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Prometheus (Schlegel)

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Textdaten
Autor: August Wilhelm Schlegel
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Titel: Prometheus
Untertitel:
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1798, S. 48
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1798
Verlag: J. G. Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck.
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[49]
Prometheus.


Ein erhabenes Antliz verlieh er dem Menschen, und hieß ihn
Schaun gen Himmel, und frey das Haupt zu den Sternen erheben.
 OVIDIUS.


O goldne Zeit, auf ewig hingeschwunden!
     Wie süß bethört es, deine ferne Spur
     In alter Sänger Sprüchen zu erkunden!
Da hauchte stets des Frühlings Milde nur,

5
     Und es gedieh (so tönt die heil’ge Sage)

     Freywillig alle Füll’ im Schooß der Flur.
Noch Krankheit kannten sie, noch Furcht, noch Klage;
     In süßer Ruhe, brüderlich gesellt,
     Verlebten sie des gleichen Lebens Tage.

10
Nie alternd blühte jene frühe Welt,

     Sie starben, wie dem Schlummer hingegeben.

[50]

     So wie die reife Frucht vom Baume fällt.
Wo kein Gebot, war auch kein Widerstreben:
     Des alten Kronos väterlichen Thron

15
     Schien Liebe nur zu gründen und zu heben.

Viel Zeiten waren wechsellos entflohn,
     Und ach! sie zählte niemand: da entflammte
     Begier nach Thaten seinen kühnen Sohn.
Des Vaters Haupt vom stillen Herrscheramte

20
     Zu bannen rang, unruhig, das Geschlecht,

     Das mit dem Zeus aus Rhea’s Schooße stammte.
Doch die Titanen stehn für Kronos Recht.
     So trennten sich die himmlischen Gewalten,
     Und Weltverheerend tobte das Gefecht.

25
Das Licht erlosch, des Himmels Vesten hallten,

     Die Erde wankt’, als ob zum Tartarus

[51]

     Hinab ein jäher Riß sie sollte spalten.
Sonst ruhig in sich kreisend, schwoll der Fluß
     Okeanos aus seines Bettes Tiefen,

30
     Und brach herein mit brausendem Erguß.

Unendlich war ihr Kampf; vergebens riefen
     Sie der Entscheidung, Kraft an Kraft gebannt,
     So lang, des Donnrers neue Blitze schliefen.
Kaum aber warf aus allgewalt’ger Hand

35
     Zeus seine tausend Sturmbeschwingten Wetter,

     Gekrach und Dampf und unauslöschbarn Brand:
So stürzten die Titanen ohne Retter,
     Betäubt, geblendet, in die öde Nacht,
     Und Götter wurden Sieger über Götter.

40
Hoch thront nun im Olymp Kronions Macht,

     Den Raub der Welt vertheilt er seinen Treuen,

[52]

     Des bangen Erdenvolks wird nicht gedacht.
Da des Verderbens Wolken sich zerstreuen,
     Und, wer entronnen, aufwacht zum Gefühl,

45
     Erstarrt ihr Blick auf grausen Wüsteneyen.

Wo sonst des Lebens fröhliches Gewühl
     Entzückend webte, wo, bethaut von Düften,
     Nur Liebe flüsterte, nur Scherz und Spiel:
Da lauert jetzt in düstern Felsengrüften

50
     Das Raubthier, einsam schallt des Hungers Schrey

     Verloren zwischen unwirthbaren Klüften.
Nichts blieb vom Fluche der Zerrüttung frey;
     Das Friedlichste verwildert, blut’ge Sitte
     Führt, ehern, das Gesetz der Noth herbey.

55
Die Furcht beherrscht des Menschen irre Tritte.
[53]

     Er schmachtet durstig in des Sommers Glut,
     Ihn schirmt vor Frost kein Lager, keine Hütte.
Selbst die Erinnrung vom entfloh’nen Gut
     Erliegt des Elends lastendem Gewichte,

60
     Kein Hoffen weckt ihm den erstorbnen Muth.

In sich verdüstert, tappt er auch im Lichte
     Als säh’ er nicht; hört, ohne zu verstehn,
     Gedankenlos wie wüste Traumgesichte.
Da stieg Prometheus von Olympos Höhn,

65
     Schaut’ auf den Sohn des Staubes, seufzt und sagte:

     Und sollst du so durch fremde Schuld vergehn?
Ich warnte die Titanen: doch wer fragte
     Der Weisheit Rath? wer spottete nicht mein,
     Als ich das Schicksal zu enthüllen wagte?

[54]
70
Der regen Vorsicht werd’ es Macht verleihn,

     Denn reifen müsse die Geburt der Zeiten;
     Sie könne nicht in stolzer Ruh gedeihn.
So wählt’ ich, ungern zwar, für Zeus zu streiten.
     Nur meine Mutter rettet’ ich und mich,

75
     Und half den Fall des eignen Stamms bereiten.

Dich aber, Mensch! erheb’ ich über dich.
     Die goldne Kindheit darf nicht wiederkehren,
     Die dir im weichen Schooß der Lust verstrich.
Drum lerne handeln, schaffen und entbehren!

80
     Ob alles wider dich verschworen scheint,

     Soll innre Kraft doch siegend dich bewehren.
Allein wer hört? wer faßt mich? Wo erscheint
     Noch die Gestalt in diesem blöden Wilde,

[55]

     Die Erd’ und Himmel schön in sich vereint?

85
Laßt sehn denn, wie ich schaffend neu sie bilde.

     Der Mutterboden beut den Stoff mir schon,
     Das Leben dann die himmlischen Gefilde.
So spricht in sich der Themis weiser Sohn,
     Und geht an’s Werk mit sinnender Geberde,

90
     In reiner Flut erweichend reinen Thon.

Er formet sorgsam, daß die Bildung werde
     Wie der Entwurf sie fodert: schon erhebt
     Der neue Mensch sein Antliz von der Erde,
Voll leichter Kraft, die scheinbar ihn belebt,

95
     Die Arme schwellt, die breite Brust ihm ründet,

     Und gleichgewogen durch die Glieder strebt.
Das edle Haupt, die feste Stirn verkündet
     Ein Wesen, wohl gefaßt auf Freud’ und Leid,
     Kühn, lebensfroh, und in sich selbst gegründet.

[56]
100
Der Bildner blickt mit stiller Gnügsamkeit

     Auf dieß Geschöpf, aus seinem Geist entsprungen,
     Worin sein eignes Daseyn sich erneut.
Noch prüft er ernst, ob jeder Theil gelungen,
     Dann säumt er nicht. Es hatte jetzt die Nacht

105
     Die Sternenhüll’ um Land und Meer geschwungen,

Kein sterblich noch unsterblich Auge wacht:
     Da wandelt schweigend auf des Aethers Pfaden
     Der Japetid’, auf schlauen Raub bedacht,
Hin zu des Osts entlegensten Gestaden,

110
     Wo Helios ambrosisches Gespann

     An goldnen Krippen steht, vom Joch entladen.
Prometheus will, was seine Kunst ersann,
     Mit heil’gen Kräften paaren: dort nur glühet,

[57]

     Was würdig sein Gebild beseelen kann,

115
Der Quell, dem alle Lebensfüll’ entblühet.

     Da schöpfet er, und trägt den Funken fort,
     Der willig ihm auf seine Fackel sprühet.
Er eilt zurück zu dem verlaßnen Ort;
     Doch als er naht, (kaum dämmerte der Morgen)

120
     Erwartet zürnend ihn der Themis Wort.

Noch künftiges, noch fernes bleibt verborgen
     Vor ihrem Sinn: durchschaut vom Anbeginn
     Hat sie des Sohnes Thun mit wachen Sorgen.
Aus Delphos Grotten tritt sie zu ihm hin,

125
     Wo sie der Brüder Fall noch still betrauert;

     Wo vor der heiligen Enthüllerin
Des Schicksals einst das Herz der Menschen schauert,
     Bis Phöbos junge Kraft den Python schlägt,

[58]

     Der in der Haine Graun verderbend lauert.

130
„Dämonischer!“ so spricht sie: „was erregt

     Den frevlen Muth dir, diese Saat zu säen,
     Die eine Welt Gefahren in sich trägt?
Die That ist nicht mehr dein, wann sie geschehen;
     Sie strömt die Zeiten durch: die Spindel rollt

135
     Wie sie der Nacht uralte Töchter drehen.“

Wär’ auch Mislingen aller Mühen Sold,
     Erwiedert er: doch soll mich niemals reuen,
     Was ich nach tiefem Forschen fest gewollt.
Kann Götter die Unsterblichkeit erfreuen,

140
     Die fremd vorbeyschleicht, die sie, ewig todt,

     Durch Thaten nie zum Eigenthum sich weihen? –
Drauf Themis: „Sohn! der Zorn des Herrschers droht

[59]

     Dem, der mit Hohem Niedres will vermengen.
     Du höhnst der Ordnung trennendes Gebot.

145
Durch diese Glut erhitzt wird aus den Engen

     Des kleinen Lebens, das ein Hauch zerstört,
     Dein Zögling stolz zum Götterloos sich drängen.“ –
Nur selbst sich gnügen, wenn kein Gott ihn hört:
     (Prometheus sprachs) wer achtet seiner Leiden?

150
     Sie zu bekämpfen werd’ ihm nicht verwehrt.

Wie möchte Zeus dies arme Streben neiden?
     Er thront allwaltend: schreckt ein Wesen ihn,
     Das von der Gottheit Tod und Ohnmacht scheiden? –

[60]

„Wohl! kann der Mensch sich diesen nicht entziehn:

155
     Vom Wunsch gespornt, doch an den Staub gebunden,

     Verzehrt er sich in streitendem Bemühn.
Des Thieres Angst ist mit dem Schmerz verschwunden;
     Was war und seyn wird, drückt den regen Geist.
     So hast du ihm nur neue Qual erfunden.“ –

160
Nein! die der dumpfen Thierheit ihn entreißt,

     Voraussicht, wird ihm ihre Schwester senden,
     Die Hofnung, welche muthig dulden heißt.
Das Schwerste wird er, so gestärkt, vollenden;
     Wo der Nothwendigkeit sein Will’ erliegt,

165
     Wird er ihn ordnend in sein Innres wenden. –
[61]

„Und wenn er auch ein hohes Ziel ersiegt,
      Bald wird er doch sein bittres Loos verklagen,
      Daß Will’ und Kraft mit ihm in nichts verfliegt.
Wie Wellen sich am Klippenstrand zerschlagen,

170
      Muß auf Geschlecht Geschlecht, in stetem Kreis,

      Die Bahn durchlaufen und dem Preis’ entsagen.“ –
Das Gute stirbt nicht: der bescheidne Fleiß,
      Die tapfre That, sie bringen Frucht und laben;
      Den Enkel schattet das gepflanzte Reis.

175
Und immer reicher durch der Vorwelt Gaben

      Beut Ein Geschlecht dem andern froh die Hand,
      Und paart im Wettlauf Greise, Männer, Knaben.

[62]

Die Stärke weicht dem ordnenden Verstand.
      Sich selbst und alles wird der Mensch gestalten,

180
      Mit Anmuth zierend, was die Noth erfand.

Er heißt den Grund verborgne Schätz’ entfalten;
      Er zähmt das Roß; er weiß auf offnem Meer
      Mit Leinbeflügeltem Geschirr zu walten.
Die Felshöh starrt nicht unbeweglich mehr:

185
      Leichtschwebend, wie gelockt von Zauberklange,

      Wölbt sie, und fügt, und reiht sich um ihn her.
Was unsichtbar in Red’ und in Gesange
      Dem Ohr vorbey wallt, stellt er bleibend dar,
      Daß fernen Zeiten es, ein Denkmahl, prange.

190
Ich nenne kleines; zahllos blüht die Schaar
[63]

      Der Künst’ empor; von diesem Sonnenfunken
      Glüht einst die Erd’, ein lichter Weihaltar. –
„O Sohn! du bist von Schöpferwahne trunken!
      Wie wären sonst vor eitlem Gaukelschein

195
      Der Vorsicht Lehren deinem Geist entsunken?

Ja! Flamm’ und Brand wird dieser Funke seyn;
      Die Sterblichen verderbend wird er wüthen,
      Den Aether trüben und die Erd entweihn.
Kein Zügel kann den frechen Willen hüten;

200
      Ihm fröhnt der Witz und jede Kunst, und schafft

      Daß ungeheure Wünsch’ im Herzen brüten.
Doch, was er auch weitgreifend an sich rafft,
      Nichts gnüget ihm; er jagt nach neuem Raube,

[64]

      Weil im Besitz die schnöde Lust erschlafft.

205
Und schlauvermeßne, jedem Rechte taube

      Gewalt spannt Völker in des Joches Schmach,
      Ihr Fußtritt beugt die Nacken tief zum Staube.
Die Zwietracht geht ihr Ruhewürgend nach,
      Und den Verein der Menschen knüpft die Treue,

210
      Die Eide bricht, so oft sie Eide sprach.

Dann schließt zu blut’gem Tanz sich Reih’ an Reihe;
      Hellblinkend jauchzt der Erdentrißne Stahl,
      Das er dem Tode Hekatomben weihe.
Doch offnes Morden bringt nur kurze Qual:

215
      Groll, schleichender Verrath und gift’ge Tücke

      Trieft von den Bechern selbst beym Brudermahl.

[65]

An’s Licht gesandt vom nächtlichen Geschicke,
      Entschleyert Nemesis ihr Angesicht,
      Und mißt die Greu’l mit richtend ernstem Blicke,

220
Und ruft zur furchtbarn, namenlosen Pflicht

      Die ewig eingedenken Rächerinnen,
      Um deren Stirn Gorgonenhaar sich flicht.
Die Schuld kann nirgends ihrem Netz entrinnen.
      Blutathmend, Qualweißagend heult ihr Lied,

225
      Durchwühlt die Adern und verwirrt die Sinnen.“ –

Mich schrecket nicht dein schauendes Gemüth,
      O Mutter! Ob dein Mund nie Lügen redet,
      Ich weiß daß auch, was du verschweigst, geschieht.
Wenn jedes Frevels sich der Mensch entblödet,

[66]
230
      Bleibt das ihm Vollmacht doch zu höherm Heil,

      Womit er oft unselig sich befehdet.
Blind eilt zum Ziel, ein abgeschnellter Pfeil,
      Des Thieres Trieb; es irrt nur, wer da wählet:
      Sich selbst zu lenken ist des Freyen Theil.

235
Erkenntniß wurzelt ihm, wo er gefehlet;

      Steigt fest und fester aus der Täuschung Flut,
      Und wird zur Weisheit, durch Entschluß gestählet.
Der Meister seines Innern läßt die Wuth
      Der Lüfte sich einander blind zerschellen,

240
      Und Niedriges verschmäht, wer Großes thut.

Wenn Maaß und Heldenkraft sich so gesellen,
      Wird die Gewalt entthront, das Recht gebeut,
      Nur Liebe macht die freyen Herzen schwellen.

[67]

Sobald Gefahr dem schönen Bunde dräut,

245
      Für alle jeder, und für jeden alle

      Sind sie, den Tod zu suchen, froh bereit;
Und unbezwungen bey des Tapfern Falle
      Strebt seine Tugend selbst bewußt empor
      Und lebt, vergöttert, in der Lieder Halle.

250
Nach Kämpfen geht der Friede mild hervor:

      Zum Oelbaum grünt die Lanze, Schwerter pflügen,
      Und sichre Fülle wohnt bey offnem Thor.
Der Adler kann auch über Meere fliegen.
      Ist aus dem Chaos nicht durch Lieb’ und Zwist

255
      Die Ordnung aller Ding’ emporgestiegen?

Vollendung strahlt, die kein Gedank’ ermißt,
      Erst durch des Irrsals Nächte diesem Wesen,
      Das sich zu schaffen nur geschaffen ist.
Zeus hat die Welt; dich hab’ ich mir erlesen!

260
      Du Werk und Abbild meiner Thatenlust

      Frey sollst du seyn: was zaudr’ ich, dich zu lösen[1]? –

[68]

„Noch halt! o halt, Prometheus! Meine Brust
      Stöhnt ahndend unter den unnennbarn Plagen,
      Womit du bald dein Wohlthun büßen mußt.

265
Ergrimmt, daß eines Tags Geschöpfe wagen,

      Titanen gleich, nur stolz auf sich zu baun,
      Wird dich des Donnrers Wort in Banden schlagen.
Mit Ketten, ehrnen Ringen, und den Klaun
      Der Keil’ und Nägel wird an öde Klippen

270
      Der Erde Strand dich festgeschmiedet schaun.

Da harrest du, des Felsens schroffe Rippen
      Dein Lager, aufrecht, unbeweglich, wach;
      Dir labt kein Nektar die verdorrten Lippen.
Nie hörst du deiner Menschen kindlich Ach,

275
      Kein Lebenstritt naht so verwaisten Fernen,
[69]

      Der Wiederhall nur ächzt dir einsam nach.
Die Sonnen ziehn, es zieht mit ihren Sternen
      Die Nacht vorbey; eh deine Kunst dich löst,
      Mag dir zu rauschen dort die See verlernen.“ –

280
Sinkt dieser dann, von meiner Gab’ entblößt,

      Zum Knecht zurück? wird sein der Blitz nicht schonen,
      Wenn vom Olymp mein Bundsgenoß mich stößt? –
„Zeus kann die Bildnerey dir bitter lohnen,
      Doch hemmen darf er nicht, was sie erzielt,

285
      Denn selbst die Macht muß dem Verhängniß frohnen.“ –

So will ich dulden was die Noth befiehlt.
      Ich bin unsterblich, und mein ew’ger Wille
      Wird von der Qual, ein Berg vom Sturm, umspielt. –
„Weh mir, die ich dein Unheil dir enthülle!

290
      Durch Riesentrotz, Titan’, erwirbst du bloß,
[70]

      Daß Zeus der Rache Maaß noch höher fülle.
Er läßt der Blitze Flammenwirbel los,
      Das Meer und Aether durch einander brausen;
      Hohldonnernd stürzt die Felskluft in den Schooß

295
Des dumpfen Hades dich: da wirst du hausen,

      Bis Zeus dem Tageslicht zurück dich bringt,
      Dir selbst zur Schmach, den Himmlischen ein Grausen.
Sein Flügelhund, der gier’ge Geyer, springt
      Umschattend auf die starr gebundnen Glieder,

300
      Zerfleischt die Brust dir; was er Tags verschlingt

Erwächst der blut’gen Leber nächtlich wieder;
      Lautschwirrend kommt der ungerufne Gast,

[71]

      Schwebt langsam fort mit triefendem Gefieder.“ –
Nichts fremdes übt, wer seinen Hasser haßt:

305
      Kronion aber herrscht, der Ungerechte,

      Durch meine Hülf’ im himmlischen Palast.
Nun hält der Tartarus die alten Mächte,
      Und feig gehorcht der jungen Götter Schaar.
      Wo ist ein Starker, der mich retten möchte?

310
Dir legt die Zukunft ihr Geheimniß dar,

      O meiner Mutter heil’ges Haupt! ich flehe
      Beym Styx dich an: mach mir sie offenbar!
Ob nie ein Ringer für das Recht erstehe
      Aus sterblichem und göttlichem Geschlecht,

315
      Der Götterkraft zum Heldenthum erhöhe?

Wenn der, vom Mühsal ewig ungeschwächt,
      Gefahren sucht, und tilget Ungeheuer,
      Und Räuber zähmt und Unterdrückte rächt:

[72]

Dann treibt ihn auch des freyen Muthes Feuer,

320
      Das ich verlieh, in Wüsten ohne Pfad;

      Er kommt, zerreißt die Bande, würgt den Geyer.
Ja er vollbringts, und zürnte seiner That
      Der Donnrer auch, und hätt’ ihn der gezeuget,
      Der mit der Herrschaft Fuß mich niedertrat. –

325
Der Japetide riefs, doch Themis schweiget.

      Wie Gram und Zweifel ihr im Busen schwoll,
      Hat sie die Stirn verschleyert abgeneiget.
Sie weiß, daß einst der Tag erscheinen soll,
      Wo ihrem Sohn Herakles heil’ge Stärke

330
      Mit Rettung nahet, gleicher Gottheit voll.

Auf daß er mehr auf ihre Warnung merke,
      Verschwieg sie, was sein weiser Sinn erspäht;

[73]

      Was schreckt ihn nun bey dem verwegnen Werke?

335
Er kehrt zum Bilde sich, das vor ihm steht,

      Und spricht: Geh! wirke! trage Leid und Wonne!
      Der Funke blitzt und Lebensodem weht,
Der freye Mensch blickt zur verwandten Sonne.

A. W. SCHLEGEL.

Anmerkung von Wikisource:

  1. Vorlage: löse