Ταυροκαθάψια. Von den Stierspielen sind am besten und seit jeher bekannt die sog. Τ., die thessalischen Ursprungs waren (Plin. n. h. VIII 182; vgl. Artem. oneir. I 8. Sueton. Claud. 21 und die Münzen von Larissa, die seit dem 5. Jhdt. einen stierbändigenden Jüngling als Abzeichen führen), später aber sich nicht nur über die griechische Welt, besonders Kleinasiens verbreiteten (Ephesos: Artem. a. O., Smyrna CIG 3212, Sinope: CIG 4157, Aphrodisias in Karien: CIG p. 1109 nr. 2759 b, Ancyra: CIG 4039), sondern seit Caesar (Plin. a. O.) auch ein beliebtes Schauspiel für die Römer wurden. Es handelte sich dabei, anders als bei den heutigen spanischen Stierkämpfen, in erster Linie nicht um das Töten, sondern um das Einfangen und Bändigen der Stiere: diese wurden, wenigstens in späterer Zeit, von berittenen Jünglingen zunächst gehetzt, und das Hauptkunststück war dann, zugleich Höhepunkt des ganzen Schauspiels, sich vom Pferde auf den Hals oder Rücken des ermatteten Stieres zu schwingen; vgl. die genaue Schilderung bei Heliodor. Aethiop. X 30 ὁ γὰρ δὴ – – εἰς ὅσον εἶχετάχους ἐφεὶς τῷ [25] ἵππῳ χρήσασθαι καὶ προφθάσαντα μικρὸν τὰ στέρνα τῇ κεφαλῇ τοῦ ταύρου παρισῶσαι (περισῶσαι cod.), τὸν μὲν ἄνετον φέρεσθαι μεθίησιν μεθαλάμενος, ἐπιρρίπτει δὲ ἑαυτὸν τῷ αὐχένι τοῦ ταύρου καὶ τοῖς κέρασι τὸ ἑαυτοῦ πρόσωπον κατὰ τὸ μεταίχμιον ἐνιδρύσας, τοὺς πήχεις δὲ οἱονεὶ στεφάνην περιθεὶς καὶ εἰς ἅμμα κατὰ τοῦ ταυρείου μετώπου τοὺς δακτύλους ἐπιπλέξας τό τε ὑπόλοιπον ἑαυτοῦ σῶμα παρ’ ὦμον τοῦ βοὸς τὸν δεξιὸν μετέωρον καθεὶς ἐκκρεμὴς ἐφέρετο, πρὸς βραχὺ μὲν τοῖς ταυρείοις ἅλμασιν ἀναπαλλόμενος· ὡς δὲ ἀγχόμενον ἤδη πρὸς τοῦ ὄγκου – – ᾔσθετο, παραφέρει μὲν εἰς τοὔμπροσθεν καὶ προβάλλει τῶν ἐκείνου σκελῶν τοὺς ἑαυτοῦ πόδας, ταῖς χηλαῖςδὲ συνεχῶς ἐναράττων τὴν βάσιν ἐνήδρευεν, und das wenigstens in der Hauptsache damit übereinstimmende anschauliche Smyrnaer Relief (Chandler Monum. Oxon. II 58, 4, danach M. Mayer Arch. Jahrb. VII 73, jetzt leider sehr verwittert), wo fünf Jünglinge in den verschiedenen Phasen der Stierjagd dargestellt sind, u. a. einer, der gerade im Begriff ist, vom Pferd auf den Stier hinüberzuspringen. Besonders wertvoll ist dies Relief dadurch, daß es die Unterschrift trägt Ταυροκαθαψίων ἡμέρα β’ (CIG 3212) und so ein urkundliches Zeugnis für die Art der Τ. bildet. Die Frage ist, ob auch die sonstigen literarischen, inschriftlichen und bildlichen Belege für Stierfeste oder irgendwelchen Stiersport sich auf die Τ. beziehen oder ob es noch andere, davon wesentlich verschiedene Veranstaltungen gab. Wohl sicher mit den Taurokathapsien zu identifizieren sind die in Inschriften von Larissa erwähnten Stierjagden (z. B. IG IX 2, 531 = Syll.³ 1059 II Siegerliste der Eleutherien, an 1. Stelle οἱ νενεικηκότες ταυροθηρία, 535 Verzeichnis von οἱ τὸν ταῦρον πεφηιράκοντες), und auch die Leistung als ταυραφέτης, für die ein Bürger aus Karyanda geehrt wird (Le Bas-Waddington 404: μετὰ δὲ ταῦτα γενόμενος ἀπὸ τῆς φυλῆς ταυραφέτης – – ἀφῆκεν τ[αύρους πλείονας· πρὸς δὲ τούτοις – –] ἀφῆκεν [ταῦρον – εἰς?] κυνήγιον τά τε κρέατα ἀπὸ τοῦ ἐρεθιζομένου ταύρου διένειμεν κτλ.) bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine ganz ähnliche Veranstaltung (vgl. die kurz aufeinanderfolgenden Worte ἀφῆκεν und κυνήγιον und den für die Stierhetze bezeichnenden Ausdruck τοῦ ἐρεθιζομένου τ.). Etwas anders muß das Urteil lauten über die Stierkämpfe, die Artemid. oneir. I 8 den Jünglingen in Eleusis zuschreibt: im Rahmen des eleusinischen Kultes der historischen Zeit war für wirkliche Stierjagden kein Platz, wohl aber bestand dort, vielleicht als Rest einstigen wilderen Brauches, die Sitte des αἴρεσθαι τοὺς βοῦς (IG II 467ff.), d. h. daß die Epheben die zum Opfer bestimmten Rinder in die Höhe hoben und zum Altar trugen (anders freilich P. Stengel Herm. XXX 339ff. und Opferbräuche 105ff., aber seine Bedenken werden meines Erachtens durch eine Münze von Nysa, auf der das Tragen eines Stieres durch Epheben dargestellt ist, endgültig widerlegt, s. die Abb. der Münze bei Cook Zeus I p. 499 und meinen Aufsatz Herm. LXVI 1931). Schwieriger ist die Entscheidung über die kretisch-mykenischen Darstellungen. Maximilian Mayer, der zuerst 1892 das ihm damals zugängliche Material
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sammelte (Arch. Jahrb. VII 72ff.), wollte sie alle auf Stierjagden wie die Τ. beziehen, aber das stark vermehrte Material, das Reichel Athen. Mitt XXXIV 1909, 83ff. nach Typen geordnet vorlegte, läßt diese einheitliche Deutung nicht mehr zu. Natürlich gab es in mykenischer Zeit Stierjagden — das wäre selbst ohne den Becher von Vaphio sicher —, die Frage ist nur, ob zwischen dem Stierfang, wie er hier dargestellt ist, und zwischen dem Fest der Τ. ein Entwicklungszusammenhang besteht, und ferner, ob alle jene Darstellungen sich wirklich auf Stierfang oder Stierjagd beziehen. Reichel hat dies meines Erachtens mit Recht bestritten. Vor allem scheint mir bei den Darstellungen, wo sich ein Mann über Kopf oder Rücken des Stieres, diesen bei den Hörner fassend, schwingt, die Deutung auf einen Stierfang sehr mißlich. Man müßte dann schon annehmen, daß der Moment abgebildet sei, wo der Stier den Mann, der ihn fangen will, in die Höhe schleudert (so in der Tat Mayer 73), aber es ist doch wenig wahrscheinlich, daß gerade ein solcher mißglückter Fangversuch mit Vorliebe dargestellt wurde. Dazu kommt, daß einmal zu der Szene eine Frau hinzugehört, die offenbar bereitsteht, um den Mann nach dem Sprunge aufzufangen (Reichel unter Typ IV). Es handelt sich also in all diesen Fällen vielmehr um eine Art Zirkuskunststück, das natürlich auch gefährlich war und sich übrigens, wie auch Reichel zugibt, aus der Übung des Stierfangs entwickelt haben mag. Anders steht es mit einer zweiten Gruppe von Darstellungen, wo ein Mann oder mehrere den Stier bei den Hörnern packen und niederzureißen suchen. Hier liegt es nahe, an den letzten Akt eines Stierfanges und an die Taurokathapsien zu denken. Das Pferd, das später bei diesen eine so große Rolle spielte, fehlt allerdings, ebenso übrigens wie auf den Münzen von Larissa, aber hier bieten sich zwei Erklärungsmöglichkeiten: entweder ist das Pferd fortgelassen, weil es bei dem Schlußakt der Stierjagd tatsächlich nicht mehr dabei war, oder es ist eben eine ältere Art des Stierfangs dargestellt, bei der man das Pferd noch nicht zu Hilfe nahm (s. Mayer 76, der auch auf die geringe Rolle hinweist, die das Pferd im mykenischen Kulturkreis spielte). Während die bisher erwähnten Zeugnisse ein doch mehr oder weniger sicheres Urteil erlauben, trifft dies für einige uns überlieferte Festnamen nicht mehr zu. Schon die Bedeutung der für Anaphe (IG XII 3, 249) und Mylasa (Le Bas-Waddington 404) bezeugten Ταυροφόνια ist durchaus zweifelhaft. Daß freilich nicht nur das Schlachten einer größeren Zahl von Stieren, also das übliche Opfer einer Hekatombe gemeint ist, schließe ich aus dem zweiten Bestandteil des Namens der auf eine besondere, nicht dem gewöhnlichen Opferritus entsprechende Handlung zu deuten scheint. Aber ob sie gerade in der Form der Τ. erfolgte, läßt sich bei dem Fehlen weiterer Nachrichten unmöglich sagen; die Analogie mit dem uralten Ritus der attischen Βουφόνια fällt leicht ein, führt aber meines Erachtens irre. Noch unsicherer ist die Erklärung der Ταυροπόλια (Hes. s. ἅ εἰς ἑορτὴν ἄγουσιν Ἀρτέμιδι) und der Ταυροχόλια (Hes. s. ἑορτὴ ἐν
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Κυζίκῳ): die ersteren gehören wohl zu der Artemis Ταυροπόλος (s. Nilsson Feste 251f.), und irgendwelche Verwandtschaft mit den Taurokathapsien ist unbeweisbar, der Name der Ταυροχόλια aber ist ganz unklar, falls er nicht überhaupt verderbt ist, wie jetzt meist angenommen wird (ich würde dann aber lieber Ταυροφόνια statt Ταυροπόλια oder Ταυροβόλια schreiben). Nichts mit den Τ. zu tun hat die milesische βοηγία (so mit Recht Haussouiller Mélanges Weil p. 147ff. gegen Bechtel Gött. Gel. Nachr. 1890, 35), und die aus der Kaiserzeit bekannten kathartischen Ταυροβόλια gehören einem völlig anderen religiösen Gebiete an.
Es bleibt endlich die Frage, ob die Taurokathapsien und die ähnlichen Stierspiele irgendwelchen sakralen Charakter trugen oder ein rein profaner Sport waren (wie es M. Mayer 78 anzunehmen scheint und für die kretisch-mykenische Zeit betont Nilsson The Kretan-Minoan religion 314). Daß sie in historischer Zeit meist mit irgend einem Götterfest verbunden waren, zeigt nicht nur die Überlieferung (s. z. B. die thessal. Inschriften, bei denen die ταυροθηρία als ein Teil der Ἐλευθέρια. erscheint), sondern entspricht auch der antiken Sitte, die auch an sich rein weltliche Veranstaltungen unter den Schutz einer Gottheit stellte. Dies wäre dann freilich eine äußerliche Verbindung, bei der sich ein religiöses Moment nur insofern geltend machen konnte, als man die Stierjagd der Gottheit weihte, in deren Kult der Stier eine Rolle spielte, und damit freilich, vielleicht wieder älteste Zusammenhänge erneuerte. Cook Zeus I 497ff. geht weiter und erkennt in dem Stiersport an sich ein religiöses Moment, das er aus der Bedeutung erschließt, die auf die Berührung der Stierhörner gelegt wird: im Horn sei die Kraft der Fruchtbarkeit enthalten, und die Jünglinge würden dieser Kraft durch Berührung des Hornes teilhaftig, die ganze Handlung sei also ein Fruchtbarkeitsritus. Wenn nun auch Cooks Argumentation ohne Zweifel höchst beachtenswert ist, besonders durch gewisse Kombinationen, die wenigstens das Mitwirken jenes religiösen Moments ziemlich wahrscheinlich machen, so ist doch meines Erachtens Vorsicht geboten, vor allem gegenüber einer so scharfen Formulierung wie: the said sports from first to last were designed to promote fertility by bringing the youthful gymnasts into direct contact with the horn of the fertilising bull. Man darf doch nicht vergessen, daß für den Mann, der einen Stier bändigen will, es natürlich und geradezu notwendig ist, ihn bei den Hörnern zu packen, das religiöse Moment also zur Erklärung keineswegs erforderlich ist. Später, vor allem in der Kaiserzeit, sind die Τ. jedenfalls ein bloßer Sport geworden, und eine gewisse Entartung zeigt sich auch darin, daß nun nicht mehr nur Bürgersöhne die Jagd ausübten, sondern auch professionelle ταυροκαθάπται niederen Standes, die CIG 2759 b mit Gladiatoren und Verbrechern in einer Reihe genannt werden.