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RE:Abrogatio 1

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aufhebung durch Gesetz, Abrogatio magistratus = Amtsentsetzung
Band I,1 (1893) S. 111 (IA)–114 (IA)
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Abrogatio, Aufhebung durch Gesetz.

1) Abrogatio magistratus. Amtsentsetzung ist der römischen Republik in den ersten Jahrhunderten fremd und kommt erst infolge der Entwicklung der Volkssouveränität auf. Diese aber hält die Befugnis dazu für ein so unzweifelhaftes Volksrecht, dass sie dieselbe als ursprüngliches Recht hinstellt und bereits im ersten Jahre der Republik zur Anwendung gelangen lässt: der Consul L. Iunius Brutus abrogiert seinem Collegen L. Tarquinius Collatinus, sein imperium wegen seiner Zugehörigkeit zum königlichen Geschlechte; Cic. Brut. 53; de off. III 40. Obsequ. 70. Dabei ist an einen Antrag des Consuls und einen Beschluss des Volkes gedacht. Nur eine Abschwächung ist es, wenn Liv. II 2, 10 den Collatinus zur Abdankung bewogen werden lässt, und ein Versuch, die ältere Fassung mit der jüngeren zu vereinen, wenn Collatinus bei Dionys. Hal. V 12 abdankt, um die von Brutus beabsichtigte (V 10) A. zu vermeiden. Nach Liv. I 59, 11 ist bereits dem letzten Könige sein imperium von der Menge abrogiert worden, die der tribunus celerum (I 59, 7) Brutus dazu angetrieben hatte. Die wirkliche Geschichte aber kennt keine Amtsentsetzung vor dem Zeitalter der Gracchen und keinen Versuch dazu vor dem hannibalischen Kriege. Bei L. Minucius, dem Consul des Jahres 296 = 458, handelt es sich zwar schwerlich um erzwungene Abdankung (Liv. III 29, 3. Dionys. Hal. X 25), aber auch nicht um A. sondern wahrscheinlich (Mommsen St.-R. I³ 262, 2) um Suspension (Liv. III 29, 2. 3). Bei Q. Fabius, Consul 462 = 292 redet Dio (fg. 33, 30 Melber) nicht von a. imperii, an die Lange Röm. Altert. II³ 587 denkt. Liv. XXI 63, 2 spricht zwar von dem Consulate des C. Flaminius 531 = 223, qui abrogabatur, aber Flaminius war nur als vitio creatus zurückberufen (Plut. Marcell. 4. Liv. XXI 63, 7) und zur Abdankung (Zon. VIII 20) genötigt worden (Plut. Marcell. 4). Und auch 537 = 217 hat trotz der Phrase des Liv. XXII 25, 10 der Volkstribun M. Metellus (Liv. XXII 25, 3) nicht daran [112] gedacht, dem Dictator Q. Fabius Maximus sein imperium zu abrogieren. Bald aber begegnen wir solchen Versuchen in der That, die sich aber noch nicht gegen den Magistrat, sondern erst gegen den Promagistrat wenden. 545 = 209 versucht der Volkstribun C. Publicius Bibulus dem Proconsul (Liv. XXVII 7, 8) M. Claudius Marcellus sein imperium zu abrogieren, dieser verteidigt sich aber mit solchem Erfolge, dass die rogatio des Tribunen abgelehnt wird; Liv. XXVII 20, 10–21, 4; vgl. Plut. Marcell. 27. Und 550 = 204 fordert der Gegner des ProconsuL (Liv. XXIX 13, 3) P. Cornelius Scipio, Q. Fabius, aber vergeblich, im Senate, dass mit den Volkstribunen darüber verhandelt werde, ut de imperio eius abrogando ferrent ad populum; Liv. XXIX 19, 6. Sogar noch ehe das Consulatsjahr des A. Manlius 576 = 178 abgelaufen war, suchten die trib. pl. Licinius Nerva und C. Papirius Turdus eine Fortführung des imperium von seiner Seite über sein am 15. März endendes Amtsjahr hinaus, zu der er im Bereiche des imperium militiae ohnehin befugt war, auch wenn ihm sein imperium nicht, wie Livius angiebt, auf ein Jahr prorogiert war, durch eine rogatio zu verhindern, die allerdings durch tribunicische Intercession vereitelt wurde; Liv. XLI 6, 2. Zur That ist die Absicht einer a. imperii erst gegen M. Aemilius Lepidus geworden, der als Consul 617 = 137 nach Spanien gesandt worden war (Appian. Iber. 80); aber, wie es scheint, nicht schon während seines Amtsjahres, was Appian. Iber. 83 behauptet (Ῥωμαῖοι … τὸν μὲν Αἰμίλιον παρέλυσαν τῆς στρατηγίας τε καὶ ὑπατείας καὶ ἰδιώτης ἐς Ῥώμην ὑπέστρεφε), sondern erst nach Ablauf desselben, so dass es sich auch hier nicht um A. des Consulats, sondern des proconsularischen imperium handelte (Liv. ep. 56 M. Aemilius Lepidus procos. adversus Vaccaeos rem gessit; Rubino Untersuchungen über röm. Verfassung 31 f.; etwas andere Wilsdorf Leipziger Studien I 105). Diese zum erstenmal wirklich vollzogene a. imperii ist schwerlich ohne Einfluss auf die wenige Jahre später zum erstenmal erfolgte A. der tribunicia potestas gewesen; M. Octavius trib. pl. 621 = 133 wurde, da er weder seine Intercession gegen das sempronische Ackergesetz aufgab, noch freiwillig abdicieren wollte, auf Antrag des trib. pl. Ti. Sempronius Gracchus durch Plebiscit seines Amtes enthoben; Appian. b. c. I 12. Plut. Ti. Gracch. 12. Cic. pro Mil. 72; de leg. III 24; de nat. deor. I 106. Ascon. in Cornel. p. 64 K.-S. Liv. ep. 58. Oros. V 8, 3. Obsequ. 70. Dio XLVI 49, 2. Vell. II 2, 3. Ps. Victor vir. ill. 64, 4; nur Florus II 2, 5 spricht irrtümlich von erzwungener Abdankung des Octavius. Die Rechtskraft dieser Amtsentsetzung ist nicht bestritten worden. Das Consulat wurde zuerst dem L. Cornelius Cinna 667 = 87 abrogiert (Liv. ep. 79. Plut. Marius 41) und zwar nicht vom Volke, sondern vom Senat (Appian b. c. I 65. Vell. II 20, 3). Aber auch die Tribunen nahmen den Consuln gegenüber das gleiche Recht in Anspruch, das Ti. Gracchus gegen seinen Collegen geübt hatte. Sie drohten dem Cn. Papirius Carbo, Consul 670 = 84, mit Amtsentsetzung, wenn er nicht – was er dann auch that – nach Rom käme, um die [113] Nachwahl eines Collegen vorzunehmen. Wem das Volk sein imperium abrogiert hatte, dem hatte die lex Cassia des trib. pl. L. Cassius Longinus v. J. 650 = 104 auch den Sitz im Senate entzogen; Ascon. in Cornel. p. 69 ut quem populus damnasset cuive imperium abrogasset, in senatu ne esset. Seine Spitze richtete dies Gesetz zunächst gegen Q. Servilius Caepio, Consul 648 = 106, der als Proconsul 649 = 105 die Niederlage bei Arausio verschuldet hatte, deretwegen das Volk ihm sein imperium abrogierte (Liv. ep. 67. Ascon. in Cornel. p. 69; vgl. Cornific. ad Herenn. I 24).

In den letzten Jahrzehnten der Republik sind Amtsentsetzungen noch mehrfach vorgekommen oder wenigstens beabsichtigt worden. Der trib. pl. L. Trebellius, der 687 = 67 gegen die lex Gabinia de piratis persequendis intercedierte, vermied das Schicksal des M. Octavius nur dadurch, dass er, nachdem 17 Tribus sich für seine Entsetzung ausgesprochen hatten, seine Intercession aufgab, ehe die Stimme der 18. seine A. vollzog; Ascon. in Cornel. p. 64. Dio XXXVI 30, 1. 2. Als C. Lucilius Hirrus 701 = 53 die Dictatur des Pompeius in Anregung brachte, lief er Gefahr, seines Tribunates enthoben zu werden; Plut. Pomp. 54. Caesar liess 710 = 44 den Tribunen C. Epidius Marullus und L. Caesetius Flavus durch ihren Collegen C. Helvius Cinna ihre potestas abrogieren (Liv. ep. 116. Dio XLIV 10, 3, vgl. XLIV 9, 3. XLVI 49, 2. Obsequ. 70) und 711 = 43 lässt der Tribun P. Titius seinen Amtsgenossen P. Servilius Casca entsetzen; Dio XLVI 49, 1. 2. Obsequ. 70. Auch gegen Promagistrate wurde nach wie vor die A. angewandt. Sie traf, von einem Tribunen promulgiert, 667 = 87 den Propraetor (vgl. Liv. ep. 79 mit Cic. pro Arch. 9) App. Claudius (Cic. de domo 83) und wurde 698 = 56 von C. Porcius Cato trib. pl. gegen den cilicischen Proconsul P. Cornelius Lentulus Spinther wenigstens beantragt; Cic. ad Quint. fr. II 3, 1. 4. Schol. Bob. in Sest. p. 313 Or. Ein praetor urbanus, Q. Gallius, verlor 711 = 43 sein Amt durch seine Collegen, die das Abrogationsgesetz beantragt haben werden. Und dem M. Antonius, der für 723 = 31 zum Consul designiert war, wurde dieses Consulat bereits 722 = 32 aberkannt (Dio L 4, 3. 10, 1. 20, 5. Appian. b. c. IV 38), woran er sich freilich nicht kehrte (Babelon monnaies consulaires I 198. 205). Wenn Antonius bei Dio L 20, 5. 6 bestreitet, dass seine Absetzung vom Volk und Senat ausgegangen sei, so motiviert er das damit, dass die (ihm ergebenen) Consuln (des Jahres 722 = 32) und andere (seiner Anhänger) Rom verlassen hätten, um nichts derartiges zu beschliessen; die Absetzung sei allein von Octavian und seinem Anhange ausgegangen, die nach seiner Ansicht für sich allein Volk und Senat nicht repräsentieren konnten. Behauptet Antonius aber, dass seine Anhänger geflohen seien, um an solchen Beschlüssen nicht teilzunehmen, so ist deutlich, dass solche Beschlüsse sowohl von seiten des Volkes als des Senates vorlagen; allein an einen Senatsbeschluss denkt Gardthausen Augustus I 1, 364. Die zugleich erfolgte Aberkennung des Triumvirates (Dio L 4, 3. 20, 5. Plut. Ant. 60) ist die einzige jemals vorgekommene A. einer constituierenden Gewalt. [114]

Auch in der Kaiserzeit ist die A. durch Gesetz noch vorgekommen und zwar im J. 70: Tac. hist. IV 47 abrogati inde legem ferente Domitiano (als praetor urbanus; Sueton. Dom. 1) consulatus quos Vitellius dederat. Kurz vorher war man anders verfahren. Als im J. 69 der Consul A. Caecina Alienus von Vitellius abgefallen war, war er einfach als des Consulates verlustig betrachtet worden und an seine Stelle war Rosius Regulus sufficiert worden; adnotabant periti numquam antea non abrogato magistratu neque lege lata alium subfectum Tac. hist. III 37.

Der magistratische Character des Principates tritt auch darin deutlich zu Tage, dass der Princeps nicht etwa blos thatsächlich beseitigt, sondern in den Formen des Rechtes abgesetzt werden kann. Dies Recht steht dem Senate zu, der von ihm im J. 68 gegen Nero (Sueton. Nero 49. Plut. Galba 7), 193 gegen Didius Iulianus (Dio LXXIII 17, 4. 5. Herodian. II 12, 3. 6. 7) und 238 gegen Maximinus Thrax und seinen Sohn Maximus (Hist. Aug. Maximini duo 14, 4. 5. 15, 2) Gebrauch gemacht hat.

Mommsen St.-R. I³ 628ff. II³ 1132f. Lange Röm. Altert. II³ 711–713. 732. III² 129. 547.