten Randnoten rühren von A. her, aber wiederum viel mehr als die ausdrücklich durch ein Ἀρέθα als sein Eigentum gekennzeichneten; die Scheidung nach äusseren und inneren Gründen dürfte nicht schwierig sein, ist aber noch nicht durchgeführt. Wenn in einem Moskauer Codex saec. XI (bei Matthaei Cod. graec. msc. biblioth. Mosqu. notitia nr. 345) fol. 36 A. unter den Auslegern des Psalters genannt wird, so dürfte dies auf ähnliche Scholiastenthätigkeit sich beziehen, wie er sie an den Apologeten geübt hat; viele von seinen Psalmscholien sind an den Rändern eines Moskauer Codex (388 bei Matthaei a. a. O.) noch zu finden, und natürlich hat A. auch andere biblische Bücher ähnlich (ein Scholion zu II Cor. in Cramer Catenae V 479) ausgestattet. Aber den gleichen Fleiss hat er an profane Autoren gewendet, Plato, Euclides, den Rhetor Aristides, Dio Chrysostomus, Lucianus. Diese Scholien sind noch nicht genügend bekannt, höchstens die zu Lucian in der edit. maior von Jacobitz, neuerdings hat R. Müller De Lesbonacte grammatico, Greifswalder Dissertation 1890, 4. 102f. 106–112 bewiesen, dass auch Philostratus Vita Apollon. Tyan. von A. mit Scholien versehen worden ist. Und auch in den Noten zu kirchlicher Litteratur zeigt er Kenntnis des klassischen Altertums und Interesse für dasselbe, zieht neben Josephus und Philo den Homer und Aristoteles heran und verwertet gern seine archaeologischen Kenntnisse. Wenn wir es nicht aus seinem Enkomion auf Euthymius sicher wüssten, dürften wir vermuten, dass A. aus der Schule des Photius hervorgegangen ist; seine Bemühungen um Erhaltung klassischer Litteratur und eines Restes von hellenischer Bildung knüpfen durchaus an die des Photius an, und ihre Erfolge sind keineswegs gering anzuschlagen. Besser werden wir über ihn urteilen können, wenn nicht blos alle seine Scholien, sondern namentlich seine freien Arbeiten, Predigten, Briefe, Apologien, exegetische, kirchenrechtliche, dogmatische Abhandlungen – in dem Codex 302 des Matthaeischen Verzeichnisses gesammelt – veröffentlicht sein werden, was hoffentlich durch C. de Boor demnächst geschehen wird. Für die Kulturgeschichte seiner Zeit wird sich manche wertvolle Einsicht daher ergeben. Vgl. noch Fr. Delitzsch Handschriftliche Funde, [677] Heft 2, 1862; Ztschr. f. luther. Theol. u. Kirche 1863, 12–16 (wann lebte A., der Ausleger der Apokalypse?). A. Harnack Die Überlieferung d. griech. Apologeten, in Texte u. Untersuch. I 1. 2. 1882, 24ff. besonders Excurs zu § 3, der Erzbischof A. von Caes., s. Studien u. s. Bibliothek S. 36–46. Jülicher Anzeige von de Boors Vita Euthym. in Gött. Gel. Anz. 1889, 383–387. Krumbacher Gesch. d. byzantin. Litt. 1891, 233f.