3) Arellius Fuscus, berühmter Rhetor und Declamator aus der Zeit des Augustus, über den wir ausschliesslich durch den Rhetor Seneca unterrichtet sind. Dass Seneca ihn in einem Teile der Stellen Arellius Fuscus (oder Fuscus Arellius) pater nennt, beweist nur, dass Arellius Fuscus gerade wie Clodius Turrinus und Iunius Otho (Lindner 4f.), zur Zeit, da Seneca schrieb, einen erwachsenen Sohn hatte, welcher sich vielleicht gleichfalls der Rhetorik widmete, ohne dass deshalb die Stellen, wo pater fehlt und blos Arellius Fuscus oder Fuscus Arellius oder Fuscus gesetzt ist (niemals mit dem Beisatze filius), auf den Sohn zu beziehen wären. Dass vielmehr alle Stellen des Seneca nur auf den berühmten Rhetor, den Vater, zu beziehen sind, zeigen die vielen Fälle, wo innerhalb des gleichen Beispieles pater bald gesetzt, bald weggelassen ist, so contr. I 4, wo § 5 A. F. pater, § 8 und 10 F. A., § 11 Fuscus steht; I 6, 7 A. F. p., 10 F. A.; II 2, 1 F. A. p., 5 F. A., 8 und 9 A. F.; VII 2, 4 A. F. p., 12 F. A.; VII 5, 1 A. F. p., 7 F. A., 9 F.; VII 7, 2 A. F. p., 9 A. F., 14 und 18 F. A.; IX 4, 4. 6 A. F. p., 16 A. F.; X 4, 6 A. F. p., 10 und 20 A. F., 21 F. A.; X 5, 7 A. F. p., 18 F. A.; suas. 2, 1 A. F. p., 10 F.; 3, 1 A. F. p. 3. 5. 7 F., 4 F. A.; nie allein Arellius. Nach suas. 2, 10 scheint Fuscus etwas älter als Seneca gewesen zu sein. Da Seneca spätestens 54 v. Chr. geboren ist, so wird man die Geburt des Fuscus um 60 ansetzen können. Ein Terminus post quem für sein Todesjahr ergiebt sich aus seiner eingehenden Beschäftigung mit Vergils Aeneis, die nach Boissier (vgl. Teuffel-Schwabe R. L.-G.⁵ 493) 17 v. Chr. veröffentlicht worden ist. Er war u. a. Zeitgenosse des Rhetors Blandus, zu dem sein Schüler Papirius Fabianus überging (contr. II praef. 5), des Porcius Latro († 4 v. Chr.), Cestius Pius (blühte 13 v. Chr.), Passienus († 9 v. Chr.), von denen Seneca tadelnde Äusserungen über sententiae oder colores des Fuscus mitteilt (contr. II 3, 11. 22. VII 17, 12), des Pompeius Silo, der einen color des Fuscus umänderte (contr. I 7, 15). Aus Asien stammend (contr. IX 6, 16, wo man freilich mit Schultingh für das hsl. ex Asia gewöhnlich ex Asianis liest), jedenfalls
[636] Grieche von Geburt, schloss er sich mit Vorliebe an die Asianer an, so an Hybreas (contr. IX 6, 16) und Adaios (contr. X 4, 20. IX 1, 12f.), deren Sentenzen er zum Teil wörtlich lateinisch wiedergab non commendationis aut furti, sed exercitationis causa; als Grieche liebte er es gleich seinem griechischen Lehrer, dessen Namen er uns leider nicht mitteilt, homerische Verse in seine Declamationen aufzunehmen (contr. I 7, 14. 8, 15); aus demselben Grunde declamierte er Suasorien häufiger und lieber griechisch als lateinisch (suas. 4, 5). Wann er nach Rom, wo er eine rhetorische Schule eröffnete, übergesiedelt ist, welchen Umständen er seinen lateinischen Namen verdankt, lässt sich nicht feststellen. Keine Spur weist darauf hin, dass er öffentlich als Redner vor Gericht und Volk aufgetreten sei. Als Schulredner genoss er einen namhaften Ruf. Er gehörte zu dem Viergestirn unter den damaligen römischen Rhetoren (contr. X praef. 13). Seine
explicationes waren in Senecas Jugendzeit so bekannt und beliebt, dass sie die Schuljugend in allen Tonarten herleierte (suas. 2, 10). Unter seinen Schülern werden uns genannt Ovid (contr. II 2, 8f.), der des Fuscus Schule etwa um 27 v. Chr. besuchte (Lindner 7. 9), und der nachmalige Philosoph Papirius Fabianus, der admodum adulescens eine Zeit lang in der Schule des Fuscus declamierte, d. h., da er um 34 geboren ist, nicht viel später als Ovid (contr. II praef. 1. 5); dazu kommt ein Anonymus, cuius pudori pareo (suas. 4, 5). Seneca selbst nahm häufig Gelegenheit, den Hörsaal des Fuscus zu besuchen. Im Gegensatze zu Latro beschränkte sich Fuscus nicht darauf, blos selbst zu declamieren und so seinen Zuhörern ein Muster zur Nachahmung hinzustellen, sondern er liess diese auch ihrerseits declamieren, machte sie auf Fehler aufmerksam (suas. 4, 5) und gab ihnen gelegentlich rhetorische Vorschriften (eine solche über den Epilogos lesen wir contr. VII 5, 7). Die Frage, ob Fuscus gleich so vielen andern Declamatoren aus dem Stegreif gesprochen habe, glaubt Lindner 22 verneinen zu müssen. In der Wahl und Behandlung der Stoffe verleugnete er den Declamator seiner Zeit nicht, wenngleich er sich von so groben Albernheiten, wie sie z. B. sein Landsmann Cestius sich zu Schulden kommen liess, in der Regel fernhielt. Die Themata sind die üblichen, die sachliche Ausführung der sententiae, colores, divisiones ist verhältnismässig einfach und verständig (Proben von Spitzfindigkeit, ja Albernheit und Frostigkeit bei Lindner 19ff.). Besonders gern wandte er den color religionis an (contr. I 1, 16. 8, 15. II 1, 27). Die Hauptstärke waren seine explicationes = descriptiones (suas. 3, 7). Für die Schilderung von Örtlichkeiten, Verhältnissen, Seelenzuständen besass er ein unzweifelhaftes Talent (Proben bei Lindner 16f.). Da solche explicationes besonders in den Suasorien eine geeignete Verwendung fanden, so erklärt sich des Fuscus Vorliebe für die Suasorien (suas. 4, 5), die sich auch seinen Schülern Ovid (contr. II 2, 12) und Papirius (contr. II praef. 3) mitteilte. Um sein Auditorium zu fesseln, pflegte er in seine Declamationen Dichterstellen teils wörtlich, teils mit einigen (nicht immer glücklichen, z. B. suas. 3, 4) Änderungen aufzunehmen. Besonders viele entnahm
[637] er den Werken Vergils, um Maecenas, der eine ausgesprochene Vorliebe für Vergil hatte, zu gefallen (suas. 3, 5; vgl. 4, 4). Auch ein anderes Mittel, um dem damals vorherrschenden Geschmacke zu huldigen, verschmähte er nicht, die übermässige Anwendung von Figuren, von denen wir am häufigsten die Anaphora verwendet finden (s. im übrigen Lindner 18). Wie hierin, so zeigt sich überhaupt in der Redeweise des Fuscus die asianische Geschmacksrichtung; man vergleiche nur die ausführliche Charakteristik, die Seneca contr. II praef. 1 giebt: erat explicatio Fusci Arelli splendida quidem sed operosa et implicata, cultus nimis adquisitus (suas. 2, 10. 23. 4, 5), compositio verborum mollior (fracta, suas. 2, 33) . . .; summa inaequalitas orationis, quae modo exilis erat, modo nimia licentia vaga et effusa: principia, argumenta, narrationes aride dicebantur, in descriptionibus extra legem omnibus verbis, dummodo niterent, permissa libertas (suas. 2, 10). nihil acre, nihil solidum, nihil horridum; splendida oratio et magis lasciva quam laeta . . . Fabianus (sein Schüler) luxuriam quidem cum soluit abiecit, obscuritatem non potuit evadere . . . saepe minus quam audienti satis est eloquitur . . . quaedam tam subito desinunt, ut non brevia sind, sed abrupta. Auf Fuscus trifft das Urteil Quintilians XII 10, 16 zu, wonach den Asianern besonders iudicium ac modus abging. Wie gewöhnlich bei Asianern, machte des Fuscus Redeweise gewaltigen Eindruck auf die Jugend, während das reifere Alter sich von ihr abgestossen fühlte (suas. 2, 23). Bei Seneca finden wir sehr zahlreiche Proben der Beredsamkeit des Fuscus (s. die Indices der Senecaausgaben von Kiessling 531 und Müller 590), die längsten suas. 2, 1f.: contr. II 1, 4–8. VII 6, 7f. Lindner De Arellio Fusco, Breslau Progr. 1862; dazu Reuter De Quintiliani libro qui fuit de causis corruptae eloquentiae, Diss. Breslau 1887, 33f. Teuffel-Schwabe R. L.-G.⁵ 639f.