Anis, Pimpinella anisum L., wurde von den Griechen zuerst nur ἄννησον, von Dioskorides, Galenos, Suidas, Simeon Seth (ed. Langk. p. 2. 23) u. a. ἄνισον genannt, während ἄννισον in einem Fragment des Komikers Alexis bei Poll. VI 66, in dem mehrere Gewürzpflanzen angeführt sind, nicht ganz sicher ist, da bei Athen. IV 170 b sich dafür das allerdings gegen den Vers verstossende σκόροδον in den Hss. findet, so dass [2216] vielleicht ἄννησον zu lesen ist, wenn man nicht den Vers umstellen und das ziemlich unpassende σκορόδια einsetzen will. Dass ἄννησον nicht die ionische Form für ἄνηθον = Dill sein kann, wie man zum teil annimmt, geht abgesehen davon, dass sprachliche Gründe für diese Annahme nicht vorhanden sind, auch daraus hervor, dass ἄννησον unmittelbar neben ἄνηθον von Theophrast (h. pl. I 12, 1. 2) und in der unter dem Namen des Hippokrates gehenden, in ionischem Dialekt geschriebenen Schrift de morb. mul. 2 (II 852 K.), vielleicht auch von Alexis (a. O.) genannt ist. Heute wird der A. unter dem Namen γλυκάνισον (so schon wegen seiner Süsse vom Scholiasten des Theokr. VII 63 genannt) im grossen angebaut, namentlich bei Lebadeia, Theben, Rachova, Patras und Kyparissia. Die Römer nannten ihn anesum (Cat. agr. 121. Scrib. Larg. passim. Seren. Samm. 904. Garg. Mart. II 39. 53 etc. Apic. 289. Marc. Emp. passim) oder anisum (Cels. passim. Col. XII 50, 4. 51, 2. Pall. passim. Veget. V 51, 2; bes. nach Diosc. III 58 und Isid. orig. XVII 11, 6), fehlerhaft anisus (Ps.-Theod. Prisc. de diaeta 10). Heute wird er von den Italienern unter dem Namen anacio, anace, anice, besonders in der Romagna und Sicilien, angebaut. Sein Ursprung bleibt ungewiss, obwohl er vielfach für eine spontane Pflanze des Orients und der benachbarten Inseln oder selbst des griechischen Continents gehalten wird, was mit Sicherheit nur für die ihm nahe verwandte, aber nirgends kultivierte kleinere Art Pimpinella cretica Poir. gilt. Denn für die ältesten Zeiten Ägyptens und des Orients fehlt es an sicheren Nachweisen seines Vorkommens. Daher es dahingestellt bleiben muss, ob Sophokles (Greek Lex. of the rom. and byz. periods 1888) mit Recht das arabische yansun der heutigen Ägyptier für das Prototyp von ἄννησον erklärt, während er die Etymologie des Wortes nicht angiebt. Vielmehr wird uns zuerst über Pythagoras berichtet, dass er den A. als eine der wenigen zu empfehlenden Speisen (?) angesehen (Plin. n. h. XX 185) und seinen Anbau, wohl hauptsächlich in Unteritalien, sich habe angelegen sein lassen (ebd. 192). Seine botanischen Eigenschaften sind nur kurz von Theophrast dadurch charakterisiert, dass er nacktsamig sei, d. h. seine Frucht nicht wie beim Mohn von einer Kapsel eingeschlossen sei (h. pl. I 11, 2), und ihr Saft einen lieblichen Geruch habe (ebd. 12, 1). Als die beste Sorte wurde die kretische, nächstdem die ägyptische von Dioskorides (a. O.) und Plinius (XX 187) bezeichnet, die ägyptische von Columella (XII 51, 2), die pontische von Vegetius (a. O.) angewandt. Dass er von den Römern in Gärten zu medicinischem Gebrauche gehalten wurde, berichtet Celsus (II 31), dass es zugleich auch für die Küche geschah, Plinius (XIX 167). Man säte ihn im Februar oder März in gut gelockerten und gedüngten (Pall. III 24, 14), eventuell bewässerten Boden (ebd. IV 9, 17). Sein Gebrauch für die Küche kann jedoch nur spärlich gewesen sein, da Apicius ihn nur einmal beim Füllen der Schweinemagen neben anderen Ingredienzien anwandte (c. 289), während er z. B. vom Dill einen sehr ausgedehnten Gebrauch machte. Dagegen wurde er auf die untere Rinde des Brotes gestreut (Plin. XX 185), bei der Bereitung [2217] von Mostkuchen (Cato 121) und mit anderen Gewürzen zum Einmachen der Oliven (Col. XII 50, 4) oder des Olivenbreies (ebd. 51, 2) verwandt. Ferner diente er zur Verbesserung des Weins (Plin. ebd. Geop. VII 37, 2) und bewahrte die Kleider vor Motten (Plin. n. h. XX 195). Besonders aber diente der Samen allerlei Heilzwecken. Pythagoras (bei Plin. n. h. XX 192) war der Ansicht, dass, wer ihn in der Hand halte, nicht von der Epilepsie befallen werde (vgl. 191 und Ps.-Plin. III 21), sein Geruch die Geburt befördere und man ihn gleich nach der Geburt der Mutter mit Gerstengraupe geben solle. Die Skythen füllten zur Einbalsamierung der Leichen ihrer Könige den Leib derselben ausser mit anderen Spezereien auch mit A. (Herod. IV 71). Hippokrates (II 38 K.) wollte Schmerzen unter dem Zwerchfelle dadurch vertreiben, dass der Leib mit schwarzer Nieswurz und A. erweicht werde. Die Hippokratiker empfahlen ihn im Gemisch mit anderen Medicamenten, äusserlich oder innerlich angewandt, besonders als Zusatz zum Wein gegen Gebärmutterkrankheiten (II 560. 656. 803. 824. 825. 844. III 471 K.; vgl. Scrib. L. 126. Diosc. III 58. Plin. n. h. XX 191. 194) und andere Frauenkrankheiten (II 592. 655 K. Plin. n. h. XX 194). Allein (Diosc. a. O. Plin. n. h. XX 189. 195. Galen. XI 833. Oribas. V 603; vgl. VI 436) oder in Wein mit anderen Medicamenten (Heraclid. Tarent. bei Plin. n. h. XX 193. Scrib. L. 120. Marc. Emp. 20, 16. 29) trieb er Blähungen. Als Antidotum oder Theriaka, d. h. Mittel zunächst gegen Vergiftungen und den Biss giftiger Tiere, wurde er im Gemenge mit anderen Medicamenten angewandt von Antiochus d. Gr. (Plin. n. h. XX 264. Gargil. Mart. 39. Ps.-Plin. III 37), Nikandros (Ther. 650. 911, nur gegen den Biss giftiger Tiere) und Mithridates (nach Damokrates bei Galen. XIV 97), des letzteren Mittel aber später auch gegen andere, innere Krankheiten (Cels. V 23, 1. Scrib. L. 170), so auch als Bestandteil anderer Antidota oder Theriacae (des Celsus bei Scrib. L. 173, des Marcianus ebd. 177, des Andromachos bei Galen. XIV 41 und anderer bei Galen. XIV 112. 151. 161. 164. 167. 206. 260. 308). Dioskorides (III 58) sagt von ihm, dass er den Körper erwärme und trockne (so auch Galen. XI 833. Oribas. II 615. V 603. VI 436), dem Munde einen angenehmen Geruch verleihe (Plin. n. h. XX 186, vgl. Ps.-Hipp. II 852 K.), Schmerzen lindere, Schweiss (Plin. n. h. XX 195. Galen. XI 833. Oribas. ebd.) und Urin treibe (Cels. II 31. Plin. ebd. Oribas. V 603. VI 436); in Wein (Geop. VIII 4; vgl. Oribas. I 434) den Durst der Wassersüchtigen stille (vgl. Plin. n. h. XX 191. 195), gegen den Biss giftiger Tiere wirke und Blähungen treibe (vgl. oben und Plin. n. h. XX 195), den Leib stopfe (Plin. n. h. XX 190), die Leukorrhoe stille, die Milch hervorrufe, zum Beischlaf reize (Plin. n. h. XX 195), Kopfschmerzen lindere, wenn die Nase damit geräuchert werde (Plin. n. h. XX 187, vgl. 190), gegen Ohrenreissen wirke, zerrieben mit Rosenöl in die Ohren geträufelt (Plin. n. h. XX 187). Mehr über seine Wirkung findet man noch bei Plinius (XX 185–195), der bemerkt, dass er auch anicetum, der Unbesiegbare, genannt werde, während Dioskorides (III 60) diesen Namen dem Dill giebt und [2218] den A. auch σῖον nennt. In Verbindung mit anderen Medicamenten wurde der A. von Celsus gegen Gelbsucht (III 24) und Geschwüre in den Nieren (IV 17) angewandt, von Scribonius und Marcellus gegen die mannigfaltigsten Leiden.