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Pygmalion (Herzl)

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Textdaten
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Autor: Theodor Herzl
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Titel: Pygmalion
Untertitel:
aus: Philosophische Erzählungen, S. 53–66
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1900
Verlag: Gebrüder Paetel
Drucker: G. Bernstein
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: ÖNB-ANNO und Commons
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[53]
Pygmalion.
1887.


[55] Spangelberg,[1] der Impressario, ist wieder hier. Das heißt, ich sah ihn vor acht Tagen. Ob er sich heute in Olmütz, Petersburg, oder Lissabon aufhält, ob er für fünfundsechzig Centimes in irgend einem Bouillon Duval zu Paris tafelt, oder bei Doney in Florenz getrüffelte Kapaunen mit Champagner begießt – wer vermöchte das zu sagen? Einzelne seiner Gläubiger würden vielleicht etwas dafür geben, wenn sie es wüßten: nämlich die Exekutionskosten. Soviel ist sicher: die Heerstraße der Spießbürger geht er nicht, sondern immer querfeldein durchs Leben; gleichgültig, wem die Felder gehören. Er kennt alle Genüsse, mit Ausnahme der sogenannten Pflichterfüllung, und alle Entbehrungen, die nicht auf Tugendhaftigkeit zurückzuführen sind. An allen vier Enden der Welt hat er Philister genasführt, Weiber bethört und Händel ausgefochten. Noch heute, wo sein Rubensbart zu ergrauen beginnt, glänzen seine Augen jung und abenteuerlustig, und wenn er hoch und elastisch vorüberschreitet, schielen die Frauen wohlgefällig nach ihm hin. Ein Zug von spöttischer Ueberlegenheit ist in seinem Gesichte, denn er kennt sehr viele Träger imposanter Namen ledig des arrangirten Ansehens, das sie sich vor der gläubigen Menge geben; kennt sie von ihren Anfängen her, oder aus der schlechten Gesellschaft. Für ihn selbst ist nach wie vor der morgige Tag [56] angefüllt mit tausend wunderbaren Räthseln; er weiß nicht, wo und wovon er leben wird – und darin liegt seine ewige Jugend. In geordneten Verhältnissen wäre seine Spannkraft längst verdorben. Er fühlt sich nur wohl in der Bedrängniß und heimisch nur unterwegs. Er hat nichts, und darum gehört ihm die Welt. In farbigeren Zeiten, als es diese sind, wäre er – halb Spitzbube, halb Ritter – ausgezogen auf die wilden Streiche, hätte ein gutes Schwert für jede schlechte Sache gelüftet. Aber auch ohne Lederwamms und Raufdegen, in der bürgerlichen Tracht, die er einem vorzüglichen Londoner Kleidervirtuosen schuldig bleibt, umweht es ihn wie ein Duft von Aventiuren, der die Weiber berauschen muß. Ein Lump und Aufschneider von verführender Liebenswürdigkeit. Von seinen Gaunerstücken redet er nicht ohne Selbstgefälligkeit wie von Heldenthaten. Und wenn er der Frauen gedenkt, die ihn betrogen oder die er betrog, so schimmern seine Augen in schöner Rührung. Denn er ist auch sentimental, der Strolch. Oder ist das nur eine seiner vielen lustigen Masken, die er vorbindet zum Vertreib einer Viertelstunde? Vielleicht ist er stets aufrichtig, vielleicht lügt er immerwährend? Man weiß ja bei ihm nie, ob er scherzt oder ernsthaft redet; doch glaube ich, daß nicht alles erfunden war an der wunderlichen Geschichte, die er mir heute vor acht Tagen erzählte, als wir uns zufällig in einem Restaurant getroffen hatten und durch die stillen sommernächtlichen Straßen schlenderten. Er legte mit beseligender Vertraulichkeit seinen Arm in den meinigen und sprudelte unaufhaltsam alle seine neuen und alten Witze hervor, die bald von betrübender Geschmacklosigkeit sind, und bald zu brüskem Gelächter kitzeln.

Wir waren, ohne des Weges zu achten, aus der [57] Stadt in die Vorstadt gekommen. Er hielt plötzlich an und zwang mich dadurch auch stehen zu bleiben.

„Sakkerment!“ rief er, „das ist ja die Gegend!“ …

„Welche Gegend, Spangelberg?“

„Der Ort, wo Spangelbergs letzte Liebe begann.“

„Ah, ah! Ein Roman?“

„Jawohl. Den ich noch keiner menschlichen Seele mitgetheilt habe. Ich werde aber doch endlich anfangen müssen, ihn in mein Repertoire aufzunehmen. Es sind da ohnehin einige Nummern, die nicht mehr so recht ziehen wollen. Sie müssen wissen, ich erzähle Alles. Das aber habe ich noch nie erzählt.“

„Weil Sie es sich erst jetzt aus dem Daumen saugen?“

„Sie kennen mich bloß zur Hälfte, lieber Freund! Ich lüge nie, wenn ich keinen Vortheil darin sehe … Nein, ich schwieg von der Sache, weil sie tief gegangen ist, tief. … Ja, wie lang ist es denn schon her? … Vor fünf Jahren reiste ich mit der Sängerin Laury … Es war früher. Den Geiger Mendoza managete ich auch erst nach dieser Geschichte. Vor neun oder zehn Jahren mag es gewesen sein …“

„Sie waren noch ein Knabe.“

„Fast. Ich zählte noch nicht vierzig Spargelzeiten oder Lenze … Unterbrechen Sie mich nicht. Ich muß mich sammeln … Wie gesagt, die Erzählung steht nicht so fest, wie meine anderen. Sie genießen die Primeur … Sehen Sie, das ist die Gegend. Durch diese leblosen Gassen ging ich vor neun oder zehn Jahren, auch in einer solchen Sommernacht, mit dem Maler Mäusel. Sie wissen, der Mäusel, der sich nachher im Irrsinn erhenkte. Er hatte die fixe Idee, farbenblind zu sein, weil er die glure Farbe nicht sehe, [58] und glur sei das Allerschönste. War ein talentvoller Kerl. Schad’ um ihn! … Wir gehen also, Mäusel und ich, schlürfen mit Wollust unsere Cigarre, lassen die Weinschwere vom Souper verrauchen. Auf einmal – warten Sie, da muß das Haus bald sein – hören wir eine schöne, junge Stimme ein Lied singen. Ich mache noch einen Witz über nächtliche Ruhestörung oder dergleichen. Der Mäusel aber – der viel mehr von Musik verstand als ich – packt mich ganz aufgeregt am Arm und sagt mir: „Mensch, das ist ein Wunder von einer Stimme!“ … Ich spitze natürlich gleich die Ohren und schnuppere die Fährte auf, wie ein Jagdhund. Kurz und gut, was soll ich Ihnen da viel sagen: Ich mache das Mädchen ausfindig, dem die Stimme und die Schustersleute, denen das Mädchen gehört. Am nächsten Morgen gehen wir – Mäusel wollte durchaus dabei sein – zu dem Papa Schuster (Klimpfinger hieß er) und ich gebrauche den unscheinbaren Vorwand, mir ein Paar Stiefel zu bestellen. Lerne das Mädchen kennen – ein Entsetzen! Sie war abschreckend häßlich und ungepflegt. Lang, dürr, trotz ihrer neunzehn Jahre, waschrothe Hände, unreiner Teint, verkniffene Augen, großer Mund – ein Ekel. Und doch hatte sie etwas im Blick, das mich gleich stutzig machte.

Wie wir nachher aus der Stube, in der es nach Kleister, Armuth und Verwahrlosung roch, wieder im Freien waren – schauten wir uns an: „Nun, Mäusel, was sagen Sie? …“ Er sagte gar nichts, schnitt nur eine klägliche Grimasse, wie Einer, der etwas Widerwärtiges geschmeckt hat. Ich mache ihm spaßhafte Vorwürfe; sein gestriger Enthusiasmus koste mich ein Paar elende Stiefel und eine Illusion. Er war ganz zerknirscht, erbot sich, einen Stiefel zu tragen, und gab mir schließlich [59] den Rath, sie hinter einem Vorhang singen zu lassen … „Nein“, sage ich ihm darauf, „die wird nicht hinter einem Vorhang singen, denn sie wird, noch mehr als durch ihre Stimme, durch ihre Schönheit das Publikum hinreißen. Heute ist sie eine Vogelscheuche, ich werde sie aber in die Hand nehmen und aus ihr eine Beauté machen. Ich werde sie arrangiren. Ich kann das … „Wenn Sie mir das zeigen, Spangelberg“, sagte er, „dann sind Sie ein Meister!“ … Nun, ich konnte es zwar nicht ihm zeigen, er war nämlich inzwischen auf die glure Farbe gekommen, – aber ich habe es der Welt gezeigt. Wer etwas von meiner Kunst versteht, wird zugeben, daß es wirklich ein Meisterstück gewesen. Denn ich habe aus jener Schustertochter die Geraldini gemacht.“

„Nicht möglich, die Geraldini?“

Spangelberg streichelte den Bart, warf seine Cigarre weg, brannte sich eine neue an und wiederholte schlicht: „Wie ich Ihnen sage, mein Lieber, die Geraldini … Ich habe sie arrangirt. Ein Anderer würde das nie aus ihr gemacht haben. Es gibt ja unter meinen Kollegen oder Konkurrenten auch einige schneidige Jungens, die mir in Manchem überlegen sind. Binzer zum Beispiel, der schlechte Kerl, ist in der Intrigue hervorragender als ich. Andere sind geschickt im Erfinden neuer Coups, um die Aufmerksamkeit zu erregen. Ich arbeite meistens reell, ich biete etwas. Von den Impresarii, die sich nur in den alten Geleisen bewegen, will ich gar nicht reden. Die sind eigentlich bloß Reisemarschälle, Geschäftsführer, bessere Lakaien ihrer Künstler. Das war ich nie. Ich stehe über meinem Virtuosen, denn ich bin selber einer. Und was ist seine Kunst ohne die meinige? Er wendet sich, wenn [60] es hoch kommt, an die Kenner. Die zahlen aber, wie jener sparsame Gourmand, für den Duft der Speisen bloß mit dem Klange des Goldes. Von den Kennern allein lebt man nicht, wenigstens nicht gut, denn sie kriegen meistens Freikarten. Ich kommandire eine größere Legion: die Nachbeter! Ich führe die stürmenden Leute an die Billetschalter, wo sie sich die Kleider vom Leibe reißen lassen – einem Kunstgenuß zuliebe, dem sie ausweichen würden, wenn sie ihn gratis haben könnten. Drängen sie sich nicht, so arrangire ich das Gedränge und lasse mir von Miethlingen das Kasselokal verwüsten. Von nichts wird das Publikum so sehr hingerissen, wie von sich selbst. Das ist die brutale und alberne Selbstgefälligkeit der Massen, die so leicht zu leiten ist. Nur sind viele dieser kleinen Mittel durch die Stümper diskreditirt worden. Wenn man nicht aufpaßt, fällt man dabei hinein. So wollten einmal in Lyon einige unbezahlte Enthusiasten der Geraldini die Pferde ausspannen. Ich kenne aber dieses Volk, das am Morgen den Gegenstand seiner gestrigen Begeisterung blaguirt, in Grund und Boden lacht. Ich kam noch rechtzeitig dazu und bat die Leute im Namen der anspruchslosen Künstlerin flehend, solche Ovationen sein zu lassen. Dieser „vornehme Zug“ ging dann durch alle Blätter und wurde zu einer Riesenreklame. Ich habe mir den Coup gemerkt und ihn noch ein paarmal angewendet – bis er auch abgenützt war.

Aber davon wollte ich nicht reden … Ich ließ also die Klimpfinger’sche ausbilden, nachdem ich sie durch gute Kontrakte an mich gebunden hatte. Die Kunstfertigkeiten erlernte sie wie ein Papagei – aber was will das heißen? Sie sang richtig, doch ohne Gefühl. Den tragischen Schritt hatte sie bald heraus, aber nicht den seelenvollen Gang. [61] Es fehlte ihr die angeborene Grazie. Sie war eine Frauensperson, aber kein Weib. Und das konnten die Lehrer nicht aus ihr machen. Das konnte nur ich. Sie haben keine Ahnung, wie schwer es ist, so eine „gottbegnadete Künstlerin“ herzurichten. Der Pöbel im Parterre will trotz aller Kunsttartüfferie bei gröberen Instinkten gepackt werden. Das sogenannte „elektrische Fluidum“, das durch den Zuschauerraum zittert, ist wunderbar das gleiche bei allen Darstellungen – mag das Weiblein als Maria Stuart über die Bretter wanken oder in Gazeröckchen durch Papierreifen springen, mag das Männchen als Parforcereiter einhersprengen oder ein Frühlingslied säuseln.

Ich kam mir vor, wie der griechische König oder Bildhauer – ich weiß nicht mehr, was er war – dieser Pygmalion, der aus Elfenbein das göttliche Weib schnitzte. Ich habe aus dem Klimpfinger’schen Klotz eine Diva herausgenommen … Die meisten meiner Kollegen nehmen den Expreßzug durch die Lehrzeit; dann kommen die jämmerlichen Zöglinge abgehetzt, hungrig und ermüdet an. Ich dagegen gewöhnte die Klimpfinger an das Wohlleben, die Trägheit, die Eleganz. Ich nahm sie nach Paris. Da lernte sie sich parfümiren und kleiden. Ich brachte ihr alle Raffinirtheiten bei – von der Rosette, die den kleinen Schuh verführerisch macht, bis zu der bizarren Goldnadel, die köstlich und verwegen im duftenden Haare steckt. Und sie gedieh in meiner Pflege. Schon sah sie einem schönen Weibe täuschend ähnlich. Das gute Leben füllte ihren Körper, rundete ihre Wangen, gab ihrer ganzen Erscheinung Farbe und Glanz. Die Leute begannen sich nach ihr umzudrehen, wenn sie an meinem Arme vorüberschritt. Die Bekannten fragten mit dem bekannten Augenzwinkern, wer die interessante Person sei. Ich ließ die Herren zwinkern, [62] denn es konnte dem Mädchen nur nützen, wenn es hieß, daß sie den Spangelberg an sich fess’le. Und so kam die Geraldini – ich nannte sie schon Geraldini – zu dem Renomee, jahrelang meine – wie soll ich sagen – Gefährtin gewesen zu sein. Und wie sah es mit unserm „Verhältniß“ in Wahrheit aus? Sie ging mit mir wie ein Murmelthier mit dem Savoyarden, der es abrichtet. Sie ließ mich so kalt, so kalt! Ich sah immer noch die ungepflegte widerwärtige Schusterstochter in ihr. Auch hatte sie abscheuliche Gewohnheiten. Bis ich ihr nur das Kauen an den Nägeln abgewöhnte … für mich war und blieb sie die Klimpfinger, der Klotz. Reine Geschäftssache.

Und endlich war sie soweit, daß ich sie in kleineren Städten auftreten lassen konnte. Ich brauche Ihnen das nicht ausführlich zu erzählen. Wenn Sie eine Künstlerbiographie kennen, kennen Sie alle. Erst sind die Leute spröde, spöttisch, gleichgültig, dann kriegt man sie herum. Die Hammel springen … Ich übergehe das Unwesentliche – von den ersten Bouquets, die ich bezahlte, bis zu den Treibhauswäldern, die man ihr später schickte; von dem Selbstmord aus Liebe zu ihr, den ich erfunden, bis zu dem armen dummen Jungen, der sich thatsächlich in ihrem Vorzimmer eine Kugel durch den Kopf jagte. Die Geraldini war gemacht. Sie kennen ja den weiteren Verlauf ihres Triumphzuges … Sie ist sehr überschätzt worden – das sage ich Ihnen. Es ist wahr: ich hatte sie großartig inszenirt. Dennoch verblüfften die Erfolge mich selber. Sie sang ja wirklich nicht schlecht, aber es hat Viele gegeben, die besser sangen. Nur ging von ihr ein gefährlicher und sonderbarer Zauber aus, über den ich lachte, und auf den ich stolz sein konnte, denn ich war der Hexenmeister, der ihn gebraut …

[63] So saß ich einmal in Moskau, man gab die „Traviata“, glaube ich, neben zwei Herren, die sich in spanischer Sprache unterhielten. Ich verstehe spanisch. Der Eine sagte: „Dieses Weib raubt mir den Athem!“ … Und der Andere, blaß, ernsthaft: „Ich darf sie überhaupt nicht mehr sehen, sonst heirathe ich sie.“ Dieser war ein Gesandtschafts-Attaché. Ich traf ihn später doch täglich im Theater, und er hat sie nicht geheirathet … Gleichviel, ich betrachtete an jenem Abend nicht ohne Rührung und Heiterkeit mein gelungenes Werk. Die Schusterstochter! Diese Diva? Diese berückende Frau mit der schläfrig süßen Stimme? Wenn Mäusel das erlebt hätte! … Als ich nach der Vorstellung mit ihr in unserem gemeinschaftlichen Salon soupirte, rief ich befriedigt aus: „Rosel, heute hast Du mir gefallen!“ (Ich duzte sie nämlich aus Bequemlichkeit.) Und bei diesen Worten kniff ich sie wohlwollend in die Wange. Sie aber bog sich ganz empört zurück und warf mir den strafenden Königinnenblick zu, den ich ihr beigebracht, für den Fall, daß sich Jemand zu viel herausnehmen sollte. Das ergötzte mich noch mehr. Ich fand sie auf einmal wirklich reizend und – und begriff beinahe, daß sie Einem „den Athem rauben“ könne …

Ohne viel Ueberlegung, mich in einem Rechte fühlend, von dem ich zufällig bisher keinen Gebrauch gemacht, lege ich also meinen Arm um ihre Taille und will sie an mich ziehen. Sie reißt sich los, heftig, daß ich fast das Gleichgewicht verloren hätte, stürzt aus dem Zimmer und sperrt sich ein … Erst war ich verdutzt, dann lachte ich laut, dann sang ich vor ihrer Thür zum Spaß: „Gute Nacht, Du mein herziges Kind!“ dann trank ich allein den Champagner weiter, und als ich mich schlafen legte – war ich sterblich in sie verliebt …

[64] Verliebt! Ich! der Pygmalion, in den geformten Klotz! … Nun kamen meine Fehler. Wie ich die Weiber kenne, wäre Alles anders gekommen, wenn ich sie am nächsten Tag von oben herab behandelt hätte, wie bisher. Statt dessen war ich liebenswürdig, schmeichlerisch, zärtlich. In einem einzigen Augenblicke ging meine Herrschaft verloren. Sie verbot mir das Duzen, die Vertraulichkeiten, stellte ihre Gesellschafterin zwischen uns. Ich war ganz sprachlos und betäubt – sie raubte mir den Athem. Ich konnte mir nicht helfen. Ich hatte plötzlich Respekt vor ihr. Wie war das nur gekommen?

Für mich begann aber eine miserable Zeit. Ich brachte ihr jeden Morgen Blumen, ich! Ich schenkte ihr den theuersten Schmuck. Was ich verdiente, ging für sie auf. Ich machte sogar Verse auf sie. Mit einem Wort: komplet verrückt. Was wollen Sie – Jeden von uns packt einmal die Leidenschaft so hart am Genicke und krallt sich in den Schädel ein … Es ist weiter nicht viel zu erzählen. Die Geraldini machte mit mir, was sie wollte. Die Verträge wurden zu ihren Gunsten geändert, was eine nicht unbedeutende Eselei von mir war. Wenn bei dem Geschäfte Jemand ausgebeutet wurde, so war ich es – der Impresario von der Künstlerin. Immerhin ein interessanter Fall! Von ihrem Widerstande zum Aeußersten gebracht, wollte ich sie endlich heirathen. Sehen Sie mich, den Spangelberg, auf Freiersfüßen? … Sie lachte mir unter die Nase. Sie habe glänzendere Aussichten. Sie war wählerisch, die Schusterstochter. Und hat es auch erreicht, wie Sie vielleicht wissen. An der Kunst hing sie ohnedies nicht, sie war ja nie eine Künstlerin gewesen. Ein junger Lord hatte das erhebliche Glück, sie heimzuführen. Anfangs war ich natürlich wüthend, dann sah ich [65] ein, daß ich es nicht ändern könne, und nahm die zehntausend Pfund Abfindung wie ein Philosoph hin …

Ich theilte dieses Geld in zwei Theile. Die eine Hälfte habe ich an der Börse verspielt, mit der anderen, besseren Hälfte war ich ein Jahr lang lustig in Paris. Sehr lustig. Das hat mich auch von der Geraldini geheilt – derart gründlich, daß ich mich erstaunt fragte, wieso ich denn diesem Anfall erliegen konnte. Sehen Sie, mein Lieber, ich wußte es lange nicht, ich weiß es erst jetzt. Nicht ihre Vorzüge, sondern jene beiden Spanier hatten mich in die Geraldini verliebt gemacht. Ich begehrte sie, weil sie von Anderen begehrt wurde. Das ist die lächerliche Gewalt, die das Urtheil der Anderen auf das meinige übt. So werden die großen Männer und die schönen Frauen gegründet … Es ist spät. Wir wollen nach Hause gehen … Ja, noch Eins: Wenn jemals in Ihrer Gegenwart die Vollendung eines Werkes, der Geist eines Mannes oder die Schönheit einer Frau gepriesen wird, dann sehen Sie sich den Sprecher genau an. Er ist entweder ein Schafskopf oder ein Impresario.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Von der Figur Spangelberg handelt auch Der Aufruhr von Amalfi