Anatocismus (usurae usurarum) ist der Zinseszins, die Verzinsung rückständiger Zinsen. Wenn sie nach dem jedesmaligen Ablaufe eines Jahres geschah, so hiess sie anatocismus anniversarius (Cic. ad Att. V 21. VI 1, 2. 3 und hierzu v. Savigny Abh. Akad. Berlin 1818/19, 179–188, woselbst insbesondere unhaltbare Ausführungen des Cujacius und der clavis Ciceroniana von Ernesti widerlegt werden S. 184. 187). Die Erhebung von Zinseszinsen ist von Iustinian durchgreifend verboten worden, nachdem sie schon früher teilweise untersagt war, Cod. IV 32, 28. VII 54, 3 pr. Noch zu Ciceros Zeit (a. a. O.) war der anatocismus anniversarius in einem Provincialedicte ausdrücklich gestattet worden, auch findet sich in einer Inschrift der Zinseszins als Strafe angedroht (Orelli 4405), während Liv. II 23. VI 14 und Varro l. l. V 183 nicht auf Zinseszinsen bezogen werden müssen, sondern vielleicht nur von einfachen Zinsen reden. Sogar die Pandektenstellen, welche unzulässige usurae usurarum erwähnen, reden möglicherweise nur davon, dass die allgemeinen Zinsverbote (vgl. Puchta Instit. III § 261), insbesondere die Beschränkung rückständiger Zinsen auf den Betrag des Capitals, den Zinseszins ebenso trafen, wie den Zins (Dig. XII 6, 26, 1. XLII 1, 27; vgl. auch Cod. II 11 [12], 20). Es bleibt hiernach ungewiss, wann das von Iustinian erwähnte Verbot der usurae usurarum ergangen ist (die Vermutung Kuntzes Cursus d. röm. R. § 667, dass es von Caracalla herrührt, ist unerweislich), und auch wie weit jenes Verbot reichte, namentlich was die Worte des Cod. IV 32, 28 usuras in sortem redigere fuerat concessum et totius summae usuras stipulari bedeuten, ob es hiernach bis Iustinian erlaubt war, rückständige Zinsen durch Novation zinstragend zu machen (so Puchta Instit. III § 261, 66), oder ob im Voraus verabredet werden durfte, dass sie als besonderes verzinsliches Capital neben die alte Schuldsumme [2071] treten sollten (sog. anatocismus separatus), eine Abrede, die sich jedoch von dem einfachen sog. anatocismus coniunctus nur durch den Wortlaut, nicht aber durch den Sinn unterscheidet und deren Gültigkeit neben dem Verbote des a. coniunctus sehr unwahrscheinlich ist. Vielleicht war vor Iustinian nur die Auferlegung eines gesetzlichen Zinseszinses, z. B. bei Verzug, untersagt, zumal der vertragsmässige durch die sonstigen Zinsverbote in erträglichen Schranken gehalten wurde. Litteratur: Glück Pandektencommentar XI 119ff. 173ff. Puchta Pandekten § 229 ii. Sintenis Prakt. gem. Civilrecht II § 87 A. 49. Holzschuher Theorie u. Casuistik d. gem. Civilrechts III 215, 5. Windscheid Pandekten II 261, 2.