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Quickborn. Eine Berichtigung

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Textdaten
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Autor: Klaus Groth
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Titel: Quickborn. Eine Berichtigung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 490–491
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Quickborn.

Eine Berichtigung. Von Klaus Groth.

Mit Entrüstung schreibt mir noch erst am Pfingsttage wieder ein ungenannter „alter Ditmarscher“: „Sie haben vieles über sich müssen ergehen lassen … Da lese ich z. B. in der ‚Gartenlaube‘:

‚Quickborn zeigt ausgeprägte Ortsfärbung; die Dichtungen gruppieren sich um das Dorf dieses Namens, welches einige Wegstunden nördlich von Altona liegt‘.

Ist das nicht zum Lachen? Keine Ahnung hat der Mann von der symbolischen Bedeutung der so glücklich gewählten Bezeichnung der Sammlung, sie wird ganz oberflächlich topographisch erklärt, und das Topographische noch dazu unrichtig. Zum Lachen ist das wohl nicht, sondern zum Splitter-Hagel-rasend-dull-warrn.“

So mein unbekannter Landsmann. Entrüstet bin ich selbst nun nicht über diese Irrung. Der Aufsatz über mich, in welchem sie sich findet, ist mit Liebe und Wohlwollen gegen mich geschrieben und hat mir Freude gemacht.

Ja, wenn ich über jede Irrung, die ich in den vielen Aufsätzen allein, die über mich in Veranlassung meines 70. Geburtstages geschrieben worden sind, entrüstet werden wollte, so hätte ich mir alle Freude verderben können, die ich – mehr als ich verdiente – im vollen Maße und mit dankbarem Herzen genossen habe.

Allerdings hätte Herr Eugen Wolff, der den Artikel für die „Gartenlaube“ geschrieben hat, sich gar leicht bei mir erkundigen können, ob seine Vermuthung richtig sei, daß meine Gedichte und Erzählungen ihre Ortsfärbung von dem Dorfe Quickborn bei Altona[1] erhalten, ob sie sich um diesen Ort „gruppieren“; denn er wohnt nur fünf Minuten vom „Klaus-Groth-Platz“ und ist persönlich mit mir bekannt. Er hätte dann erfahren, daß ich das Dorf Quickborn nie mit Augen gesehen, auch nicht die drei anderen in Hannover, ja nicht einmal das mir näher gelegene Quickborn in Ditmarschen, von dem mein angeführter Landsmann vielleicht eine Beziehung zu mir vermuthet – nicht ganz ohne Grund.

Vollständig recht hat mein Landsmann darin, daß der Titel meines Buches nur eine symbolische Bedeutung hat. [491] Man konnte sich ja auch über Entstehung und Bedeutung des Titels aus dem Glossar zum „Quickborn“, das ich und Prof. Müllenhoff im Winter 1854/55 zusammen ausgearbeitet haben, unterrichten.

Wir arbeiteten daran, an der Feststellung der Grammatik und Orthographie, vom Oktober bis zum April täglich jeden Abend von 5 bis 7 oder 8; dies zur Belehrung für alle, welche jetzt plattdeutsch schreiben ohne Sprachkenntnisse. -

Im Glossar der illustrierten Ausgabe vom Jahre 1856, das wir nachher verkürzt haben, steht:

„Quickborn nannten unsere Alten Orte an perennierenden Quellen. ‚Quickborn‘, sagt Neocorus, der plattdeutsche Geschichtschreiber, in seiner Chronik des Landes Ditmarschen, der damaligen kleinen einzigen noch übrigen deutschen Republik im Westen von Holstein, zwischen Elbe und Eider, im 17. Jahrhundert, ‚Quickdorn hesst sinen Namen von dem schonen Springe (von dem schönen Springquell) de to Suden (Süden) daran Dag un Nacht lopt (läuft) wo hart it frust (wie hart es auch friert).‘“

Es bedeutet also eigentlich einen lebendigen Born, eine aufsteigende Quelle, einen Jungbrunnen.

Das Adjektiv „quick“ ist dasselbe, das im Worte Quicksülwer, hochdeutsch Quecksilber (gleichsam lebendiges Silber), und ähnlichen Zusammensetzungen vorkommt. Im Englischen heißt dasselbe Wort quick lebendig, rasch, flink.

Wenn nun mein schon mehrfach citierter ditmarscher Landsmann in seinem Briefe sagt, der Name meines Buches sei „glücklich gewählt“, so wäre es richtiger gewesen, wenn er gesagt hätte: „glücklich gefunden.“ Von Wahl war für mich nicht die Rede, mir lag nichts zur Auswahl vor, sondern gesucht habe ich und nach langen Mühen und Bedenken gefunden, was ich brauchte.

Ich hatte zehn Jahre in Vorbereitung, Studien mannigfachster Art und wirklicher Ausarbeitung meiner Gedichtsammlung, fünf Jahre davon in vollständiger Einsamkeit auf der kleinen Ostseeinsel Fehmarn (oder Femern, wie Eugen Wolff richtig schreibt) gebraucht. Ich wußte sehr wohl, was ein treffender Name für eine solche eigenartige Sammlung für einen Werth hat. Seit mein alter Freund und Landsmann, der berühmte Kanzelredner Klaus Harms, der später das Vor- und Fürwort zu meinem „Quickborn“ geschrieben, sein vortreffliches Volks- und Schullesebuch „Gnomon“ herausgegeben, kam mir der Anfang seines Vorwortes nicht aus den Gedanken: „Man liebt kurze Büchertitel.“

So ging ich denn ernsthaft auf die Suche nach einem kurzen Titel für mein Buch. Wie ich das angestellt habe, würde unter den Lesern der „Gartenlaube“ nur diejenigen interessiren können, die etwas Aehnliches vorhätten. Nur so viel sei ihnen mitgetheilt, daß es schwerer war, als sie sich wohl denken, nachdem ihnen das Ergebniß in zwei Silben vorliegt. Als Beweis der Schwierigkeit habe ich viele Jahre einen großen Foliobogen aufbewahrt, der sich vielleicht noch unter meinen Papieren findet, der ganz bedeckt ist mit versuchsweisen Titeln, mit vorhandenen, die mir einfielen oder die ich aufstöberte, und mit Nachahmungen solcher für meinen Zweck. Endlich blieb ich an dem schönen alten Worte „Quickborn“ hängen und hatte nur das eine Bedenken dabei, daß man den Titel vielleicht als anmaßlich ansehen würde: man denke: ein Dichter wagt es, sein Erstlingswerk einen Jungbrunnen zu nennen! Aber ich beschwichtigte meine Zweifel und Bedenken mit dem Gedanken, daß die wenigsten Leser überhaupt nachdenken und die allerwenigsten die Wortbedeutung der seltsamen Bezeichnung ahnen würden. Dann kam mir doch jedenfalls die Kürze und der seltsame Klang zu Nutzen: man behielt den Titel im Gedächtniß. Ich hatte recht. Unter Hunderten von Lesern schlug auch kaum einer im Glossar nach, um die Bedeutung des Wortes zu erfahren. Denn selbst nähere Freunde und geborene Plattdeutsche, Landsleute von mir haben mich zu Dutzenden gelegentlich gefragt, was eigentlich „Quickborn“ besage.

Aus Vorsicht schrieb ich doch noch an Klaus Harms um seine Meinung. Der aber war mit meiner Titelwahl gar nicht einverstanden. Ganz im Gegensatz zu seiner im „Gnomon“ geäußerten Ansicht über kurze Büchertitel schlug er mir vor, meine Sammlung zu benennen: „Ditmarschen, as et sprickt un wrickt, levt un wevt“ oder so ungefähr, und äußerte als Hauptbedenken gegen den „Quickborn“, daß die Leser dabei an unser Dorf in Ditmarschen denken würden.

Nachdem ich mir das überlegt hatte, blieb ich doch bei meiner Wahl. Denn, sagte ich mir, wie viele kennen wiederum das Dorf Quickborn? Und was schadet’s, wenn sie denken, wie jetzt Eugen Wolff? Also so kam mein Buch zu seinem Namen, der ihm nicht geschadet hat.

Nun will ich aber noch gestehen, daß ich selbst allerdings einen Nebengedanken an das Dorf Quickborn in Ditmarschen bei der Wahl des Namens hatte. Mein Vater Hartwig Groth in Heide war der einzige von einer Reihe Brüder nachgebliebene Sohn meines Großvaters Klaus Groth. Der wiederum war einziger Sohn meines Urgroßvaters, welcher eine Bauernstelle im Dorfe Högen in Norderditmarschen besaß. Von ihm und seinem Bauernhofe hörte ich nur noch erzählen, u. a., daß aus der Hofstelle ein Eichbaum gestanden von einer Größe, daß in seinem hohlgewordenen Stamm ein Schweinekoben eingerichtet gewesen. Der Baum war endlich morsch geworden und gefällt, hatte aber in Stamm und Aesten soviel Holz geliefert, daß davon dem Ururgroßvater ein Abnahme- (Altentheil-) Haus gebaut worden war.

Nur bis soweit zurück konnte ich meine Ahmemreihe ohne Seitenzweige verfolgen. Auch Ur- und Ururgroßvater scheinen einzige Söhne gewesen zu sein. Aber es ging die Sage, daß die Groths ihren Ursitz in Süderditmarschen gehabt hätten. Es kamen auch in meiner Knabenzeit, allerdings ganz selten einmal, Verwandte unseres Namens zu Wagen auf einen Tag Besuch daher, die mit besonderer Auszeichnung empfangen wurden.

Bei dieser Gelegenheit hörte ich dann die Namen „Quickborn“ und „Bokholt“ (Buchholz), denn daher kamen sie, und ich habe erst später die Vermuthung gewonnen, daß dort die Wiege meiner Ahnen gestanden. Das erzählte ich, nach Erscheinen meines Buches, meinem alten Freunde Klaus Harms, der auch Müllerssohn aus Süderditmarschen war. Ich wünschte natürlicherweise Gewißheit über diese meine Vermuthung.

Er nun erzählte mir eines Tages bei einen meiner Besuche bei ihm in Kiel: „Ich bin in Quickborn gewesen, lieber Freund, habe dort noch einmal wie in der Heimath Sonntags gepredigt. Ja, ich alter blinder Mann habe noch einmal die Kirche unter Wasser gesetzt.“ Er konnte wohl mit seinem gewaltigen ganz originellen Wort auch Steinharte zu Thränen rühren. „Da habe ich auch in den Kirchenbüchern nachsehen lassen, ob ein Groth etwa aus Quickborn oder Bokholt ausgewandert und nach Högen verzogen sei. Es ist aber nichts zu finden, die alten Kirchenbücher sind bei der Eroberung Ditmarschens durch die Dänen und durch Feuersbrünste vernichtet.“

Von meinen Vorfahren über den Ururgroßvater hinaus habe ich also nicht die Spur einer Nachricht; der Krieg hat sie verwischt. Nur unser Name Groth, de Groten, mag besagen, daß wir, wie noch meine drei Söhne, ein Hünengeschlecht gewesen nach Ditmarscher Art.

Die „Ortsfärbung“, wie Eugen Wolff sich ausdrückt, „den Erdgeruch“, wie die neueren Naturalisten sich auszudrücken lieben, haben meine Dichtungen von dem Geburtsorte meiner Mutter, von Tellingstedt, einem Kirchdorfe mit etwa tausend Einwohnern, zwei bis drei Stunden Wegs im Nordosten von Heide. Wissen kann das auch ein jeder der vielen, die über mich geschrieben haben, ohne bei mir vorzufragen. Es steht ausdrücklich in den Erzählungen, die ich unter dem Titel „Ut min Jungsparadies“ herausgegeben habe, der Ort, die Umgebung, die Menschen - alles. Aber wer liest vorher die Schriften eines lebenden Dichters, über den man schreibt und urtheilt, wer gar studiert ihn, wie man es für seine Pflicht hält, zu thun, wenn man über einen lateinischen oder griechischen Autor spricht, vergleicht Ausgaben und Lesarten, Varianten, Scholien?

Mein „Quickborn“ hat zwei Theile. Wer hat den zweiten Theil gelesen, ehe er über mich schrieb, obgleich er mein bestes Idyll, den „Heisterkrog“, enthält? Mein „Quickborn“, erster Theil, hat 14 Auflagen. Wer hat sie verglichen? Ich habe Aufsätze zugesandt erhalten von Verfassern, die nur die erste Auflage gesehen haben. Das weiß ich einfach daraus, daß sie Gedichte citirt haben, die ich schon in der zweiten ausgelassen habe. Und alle sprechen über diesen ersten Theil des „Quickborn“, als wäre er ein Werk wie etwa eine Tragödie, nicht eine Sammlung, die aus Gedichten von dreißig Jahren mit Sorgfalt zusammengestellt ist. Dann heißt es: „Was der Dichter später gemacht, fällt dagegen ab.“ All nicht wahr! Aber niemand hat sich die Mühe gemacht, zuzusehen, wann denn die einzelnen Werke entstanden sind.

Doch nun werde ich selbst entrüstet, was unnöthig, denn alle haben mir wohlthun wollen und es auch gethan, trotz alledem.


  1. Daß das Dorf Quickborn bei Altona genannt ist, beruht auf einer nachträglichen mißverständlichen Einschaltung unserseits; Herr Dr. Wolff hatte in seinem Artikel nur gesagt: die Dichtungen gruppieren sich um das Dorf dieses Namens. Die Red.