RE:Agyieus 2
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Steinsymbole des Apollon sowie Bezeichnung eines Strassenaltars | |||
Band I,1 (1893) S. 910 (IA)–913 (IA) | |||
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2) Name der „Steinsymbole“ des Apollon und kürzere Bezeichnung des ἀγυιεὺς βωμός, des Strassenaltars. Diese beiden Bedeutungen sind in alter und neuer Zeit vielfach durcheinander geworfen worden.
a) Wie in andern griechischen Kulten, so war auch in dem des Apollon die Verehrung von Steinen als ‚Fetischen‘, als Sitzen, dann als ‚Symbolen‘ (in irriger Auffassung als ‚Bildern‘) der Gottheit seit alters üblich (s. ἀργοὶ λίθοι). Insbesondere ist bei den Apollonverehrern hiefür die Form der Spitzsäule oder des Spitzpfeilers ausgebildet worden (ob unter semitischem Einfluss mag dahingestellt bleiben). Steine solcher Gestalt galten daher später vorzugsweise als Symbole des Apollon – die Beziehung auf Dionysos (Harpokr. Suid.) ist erfunden –, wenn auch die Säule und der pyramidenförmige Stein daneben auch im Kulte anderer Gottheiten, wie der Hera (Phoronis frgm. 4 Kinkel bei Clem. Alex. Strom. I p. 418 Pott.), des Zeus (zu Sikyon Paus. II 9, 6), insbesondere der Artemis (Πατρῴα in Sikyon Paus. II 9, 6; vgl. Bötticher Baumcult 77, 74) begegnet; vgl. auch das paphische ‚Idol‘ der Aphrodite, Head HN 628, und Analogien bei Ägyptern und Semiten (Schreiber Brunnenreliefs aus Pal. Grimani 56). Derartige apollinische Steine sind für Attika, für zahlreiche Städte in Akarnanien und Illyrien, für Megara und Byzanz (s. u.) bezeugt; sie waren offenbar einst sehr weit verbreitet, auch in dorischen Städten (Dieuchidas frgm. 2 bei Harpokr. und Schol. Arist. Vesp. 875), ohne deswegen als dorische Eigentümlichkeit gelten zu dürfen (Müller Dorier I 302). Dass auch in Delphi Apollon in Gestalt einer Säule verehrt worden sei, soll der Dichter der Europia bezeugt haben (nach Clem. Alex. Stromat. I p. 418 P.), doch können die dafür angeführten Verse (Eumelos frgm. 11 Kinkel) dies nicht beweisen. Natürlich ist in späterer Zeit das rohe Steinsymbol in dem Tempelkult fast allerorts durch statuarische Apollonbilder verdrängt worden; doch erhielt es sich in Hainen und auf öffentlichen Plätzen, insbesondere aber im einfacheren und stärker conservativen Hausgottesdienst. Es war insbesondere in Athen vielfach Sitte, den Stein des Apollon Πατρῷος wie einen Fetisch, der allen bösen Zauber abwehren soll, vor dem Hauseingang aufzustellen (Herodian II 889, 28. Schol. Ar. Vesp. 875. Harpokr. Bekker Anecd. 331); von den verschiedenen Eigenschaften des Gottes trat hiebei einerseits die des ἀλεξίκακος und ἀποτρόπαιος, andrerseits – mit Rücksicht auf den Standplatz auf der Strasse – die des ἐφόδιος (Herodian II 889, 28), φύλαξ τῶν ὁδῶν (Schol. Eur. Phoen. 631), ἀγυιεύς, ἀγυιάτης, θυραῖος, προστάτης, προστατήριος, προπύλαιος [911] (Preller-Robert Griech. Mythol. I 276) am stärksten hervor. Wenn es so leicht erklärlich ist, dass gerade an der altertümlichen Spitzsäule vorzugsweise der Name A. haftete, so ist doch die Annahme durchaus irrig, dass Apollon dort, wo ihm der Beiname A. allein oder vorzugsweise gegeben wird (vgl. ἀγυιάτιδες θεραπεῖαι Eur. Ion 187), wie in Athen, Korinth, Megalopolis, Tegea und anderwärts (s. Nr. 1) immer nur in solcher Gestalt dargestellt worden sei; eine Statuenbasis des Apollon Ἀ. Ἀλεξίκακος (CIA III 177; vgl. Pittakis Anc. Athènes 503), eine andere des Apollon Ἀ. Προστατήριος, Πατρῷος, Πύθιος, Κλάριος, Πανιώνιος (CIA 175; vgl. v. Sybel Sculpturen zu Athen nr. 2527) sind in Athen gefunden worden; Pausanias spricht (VIII 53, 3) von vier ἀγάλματα des A., also doch wohl ganzen Statuen, während das σχῆμα τετράγωνον des A. (Pausan. VIII 32, 4) auf Hermenform deutet. Auch den Apollon, welcher vor den Theaterpalästen aufgestellt war, wird man in ganzer Figur, nicht als Spitzsäule zu denken haben; vgl. Aesch. Agamemn. 1033 (ἀγυιάτης; vgl. 487). Soph. El. 637. 645 (προστατήριος, Λύκειος; vgl. 1373); Oed. R. 919 (Λύκειος). Eurip. Phoen. 631 (Ἀγυιεύς); ob die alten Erklärer mit Recht den Apollon, der vor den Bürgerhäusern der Komödie erwähnt wird, überall als Spitzsäule beschreiben, kann demnach ebenfalls zweifelhaft erscheinen; vgl. Eupolis frg. 390 Kock. Pherekrates frg. 87. Aristoph. Vesp. 875; Thesmoph. 488 (wenn hier nicht nur an einen Altar zu denken ist, s. u.). Plaut. Bacch. 172. Dasselbe gilt von der Gestalt des A. in Korinth (Paus. II 19, 8) und des in einer Inschrift von Troizen genannten A. (Le Bas-Foucart 157a), wenn es auch in letzterem Fall nahe liegt, an eine Spitzsäule zu denken.
Über die Gestalt der A. genannten apollinischen Steine geben einige Grammatikernachrichten und Münzbilder näheren Aufschluss; von ersteren wird der A. als κίων ἐς ὀξὺ λήγων (Harpokr. Bekker Anecd. 331. Suid. Herodian II 889, 28. Schol. Eur. Phoen. 631. Schol. Aristoph. Vesp. 875), als κωνοειδὴς κίων (Suid. Zonaras I p. 20 Dind.), oder als ὀβελίσκος (Hesych. Herodian I 240, 22. Schol. Aristoph. Vesp. 875) bezeichnet (die Erklärung des A. als Apollon τετράγωνος Schol. Arist. Thesm. 489 beruht wohl auf einer Verwechslung des A. mit den Hermen; vgl. Schol. Demosth. XXI 52); als λίθος παρεχόμενος πυραμίδος σχῆμα οὐ μεγάλης wird der Apollon Καρινός in Megara (Paus. I 44, 2) beschrieben. Auf Münzen von Megara erscheint ein Obelisk zwischen Delphinen (Head HN 330. Gardner und Imhoof-Blumer Journ. of hell. stud. 1885 T. A VIII), der auf diesen Apollon bezogen wird, in dessen Nachbarschaft übrigens auch ein Apollon προστατήριος (Paus. I 44, 2. Athen. Mitt. VIII 189ff.) verehrt wurde. Ähnliche Gestalt haben die Apollosteine der Münzen von Orikos und Apollonia (Head HN 265f.); als spitzzulaufende Säule mit einem ringartigen Wulst im unteren Drittel ist der A. auf Münzen von Ambrakia dargestellt (Head HN 270). Als A. ist wohl auch die auf runder Basis stehende Spitzsäule mit eiförmigem Aufsatz (daneben im Feld ein Dreifuss) auf Münzen von Byzanz (Mionnet [912] Supplém. II 241, 261. Svoronos Ἐφημ. ἀρχ. 1891 T. I 5 [Revers: Apollonkopf]) zu erklären, welche Svoronos auf die Obelisken im byzantinischen Hippodrom (Hesych. Mil. IV p. 153 Müller) deutet. Vgl. Overbeck Gr. Kunstmythologie V (Apollo) 1ff. T. I. Aus localen Beziehungen zum Apollonkult erklärt es sich leicht, dass der A. (ähnlich wie anderswo eine Herme) als Zielsäule in Rennbahnen verwendet werden konnte. In der That hat die meta vollkommen die Gestalt des A., wie ja Tacitus (Hist. II 3) auch die kegelförmige Steinsäule der paphischen Aphrodite mit einer Zielsäule vergleicht. Auch die sogenannte Meta in Villa Albani (Helbig Führer durch d. röm. Antikensamml. II nr. 700) giebt vollkommen die Form eines A. wieder, ohne bei ihrem rein decorativen Charakter Anspruch auf diesen Namen zu haben; vgl. Panofka Dionysos und Thyiaden T. 3, 9. Bötticher Baumcult 161. Die apollinischen Spitzsteine mögen wie andere ἀργοὶ λίθοι (s. d.) gelegentlich mit Libationen begossen und mit Öl oder Fett bestrichen worden sein; die Münzbilder von Ambrakia und die sogenannte Meta Albani zeigen, dass sie auch mit Kränzen und Tänien behängt wurden. Dass sie aber je als Träger von Brand- oder Speiseopfern gedient hätten, ist durchaus unwahrscheinlich; denn wenn es auch manchmal vorkam, dass Fetischsteine, ihrer ursprünglichen Kultidee entgegen, späterhin als Altäre verwendet wurden, so war dies doch bei den Spitzsäulen schon durch ihre Form so gut wie ausgeschlossen; vgl. Wieseler Ann. d. Inst. 1856, 223. Sehr mit Unrecht hat man daher diese Spitzsteine auf Grund einer unklaren Nachricht bei Hesychios (ἀγυιεὺς ὁ πρὸ τῶν θυρῶν ἑστὼς βωμὸς ἐν σχήματι κίονος) mit den anderweitig bezeugten Strassenaltären (s. unter b) identificiert (so Welcker Griech. Götterl. I 495. Daremberg et Saglio Dict. d. antiq. I 169 u. A.).
b) Ἀγυιεὺς βωμός, der „Strassenaltar“, bei den Attikern ebenfalls kurzweg ἀγυιεύς genannt; vgl. Harpokr. (mit Belegstellen aus Kratinos, Menander, Sophokles). Suidas. Zonar. Lex. Bekker Anecd. 332, 6. Schol. Aristoph. Vesp. 875. Nigidius bei Macrob. S. I 9, 6. Varro bei Porphyr. zu Hor. Carm. IV 6, 28. Helladios bei Photios Bibl. 279 p. 535b Bekker. Diese Strassenaltäre sind alle (oder doch die meisten) als Hausaltäre zu betrachten; sie gehören zu den Häusern, vor deren Thüren sie stehen (vgl. Petersen Hausgottesdienst d. Griechen 14f.) und dienen dem Apollonkult, der ja hier seinen Platz hatte; sie werden in späterer Zeit nicht selten an Stelle der Spitzpfeiler getreten sein oder auch neben diesen, insbesondere aber neben den hier errichteten Statuen des Apollon (s. o.) aufgestellt worden sein. Nach Poll. IV 123 stand vor den durch die Theaterskene dargestellten Häusern gewöhnlich ein solcher Altar (vgl. Plaut. Merc. 668); er wird neben der Apollonstatue vor dem Palaste der Tragödie vorausgesetzt bei Soph. El. 634, wohl auch Oed. R. 919 und Eurip. Phoen. 274. 631; vgl. Soph. Laok. frgm. 340 N. Natürlich haben diese βωμοὶ ἀγυιεῖς dieselbe Form gehabt wie andere für Brandopfer bestimmte Altäre (s. d.); einen einfachen viereckigen Altar vor einem Theaterhause zeigt das Vasenbild Berlin 3046 = [913] Wiener Vorlegebl. Ser. III T. 9, 2; vgl. das Terracottarelief Ann. d. Inst. 1859 T. O. Helbig Führer durch die röm. Antikensamml. II S. 378 (Reisch). Gleiche Form scheinen (nach den Angaben von Pittakis Anc. Athènes 298. 503) der von den Pyloren bei den Propylaeen errichtete Altar des Apollon Ἀ. (CIA III 159) und der mit der Statue des Apollon Ἀ. ἀλεξίκακος (CIA III 177) verbundene Altar gehabt zu haben. Dass solche Strassenaltäre gelegentlich rund waren, wie Helladios bei Photios 535b (159b) behauptet, ist wohl möglich; doch bleibt es fraglich, ob die Nachricht des Hesychios (ἀ. βωμὸς ἐν σχήματι κίονος) hieherbezogen werden darf und nicht vielmehr auf Verwechslung mit dem Spitzpfeiler beruht. Keinesfalls aber darf man die Säulenstumpfe und Trommeln, die manchmal vor den Häusern liegen (vgl. Benndorf-Schöne Bildwerke des Lateran nr. 439b. 549a) mit Wieseler Ann. d. Inst. 1858, 223 als solche βωμοὶ ἀγυιεῖς erklären; vgl. O. Jahn Handwerk und Handelsverkehr (Abh. Akad. Lpzg. V 1870) 298, 144. Ob die Formel κνισᾶν ἀγυιᾶς (Demosth. XXI 51. XLIII 66. Aristoph. Eq. 1320; Av. 1233. Luk. Prometh. 19) auf die Altäre zu beziehen sei (vgl. das delphische Orakel bei Demosth. XXI 52) oder vielmehr als κνισᾶν ἀγυιάς zu erklären sei, darüber sind sowohl die alten, als die modernen Erklärer in Streit. Auch sonst kann es mehrfach zweifelhaft erscheinen, ob ἀ. als Spitzpfeiler oder als ἀ. βωμός zu deuten sei; z. B. Aristoph. Thesm. 489.