Physik (1914)
Man versucht oft, eine Zeitepoche durch ein kurzes und einfaches Wort zu kennzeichnen, und so hat man den Zeitraum, in dem wir leben, wohl als Zeitalter der Elektrizität bezeichnet. Hierbei denkt man in erster Linie an die praktischen Anwendungen der Elektrizität, die unser modernes Leben in einer Weise umgestaltet haben, wie es kaum vorher eine andere Kraft, selbst nicht die Dampfkraft, getan hat. Diese Bezeichnung ist aber auch dann gerechtfertigt, wenn man an die Erweiterung unserer Erkenntnisse von der Natur denkt. Würde man die wissenschaftlichen Arbeiten aus dem gesamten Gebiete der Physik nach altem Herkommen einteilen und die literarischen Ergebnisse etwa in einer Bibliothek verteilen, so würde gewiß auf die Elektrizitätslehre weit über die Hälfte des ganzen benutzten Raumes fallen.
Während jahrhundertelang das Bestreben der Naturforscher darauf gerichtet gewesen ist, die Naturerscheinungen auf Vorgänge der Mechanik zurückzuführen, neigt man mehr und mehr dazu, die elektrischen Vorgänge als die Urvorgänge anzusehen und die meisten, vielleicht alle übrigen Naturerscheinungen auf elektrische Vorgänge zurückzuführen.
Elektrizität.
Die Grundlagen für die technische Anwendung der Elektrizitätslehre, im besonderen für die Konstruktion aller derjenigen Maschinen, die auf elektro-magnetischen Vorgängen beruhen, oder die eine Umwandlung der elektrischen in Wärmeenergie und umgekehrt der Wärmeenergie in elektrische umfassen, liegen vor dem Zeitraum, der nach der Aufgabe des vorliegenden Werkes eingehender behandelt werden soll, während der Ausbau der technischen Anwendungen zum großen Teil in diesen Zeitraum fällt. Dagegen ist es uns erst in den letzten Jahrzehnten gelungen, etwas tiefer in das Wesen der Elektrizität einzudringen, so daß die Frage: „Was ist Elektrizität?“ heute wohl schon bis zu einem gewissen Grade beantwortet werden kann, während man dieselbe Frage früher in das Gebiet der müßigen Spekulationen verweisen mußte.
Im besonderen hat das Studium der elektrischen Erscheinungen, die sich bei den Entladungen in Gasen abspielen, außerordentlich viel zur Klärung dieser Frage beigetragen.
Die farbenprächtigen Lichterscheinungen, die die elektrische Entladung in verdünnten Gasen begleiten, haben schon zu der Zeit als Geißler seine mit verdünnten Gasen [1278] gefüllten Röhren herstellte, das lebhafteste Interesse erregt, und sehr bald nachdem dieser durch seine Röhren bekannt gewordene Glasbläser jedem die Beobachtung leicht ermöglicht hatte, hatte man erfahren, daß die Farbe des Lichtes in erster Linie von der Farbe der in den Röhren enthaltenen Gase abhängt. Als dann zuerst Plücker 1858 und dann Hittorf 1869 die Erscheinungen beobachteten, die mit der elektrischen Entladung in Röhren verbunden sind, in denen die Gasmengen bis auf einen verschwindend geringen Rest ausgepumpt sind, erregten diese nur in geringem Maße das Interesse weiterer Kreise, weil die Lichterscheinungen an Schönheit weit hinter den in Geißlerschen Röhren auftretenden zurückbleiben. Erst infolge der Veröffentlichungen des englischen Physikers Crookes, der 10 Jahre später die schon von Hittorf beobachteten Erscheinungen auf eine „strahlende Materie“, einen sogenannten vierten Aggregatzustand zurückführte, wurde die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf diese Erscheinungen gelenkt. Das am meisten Auffallende bei den Crookesschen Röhren ist, daß die von dem negativen Pole, der Kathode, ausgehenden Lichterscheinungen nicht den Strombahnen der Elektrizität folgen, sondern geradlinig verlaufen und Körper, die in den Strahlengang gebracht werden, zu lebhafter Fluoreszenz anregen. Doch wiederum vergingen mehrere Jahre, ehe man sich in den physikalischen Laboratorien systematisch mit diesen Vorgängen beschäftigte.
Röntgenstrahlen.
Die Schwierigkeiten, die sich der Untersuchung der Kathodenstrahlen entgegenstellten, waren in erster Linie darin begründet, daß die Strahlen nur im Inneren eines geschlossenen Rohres auftreten. Diese Schwierigkeiten überwand Lenard, dem es 1893 gelang, sie durch ein sogenanntes „Aluminiumfenster“ aus dem Rohre heraustreten zu lassen. Sie waren dadurch der direkten Untersuchung zugänglich geworden. Die Untersuchungen Lenards, die dieser aus äußeren Gründen auf einige Zeit unterbrechen mußte, wurden von Röntgen in Würzburg fortgesetzt. Dieser untersuchte mit einer Lenardschen Röhre besonders die auch in der freien Luft von den Kathodenstrahlen angeregte Fluoreszenz der Körper und entdeckte bei dieser Gelegenheit die Strahlen, die er selbst X-Strahlen nannte, und die heute, in Würdigung der Verdienste des Entdeckers, allgemein Röntgenstrahlen genannt werden. Die Röntgenstrahlen zeichnen sich vor allen anderen bisher bekannten Strahlen dadurch aus, daß sie Körper durchdringen, die für gewöhnliches Licht undurchlässig sind. Sie werden hierbei von ihrer geradlinigen Richtung nicht abgelenkt; aber sie werden von den Körpern, die in den Strahlengang gebracht werden, geschwächt und zwar im allgemeinen um so mehr, je dichter die durchstrahlten Körper sind. Daher entsteht hinter einem von Röntgenstrahlen durchstrahlten Körper ein Schattenraum, der dort am tiefsten ist, wo die dichtesten Körper die stärkste Schwächung erzeugt haben. Die Röntgenstrahlen sind mit dem Auge nicht unmittelbar sichtbar. Da sie aber auf einem mit fluoreszierenden Körpern bedeckten Schirm lebhafte Fluoreszenz erzeugen und da die Fluoreszenz dort am stärksten ist, wo die Intensität der Strahlen am größten ist, so entsteht auf dem Fluoreszenzschirm ein sichtbares Schattenbild. Die Röntgenstrahlen wirken gleich wie Kathodenstrahlen auf eine photographische Platte ein, und zwar auch durch eine geschlossene Holzkassette oder durch schwarzes Papier hindurch, die den gewöhnlichen Lichtstrahlen den Weg versperren. Bringt man daher in den [1279] Gang der Röntgenstrahlen eine in undurchsichtiges Papier eingewickelte photographische Platte, so zeigt sich auf ihr nach der Entwickelung der Platte das Schattenbild eines in den Strahlengang gebrachten Körpers, ähnlich so, als ob es von Lichtstrahlen erzeugt worden wäre, mit dem Unterschiede jedoch, daß die undurchsichtigen Körper noch teilweise durchsichtig erscheinen.
Das Aufsehen, welches die ersten Röntgenbilder, im besonderen die bekannte Skelett-Hand, kurz nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen in der ganzen Welt erregte, sucht seinesgleichen. Man war sich klar darüber, daß diese Entdeckung eine große Tragweite haben würde; trotzdem aber ahnte wohl niemand, in welchem Umfange direkt und indirekt diese Entdeckung zu weiteren Entdeckungen Veranlassung geben würde, ganz abgesehen von den praktischen Anwendungen der Röntgenstrahlen in der medizinischen Wissenschaft sowohl zur Diagnose wie auch als Heilmittel, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Es gab im Jahre 1895 wohl kaum ein physikalisches Laboratorium in der ganzen Welt, in dem man nicht mit fieberhaftem Eifer Versuche mit Röntgenstrahlen anstellte. Gerade hierin liegt die Ursache für die weitere Erforschung des ganzen Strahlungsgebietes.
Luftpumpen. Funkeninduktorien.
Die instrumentelle Technik beschäftigte sich mit der Aufgabe, Röhren für Röntgenstrahlen zu bauen, die einen möglichst hohen Grad der Wirksamkeit zeigen. Das regte die Konstruktion gut wirkender Luftpumpen an, die schon auf einem anderen Gebiete als notwendiges Werkzeug der physikalischen Laboratorien gefordert wurden. Die Fabrikation der Glühlampen und die Steigerung ihres Wirkungsgrades durch Herstellung hochgradiger Luftverdünnungen hatte hier schon vorbereitend gewirkt. Ungezählte neue Konstruktionen von Quecksilber-Luftpumpen wurden auf den wissenschaftlichen Markt gebracht, und noch heute ist man eifrig mit der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit beschäftigt. Besonders mag bei dieser Gelegenheit der von Gaede in Freiburg konstruierten Luftpumpen: der rotierenden Quecksilber-Luftpumpe, der Kapsel-Luftpumpe und der erst im letzten Jahre konstruierten Molekular-Luftpumpe gedacht werden. Eine weitere Forderung, die das Studium der Röntgenstrahlen stellte, war die Vervollkommnung der Funkeninduktorien, mit deren Hilfe es möglich ist, die hochgespannte Elektrizität zu erzeugen, die die Erzeugung der Röntgenstrahlen zur Voraussetzung hat. Der Ruhmkorffsche Funkeninduktor erwies sich sehr bald als außerordentlich verbesserungsfähig. Man lernte Induktorien bauen, die bei einem relativ geringen Aufwande von Drahtmaterial große Funkenschlagweiten erzeugen. Heute sind Induktorien, die Funkenlängen von 1 Meter und mehr erzeugen, keineswegs selten. Um die Wirkungsweise der Funkeninduktorien zu steigern, wurde die Art der Drahtwicklungen rationeller gemacht, und es wurden neue Stromunterbrecher mit hoher Frequenz konstruiert. Unter diesen sind die rotierenden Quecksilberstrahl-Unterbrecher, die von verschiedenen mechanischen Firmen in den Handel gebracht wurden, sowie ganz besonders der von Wehnelt 1899 erfundene elektrolytische Unterbrecher erwähnenswert. In welcher Weise die Vervollkommnung der Induktorien nun wieder Untersuchungen [1280] auf verwandten Gebieten ermöglichte und so die instrumentellen Unterlagen schuf für die drahtlose Telegraphie, soll weiter unten ausgeführt werden.
Becquerelstrahlen.[1]
Wir kehren zu den Röntgenstrahlen zurück. Daß Röntgenstrahlen mit den Kathodenstrahlen eng verknüpft sind, daß sie aber dennoch von ihnen grundverschieden sind, erkannte man bald nach Röntgens Entdeckung. Ab- und Irrwege zur Erklärung der Röntgenstrahlen wurden eingeschlagen, aber auch diese führten zu Zielen, die man vorher nicht geahnt hatte. Im besonderen glaubte Becquerel, daß die Fluoreszenz eine notwendige Begleiterscheinung, ja vielleicht die Ursache für die Röntgenstrahlen sei. Daher untersuchte er Körper, die sich durch hohe Fluoreszenz auszeichnen, daraufhin, ob sie auch noch nach der Bestrahlung mit Röntgenstrahlen auf die photographische Platte wirken. Als er 1896 ein Stück eines Uransalzes, das vorher bestrahlt worden war, auf eine eingewickelte photographische Platte legte und durch das Papier hindurch auf die Platte wirken ließ, beobachtete er in der Tat eine photographische Wirkung. Es stellte sich dann heraus, daß dasselbe Uransalz die Wirkung zeigt, auch wenn es nicht vorher bestrahlt worden ist, es muß also selbständig Strahlen aussenden, die den Röntgenstrahlen ähnlich sind.
Curie.-Radium.
Das Hauptverdienst in der weiteren Untersuchung der Becquerelschen Uranstrahlen, die auch Becquerelstrahlen[1] genannt wurden, gebührt dem französischen Forscherpaar Curie. Diesem gelang es 1899, aus dem Erz, aus dem das Uran gewonnen wird, dem besonders in Joachimstal gefundenen Uranpecherz, zwei Körper von außerordentlich hohem selbständigen Strahlungsvermögen herzustellen. Diese beiden Körper sind das Polonium und das Radium, deren Untersuchung seit der Jahrhundertwende unsere Anschauungen über die Konstitution der Materie wesentlich modifiziert und zu den wichtigsten Aufschlüssen geführt hat. Die Radiumforschung ist heute international geworden. Wollte man die Namen der Forscher, die auf diesen Gebieten fruchtbringend tätig gewesen sind, aufzählen, so würden sämtliche Nationen dabei vertreten sein. Auch deutsche Forscher haben bei der Untersuchung der Radiumstrahlung Großes geleistet. Der scheinbare Widerspruch gegen das Energiegesetz, nach welchem keine Energie aus Nichts geschaffen werden kann, ist in erster Linie von dem englischen Physiker Rutherford beseitigt, der die Quelle für die von den radioaktiven Körpern ausgesandte Strahlung in dem selbständigen und unablässig erfolgenden Zerfall der Atome des Radiums suchte und fand. Die Zerfallsprodukte bestehen zum Teil aus festen Körpern. Der Zerfall geschieht in der Weise, daß sich unter Aussendung von Strahlen, die zum Teil korpuskulare Natur haben, der Reihe nach neue Zerfallsprodukte von mehr oder weniger großer Lebensdauer bilden. Man bezeichnet wohl diese Zerfallsprodukte mit dem gemeinsamen Namen der „Radium-Familie“. Gerade an der Fixierung der einzelnen Mitglieder dieser Familie hat die deutsche Forschung lebhaften Anteil gehabt. Schon Madame Curie hatte nachgewiesen, daß vom Radium drei verschiedene Strahlen-Arten, die Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlen von ganz verschiedenem Charakter ausgehen. Die Alpha-Strahlen sind Strahlen korpuskularer Natur, [1281] die unter dem Einfluß eines magnetischen Feldes wie ein Strom positiver Elektrizität abgelenkt werden. Die Beta-Strahlen sind den Kathodenstrahlen wesensgleich; sie werden wie ein Strom negativ elektrischer Teilchen im magnetischen und elektrischen Felde abgelenkt. Die Gamma-Strahlen verhalten sich wie die Röntgenstrahlen. Sie folgen den Lockungen eines magnetischen Feldes nicht und zeigen dieselbe durchdringende Kraft wie die Röntgenstrahlen. Nachdem Ramsay in Gemeinschaft mit Soddy 1903 entdeckt hatte, daß aus der vom Radium gebildeten Emanation von selbst das Gas Helium entsteht, erkannte man in den Alpha-Strahlen elektrisch geladene Heliumatome, durch deren Abspaltung aus den Radiumatomen das Geheimnis des Radiums wenigstens teilweise entschleiert worden war. Raummangel verbietet, auf Einzelheiten weiter einzugehen.
Die Becquerellschen Beobachtungen der Uranstrahlen hatten zu den eben skizzierten wichtigen Entdeckungen den Anstoß gegeben. Sie hatten über die Entstehung und die Natur der Röntgenstrahlen keinen Aufschluß gebracht. Bald jedoch kam man zu der Erkenntnis, daß die Röntgenstrahlen dann entstehen, wenn Kathodenstrahlen in ihrem Laufe aufgehalten werden. So war in der Lenard-Röhre ein Platinrohr, in das das Aluminiumfenster eingesetzt war, die Ausgangsstelle der Röntgenstrahlen. In derselben Weise entstehen die Röntgenstrahlen auch in jeder gewöhnlichen Crootesschen Röhre dort, wo die Kathodenstrahlen auf die Glaswand fallen. Am eine kräftige Entwicklung von Röntgenstrahlen zu erzeugen, brachte man dann im Innern der Röhre ein Metallblech, z. B. ein Platinblech an, auf das die Kathodenstrahlen konzentriert fallen. Diese Anordnung ist auch noch heute beibehalten. Das Metallblech wird Antikathode genannt. Gleichzeitig mit der Entstehung der Röntgenstrahlen tritt eine Umwandlung eines Teiles der Energie der Kathodenstrahlen in Wärme ein; daher kommt die Antikathode beim Betrieb der Röntgenröhren mit starken elektrischen Energien zum Glühen; sie wird in den neuesten Röntgenröhren durch Wasserströme gekühlt. Daß die Kathodenstrahlen eine große Energiemenge mit sich führen, hatte schon Crookes erkannt; er hatte ein Entladungsrohr konstruiert, in dem die „strahlende Materie“, das sind die Kathodenstrahlen, ein kleines drehbares Flügelrad bewegt.
Braunsche Röhre.
Die Kathodenstrahlen werden vom magnetischen Felde wie ein Strom negativer Elektrizität abgelenkt. Daß die Kathodenstrahlen negative Elektrizität mit sich führen, hatte Lenard auch an den in der freien Luft sich ausbreitenden Kathodenstrahlen nachgewiesen, die einen in den Gang der Strahlen gebrachten, isoliert aufgestellten Körper negativ elektrisch machen. Die magnetische Ablenkung hat F. Braun 1898 zur Konstruktion der Braunschen Röhre benutzt; sie besteht aus einem Kathodenstrahlenrohr, in das ein enges Diaphragma eingesetzt ist, das nur ein schmales Kathodenstrahlenbündel hindurch läßt. Dieses fällt auf einen im Innern angebrachten Glimmerschirm, der mit fluoreszierender Masse überzogen ist. Das Kathodenstrahlenbündel erzeugt auf dem Schirm einen leuchtenden Fluoreszenzfleck. In einem magnetischen Felde wird das Kathodenstrahlenbündel abgelenkt, und infolgedessen ändert der Fleck seinen Platz; die Ablenkung hängt von der Richtung und Stärke des Magnetfeldes ab. In einem magnetischen Wechselfelde bewegt sich der leuchtende [1282] Fleck hin und her, und wenn man den bewegten Fleck in einem rotierenden Spiegel beobachtet, so sieht man eine Kurve, aus der man die Natur des Wechselfeldes erkennen kann. Die Braunsche Röhre ist demnach zur Untersuchung magnetischer Wechselfelder und daher auch der sie erzeugenden elektrischen Ströme geeignet.
Interferenz der Röntgenstrahlen.
Die Natur der Röntgenstrahlen hatte man trotz aller darauf verwandten Mühe und Sorgfalt nicht zu erkennen vermocht. Bis vor kurzem war der Streit darüber, ob die Röntgenstrahlen aus einer Art von elektrischem Strom, ähnlich wie die Kathodenstrahlen, bestehen, oder ob sie oszillatorischen Charakter haben; ob ferner die Oszillationen periodisch sind oder ob sie nur aus ein oder zwei Schwingungszügen bestehen, unentschieden. Erst das laufende Jahr hat darüber Klarheit geschaffen. Laue gehörte zu denen, die den Röntgenstrahlen oszillatorischen Charakter zusprechen. Er vermutete, daß man ihre Schwingungszahl und Wellenlänge nur aus dem Grunde nicht hatte messen können, well die Wellenlänge wesentlich kleiner sei, als die irgendeiner anderen bekannten Strahlenart. Er gab die Anregung, man solle die Röntgenstrahlen auf ein dünnes Plättchen einer Substanz leiten, deren Moleküle ganz regelmäßig im Raum angeordnet sind, also ein sogenanntes regelmäßiges Raumgitter bilden, da dieses Raumgitter vielleicht Beugungserscheinungen hervorrufen würde. Friedrich, ein Assistent Laues, führte dann diesen Versuch aus und wurde durch vollen Erfolg belohnt. Als er ein Bündel von Röntgenstrahlen auf ein dünnes Plättchen von Zinkblende fallen ließ, entstand auf einer hinter der Zinkblende aufgestellten photographischen Platte ein Interferenzbild von hervorragender Schönheit. Man kann diese Beobachtung und Entdeckung wohl zu den wichtigsten Entdeckungen der letzten Jahre zählen, da sie uns den Weg gezeigt hat, in welcher Weise wir das innere atomistische Gefüge eines Körpers untersuchen können. Mit Hilfe der Röntgenstrahlen können wir nun gewissermaßen die einzelnen Atome getrennt sehen und zählen. Zugleich können wir aus demselben Bilde die Wellenlänge der Röntgenstrahlen berechnen.
Elektrisches Atom (Elektron.)
Die Untersuchung der Kathodenstrahlen wurde durch die Entdeckung der Radiumstrahlen nicht aufgehalten, sondern in mancher Weise befruchtet. Fast gleichzeitig hatten J. J. Thomson und Wiechert 1897 nachgewiesen, daß die Kathodenstrahlen aus negativ geladenen „elektrischen Atomen“ bestehen, die mit großer Geschwindigkeit geradlinig von der Kathode fortgeschleudert werden. Die Geschwindigkeit der Kathodenstrahlen ist später oft gemessen worden; sie beträgt etwa 1/10 bis 1/5 der Lichtgeschwindigkeit. Die ersten, die zuverlässige Messungen ausgeführt haben, waren Wiechert und Des Coudres. Im Jahre 1900 gelang es W. Kaufmann, auch die Geschwindigkeit der vom Radium ausgehenden Beta-Strahlen zu messen und das Verhältnis der elektrischen Ladung zu ihrer Masse zu bestimmen. Aus diesen Versuchen schloß Kaufmann, daß ein einzelnes Atom einer solchen elektrischen Ladung etwa den 2000. Teil der Masse eines Wasserstoffatomes hat.
[1283] An diese Untersuchungen schloß sich dann die Frage, was man als Masse eines solchen elektrischen Atomes (eines Elektrons) zu verstehen habe, und ob nicht etwa die Masse nur vorgetäuscht sei. Im weiteren Verfolg dieser Frage ist dann der Gedanke ausgesprochen, ob nicht die Masse überhaupt nur elektromagnetischer Natur sei, also keine reale Existenz in dem Sinne habe, wie wir es gemeiniglich anzunehmen pflegen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die körperliche Masse nichts anderes ist, als eine Kongregation von Elektronen. Die Verschiedenartigkeit der materiellen Atome würde dann nur aus einer verschiedenartigen Anordnung der Elektronen beruhen. Ist diese Annahme richtig, so muß es möglich sein, auch alle mechanischen Vorgänge auf elektrische Vorgänge zurückzuführen.
Kanalstrahlen.
Nur kurz mag noch erwähnt sein, daß von den in einem Entladungsrohr enthaltenen Elektroden auch Strahlen positiver Elektrizität ausgehen, die zuerst von Goldstein 1881 beobachtet wurden. Sie sind später von ihm Kanalstrahlen genannt worden, weil sie besonders hinter den Kathoden auftreten, die kanalförmige Durchbohrungen haben. Auch von der positiven Elektrode (der Anode) gehen nach neueren Untersuchungen Strahlen aus, die Anodenstrahlen genannt werden. An den Kanalstrahlen beobachtete J. Stark 1906 die Erscheinung des sogenannten Dopplereffekts. Er fand bei der spektralen Untersuchung des Kanalstrahlenlichts eine Verschiebung der Spektral-Linien nach dem violetten Ende des Spektrums hin, wenn er den Kanalstrahlen entgegenblickte, und nach dem roten Ende hin, wenn er in der Richtung der Kanalstrahlen beobachtete. Hieraus konnte er schließen, daß die Träger der Lichtemission die Gasatome sind, und daß das Licht von den in den Atomen schwingenden Elektronen verursacht wird.
Zeemann-Effekt.
Mit der letzten Erscheinung berühren wir eine Entdeckung, die von Zeemann in Leiden 1896 gemacht wurde, die unter dem Namen des Zeemann-Effekts bekannt ist. Der Zeemann-Effekt besteht in der Erscheinung, daß die Spektrallinien des von einem glühenden Metalldampf ausgehenden Lichts verbreitert und sogar in mehrere Teile zerspalten werden, wenn sich die Lichtquelle in einem starken magnetischen Felde befindet. Diese Entdeckung war schon von H. A. Lorentz vorausgesagt worden, der sie aus der Vermutung erschloß, daß schwingende Elektronen die Emissionszentren des Lichts der Spektrallinien in glühenden Metalldämpfen seien. Auch an der Erforschung dieses Gebietes haben neben Stark viele deutschen Forscher lebhaften Anteil gehabt, unter denen besonders W. Voigt genannt sein möge.
Hertz’ Strahlen elektrischer Kraft.
Also auch Licht ist eine elektrische Erscheinung! Die Brücke zwischen Licht und Elektrizität war schon früher geschlagen worden. Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schloß Maxwell durch vorwiegend mathematische Berechnungen, daß sich die Gesetze über das Licht aus den in einem elektrischen Felde stattfindenden Störungen mathematisch [1284] herleiten lassen. Diese Ableitungen fanden wenig Beachtung. Als aber Heinrich Hertz 1888 experimentell nachweisen konnte, daß die bei einem elektrischen Funken auftretenden Störungen sich wie Lichtstrahlen im Raum fortpflanzen und daß sich die „Strahlen elektrischer Kraft“, wie er sie nannte, hinsichtlich der Reflexion und Brechung genau wie Lichtstrahlen verhalten und sogar einer Polarisation fähig sind, war die von Maxwell ausgesprochene Vermutung zur Tatsache geworden. Schon im Jahre 1857 hatte Feddersen in Leipzig beobachtet, daß der Entladungsfunke einer Leidener Flasche oszillatorischen Charakter trägt. Jedoch war diese Beobachtung vergraben und vergessen. Sie erschien nunmehr durch die Hertzschen Versuche neu erstanden und von fundamentaler Wichtigkeit wieder. Mühselig waren die Hertzschen Versuche, besonders aus dem Grunde, weil der Nachweis der Strahlen außerordentlich schwierig war, und weil der Mensch kein elektrisches Sinneswerkzeug besitzt, das die elektrischen Schwingungen unmittelbar ebenso empfindet, wie das Auge das Licht empfindet.
Kurz nach den Hertzschen Entdeckungen beobachtete Branly, daß lockeres Metallpulver dem elektrischen Strome einen großen Widerstand bietet, daß aber dieser Widerstand fast vollständig verschwindet, wenn das Metallpulver von elektrischen Schwingungen getroffen wird. Auf dieser Tatsache gründet sich die Konstruktion des sogenannten Kohärers oder Fritters, mit dem die elektrischen Schwingungen im Raum bequem nachgewiesen werden können. Stellt man einen Stromkreis her, der aus einem galvanischen Element, einer Klingel und einer mit losem Metellpulver gefüllten Glasröhre besteht, so wird das Metallpulver beim Auftreffen von elektrischen Schwingungen leitend, der Strom wird geschlossen und die Glocke ertönt. Die Empfindlichkeit des Branlyschen Kohärers kann soweit gesteigert werden, daß man die sich im Raum ausbreitenden elektrischen Wellen noch in großer Entfernung von dem die elektrischen Schwingungen anregenden elektrischen Funken nachweisen kann. Es erschien als ein Phantasiegebilde, wenn hier und da die Vermutung ausgesprochen wurde, daß man vielleicht Signale von einem Orte zu einem anderen durch elektrische Wellen auf größere Entfernungen würde übertragen können.
Drahtlose Telegraphie.
Doch dieses scheinbare Phantasiegebilde ist heute durch die drahtlose Telegraphie nicht nur zur Wirklichkeit geworden, sondern über alle Erwartung übertroffen. Die Verdienste Marconis, der sowohl an dem Sendefunken, wie auch an dem empfangenden Kohärer einen frei in den Luftraum ragenden Draht anbrachte und dadurch sowohl das Ausbreitungsgebiet der elektrischen Wellen vergrößerte als auch eine größere Menge der in den Wellen enthaltenen Energie in dem Kohärer auffing, dürfen nicht unerwähnt bleiben. Marconi versuchte vorwiegend auf rein technischem Wege die Reichweite der elektrischen Wellen durch Verstärkung der Energiequelle zu vergrößern, indem er mächtige elektrische Maschinen zum Speisen des Gebefunkens benutzte und am Geber die in den Raum ausgestrahlte Energiemenge durch Luftdrähte (Antennen) vergrößerte und ebenso durch mächtige an der Empfangsstation angebrachte Antennen einen relativ hohen Prozentsatz der Energie wieder einfing. Einen wesentlich anderen Weg zur Nutzbarmachung des durch die Hertzschen Versuche angeregten Prinzips [1285] schlug F. Braun ein. Er erkannte, daß die von den Entladungsfunken ausgehenden elektrischen Schwingungen außerordentlich mannigfaltiger Art und akustisch etwa vergleichbar sind mit einem mächtigen Paukenschlag. Würde man die Schwingungen mehr denen eines akustischen Tones ähnlich machen können, so würde man am Empfänger die Resonanzwirkung ausnutzen können, die schon mit kleinen Energiemengen einen gleich gestimmten Körper zum Schwingen bringt. Außerdem würde man den Vorteil erreichen, daß Geber und Empfänger zueinander abgestimmt werden können, und zwar so, daß ein Geber von bestimmter Schwingungszahl immer nur auf einen Empfänger von derselben oder wenigstens von benachbarter Schwingungszahl wirken würde, während er auf einen nicht abgestimmten Empfänger wirkungslos bleiben würde. Nach sorgfältiger theoretischer Entwickelung und mühsamen Laboratoriumsexperimenten dehnte er dann um die Jahrhundertwende seine Versuche auf größere Entfernungen mit Erfolg aus.
Telefunken.
Fast gleichzeitig mit Braun hatte Slaby in Berlin an der Ausbildung der drahtlosen Telegraphie gearbeitet. Leider bekämpften sich beide Forscher Jahre hindurch zum Schaden der deutschen Industrie, so daß die englische Marconi-Gesellschaft freie Hand hatte, um sich manche Geschäftsabschlüsse zu sichern, die bei einmütigem Zusammengehen der beiden deutschen Forscher vielleicht nicht zustande gekommen wären. Daher atmete man in allen wissenschaftlichen und technischen Kreisen Deutschlands erleichtert auf, als es 1903 zur Verschmelzung der beiden Systeme Slaby und Braun und der auf Grund dieser Systeme gebildeten Gesellschaften kam. Die Vereinigung zu der Gesellschaft „Telefunken“ war der Grundstein zu dem Weltruf der deutschen drahtlosen Telegraphie. Ein weiterer Fortschritt von grundlegender Bedeutung wurde durch den Dänen Poulsen geschaffen, dem es gelang, sogenannte ungedämpfte Schwingungen mit Hilfe des singenden Lichtbogens zu erzeugen. Jedoch wurde seine Erfindung sehr bald abgelöst durch Benutzung des von M. Wien in Danzig erfundenen sogenannten Löschfunkens, mit Hilfe dessen man auf der Gebestation eine außerordentlich hohe Energiemenge in Form von reinen elektrischen Schwingungen in den freien Luftraum senden kann; zugleich erreichte man eine Abstimmung von einer bis dahin unerwarteten Höhe und Genauigkeit. Hierdurch wurde zugleich die instrumentelle Grundlage für eine drahtlose Telephonie geschaffen, deren Entwickelung soeben begonnen hat. Man kann die Erfindung der drahtlosen Telegraphie und ihren systematischen Ausbau auf wissenschaftlicher Grundlage bis zur höchsten technischen Vollkommenheit als die Frucht eines durch und durch deutschen Fleißes ansehen.
Die Hertzschen Versuche, die durch die drahtlose Telegraphie eine so eminente praktische Anwendung erfahren haben, sind gleichzeitig der Ausgangspunkt wichtiger Untersuchungen und Forschungen auf dem Gebiete der theoretischen Physik geworden. Zu dieser Entwickelung haben natürlich auch die anderen Entdeckungen auf den verwandten Gebieten: die Kathodenstrahlenforschung, die Radioaktivität u. a. ihren Teil beigetragen. Sie lassen sich zusammenfassen in den Fragen nach der Natur der Elektrizität, nach der Art der Ausbreitung elektrischer Kräfte und nach der Zurückführung der physikalischen [1286] Erscheinungen auf elektrische Vorgänge. Sie zielen zum Teil daraufhin, das Elektron für den Träger aller Energie darzustellen oder Energiezentren elementarer Art zur Erklärung aller Naturerscheinungen heranzuziehen. Es ist wohl kaum möglich, ein für den Nichtphysiker verständliches, klares Bild über die außerordentlich schwierige Materie zu geben, an deren Entwicklung die Physiker aller Länder ihren gebührenden Anteil haben. Wir müssen uns daher hier darauf beschränken, noch einige wichtige Forschungsergebnisse zu erwähnen, die bei der Aufstellung der modernen physikalischen Theorien von wesentlichem Einflüsse gewesen sind.
Rubens. – Reststrahlen.
Da sind zuerst die Versuche zu nennen, die darauf hinzielen, das Gebiet der elektrischen Wellen von mehreren Kilometern Länge bis zu 1/10 000 eines Millimeters lückenlos auszufüllen. Es ist dem Berliner Physiker Rubens gelungen, das Gebiet der Lichtwellen im ultraroten Teil des Spektrums bis zu Wellenlänge von 0,07 mm Länge zu erweitern, während man auf dem Gebiete der elektrischen Wellen bis zur Länge von 6 mm gekommen ist. Ob die relativ kleine Lücke, die zwischen den eigentlichen elektrischen Wellen und den Licht- und Wärmewellen noch besteht, wird ausgefüllt werden können, ist eine Frage der Zukunft. Wichtig ist, daß an den von Rubens untersuchten längsten Lichtwellen Eigenschaften aufgefunden worden sind, die wir an den kürzesten elektrischen Wellen schon länger kennen. Hierzu gehören in erster Linie die Resonanzerscheinungen von der Art, wie sie bei elektrischen Wellen bekannt sind. Rubens sonderte die langen Lichtwellen aus einem Strahlenbündel dadurch aus, daß er dieses wiederholt an ebenen Flächen eines Stückes Steinsalzes, Flußspat oder Sylvin reflektieren ließ. Die Rubensschen Untersuchungen der „Reststrahlen“ stehen wieder in Beziehung einerseits zu der Frage nach der Strahlungsenergie einer Lichtquelle, andererseits zu der sogenannten anomalen Dispersion und metallischen Reflexion bzw. selektiven (auswählenden) Absorption der Lichtwellen.
Strahlung eines absolut schwarzen Körpers.
Die Untersuchungen über die Energieverteilung der Strahlung eines Licht- und Wärmewellen aussendenden Körpers sind für die Strahlung eines absolut schwarzen Körpers sehr gründlich ausgeführt worden. Hiermit bezeichnet man einen Körper, der alle auf ihn fallenden Strahlen absorbiert. Nach einem schon von Kirchhoff um 1860 ausgesprochenen Strahlungsgesetze absorbiert jeder Körper diejenigen Strahlen, die er bei einer gegebenen Temperatur aussendet. Für einen absolut schwarzen Körper sind die Strahlungsgesetze möglichst einfach und auch theoretisch berechenbar. Boltzmann hat 1884 die Gesetze über die Strahlung eines absolut schwarzen Körpers theoretisch abgeleitet, nachdem Stefan 1878 aus früheren Versuchen dasselbe Gesetz induktiv hergeleitet hat, das unter dem Namen des Stefan-Boltzmannschen Integralgesetzes für die Strahlung des schwarzen Körpers bekannt ist. Es lautet: „Die Gesamtstrahlung eines schwarzen Körpers ist mit der vierten Potenz seiner absoluten Temperatur proportional.“ Dieses Gesetz ist dann von Lummer und Pringsheim 1897 [1287] und von Kurlbaum 1898 am schwarzen Körper für Temperaturen geprüft worden, die zwischen der der flüssigen Luft und 2300° C liegen.
Energieverteilung im Spektrum.
Für die Verteilung der Energie im Spektrum hat W. Wien 1893 das nach ihm benannte Verschiebungsgesetz auf theoretischem Wege aufgestellt: „Die Wellenlänge der maximalen Strahlungsenergie eines strahlenden Körpers ist seiner absoluten Temperatur umgekehrt proportional.“ Dann hat Planck eine vollständige Formel für die Energieverteilung im Spektrum theoretisch hergeleitet. Beide Gesetze sind ebenfalls von Lummer und Pringsheim experimentell geprüft und bestätigt worden. Abgesehen von der theoretischen Wichtigkeit dieser Gesetze und von der Übereinstimmung, die die theoretisch hergeleiteten Gesetze mit den tatsächlichen Versuchsergebnissen zeigen, haben sie eine sehr große praktische Bedeutung, indem sie zur Konstruktion von Pyrometern geführt haben, mit denen man selbst die höchsten Temperaturen irgendeines Körpers auf optischem Wege messen kann. Vielfache Anwendung hat das Wannersche Pyrometer gefunden. Mit Hilfe dieses und ähnlicher auf den Strahlungsgesetzen begründeter Apparate kann man die Temperatur eines glühenden Körpers aus der Art des Lichts bestimmen, das dieser Körper ausstrahlt. Man braucht z. B. mit einem solchen Pyrometer nur in die Glut eines Hochofens aus der Entfernung hineinzusehen und gewisse Ablesungen vorzunehmen, um die Temperatur zu bestimmen, ohne daß man etwa einen Teil des Apparates in die Glut hineinversenkt. Auch die Temperatur der Sonnenoberfläche ist auf strahlungstheoretischem Wege zu etwa 6000° C bestimmt worden. Durch die Erkenntnis der Strahlungsgesetze sind uns auch die Wege vorgezeichnet, auf denen wir zu einer Erhöhung der Lichtausbeute einer Lichtquelle kommen können.
Kinetische Gastheorie.
Die besonders von Boltzmann und Planck eingehend behandelten thermodynamischen Gesetze greifen zurück auf die sog. kinetische Gastheorie, deren Begründung auf die Arbeiten von Clausius aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückgeführt werden müssen. Nach dieser Theorie besteht das Wesen der Wärme eines Gases in einer außerordentlich raschen Bewegung der einzelnen Gasmolekeln. So bewegen sich z. B. die Luftmolekeln bei gewöhnlichem Luftdruck und der Temperatur von 0° C mit einer Geschwindigkeit von etwa 500 Metern in der Sekunde. Das ist die Geschwindigkeit einer abgeschossenen Kanonenkugel. Die Bewegungen erfolgen ungeordnet, hierbei stehen die Gasmolekeln oft an andere, prallen voneinander ab, ändern dadurch ihre Richtung und bewegen sich weiter. Die Strecke, die sie bei dieser Bewegung durchschnittlich geradlinig zurücklegen, beträgt etwa nur 1/10 000 mm. Würden sich die Gasmolekeln mit derselben Geschwindigkeit alle in derselben Richtung bewegen, so würde dieses einen Luftstrom bedeuten, gegen den die Geschwindigkeit eines Orkans mit der Geschwindigkeit von etwa 50 Metern in der Sekunde sehr gering wäre. Die ungeordnete Bewegung der Gasmolekeln kommt uns durch ihre Temperatur zum Bewußtsein. Boltzmann und Planck haben ihre thermodynamischen Grundgleichungen auf das Prinzip aufgebaut, [1288] daß die Bewegung der Molekeln so erfolgt, wie es dem höchsten Grad der berechneten Wahrscheinlichkeit entspricht. Die ungeordnete Bewegung sehr kleiner Teile kann man bei den Brownschen molekularen Wimmelbewegungen beobachten. Wenn nämlich in einer Flüssigkeit sehr kleine Teile suspendiert sind, so kann man unter dem Mikroskop beobachten, daß diese in einer unaufhörlichen eigentümlichen zitternden Hin- und Herbewegung begriffen sind. Die Brownsche Molekularbewegung hat man direkt auf eine Bewegung der Molekeln zurückgeführt; doch sind die kleinen zitternden Teilchen nicht etwa die Molekeln selbst; sondern die suspendierten Teilchen werden durch den Stoß der Molekeln der Flüssigkeit in unaufhörlicher Bewegung gehalten. –
Mikroskop Abbe.[2]
Das Studium kleinster Teile ist an die technische Entwickelung des Mikroskops gebunden. Der Jenenser Physiker Abbe[2] hatte eine neue Theorie der optischen Instrumente aufgebaut, die nicht auf der geometrischen Optik allem fußt, sondern die die Wellennatur des Lichtes in den Vordergrund rückt. Er betrachtete das in den optischen Instrumenten erzeugte Bild nicht als eine einheitlich definierte geometrische Größe, sondern als ein Beugungsphänomen. Im Verfolg seiner Untersuchungen konnte er theoretisch die Grenze für die Leistungsfähigkeit eines Mikroskops berechnen. Er wies nach, daß Einzelheiten eines mikroskopischen Objekts, die kleiner als eine halbe Lichtwelle sind, also kleiner als 1/10 000 mm, nicht mehr aufgelöst, d. h. in ihrer wahren geometrischen Form erkannt werden können, selbst nicht unter Verwendung der allerbesten Materialien und unter Anwendung der höchsten optischen und mechanischen Präzision des Instrumentes. Scheinbar in Widerspruch mit diesem Dogma steht die Erfindung des sog. Ultramikroskops durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Jenenser Zeißwerkes Siedentopf und Zsigmondy im Jahre 1903. Das Prinzip des Ultramikroskops wird uns klar, wenn wir daran denken, wie die in einem Luftraum enthaltenen feinen Stäubchen auch mit bloßem Auge sofort wahrnehmbar werden, wenn sie seitlich durch einen Sonnenstrahl beleuchtet werden. Die genannten beiden Forscher machen die in einer durchsichtigen Flüssigkeit oder dem durchsichtigen Glase suspendierten kleinsten Teilchen durch seitliche Beleuchtung mit einer intensiven Lichtquelle selbst zu Lichtquellen, die nun bei der Beobachtung mit einem Mikroskop getrennt wahrgenommen werden können. Wenngleich die im Ultramikroskop wahrgenommenen Lichterscheinungen keinen Schluß auf die Form und Größe der lichtspendenden Pünktchen zulassen, so kann man mit dem Ultramikroskop doch wichtige Aufschlüsse über ihre Zahl, Ordnung und Lage finden. Das Ultramikroskop hat sich auch zum Studium der kleinsten Lebewesen, der Bakterien als fruchtbar erwiesen. Die ultramikroskopische Grenze liegt etwa bei 1/200 000 mm Durchmesser. Diese Größe ist dadurch bedingt, daß eine von einem so kleinen Körperchen ausgehende Lichtmenge auch bei der intensivsten Beleuchtung nur so viel Licht aussendet, als das Auge vermöge seiner Lichtempfindlichkeit noch eben wahrnehmen kann. Die Zeißwerke haben noch mehrere andere bahnbrechende Erfindungen gemacht; so müssen die Prismenfernrohre erwähnt werden, die 1895 von S. Czapski neu erfunden und von den Zeißwerken in brauchbarer Form konstruiert worden sind. Bei den Prismenfernrohren [1289] wird die Umkehrung des in den Keplerschen Fernrohren entstehenden umgekehrten Bildes durch ein Prismensystem bewirkt. Zwar war schon wesentlich früher das Prinzip der Anwendung der Prismen zu diesem Zwecke von dem französischen Ingenieur Porro 1853 angegeben worden, jedoch war diese Erfindung vollständig vergessen, weil sie damals infolge ungenügender instrumenteller Technik nicht praktisch ausgenutzt werden konnte.
Neues Glas für optische Instrumente.
Mit den Zeißwerken Hand in Hand arbeiten die Jenenser Glaswerke von Schott und Genossen. Bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts war man auf die Benutzung weniger Glassorten, die durch die Worte Flintglas und Kronglas gekennzeichnet sind, angewiesen. Dann wurden in den Jenenser Glaswerken, zum Teil mit Unterstützung der Regierung, systematische Untersuchungen ausgeführt, die die Herstellung neuer Glassorten zur Aufgabe hatten. Während bei den früheren Glassorten das Brechungsvermögen und Dispersionsvermögen bei allen Krongläsern und ebenso bei allen Flintgläsern einander nahezu proportional sind, gelang es den Jenenser Glaswerken, Glassorten mit beliebig geforderten optischen Eigenschaften herzustellen, also z. B. sowohl solche mit hohem Brechungsvermögen und kleinem Dispersionsvermögen wie auch solche mit umgekehrten Eigenschaften. Durch diese Erfindungen war nun für die Konstruktion neuer optischer Instrumente die Bahn geebnet. Die Vollkommenheit dieser Instrumente hat jetzt eine ganz außerordentliche Höhe erreicht. Um sich zu vergegenwärtigen, daß auch weitere Kreise aus der Vervollkommnung der Glastechnik großen Nutzen ziehen, möge man nur an die Ausbreitung der Photographie denken. Die schönen Bilder, die mit relativ billigen photographischen Apparaten hergestellt werden können, sind zum größten Teil erst durch die Fortschritte in der Glastechnik ermöglicht worden. Daß bei den Arbeiten der Jenenser Werke auch für andere als optische Zwecke brauchbare Gläser abfielen, ist bekannt. Man denke nur an die Lampenzylinder und an die Thermometer aus Jenenser Glas. Die Lichtdurchlässigkeit der Glassorten für die verschiedenen Teile des Spektrums ist sehr verschieden; es ist jetzt gelungen, Gläser herzustellen, die noch weite Gebiete des ultra-violetten Spektrums durchlassen. Eine solche Glassorte ist unter dem Namen Uviolglas bekannt geworden.
Quarzglas.
Im Anschluß hieran möge auch des Quarzglases Erwähnung geschehen, das durch das Zusammenschmelzen des reinen Quarzes, des Bergkristalls gewonnen wird. Hauptsächlich wird es von der in Hanau belegenen Fabrik von Heräus & Co. hergestellt. Es zeichnet sich dadurch aus, daß es sich bei Erwärmung nur außerordentlich wenig ausdehnt. Das hat zur Folge, daß es bei plötzlicher Erwärmung und Abkühlung nicht zerspringt. So kann man ein bis zu heller Rotglut erhitztes Gefäß aus Quarzglas direkt in kaltes Wasser tauchen, ohne daß es zerspringt. Infolge dieser Eigenschaft ist es für manche physikalische und chemische Untersuchungen von unbezahlbarem Wert; es kann vielfach die teuren Platininstrumente ersetzen. Auch bei Herstellung der Quecksilberdampflampe, in der Quecksilberdampf durch den elektrischen Strom zum Glühen [1290] gebracht wird und dann als Lichtquelle dient, wird es verwandt. Da das Quarzglas noch für die äußersten Teile des ultravioletten Lichts durchsichtig ist, so kann man mittels einer aus Quarzglas hergestellten Quecksilberbogenlampe die Wirkung des ultravioletten Lichts studieren und diese Strahlen zu mancherlei Zwecken z. B. auch als Heilmittel bei der Erkrankung organischer Gewebe benutzen.
Erforschung tiefster Temperaturen.
Wir haben hiermit das Gebiet der hohen Temperaturen berührt und schließen hieran die Fortschritte, die mit der Erschließung des Gebietes tiefster Temperaturen verbunden sind. Als es im Jahre 1877 Cailletet in Paris und Pictet in Genf gelungen war, die Bestandteile der Luft durch Anwendung niedriger Temperatur zu verflüssigen, war der früher angenommene Unterschied zwischen den koerziblen und permanenten Gasen beseitigt. Die Verflüssigung der Luft erforderte aber so große Maschinen und eine solch komplizierte Apparatur, daß das Studium der Eigenschaften flüssiger Luft nur wenigen ermöglicht worden war, und daß wohl niemand an eine praktische Anwendung der flüssigen Luft dachte. Auf Grund eingehenden Studiums der Gasgesetze und der besonderen Eigenschaften einiger Gase gelang es 1895 v. Linde in München, die Luft nach einem neuen Verfahren zu verflüssigen, das darauf beruht, daß sich komprimierte Luft bei ihrer Entspannung abkühlt. Das Verfahren ist so einfach, und die auf dieses Verfahren gegründete Verflüssigungsmaschine nimmt einen so geringen Raum ein, daß die physikalischen Laboratorien, denen nicht allzu beschränkte Geldmittel zur Verfügung stehen, eine solche Maschine anschaffen konnten. Da außerdem die Handhabung der Maschine leicht von gewöhnlichen Arbeitern erlernt werden kann, so befaßten sich einige Fabriken direkt mit der technischen Herstellung flüssiger Luft, die sie zu einem relativ niedrigen Preise an jedermann verkaufen. Die flüssige Luft siedet bei einer Temperatur von etwa –190° C. Während sie bei dieser Temperatur teilweise in den luftförmigen Zustand übergeht, nimmt sie die hierzu erforderliche Wärme aus den noch flüssigen Teilen der Luft und kühlt diese selbständig wieder ab. Daher kann sie in einem offenen Gefäß eine Zeitlang aufbewahrt werden, wenn das Gefäß von außen möglichst gegen Aufnahme von Wärme geschützt wird. Zur Aufbewahrung der flüssigen Luft dienen die sog. Dewarschen Gefäße, die eine Vervollkommnung der schon früher von Weinhold in Chemnitz konstruierten Gefäße darstellen. Sie bestehen aus einem Glasgefäß mit doppelten Wandungen. Der Zwischenraum zwischen den beiden Wandungen ist luftleer, daher kann die Wärme aus Mangel an einem Transportmittel nicht von außen nach innen gelangen. Die Wärmeausstrahlung wird durch Versilberung des Gefäßes verhindert. Die heute unter dem Namen Thermosflaschen für wenig Geld im Handel erhältlichen Gefäße, in denen warme Getränke sehr lange warm und kalte Flüssigkeiten sehr lange kalt gehalten werden können, sind im wesentlichen Dewarsche Gefäße.
Edelgase.
In der flüssigen Luft sind alle ihre Bestandteile in flüssigem Zustande enthalten. Da diese Bestandteile bei verschiedenen Temperaturen sieden, so [1291] verändert sich die Zusammensetzung der flüssigen Luft von selbst, wenn sie in einem offenen Gefäße steht, indem die leichter siedenden Bestandteile, d. i. besonders der Stickstoff, zuerst verdampfen. Infolgedessen reichert sich die flüssige Luft durch fraktionierte Destillation von selbst mit Sauerstoff an. Bei der fraktionierten Destillation der flüssigen Luft hat sich herausgestellt, daß außer den beiden Bestandteilen: Sauerstoff und Stickstoff, noch eine Reihe von sog. Edelgasen in der Luft enthalten ist, deren Reindarstellung zuerst Rayleigh und Ramsay 1895 gelungen ist. Diese Gase, von denen die wichtigsten Argon, Neon, Xenon und Krypton sind, heißen Edelgase, weil sie sich mit keinem andern Stoffe verbinden. In demselben Jahre wiesen Ramsay und Cleve auch das Vorkommen von Helium, das uns bisher nur in der Chromosphäre der Sonne und der Fixsterne bekannt war, auf Erden nach. Sie stellten das Gas zuerst aus dem Mineral Cleveit dar.
Sonstige Fortschritte.
Es ist nicht möglich, in dem vorgeschriebenen Raume alle wissenschaftlichen Fortschritte der letzten 25 Jahre zu behandeln. Daher mögen alle diejenigen Fortschritte, die auf dem Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie erreicht worden sind, unberücksichtigt bleiben. Dazu gehören alle diejenigen Erkenntnisse, die mit der Elektrolyse, mit der Dissoziation der Molekeln und mit dem osmotischen Druck zusammenhängen. Neue Fragen über den Aggregatzustand der Körper sind durch Lehmann in Karlsruhe angeregt worden, der zuerst eigentümliche flüssige Gebilde in einer Flüssigkeit beobachtet hat, die er flüssige Kristalle nennt, und die in mancherlei Beziehung Eigenschaften zeigen, die sonst nur den festen Kristallen eigentümlich sind. Raummangel verbietet, auf die Frage der atmosphärischen Elektrizität einzugehen, sowohl was den natürlichen elektrischen Zustand der Atmosphäre, das Auftreten von geladenen Ionen, betrifft, wie auch die sich im Gewitter zeigenden abnormen Vorgänge. Das Studium der Luft-Ionen ist besonders durch Elster und Geitel in Wolfenbüttel angeregt und von einer großen Zahl namhafter Forscher in Angriff genommen worden. Hiermit steht in engem Zusammenhange die sog. Lichtelektrizität, deren fundamentale Erscheinung darin besteht, daß ein elektrisch geladener metallischer Körper seine Ladung verliert, wenn er von Licht bestrahlt wird. Unter anderen hat Hallwachs in Dresden viele wichtige Untersuchungen auf diesem Gebiete gemacht. Von Ebert in München rührt die Theorie her, daß die atmosphärische Elektrizität durch einen Gehalt des Erdbodens an Radium verursacht wird.
Von anderen wichtigen physikalischen Untersuchungen kann nur der Name genannt werden. So die Bestimmung der Gravitationskonstante, die 1896 von Richards und Krigar-Menzel ausgeführt worden ist, die Ausbildung der farbigen Photographie, die Untersuchung der magnetischen Eigenschaften gewisser Legierungen, deren Komponenten unmagnetisch sind (Heuslersche Legierungen), der Nachweis und die Messung des Strahlungsdrucks, den die Lichtstrahlen auf Körper ausüben, durch Lebedew und die sich daran anschließenden Theorien über astronomische Erscheinungen, z. B. über den Kometenschweif. Die lichtelektrische Wirkung des Selens, deren Ausnutzung der Münchner [1292] Physiker Korn zur elektrischen Fernphotographie und zum elektrischen Fernsehen in Angriff genommen hat, und viele andere einzelne Beobachtungen, die vorläufig nur den Physiker interessieren, können nur erwähnt werden.
Einflüsse der Naturwissenschaft auf die technische Entwicklung.
In welcher Weise physikalische Forschungsergebnisse und das Studium der Naturerscheinungen das moderne Leben in den letzten Jahrzehnten beeinflußt und umgestaltet haben, sieht man an dem Ausbau der Elektrotechnik, die sich allmählich fast vollständig von ihrer Mutterwissenschaft, der Physik, losgelöst hat, obgleich ihre Grunderscheinungen in der wissenschaftlichen Physik studiert worden sind und noch weiter studiert werden. Man denke ferner an die Telegraphie und an die Telephonie, an den Kinematographen und an den Phonographen. Sämtliche modernen Verkehrsmittel sind uns erst zugänglich und für uns nutzbar gemacht worden, nachdem ihre physikalischen Grundlagen untersucht worden sind. Ja selbst der modernste Zweig des Verkehrswesens, der die Beherrschung der Luft zum Ziel hat, erforderte vorher ein eingehendes Studium der Widerstandsverhältnisse der Luft. Die Flugmaschinen, deren Anfänge auf die Versuche Lilienthals zurückgeführt werden müssen, benutzen physikalische Prinzipien. Wenn wir heute mit berechtigtem Stolze eins der großen Zeppelinschen lenkbaren Luftschiffe in sicherer Fahrt über unseren Häuptern dahin schweben sehen, so möge uns zum Bewußtsein kommen, daß das Luftschiff getragen wird nach physikalischen Gesetzen des Archimedischen Prinzips, daß es getrieben wird durch Motoren, in denen chemische Energie in Wärme und diese wieder in Bewegungsenergie umgewandelt wird, daß eine genaue Berechnung des Luftwiderstandes notwendig gewesen ist, damit unter seiner Benutzung der Luftwiderstand selbst überwunden werden kann.
Der Weltäther.
Im Mittelpunkt des ersten Teiles unserer Übersicht stand die Beziehung zwischen Elektrizität und Licht. Wir haben versucht darzustellen, daß beide Erscheinungen wesensgleich sind. Hieraus folgt, daß sie auch beide denselben Träger haben müssen, wenn ein solcher überhaupt existiert. Dieser Träger, den man seit langem Äther nennt, muß den ganzen Weltenraum erfüllen. Die Frage ist angeregt worden, ob der Weltäther im Raume ruht oder ob etwa eine die Erde umgebende Ätherhülle sich mit ihr fortbewegt. Diese Frage hat zu eigentümlichen Widersprüchen geführt, die H. A. Lorentz zuerst durch die Annahme zu lösen versucht hat, daß eine Länge keine konstante Größe ist, sondern daß sie nach der Art ihrer Bewegung im Raume kleiner und größer wird. Im weiteren Verfolg dieser Frage ist dann von Einstein das sog. Relativitätsprinzip aufgestellt worden, das dem Zeitbegriff ebenso nur relative Existenz beimißt, wie man eine Bewegung nur relativ zu einer anderen beobachten kann. Von der Ansicht, daß die stoffliche Materie vielleicht gar keine reale Existenz habe, ist oben schon die Rede gewesen. Man neigt dazu, ein materielles Gebilde, etwa einen materiellen Punkt nur als ein Energiezentrum, also als den Ausgangspunkt einer gewesen Energiemenge anzusehen. Endlich wird neuerdings der gesamten [1293] in der Welt vorhandenen Energie eine Art von atomistischer Struktur zugemessen; man denkt sich eine gewisse Energiemenge ähnlich aus einzelnen Energiequanten zusammengesetzt, wie wir uns einen Körper aus einzelnen Atomen und Molekülen zusammengesetzt vorstellen.
Die Physik kann stolz sein auf die Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte. Außerordentlich groß ist die Menge des Erreichten, aber dennoch verschwindend klein gegenüber den Aufgaben, die dieselbe Zeitspanne aufgeworfen hat. Es ist so, als ob jede einzelne Frucht der physikalischen Erkenntnis ungezählte Samenkörner für neue gewaltige Bäume enthält, die der sorgsamsten Pflege und des größten Aufwandes an geistiger Kraft der Menschen bedürfen, damit jeder Baum wachse und gedeihe und wiederum neue Früchte bringe.