Aigis ist bei Homer der Schild des Zeus (αἰγίοχος). Aristarch erklärt die A. nicht unrichtig, aber (absichtlich?) unklar für ein ὅπλον Διός (Lehrs Arist.³ 190); dass das Epos aber in der That nichts anderes als einen Schild darunter versteht, scheint sich aus folgenden Gründen zu ergeben: der χαλκεὺς Ἥφαιστος hat die A. verfertigt (Il. XV 309, vgl. XII 295), wie er auch den Schild des Achilleus geschmiedet hat. Wie diesen hat er sie mit Bildwerken geschmückt (Il. V 738ff.): Φόβος Flucht, Ἔρις Streit, Ἀλκή Abwehr, Ἰωκή Angriff und die Γοργείη κεφαλή, also die Schreckgestalten des Kampfes, sind rings herum dargestellt, wie auf dem Schild Agamemnons Γοργώ, Δεῖμος, Φόβος (Il. XI 32ff.; man achte auf das ungewöhnliche in beiden Schilderungen wiederkehrende ἐστεφάνωτο). Als Athena sich zum Kampfe rüstet (Il. V 736ff.), legt sie den Panzerrock des Zeus um, wirft die A. um die Schultern, wie die Helden den Schild (vgl. Il. X 148. XV 479. III 335; Od. XXII 122, auch Il. XI 527. XIV 372. 377. XVII 492; Od. XIV 479), setzt den Helm auf und ergreift die Lanze. Des Schwertes und der Beinschienen bedarf die Göttin nicht, sonst legt sie die einzelnen Waffenstücke in derselben Reihenfolge an wie Paris (Il. III 330ff.), Achilleus (XIX 369ff.) und die anderen Helden; statt des Schildes aber ergreift sie die A. In der A. fängt sie die Lanze des Ares auf (Il. XXI 400), und Apollon bedeckt (καλύπτειν) mit der A. den Leichnam Hektors (Il. XXIV 20), wie Aias den zu Boden gesunkenen Teukros (VIII 331), Antilochos den gefallenen Hypsenor (XIII 420) mit seinem Schilde „bedeckt“ (καλύπτειν, vgl. Il. XVI 360. XXII 313). Die A. ist rings mit Quasten und Troddeln (θύσανοι, θυσσανόεσσα) umgeben, deren jede 100 Rinder wert ist (Il. II 449. XXI 406. V 738), wie der Schild Hektors mit einem schwarzen Fell eingefasst ist (Il. VI 117f.). Nur seinen liebsten und streitbarsten Kindern Athena (Il. II 446f. V 738. XXI 40) und Apollon (Il. II 229. XXIV 20) leiht Zeus sie vorübergehend.
Scheint es darnach unzweifelhaft, dass die Sänger der Ilias und ihre Zeitgenossen sich die A. als einen Schild gedacht haben, so ist es darum doch nicht verwunderlich, wenn an mehreren Stellen des Gedichtes Vorstellungen durchschimmern, die zu dem Bilde eines Schildes nicht mehr recht stimmen wollen. Zeus selbst bedarf der A. als Schutzwaffe niemals, auch Athena nur einmal, als ein Gott sie angreift (Il. XXI 400), die Speere der Männer treibt sie durch einen Hauch zurück (Il. XX 438ff.) und ihre Pfeile wehrt sie ab, leicht, wie die Mutter die Fliege vom Haupte des Kindes verscheucht (Il. IV 130f.); ἐς φόβον ἀνδρῶν, um die Männer in die Flucht zu scheuchen, gab Hephaistos dem Zeus die A. zu tragen (Il. XV 309). Im Kampfe selbst mag der entsetzliche Anblick der Schreckgestalten auf dem Schilde, das furchtbare Getöse, [971] wenn der Gott ihn schüttelt (vgl. σακέσπαλος Τυδεύς Il. V 126), Furcht und Flucht verbreitet haben, aber wie, wenn Zeus, der zum Kampfe nicht herabsteigt, auf dem Olymp (Il. IV 167), auf dem Ida (Il. XVII 593ff.) die A. schüttelt? Wie kann sie in der Hand des in Wolken thronenden, nicht sichtbaren Gottes dem geängstigten Sterblichen anders erscheinen, als eine Wetterwolke? Vgl. Il. V 186 νεφέλῃ εἰλυμένος ὤμους und Od. XIV 479 σάκεσιν εἰλυμένους ὤμους, auch Il. XI 527. XIV 372. 377 etc.; in Il. XVIII 204ff. überbietet ein ungeschickter Dichter den ursprünglichen in der Ausmalung des schrecklichen Achilleus und zerstört oder beeinträchtigt dadurch die Wirkung, die die Verse ohne das Stück 202–215 u. 225–227 haben würden; noch wunderlicher ist Od. XXII 297f., wo weder Schild noch Wolke einen Sinn hat. Man braucht die Wetterwolke nicht als die ursprüngliche Bedeutung zu nehmen, aus der die andere des Schildes erst abgeleitet ist, ebensowenig wie man Natursymbolik braucht, um die Pfeile Apollons bei Homer zu erklären. Beide Vorstellungen sind gleichzeitig, und keine widerspricht der andern. Wenn der mächtigste Gott seine Waffe hoch im Aether schüttelte, dann türmten sich die Wolken, aus denen Blitze zuckten, und ballten sie sich am finstern Himmel zusammen, dann sah die Phantasie des kindlichen Volkes den Gott den „finstern“ (Il. IV 167) Schild schütteln, der so gewaltig war, wie er selbst, wenn er den Olymp erbeben macht durch das Nicken seines Hauptes, und wie die andern Götter, die im Sturze sieben Hufen Landes bedecken (Il. XXI 407), wie zehntausend Krieger schreien (Il. V 860), und mit der einen Hand die Erde, mit der andern das Meer fassen (Il. XIV 272). Dass in späterer Zeit (vgl. Verg. Aen. VIII 352ff. Sen. Agam. 548ff. Sil. Ital. XII 720) die A. immer mehr mit Gewittererscheinungen zusammengebracht wird, kann natürlich für die älteste Vorstellung der Griechen gar nichts beweisen.
Abzuleiten ist A. von ἀΐσσω stürmen, von derselben Wurzel, aus der auch αἴξ, das Springtier, die wilde Ziege, stammt (vgl. Aisch. Cho. 584. Hesych. s. αἶγες, αἰγίς, αἰγίζειν. Schol. B zu Il. II 157. Buttmann Über d. Entstehung der Sternbilder in d. Abh. der Berl. Akad. 1826, 40ff. und mehr bei Preller-Robert Griech. Myth. I 119, 4). Die spätere Etymologie leitete A. von αἴξ, Ziege, ab (vgl. Herod. IX 189) und erklärte die A. für ein Ziegenfell (αἰγίς = Ziegenfell z. B. Eur. Kykl. 360), das denn auch bisweilen an Stelle eines Schildes zum Schutze gedient haben sollte (vgl. Paus. IV 11, 1. Schol. Apoll. Rhod. I 324). Dichter fabelten, dass Zeus sich des undurchdringlichen Felles der Ziege Amaltheia im Kampf gegen die Titanen bedient habe (Musaios im Schol. zu Il. XV 229. Eratosth. Catast. XIII p. 102 Rob. Hygin. Poet. Astr. II 13). Andere (Diod. III 70, vgl. Cic. n. d. III 59. Clem. Protr. p. 24. Tzetz. ad Lykophr. 335) erzählten, dass die A. ein Ungeheuer wie die Chimaira gewesen sei, viele Länder verwüstet habe und endlich von Athena erlegt worden sei, die dann das Fell als Harnisch trug. „Als Tierfell erscheint denn auch die A. in der Regel auf den Bildwerken, während andererseits [972] die schachbrett- oder schuppenartige Ornamentierung der Aussenseite an Metallverzierungen erinnert; niemals fehlen die umsäumenden Schlangen, welche offenbar den in der Ilias erwähnten Troddeln entsprechen“ (Preller-Robert Griech. Myth. I 120f.). Wie bei Homer trägt auch auf den bildlichen Darstellungen Zeus – und zwar auf der ältesten, einer archaischen ionischen Gigantenvase (Mon. d. Inst. VI/VII 78), Schild mit Gorgoneion und θύσανοι – (Overbeck Kunstmyth. II 243ff. und mehr bei Daremberg et Saglio Dict. I 103), vor allem aber Athena die A. (die altertümliche Statue in der Villa Albani Clarac Musée 472, 898 B. Winckelmann Mon. ined. I nr. 17. Müller-Wieseler Denkm. der alten Kunst I 34; die Athena Velletri Müller-Wieseler II 204. Clarac 851; eine Statue in Cassel Müller-Wieseler II 210; Athena von Herculanum Millingen Uned. Mon. sér. II pl. 7; von Vasenbildern das schwarzfigurige attische Athena und Enkelados Lenormant und de Witte Élite des mon. céramograph. I 8). Ob auch Apollon von den Künstlern mit der A. dargestellt wurde, ist zweifelhaft (vgl. die Litteratur über den Apollon Stroganoff bei Preller-Robert a. a. O. I 295, 3). Die Darstellung ist übrigens nicht immer dieselbe geblieben. Auf den älteren Denkmälern ist die A. ein grosses mantelähnliches Fell, das über die Schultern geworfen einen Teil der Brust bedeckt und weit auf den Rücken herabhängt. Über den linken Arm geschlagen, kann sie als Schild dienen. Die späteren Künstler bilden sie wesentlich kleiner, eng an der Brust anliegend, das Gorgoneion medaillonartig (vgl. M. Mayer Arch. Jahrb. VII 198). So namentlich auf Gemmen und Münzen, wo wir sie als Attribut der Ptolemaier (Visconti Icon. grecqu. pl. 53. Müller-Wieseler I 226) und der ersten römischen Kaiser (Trés. de numism. Iconograph. des emper. pl. V 1. pl. XII. Müller-Wieseler I 378. Clarac V pl. 933 nr. 2371. Hübner Ant. Bildw. in Madrid nr. 201) finden. Wie früh spielerische Umgestaltungen stattfanden, zeigt am besten die Athena der Pergamenischen Bibliothek aus dem fünften Jahrhundert (Puchstein Arch. Jahrb. V 95).
Litteratur: Welcker Griech. Götterl. I 167. Preller-Robert Griech. Myth. I 119ff. Roscher Gorgonen 124f.; Mythol. Lexik. I 150f. Bader in Jahrb. f. Phil. 1878, 578ff. Stengel ebenda 1882, 518ff. 1885, 80. Daremberg et Saglio Dict. I 101ff. mit besonderer Berücksichtigung der bildlichen Darstellungen und einer Reihe von Abbildungen.