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RE:Aerarius 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Steuerzahler, römische Bürger ohne Grundbesitz
Band I,1 (1893) S. 674 (IA)–676 (IA)
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Aerarius. 1) Seiner Grundbedeutung nach s. v. a. ‚steuerzahlend‘ oder ‚steuerpflichtig‘, wird A. in Rom im technischen Sinn, soweit litterarische Quellen vorliegen, für jene Bürger verwendet, die durch censorische Strafe, sei es aus allen Tribus, sei es, was später die Regel war, aus einer ländlichen in eine städtische versetzt worden waren: tribu movere et aerarium facere; der Scholiast zu Cic. div. in Caec. 103 Or. nennt dies in Caeritum tabulas referre (die Censoren cives sic notabant: … qui plebeius (esset), in Caeritum tabulas referretur et aerarius fieret, vgl. Gell. XVI 13, 7. Strab. V 220) und erklärt es übereinstimmend mit der Angabe des Schol. Cruq. zu Horat. Ep. I 6, 62 dahin, dass ihnen das Stimmrecht gefehlt habe (Schol. Cic.: per hoc non esset in albo centuriae suae, sed ad hoc non esset civis tantummodo, ut pro capite suo tributi nomine aera praeberet [der geistreiche Änderungsvorschlag Mommsens St.-R. II³ 392, 2 ist wohl unnötig], Schol. Horat.: Caeritibus devictis iterumque civitate donatis ius suffragiorum ademtum est, Gell.: notae causa suffragiis privabant) und dass sie separat besteuert wurden (Schol. Cic.: tantummodo, ut pro capite suo tributi nomine aera praeberet, Schol. Horat.: censusque eorum in tabulas relati a ceterorum censibus remoti sunt); ein Beispiel hiefür ist die Bestrafung des Mam. Aemilius, den die Censoren, da er als Dictator 320 = 434 das Gesetz über die Herabsetzung der Amtsdauer der Censur auf 18 Monate rogiert hatte (Liv. IV 24, 7), tribu moverunt octiplicatoque censu aerarium fecerunt.

[675] Aber durch den Vergleich der aerarii und der Caerites, über welche diese ungünstige Rechtsstellung als Strafe für einen Aufstand 401 = 353 verhängt worden war, also aus einer Zeit, da die aerarii schon lange im römischen Staatsrechte bestanden, wird die Entstehung dieser Institution nicht erklärt; und da sonst keine Anhaltspunkte dafür in der Überlieferung sich finden, sind wir lediglich auf Combinationen angewiesen. Die Meinungen der Forscher gehen hier sehr auseinander; vgl. besonders Becker Handbuch II 1, 183ff. Lange Alt. I³ 468. Willems le droit public Rom.⁵ 105, 3. Mommsen Tribus 162ff.; St.-R. II³ 392, 3. Madvig Verf. I 122. 409. Mommsens Hypothese ist am wahrscheinlichsten und consequentesten auf einer Vermutung Niebuhrs aufgebaut.

Allem Anscheine nach ist der A. so alt als die servianische Verfassung. Er ist der römische Bürger ohne Grundbesitz, der nur als Steuerzahler für den Staat in Betracht kommt, nicht auch als wehrpflichtiger und stimmberechtigter Mann, der daher auch nicht in der Tribus steht. Ferner wurden von den Censoren an die Verzeichnisse der A. auch die Bürger jener Gemeinden römischen Rechts angeschlossen, denen das Stimmrecht und die eigene Verwaltung fehlte, wie dies 401 = 353 zuerst für Caere, dann auch für Aricia, Anagnia u. a. normiert wurde. Also gehörten zu den aerarii (Mommsen St.-R. II³ 406)

  • a) die nicht grundansässigen, aber steuerfähigen Bürger (eigentliche aerarii),
  • b) die aus der Zahl der grundbesitzenden, ehrenhaften und selbständigen Bürger wegen
    • α) mangelnder Ehrenhaftigkeit (inter aerarios relati),
    • β) Dienstuntauglichkeit
  • zeitweilig oder dauernd ausgeschiedenen Bürger,
  • c) seit 401 = 353 die in Rom zur Schätzung gelangenden Halbbürger (sogenannte Caerites); ebenso späterhin die 211 v. Chr. aufgelöste Halbbürgergemeinde Capua und
  • d) die grundbesitzenden Latiner.

Durch die Reform des Censors Ap. Claudius Caecus 442 = 312 wurden die nicht grundansässigen Bürger zur Aufnahme in die Tribus, das Stimmrecht und die Wehrpflicht zugelassen, so dass der Begriff der A. bald hätte verschwinden können. Aber schon 450 = 304 beschränkte Fabius Rullianus, seitdem und deshalb Maximus genannt, die nicht grundansässigen Bürger auf die städtischen Tribus, und diese Beschränkung erhielt sich im wesentlichen wohl bis in das vorletzte Jahrhundert der Republik. Damit waren 2 Stufen innerhalb der Tribus geschaffen, und es musste als Nachteil angesehen werden, wenn man durch die Censoren aus einer ländlichen in eine städtische Tribus versetzt worden war. Die gänzliche Streichung aus den Tribus hat dadurch, thatsächlich wenigstens, so gut wie ganz aufgehört und wird (Liv. XLV 15, 4) vom Censor Claudius 586 = 168 seinem Collegen gegenüber geradezu als verfassungswidrig bezeichnet: neque enim, si tribu movere posset, quod sit nihil aliud quam mutare iubere tribum, ideo omnibus XXXV tribubus emovere posse; das Vorgehen des M. Livius, der als Censor 550 = 204 (Liv. [676] XXIX 37, 13) in persönlicher Verbitterung alle Tribus ausser der Maecia in das Verzeichnis der A. eintrug, war die That eines Unzurechnungsfähigen.

Die Bezeichnung A. haftete nunmehr vorzugsweise an der strafweisen Versetzung in die städtische Tribus und schloss darum weder Stimmrecht, noch Wehrpflicht, noch (Liv. XXIV 43, 2. Cic. pro Cluentio 120) passive Wählbarkeit aus; so wurden 540 = 214 über 2000 Iuniores, die ohne genügenden Grund sich vom Kriegsdienst freigehalten hatten, in aerarios relati tribuque omnes moti und zu den ihr Missgeschick auf Sicilien verbüssenden cannensischen Legionen abgestellt; nach de vir. ill. 50 hätte M. Livius den 34 zu A. gemachten Tribus auch den Anspruch auf Soldzahlung genommen. Auch wenn dies richtig sein sollte, wäre es gewagt, daraus oder aus der achtfachen Besteuerung jenes gewesenen Dictators Mam. Aemilius auf das Ausmass der für die A. herkömmlichen Benachteiligungen zu schliessen. Mit dem Aufhören der Halbbürgergemeinden verschwand auch das analoge Institut der Caerites. Der Begriff der A. hat sicher die römische Republik nicht überlebt und ist wohl überhaupt schon dem letzten Jahrhundert derselben fremd geblieben.

Litteratur: Pardon de aerariis, Berlin 1853. Ferner die einschlägigen Partien in den Handbüchern von Huschke, Becker, Lange, Willems, Mommsen (St.-R. II³ 402, 2 die Stellen mit den t. t.), Madvig, Herzog und Mommsen Röm. Tribus, Altona 1844, 160ff.