Zum Inhalt springen

Pomologische Monatshefte:1. Band:6. Heft:Ueber Obstaussaaten und deren Erfolge

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Pomologische Monatshefte
Band 1, Heft 6, Seite 257–259
Eduard Lange
fertig
<<<
Das Pfropfen in den Spalt
>>>
Ueber zweckmäßige Anwendung verschiedener Holzarten zu Unterlagen zur Veredlung unserer Obstsorten
[257]
Ueber Obstaussaaten und deren Erfolge.

Keine Frage hat die Pomologen in den letzten 50 Jahren so häufig und ernstlich beschäftigt als die: Warum die Samenkerne einer Muskatreinette nicht wieder Muskatreinettenbäume, sondern unter sich und vom Mutterstamme meist sehr verschiedene Apfelbäume liefern. Ich finde die Sache jetzt sehr einfach, so einfach wie die eben so häufige Erfahrung, daß die Söhne großer Männer meistens sehr kleine Männer sind. Dazu ist [258] die für uns Praktiker so überaus wichtige saftige Samenumhüllung der Kernobstfrüchte, botanisch betrachtet, ein so wenig wesentlicher und so untergeordneter Theil der ganzen Pflanze, daß hierin, selbst bei der größten Aehnlichkeit eines Obstbaumes mit seinem Mutterstamme, doch immer ganz entschiedene Abweichungen stattfinden können. Jeder Kern liefert ein neues Baumindividuum, wie jedes Hühnerei ein anderes Hühnchen. Das ist ein Erfahrungssatz. Nur nennen wir bei den Obstbäumen wegen ihrer großen Vermehrungsfähigkeit durch jede ihrer unendlich zahlreichen Knospen das eine besondere Sorte, was wir sonst in der Thier- und Pflanzenwelt nur als ein besonderes Individuum zu bezeichnen pflegen. Während nun wegen dieser unermeßlichen Vermehrbarkeit einige Pomologen die einzelnen Obstsorten oder Urindividuen für ewig erklären, weisen andere wiederum auf die Endlichkeit alles Irdischen hin und finden die Ausartung und Erschlaffung der alten Sorten oder Individualitäten ganz natürlich. Zu diesen letztern gehörte auch der berühmte belgische Pomolog van Mons, der mehr neue Birnensorten erzogen hat, als bis jetzt irgend ein Pomolog der ganzen bekannten Menschheit. Er fand unsere edelsten Birnsorten veraltet und an Güte und Lebenskraft herabgekommen und geschwächt. Aber die Aussaat ihrer Kerne gab ihm nach 12 bis 15 Jahren in der ersten Generation größtentheils rohe, vielleicht nach dem wilden Unterstamme hin ausgeartete Wildlinge. Als er aber die ersten Saamen dieser Wildlinge abermals aussäete, erhielt er nach 10–12 Jahren in zweiter Generation schon eine bessere Nachkommenschaft. Noch besser wurde nach 9–10 Jahren die dritte Generation aus den ersten Saamenkernen der zweiten und sofort bis zur fünften und sechsten Generation. Ja, er wollte zuletzt, durch diese Erfolge ermuthigt, gar nicht mehr gerne Edelreiser abgeben, sondern hielt die Saamenkerne der spätern Generationen für sicherer und ermuthigender, obgleich diese frühe Fruchtbarkeit und die übrigen Eigenschaften dieser Neulinge ebenfalls schon ein offenbares Zurückgehen an Vegetationskraft zeigten.

So wenig ich nun auch meiner Seits an die Richtigkeit dieser ganzen Theorie glaube, schon deßwillen nicht, weil es dann ganz unbegreiflich seyn würde, wie schon das graue Alterthum, statt nach van Mons’scher Art durch fortwährend neue Kernsaaten, immer edlere Generationen von Obstbäumen auf die leichteste Art zu erziehen, auf Mittel und Wege hätte sinnen sollen, die bereits vorhandenen bessern Obstsorten durch künstliche Veredlung geringerer Sorten zu erhalten, so kann ich dieselbe doch nicht durch entgegengesetzte Erfahrungen widerlegen. Ebensowenig kann ich aber auch nach allen meinen Erfahrungen Denen beistimmen, welche annehmen, unsere Zwetschen oder Hauspflaumen pflanzten sich, abweichend von der allgemeinen Regel, unverändert durch den Stein fort. Vielmehr habe ich bei allen meinen Kernaussaaten, auch bei den Zwetschen, sehr merkliche Abweichungen der Sämlinge von dem Urstamme, und da ich immer nur Kerne von den edelsten Zwetschensorten aussäete, allerdings sehr merkliche Verschlechterungen wahrnehmen müssen. Ganz dasselbe ist auch bei den Pfirsichen der Fall. Auch bei ihnen geben sehr viele Sämlinge genießbare, einige sogar ganz vorzügliche Früchte, selbst größer und feiner als der Mutterstamm. Aber ganz dieselben Früchte wie der Mutterstamm, hat mir bis jetzt auch bei den Pfirsichen noch kein Sämling gegeben, während ich einen Apfelwildling [259] besitze, der vom Mutterstamme zwar im Wachsthum und in der Tragbarkeit wesentlich abweicht, dabei aber gleichwohl Früchte liefert, die unter die des Mutterstammes gemischt, kaum wieder herauszufinden sind. Die Zwetschen aber finde ich an Größe, Güte, Tragbarkeit, Frühzeitigkeit und Löslichkeit des Fleisches vom Stein unter einander so verschieden, daß ich mich nicht genug wundern kann, wie wenig dieß oft auf den Obstmärkten und selbst von Obstkennern anerkannt wird. Aber man betrachte nur eine einzige Pflanzung zur Zeit der Blüthe oder der Früchtereife recht aufmerksam, und man wird mir beistimmen, wenn ich behaupte, daß wenn die ganze Pflanzung, statt aus einem Gemeng verschiedener Zwetschensorten, aus ebenso viel Bäumen der darunter befindlichen edelsten Sorte bestände, ihr Werth leicht der doppelte seyn könnte. Es würde sich daher wohl der Mühe lohnen, die geringeren Sorten mit den besseren zu veredeln, oder lieber nur von den edelsten und besten Sorten Ausläufer zu pflanzen. Denn in der Veredlung der Pflaumenbäume sind die gewöhnlichen Pfropfer nur selten glücklich.

Ed. Lange.